Schattenblick →INFOPOOL →RELIGION → BUDDHISMUS

PRESSE/742: Von Ursache und Wirkung (DMW)


Der Mittlere Weg - Nr. 1, Januar - April 2009
Zeitschrift des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.

Von Ursache und Wirkung
Östliche und westliche Vorstellungen

Von Axel Rodeck


I. Kausalitätsvorstellungen im alten Indien

1) Weltgesetz und Götter

Schon aus praktischen Gründen begehren die Menschen seit alten Zeiten zu wissen, wie sie sich verhalten müssen, um ihr Leben und ihre Zukunft - auch nachtodlich - möglichst positiv zu gestalten. Denn offensichtlich richtet sich die Welt nach gewissen Gesetzmäßigkeiten, die es zu beachten gilt und gegen die man nicht folgenlos verstoßen kann. Dabei neigen die einen dazu, einen persönlichen Weltherrn als Lenker des Lebens anzuerkennen, während die anderen ein impersonales Weltprinzip an die Spitze ihrer Weltdeutung setzen. In Indien tritt die Vorstellung von einer die Welt beherrschenden kosmischen Harmonie, deren Störung negative Folgen hat, bereits im Rigveda auf. Sie wird dort "rita" genannt und erfuhr später in den Upanishaden eine Weiterbildung, die als der "Dharma" bezeichnet wurde, als ein über allem stehendes Weltgesetz. Es gibt also etwas, was noch größer als die Götter ist und sogar über sie gebietet.

Das Wort "Dharma" beruht auf dem Wortstamm "dhar", was "halten" oder "tragen" bedeutet. Der Dharma ist also das Weltgesetz, welches den Gang der Welt aufrecht hält und für Gerechtigkeit sorgt. Er ist eine absolute, unumstößlich gültige und nicht mehr hinterfragbare Instanz. Er ist ein atheistisches Prinzip, dem Götter und Menschen gleichermaßen unterworfen sind. Dieser allgemeingültige Dharma hat nach altindischer Auffassung seine Entsprechung im individuellen Dharma (svadharma) der persönlichen Pflicht und Frömmigkeit, die das Weltgesetz jedem Einzelnen abverlangt.

Damit ist der Dharma - was einen erheblichen Unterschied zum Buddhismus bedeutet! - relativ: Beispielsweise gebietet er für den Asketen Gewaltlosigkeit, für den Krieger dagegen das Töten. Der Dharma setzt also die Grundlagen für die Ethik fest, d.h. durch das metaphysische Prinzip "Dharma" wird die Ethik begründet. Verstößt der Mensch gegen die Regeln der Ethik, so verletzt er den Dharma, was Leiden (dukkha) zur Folge hat. Die Erfüllung des Dharma führt dagegen zu Glück (sukha).

Freilich ist das nur Theorie. Wie in allen anderen Kulturen auch mussten die Inder feststellen, dass in der Lebensrealität das Leiden oft gerade die Anständigen und Gerechten trifft, die Kinder und Unschuldigen, während die Bösen sich eines angenehmen Lebens erfreuen. Anscheinend bestand ein Widerspruch zwischen der gerechten Weltordnung und dem Walten eines ungerechten Schicksals. Die Inder fanden Schuldige: Es waren die Götter, die den Menschen ihr Schicksal zufügten und dabei häufig - was recht menschlich erscheint - willkürlich handelten und gar gegen das Weltgesetz verstießen. Ungerechtes Schicksal ist also durch die Willkür der Götter zu erklären. Ursprünglich nur durch freiwilliges Leiden (Askese), später durch strenge Dharma-Gläubigkeit kann der Mensch aber sein Schicksal überwinden und gegen den Widerstand starrköpfiger Götter zum besseren wenden.

Dann jedoch gingen die Inder einen bedeutsamen Schritt weiter und wandten das in der Umwelt beobachtete Gesetz von Ursache und Wirkung auch auf die Ethik an. Sie führen das Schicksal jetzt nicht mehr allein auf die Launen der Götter zurück, sondern definieren es als das Zur-Reife-Kommen der Vergeltungskausalität der sittlich bedeutsamen Handlungen einer abgelaufenen Existenz. Damit "ist dem Schicksal das Stigma der unberechenbaren Willkür genommen worden und aus einer dunklen Macht wurde ein zwingend wirkendes Rechtsprinzip." (v. Glasenapp) Der Schicksalsglaube wird abgelöst durch die Vorstellung vom Zwang zur Wiedergeburt in Abhängigkeit von den begangenen Taten und der Tatvergeltung, also durch die Lehre von "Karma" (= Tat, Handlung) und Geburtenkreislauf.


