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PRESSE/759: Mandalas - Kraftkreise der Buddhas (Buddhismus heute)


Buddhismus heute 46 - Frühjahr/Sommer 2009
Das Diamantweg-Magazin der Karma-Kagyü-Linie

Mandalas - Kraftkreise der Buddhas

Von Lama Ole Nydahl


Wort und Prinzip

Das Sanskritwort Mandala bedeutet "Kreis" und die Tibeter nennen es Chilkhor. Chil bedeutet "Mitte" und khor bedeutet "Umfang". Man bezeichnet damit die Ganzheit und gegenseitige Bedingtheit aller Dinge. Das Wort beschreibt den Mittelpunkt eines Geschehens sowie dessen Umgebung. Dieses Prinzip wirkt überall und auf allen Ebenen: Irgendein Tatbereich, eine Energie, ein Ereignis, eine Einsicht, ein bewusster Wille zeigt sich und daraus entsteht eine Welt.

Auf erleuchteten Ebenen sehen wir zunehmend, wie immer wieder Kraftkreise um ein übergeordnetes Prinzip oder etwas Unpersönliches herum entstehen. Verschiedene Energien kommen hinzu, ergänzen sich und es entstehen Ganzheiten, die in ihrer Fülle in der buddhistischen Kunst dargestellt werden. Aber diese Sichtweise ist auch im allgemeinen Leben sehr nützlich. Dort, wo noch gemischte Karmas und Bedingungen aus früheren Leben herrschen, ist es wichtig, dass die Ganzheit beobachtet wird. Man schaut dann nicht nur auf die Mitte, sondern auch auf den Kraftkreis, also nicht nur auf die eigene unmittelbare Erfahrung, sondern auf die Gesamtheit der Geschehnisse und all die damit verbundenen Menschen und ihren Erfahrungen.


Beispiele in der Welt

Das Mandala-Prinzip zeigt sich sehr anschaulich bei Schneeflocken: Obwohl jede Flocke anders ist, sammelt sich doch jede Form um einen Punkt und strahlt von dort hinaus. Oder beim Sport: Menschen kommen an einer Stelle zusammen, etwas geschieht, plötzlich bildet sich ein Kraftfeld und fällt dann wieder auseinander. Immer wieder sehen wir eine zentrale Energie und darum herum Ringe und Wellen von Geschehnissen, die von der Hauptenergie in der Mitte ins Leben gerufen und von ihr angezogen werden. So wie Regentropfen, die in einen unbewegten See fallen.

Auch auf geistiger Ebene, in der Entwicklung der Menschen, sind Kraftkreise spürbar. Es gibt Leute, bei denen man schon beim Gedanken an sie das Grauen bekommt: Mao Tsetung mit 70 Millionen toten Chinesen, Stalin mit 30 Millionen getöteten Russen und Hitler mit 25 Millionen, davon die Hälfte im Krieg, sowie bei Pol Pot, Khomeini und heutzutage immer häufiger bei den Terroristen des Islam. Das sind Kraftkreise, die nachwirken: Man denkt an solche Religionen und Menschen und will sie nicht im eigenen Land haben. Bei Menschen wie Albert Schweitzer oder Florence Nightingale dagegen kommt man in einen angenehmen Kraftkreis und erlebt, dass da etwas Gutes geschah, was erfüllend und wertvoll bleibt.


"Unreine Mandalas" - mit Ego-Illusion

Diese unreinen Kraftkreise werden weltweit erfahren, sie bestimmen weitestgehend das Verhalten der Wesen. Sie erscheinen, weil jeder Unerleuchtete gegen jede Logik denkt, es gäbe etwas Dauerhaftes und wirklich Vorhandenes, was ein "Ich" genannt werden könnte und um das alles kreist. Das ist bewiesenermaßen eine völlige Wahnvorstellung, denn das, was einem "eigen" ist, also das Körperliche sowie alle Gedanken und bedingten Gefühle (die Bilder im Spiegel oder Wellen im Wasser) verändern sich ständig. Glaubt man aber dennoch, diese wären ein bestehendes "Ich" und versucht, dieser Vorstellung die meistmöglichen angenehmen, schönen und spannenden Erfahrungen hinzuzufügen, stößt man auf selbstgemachte Grenzen. Wird eine Trennung von Erleber und Erlebtem erfahren, kann man zum Beispiel körperlich mutig sein, schafft es aber nicht jemandem mitzuteilen, dass er Krebs hat. Oder man setzt Großzügigkeit falsch ein, denn wenn man bettelnden Kindern Geld gibt, machen sie das zu ihrem Beruf und betteln in immer schlechter werdendem Stil ein Leben lang weiter.

Bei der Erfahrung einer Trennung von Erleber und Erlebtem wird alles kopflastiger. Immer mehr verwirrte Gedanken schaffen sich Platz, und bald stellt nichts richtig zufrieden. Am Ende geben sogar Freunde und Bedingungen, auf die man seinen Kraftkreis von zu erwartenden Freuden aufgebaut hat, keine letztendliche Sicherheit, denn ihre ganze Grundlage ist bedingt, zusammengesetzt und veränderlich. Die besten menschlichen Beziehungen dauern vielleicht 50 Jahre, dann geht jeder in sein Grab. Besitz muss ständig geschützt und erhalten werden. Deswegen können weltlichen "unreinen" Kraftfeldern nur eine begrenzte Zeit lang Glück und Bedeutung abgewonnen werden. Auf Dauer haben sie keinen Bestand.