2) Die Karmalehre

Ein Grundproblem aller Religionen ist die Theodizee: Warum gibt es Leid, wenn es einen gütigen, allmächtigen Gott gibt? Entweder ist er nicht gütig oder nicht allmächtig. In Indien hatte sich mit den Upanishaden und dem Aufblühen philosophischen Denkens die Überzeugung durchgesetzt, dass die Natur und die Wesen Gesetzen unterliegen, die mechanisch ablaufen und keiner Regelung mehr durch einen Gott bedürfen. Dazu gehört, dass von den im irdischen Leben begangenen Taten abhängt, wie und wo die Individualseele im ewigen Kreislauf der Wiedergeburten wieder inkarniert. Dieser Vorgang wurde dann ethisiert und verbunden mit dem Wunsch nach Erlösung aus diesem Kreislauf. Die Karmalehre "ist also sowohl Theodizee, Erklärung des leidhaften und ungerechten Diesseits als Folge früherer Taten, als auch Eschatologie, eine Lehre von der Befreiung." (v. Brück)

Wie gesagt, ist die Karma-Theorie die Anwendung des Gesetzes von Ursache und Wirkung auf die Ethik. Jede Tat bildet eine Ursache für Lebensumstände, die ihrerseits zu neuen Taten führen. Die Umstände des gegenwärtigen Lebens erklären sich aus den Taten der Vergangenheit, wir können sie nicht mehr ändern. Wohl aber können wir mit unserem freien Willen unsere heutigen Taten so gestalten, dass sie das Leben in der Zukunft, auch nachtodlich, positiv bestimmen. Der Karmatheorie zufolge veranlaßt der Mensch also über seine Taten sein Schicksal selbst ("Schaffsal"), gute Taten bewirken gute und schlechte Taten schlechte Wiedergeburt. Erlösung (moksha) bedeutet, aus dem karmisch bedingten ständigen Kreis der Wiedergeburten auszuscheiden. Das aber, so lehren die Brahmanen, ist nur in einer Geburt als Bramahne möglich, dem gemeinen Volk also ebenso wie den Göttern verschlossen. Der Buddha Gautama bekämpfte die elitären Ansichten der Bramahnen: Wenn gutes Karma zu guter und schlechtes Karma zu schlechter Wiedergeburt führt, so gelangt man zur Erlösung, wenn gar kein Karma mehr angesammelt wird. Hierzu zeigte der Buddha einen Weg, der von jedem Menschen gegangen werden kann, das Erlösungsmonopol der Brahmanen war somit gebrochen. Gemäß Gautamas ursprünglicher Lehre hat jeder sein individuelles Karma, während die Veden noch davon ausgingen, es gehe ein gemeinsames Karma der Mitglieder einer Familie oder eines Stammes. Anders als die Brahmanen ging der Buddha auch davon aus, dass nicht die Tat als solche, sondern die ihr zu Grunde liegende Tatabsicht für das Karma maßgeblich ist. Auch dem Buddha zufolge handelt es sich jedoch um naturgesetzliche Folgen, eines waltenden Gottes bedarf es nicht.

Wenn der Buddha auch die Kausalität des Tuns eines Menschen für den Kreislauf der Wiedergeburten nicht in Zweifel zog, so war er doch nicht bereit, über den Ur-Anfang des Kreislaufs und über die erste Ursache zu spekulieren. Die Kette der Vorexistenzen ist, wie er sagt, ohne erkennbaren Anfang: "Aus dem Anfanglosen, Mönche, kommt die Wanderung (der Wesen im Wiedergeburtenkreislauf). Kein Anfang lässt sich absehen, von welchem an die Wesen, im Nichtwissen (avijja) befangen, von der Gier (tanha) gefesselt, (im Samsara) umherirren und wandern."

Und als ein Mönch namens Malunkyaputra den Buddha bat, zu metaphysischen Fragestellungen wie nach dem Ende der Welt Stellung zu nehmen, lehnte der Buddha dies im "Pfeilgleichnis" entschieden ab: Dies sei so wenig hilfreich wie die Fragen eines von einem Giftpfeil Getroffenen, bevor er sich behandeln lässt, nach Art und Beschaffenheit des Pfeils, Namen und Familie des Schützen usw. - er würde über die Beantwortung seiner Fragen hinwegsterben. Nach buddhistischer Tradition ist das Ziel allen Nachdenkens über die Welt, ihr zu entgehen, nicht, ihren Ursprung zu klären. Für die Erlösung sind also Spekulationen über die Natur des Universums überflüssig - gleichwohl finden sie das Interesse der Menschen, insbesondere des Abendlandes.


II. Kausalitätsvorstellungen im Abendland

1) Aristoteles und der "Erste Beweger"

Auch in Griechenland war klugen Beobachtern wie Parmenides und Aristoteles nicht entgangen, dass alles, was in der Welt geschieht, von etwas anderem verursacht wird, wobei diese Ursache selber auf einer anderen Ursache beruht und sich so eine unendliche Kette von Ursachen ergibt. Natürlich tauchte dann die Frage nach der allerersten Ursache auf, die also etwas verursachte, ohne selber verursacht worden zu sein. Diese unverursachte Ur-Ursache nannte Aristoteles den "Ersten Beweger" und es verwundert nicht, dass man später hierin Gott zu erkennen glaubte.

Wie beim indischen Karma handelt es sich auch bei der abendländischen Konstruktion eines "Ersten Bewegers" um eine unbeweisbare Grundannahme. Zu einer solchen fordert eine lineare Weltsicht anders als ein zyklisches Weltbild, wie es im Osten vorherrscht, geradezu auf. Genau so schlüssig wäre jedoch die Annahme, dass alle Ursachen von physikalischen Gesetzen bestimmt werden oder dass - wie es der Buddhismus lehrt - jedes Geschehen auf einer Vielzahl von Ursachen beruht, die ihrerseits ebenfalls viele Ursachen haben, so dass sich eine unendliche Zahl von Ursachen für jedes Ereignis ergibt.

Für die abendländische Kultur von Bedeutung ist die Lehre des Aristoteles, dass die Entstehung eines Gegenstandes in unserer Wirklichkeit auf vier verschiedenen Ursachen beruht, die gleichzeitig vorhanden sind und die Betrachtung der Sache aus verschiedenen Gesichtspunkten ermöglichen:

Die 1. Ursache ist der Stoff (causa materialis), also die chemische Zusammensetzung des Körpers (z.B. das Glas eines Trinkgefäßes),

die 2. Ursache ist die Form (causa formalis), also sein Aussehen (im Beispiel etwa eine Kelchform),

die 3. Ursache ist ein Antrieb (causa efficiens), der das Gebilde hervorgebracht hat (z.B. Wünsche und Arbeitsleistung des Glasbläsers),

die 4. Ursache ist ein Zweck (causa finalis), dem das Geschaffene letztlich dient (z.B. dem Trinken).

Die Neuzeit hat nun mit ihrer Suche nach der "echten" Ursache zu einer unheilvollen Spaltung geführt. Die einen erkennen etwas nur dann als Ursache an, wenn es außerhalb des Gegenstandes liegt, weil die "Qualitäten" einer Sache nicht ihre "Ursachen" sein könnten. Dadurch fallen die ersten beiden aristotelischen Ursachen weg und der "causa efficiens" kommt entscheidende Bedeutung zu. Insbesondere in den Naturwissenschaften wandelte sich der Begriff der Ursache so, "dass das Kausalprinzip geradezu mit dem Prinzip der vollständigen Voraussagbarkeit der Naturerscheinungen identifiziert worden ist" (Carl Friedrich von Weizsäcker).

Diesem energetischen Kausalmodell der Naturwissenschaften wird von den anderen das finale Kausalverständnis der Geisteswissenschaften gegenübergestellt. Es fragt nach dem Zweck und verlegt damit die Ursache in die Zukunft, während das naturwissenschaftliche Kausalitätsdenken die Ursachen in die Vergangenheit verfolgt. Nach der einen (naturwissenschaftlichen) Auffassung erschöpft sich somit die Ursache für das menschliche Dasein in der materiellen Kausalkette der Vergangenheit, während nach der anderen Auffassung zur Kausalität noch eine aus der Zukunft her wirkende Absicht gehört, also ein dem Geistigen zuzurechnender Aspekt. Freilich ist das Abendland dabei, insbesondere auf Grund der Erfahrungen in der Atomphysik, die bipolare Sicht aufzugeben und anzuerkennen, dass "finales Ziel" und "kausales Gesetz" nur verschiedene Arten sind, dasselbe Prinzip auszudrücken.


2) Kausalität, Allegorese und Zahlenmystik

Schon Pythagoras, ein Zeitgenosse Buddhas, hatte im Rahmen seiner Ordnungsvorstellungen entdeckt, dass die Intervalle der Tonleiter durch Zahlenverhältnisse ausgedrückt werden können, und kam zu der Überzeugung, alles im Universum sei durch ganze Zahlen messbar. Die Astronomie weist Ende des 5. Jh. v. Chr. nach, dass die Bahnen der Gestirne einem unabänderlichen, mathematisch formulierbaren Gesetz unterworfen sind. Der Kosmos ist also sichtbar gewordene Mathematik. Zudem erkennt die Biologie die wunderbare Anpassung der menschlichen Organe an die Anforderungen der Umwelt und all dies lässt den Schluß zu, dass der Kosmos in Analogie zum menschlichen Körper als zweckgerichteter, lebendiger Organismus zu begreifen ist. Uneins sind sich die Philosophen jedoch, ob die Zweckgerichtetheit der Welt einen Geist - einen Gott - erfordert, der diesen Zweck will und verwirklicht.

Zur Zeit Karls des Großen war es hauptsächlich dessen Ratgeber und einer der bedeutsamsten Gelehrten jener Zeit, der Angelsachse Alkwin, der eine neue Weltsicht vertrat. Er fragte nicht mehr nach kausalen Zusammenhängen, sondern versuchte, bei der Betrachtung der Natur gefundene Erkenntnisse auf mathematische Zeichen zurückzuführen. Er wollte nicht wissen, was eine Situation begründet (kausale Methode), sondern suchte zu erfahren, was sich miteinander vergleichen lässt (analoge Methode). Es war die Zeit der "Allegorese", der Vergleiche herstellenden Betrachtungsweise. Wenn der Mensch Sonne, Mond und Gestirne betrachtet und bewundert, so betrachtet und bewundert er damit die Weisheit des Schöpfers. Lilien erinnern an die Reinheit der Bekenner, Rosen an das Blut der Märtyrer.

Die Beobachtungen im Buch der Natur ließen also Gesetzmäßigkeiten erkennen und begründeten den Glauben an eine mathematisch geordnete Welt (harmonia mundi). Sie führten im Abendland wie auch in anderen Kulturen zu einer Zahlenmystik, wonach es darauf ankommt, eine Zahl und die dieser innewohnende Kraft zu erkennen, um sich der mit ihr zusammengehörigen Macht zu bedienen. Zahlen sind Realitäten, die ein Kraftfeld um sich haben und wirken können. Besondere Bedeutung gewinnen die "vollkommenen" Zahlen, deren Divisoren, zusammengezählt, die Zahl selbst ergeben (z.B. die 6 = 1+2+3).

Vollkommenste Zahl ist die "10", denn sie ist die Summe der ersten vier Zahlen (1+2+3+4=10). Sie entspricht ferner der Zahl der Finger und liegt dem Dezimalsystem zu Grunde. Die Zahlen erhielten so metaphysische Bedeutung und Zahlenspekulationen gelangten in die Mystik des Mittelalters. Die Anwendung der rechten Zahl wie auch der richtigen Anzahl von Wiederholungen und Beschwörungen wird als entscheidend für den Erfolg einer magischen Handlung angesehen. Rituelle Handlungen werden tunlichst in ungeraden Zahlen vorgenommen (dreifache Wiederholung einer Formel!) und selbst aufgeklärte Zeitgenossen schenken heutzutage Blumen stets in einer ungeraden Zahl - Aberglaube mutierte zur Etikette.

Mit einem kleinen Exkurs sei zur Abrundung des Themas der tiefgehende, archetypische Charakter der Zahlenmystik an der Zahl "vier" aufgezeigt, hier erkennen wir quer durch die Kulturen eine erstaunliche Ähnlichkeit. Wohl ausgehend von vier Himmelsgegenden sahen viele frühe Kulturen die Erde als ein Rechteck an. Und so, wie die Welt viereckig war, wurde auch deren Abbild, die Stadt, geformt, die Anlage von Städten in quadratischer Form ist uralt.

Das gilt gleichermaßen für die Städte der Industalkultur wie auch der Maya, der Kelten und Etrusker, und auch heute noch sprechen wir von Stadt-"Vierteln" und "Quartieren". Die kreisförmige Ummauerung der quadratischen Stadt zeichnet dann jene Urfigur, die C. G. Jung "Mandala" nennt und aus der sich die Swastika (Hakenkreuz) der Inder entwickelte. Spätere buddhistische Schulen kennen vier den Himmelsrichtungen zugeordnete Paradiese mit dazugehörigen Buddhas. Hinzuweisen ist auch auf Götterfiguren mit vier den Weltgegenden zugewandten Köpfen, hierzu gehört der indische Brahma genau so wie der altägyptische Amun-Re.


3) Die naturwissenschaftliche Antwort

Auch der Mensch der Neuzeit sucht, neben einem rein wissenschaftlichen Wissensdurst, aus Opportunität nach Regeln für die Gestaltung seines Lebens im Rahmen der die Welt offensichtlich bestimmenden Gesetzmäßigkeiten. Denn er sieht, wie alle Ereignisse irgendwie miteinander zusammen hängen, dass also kausale Strukturen bestehen, aus denen auf eine rationale Ordnung der Welt geschlossen werden kann. Wenn aber alle Ereignisse zwingend durch andere, frühere Ereignisse bestimmt sind, ergibt sich die Frage, ob die Welt streng deterministisch ist oder auch Zufälle und freie Willensentscheidung möglich sind. Unter dem Gesichtspunkt der heute allgemein anerkannten Quantenmechanik und ihrem Unschärfeprinzip wird man sagen können, dass die Welt letztlich in ihren Grundlagen indeterministisch ist.

Unbeschadet dessen bleibt die Frage nach dem Beginn der Ursachenkette, nach der allerersten Ursache - sei sie nun Gott oder ein Naturgesetz. Zu ihrer Beantwortung konzentriert sich die moderne Naturwissenschaft auf reine Kausalforschung unter Verzicht auf weitere Fragen nach Wesen und Ziel der Dinge. Denn göttliche Absicht und Zweck der Schöpfung sind allein Sache göttlicher Freiheit und entziehen sich menschlicher Nachforschung. Die methodische Selbstbeschränkung auf kausale Beschreibung von Zuständen und Prozessen innerhalb der materiellen Welt sowie das Vertrauen in die Vernunft machen naturwissenschaftliche Forschung zu einem rein säkularen Vorgang, der mit Fragen des Glaubens und der Religion nichts mehr zu tun hat.

Doch die Naturwissenschaft tut sich schwer mit einer Antwort auf die Frage nach der ersten Ursache. Gemäß der Urknall-Theorie war der gesamte Kosmos in einem Punkt zusammengedrückt, in diesem waren Schwerkraft und Materiedichte unendlich groß (sog. "Singularität"). Wegen der engen Verknüpfung von Raum, Zeit und Materie musste hier allerdings die Zeit verschwinden, denn es gibt keine Zeit ohne Raum. Weil jedoch alle unsere physikalischen Gesetze in Form von Raum und Zeit formuliert sind, können sie nicht über den Punkt hinaus gelten, an dem es weder Zeit noch Raum gibt, sie versagen also bezüglich der Singularität.

Wenn aber die Gesetze der Physik an der Singularität scheitern, ist es nicht möglich, den Urknall einem davor liegenden Ereignis zuzuschreiben, d.h. der Grund muß außerhalb der Physik liegen. Die Physiker sind daher gezwungen, das Weltall entweder für unendlich alt anzusehen oder einen plötzlichen Anfang von Raum und Zeit zu unterstellen, der wissenschaftlich nicht erklärbar ist.

Eine dritte Möglichkeit wäre die Gültigkeit der Gesetze der Quantenmechanik auch für kosmische Dimensionen. Wenn das Universum als Ergebnis einer Quantenfluktuation aus dem Nichts entstehen könnte, wäre kein physikalisches Gesetz verletzt. Wie der englische Physiker Stephen Hawking darlegt, hätte ein völlig in sich selber abgeschlossenes Universum weder Anfang noch Ende, sondern würde einfach sein. Es entfiele die Notwendigkeit, einen lückenbüßenden Gott als Urheber des Urknalls anzusehen.

Wie wir sehen, führt die Frage, wo die Kette von Ursache und Wirkung anfängt, wohl doch über die Naturwissenschaft hinaus zur "Schöpfung" als Ursprung des physikalischen Weltalls. Jedenfalls für Juden und Christen ist wesentlich, dass (ein) Gott die Welt zu einem bestimmten Augenblick der Vergangenheit erschuf und spätere Ereignisse eine zeitliche Reihenfolge hatten. Hier finden wir die Trennung des Schöpfers von seiner Schöpfung, die willentliche Schöpfung durch ein schon existentes Wesen. Während der Schöpfer ewig ist, hat die erschaffene Welt einen Anfang.

Die meisten alten Kulturen, insbesondere des Ostens, gehen dagegen von einem zyklischen Weltbild aus, wonach die Welt keinen Anfang hatte, sondern sich endlos wiederholt. Und für den Buddhismus kommt im Gegensatz zu allen anderen religiösen und philosophischen Systemen eine erste Ursache der Welt schon deswegen nicht in Betracht, weil alles nur in Abhängigkeit von anderem ins Dasein treten kann, ein erster Anfang also ebenso unmöglich ist wie ein definitives Ende.


III. Kausalität und Konditionismus im Buddhismus

1) Kamma und Wiedergeburt

Wie wir oben (Ziff. I 2) ausführten, war (und ist!) das Gesetz von Ursache und Wirkung (Skt: karman, Pali: kamma), das Naturgesetz der ethischen Kausalität, fundamentaler Bestandteil buddhistischen Denkens. Für uns Unerlöste erscheint es axiomatisch. Niemand verlangt von uns jedoch, diesem Gesetz kritiklos zu glauben, sondern wir können es - im Vergleich zu "Konkurrenzmodellen" - für lediglich am plausibelsten halten. Auch können wir Vertrauen (shraddha) zu Buddha Gautamas Angaben haben, der es in der Nacht seiner Erleuchtung als zutreffend erkannt haben will: "Mit dem himmlischen Auge, dem klaren, über menschliche Grenzen hinausgehenden, sah ich, wie die Wesen vergehen und (wieder) entstehen, sah ich hohe und niedrige, glänzende und unscheinbare, wie ihnen je nach ihren Taten (kamma) günstige oder schlechte Wiederverkörperung zuteil geworden war."

Das Kamma-Gesetz, die Lehre von der rückvergeltenden Kausalwirkung der Taten, ist also eng verbunden mit der Wiedergeburtsvorstellung: Jeder hat sich sein Dasein und sein Lebensmilieu karmisch selber verdient. Denn jeder ist - wie oben Ziff. I 2 bereits gesagt wurde - das Ergebnis seiner eigenen in den Vorexistenzen begangenen Taten, sein Körper ist "alte Tat". Daran ist nachträglich nichts mehr zu ändern. Es liegt aber an ihm, wie er seine (nachtodliche) Zukunft gestaltet: Bessere Wiedergeburt wird durch gute (punna) Taten, schlechtere durch schlechte (apunna) Taten bewirkt, gute Tat ist heilsam (kusala), schlechte unheilsam (akusala). Die Wiedergeburt kann dann erfolgen (vorzugsweise) in der Menschenwelt, aber auch im Götterreich oder in der Hölle, im Geisterreich oder Tierreich. Sie ist keine Belohnung oder Strafe für frühere Taten, sondern deren natürliche Kausalfolge, ohne jede ethische Wertung. Denn das Kamma-Gesetz wirkt mechanisch, es bedarf daher auch keiner über die Taten richtenden göttlichen Instanz.

Der Buddha wich jedoch in einem entscheidenden Punkt von der herkömmlichen (upanisadischen) Wiedergeburtslehre ab. Während diese nämlich von einer Seele (atman) ausging - einer Monade, die das Karma speichert, den Tod überdauert und sich immer wieder inkarniert - leugnete er die Existenz einer solchen (ewigen) Seele. Die Wesen sind vielmehr seelenlos (anatta = ohne Seele, Ich oder Selbst), oder, wie er es später auch formulierte, leer (sunya). Wer oder was ist es aber dann, so wurde gefragt, das wiedergeboren wird, wenn nicht irgendetwas Substantielles?

Die Kontinuität der Wiedergeburtenkette, so antwortete der Buddha, werde nicht durch ein Etwas, durch irgendeine Monade hergestellt, sondern liege im Konditionismus der Daseinsformen: Jede Wiedergeburt ist die Bedingung für eine andere. Es gilt das von Buddha Gautama entdeckte Prinzip des Entstehens in Abhängigkeit, der Lehrsatz vom Konditionalnexus (paticcasamuppada = "etwas entsteht gestützt auf das Vorhergehende"). Damit unternahm es der Buddha, seine in den "Vier Edlen Wahrheiten" verkündete Lehre mit der überkommenen Karmalehre zu verbinden und so, wie es der Indologe Klaus Mylius sagt, "zu ergründen, was die Welt im Innersten zusammenhält".


2) Der Konditionalnexus (paticcasamuppada)

Wir haben vorstehend zunächst die Bedeutung der Kausalität dargelegt: Alles, was geschieht, hat eine Ursache (lat. causa). Als "Causa" ist eine Ursache zu bezeichnen, die allein, also ohne das Eingreifen weiterer Faktoren, eine Wirkung hervorbringt. Wenn jedoch ein ganzes Bündel von Voraussetzungen erforderlich ist, um die Wirkung zu erzielen, ist es richtiger, statt von Kausalität von einem "Konditionismus" (auch "Konditionalismus") zu sprechen. Denn hier ist jedes Glied eine "Conditio", d.h. eine Bedingung neben mehreren weiteren dafür, dass die anderen Glieder des Geschehens ins Dasein treten. Fehlt nur eine Bedingung, kann der Erfolg nicht eintreten, denn er ist von allen Vorbedingungen abhängig.

Das Kausalitätskonzept der buddhistischen Philosophie geht in diesem Sinn nicht von einer bloßen Kausalität aus, sondern von einem Konditionismus. Die Erkenntnis der Entstehung (der Wesen der Welt) in Abhängigkeit, der sog. "Konditionalnexus" (paticcasamuppada) wird als höchste Einsicht und philosophische Meisterleistung Buddha Gautamas angesehen. (Das ist wissenschaftlich allerdings nicht unumstritten, der Lehrsatz wird auch als weiterentwickelte kanonisierte Version älterer, präkanonischer Lehren verstanden.) Er erklärt nicht nur die Wiedergeburt ohne Seele, sondern beschreibt ein universales Prinzip. Die Formel der bedingten Entstehung ist "das Paradigma für die prozessuale Beschreibung der Wirklichkeit." (P. Gäng)

Die Formel vom Konditionalnexus gehört jedenfalls zum ältesten Bestand buddhistischer Dogmatik und hat zwölf Glieder, von denen jedes eine Gruppe von Dharmas (s. u.) darstellt. Zwar weist die heutige Textforschung nach, daß es sich bei den zwölf Gliedern um eine spätere scholastische Ergänzung der früher aus acht Gliedern bestehenden Kette handelt, wir wollen jedoch den Nexus in der anschaulichen Fülle seiner zwölf Glieder betrachten. Die Glieder der Kette sind so angelegt, daß jedes Glied in funktioneller Abhängigkeit von den vorhergehenden Gliedern ins Dasein tritt. Der zwölfgliedrige "Konditionalnexus" soll die über die Einzelperson hinausgehende Geburtenfolge verdeutlichen und erstreckt sich über drei wiedergeburtliche Existenzen.

(1) Das erste Glied der Kette (und des Leidens!) ist die Unwissenheit (avijja), nämlich von der Leidhaftigkeit des Daseins, was gleichbedeutend ist mit der Unkenntnis der Vier Edlen Wahrheiten des Buddha. Sie bedingt das Entstehen von

(2) Kammabindung schaffenden Tatabsichten (sankharas), welche gut, schlecht oder neutral sind und - wiederum als unerlässliche (Vor-)Bedingungen! - ein entsprechendes

(3) Bewusstsein hervorrufen. Dieses prägt nach dem Tode eines Menschen

- hier Wiedergeburt! -

(4) die in einem Mutterschoß entstehende neue empirische Person (namarupa), welche mit ihren

(5) Sechs Sinnen (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten und Denken)

(6) Berührungen mit weltlichen Dingen erfährt, was zu

(7) Empfindungen führt. Daraus entwickelt sich die

(8) Gier (tanha) nach den Genüssen des Lebens. Und dies wiederum ist der Grund, warum wir im Tode nicht loslassen können, sondern eine neue empirische Person

(9) ergreifen mit der Folge des

- hier Wiedergeburt! -

(10) Werdens eines neuen Wesens mit der unausweichlichen weiteren Folge von

(11) Geburt und

(12) Tod.

Nach diesem System geht also keine Seele in die neue Existenz über, sondern die neue Existenz wird konditional bedingt und geprägt durch die kammischen Impulse, die der Sterbende hinterlässt. Das Bewusstsein der vorigen Existenz bedingt das neue Bewusstsein, ohne mit ihm identisch zu sein. Der Konditionalnexus ist kein von irgendeiner Substanz gestütztes Phänomen, sondern bildet allein durch das konditionale Hintereinander seiner Faktoren die empirische Person und deren Wiedergeburtenkette. Das "Dasein" ist kein Sein, sondern ein Prozeß.


3) Konditionismus - die Welt als Strom von Dharmas

Wie wir oben (Ziff. I 1) sahen, ist der Dharma das höchste, unpersönliche Prinzip des Universums, in welchem unsere Begriffe von Naturgesetz und sittlicher Weltordnung zusammenfallen. Er ist der "Träger" des Weltgeschehens und drückt sich aus in einer unendlichen Vielheit von Kräften, die von den Buddhisten ebenfalls als "Träger" (dharmas) bezeichnet werden. Diese "Dharmas" sind also nicht zufällig und grundlos da, sondern sie sind Ausdrucksformen des Weltgesetzes. Auch die Lehre von den Dharmas, den "Daseinsfaktoren", gehört zum Kern buddhistischer Dogmatik und es ist anzunehmen, dass der Buddha selber mit dem Lehrsatz vom Entstehen in Abhängigkeit (Konditionalnexus) dieses Fundament geschaffen hat. Nach seinem Tode entwickelten eifrige Mönche hieraus die Dharma-Theorie.

Der Buddha hatte erkannt, dass die Welt nicht ein einheitliches Ganzes darstellt, sondern aus zahllosen Dharmas als Einzelbestandteilen besteht. Die Vorstellung von Dharmas als nicht mehr reduzierbaren Realitäten geht weiter als unsere Vorstellung von Atomen. Denn sie umfaßt nicht nur Faktoren, die uns dann als materielle Erscheinungen entgegentreten, sondern einen großen Kreis von Erscheinungen, die wir ganz verschiedenen Denkkategorien zuordnen würden, wie z.B. Sinnesfähigkeiten, Schlaf, Hunger, Ruhm, Gesetzmäßigkeiten und andere Abstrakta. Zwischen objektiven (z.B. Tönen) und subjektiven (z.B. Empfindungen) Dharmas besteht kein Unterschied.

Es handelt sich um insubstantielle abstrakte Qualitäten, die sich zu Konglomeraten zusammenschließen und dadurch die Welt bilden. Alle Lebewesen bis hinauf zu den Göttern sind Kombinationen solcher Dharmas, d.h. das Leben ist eine bloße zusammengesetzte Erscheinung. Diese Komponenten sind aber nicht unvergängliche letzte Realitäten, die sich dann zu einer vergänglichen Erscheinung zusammenfügen, sondern selber nur Elemente von kürzester Dauer und vorübergehender Existenz.

Über die Dauer dieser Existenz wurde viel spekuliert und zunächst den körperbildenden Dharmas eine längere Dauer gegeben als denen des Bewußtseins. Später berechneten die Scholastiker die Dauer auf das Tausendstel eines Augenzuckens, jedenfalls so kurz, dass wir den Wechsel nicht bemerken. Der Begriff "Dharmas" schließt logischerweise alle empirischen Dinge aus, da diese ja nur die Kombinationen von Dharmas sind, also bloße Kunstprodukte.

Die Dharmas entstehen, nachdem sie vorher nicht da waren, und vergehen wieder, wenn ihre Wirkung erschöpft ist. Dabei entstehen sie nicht durch Zufall oder von selbst, sondern stets in funktioneller Abhängigkeit von anderen Dharmas, entsprechend der Lehre von einem ursächlichen Zusammenhang aller Dinge. Der Buddhismus kennt also - im Gegensatz zu allen anderen Religionen, aber in Einklang mit der modernen Naturwissenschaft - keine ewigen materiellen oder geistigen Substanzen, aus denen alles besteht. Stattdessen ist das ganze Universum und alles, was in ihm ist, eine rein gesetzmäßige Folge von dynamischen Prozessen, ein Kräftespiel von Dharmas. Die Welt ist nicht, sondern sie geschieht, es gibt kein Sein, sondern nur ein Werden. Jede Einzelerscheinung entsteht in funktioneller Abhängigkeit, d.h. nur eine Vielheit von Faktoren kann einen neuen Faktor hervorbringen. Nirgends existieren isolierte Faktoren: Das Weltgesetz manifestiert sich als ein durchgehender und unverbrüchlicher Konditionismus.


*


Wirkung ohne Ursache?

Für den Dalai Lama geriet der Besuch in dem Physiklabor zur Offenbarung. Erst führte ihm (der österreichische Physiker) Anton Zeilinger ein paar seltsame Tricks mit Photonen vor. Dann erzählte der Forscher auch noch, dass im Mikrokosmos Teilchen einfach so aus dem Nichts entstehen. Für einen kurzen Moment war es da mit der buddhistischen Gelassenheit vorbei. Das sei unmöglich, erklärte der Dalai Lama irritiert, für jedes Ereignis gebe es eine Ursache. Die Physiker müssten eben einfach noch genauer hinschauen. "Hier hatten wir eine klare Divergenz unserer Anschauungen", erinnert sich Zeilinger lächelnd. "Denn für mich steht zweifelsfrei fest, dass in der Quantenwelt die Kausalität tatsächlich verschwindet."

Aus: DER SPIEGEL Nr. 11/2005


*


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Aristoteles: Die unverursachte Ur-Ursache

- Pythagoras experimentiert mit Glocken und entdeckt die Beziehungen zwischen Zahlenordnung und Tonfrequenzen.

- Eine vermutlich auf Pythagoras zurückgehende Formel, die den Sinn des Kosmos enthält, dargestellt in einem magischen Kryptogramm.

S A T O R
A R E P O
T E N E T
O P E R A
R O T A S


*


Quelle:
Der Mittlere Weg - majjhima-patipada
41. Jahrgang, Januar - April 2009/2553, Nr. 1, Seite 6-14
Herausgeber: Buddhistischer Bund Hannover e.V.
Drostestr. 8, 30161 Hannover,
Tel. und Fax: 05 11/3 94 17 56
E-mail: info@buddha-hannover.de
Internet: www.buddha-hannover.de

"Der Mittlere Weg - majjhima-patipada" erscheint
nach Bedarf und ist für Mitglieder kostenlos.


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Januar 2009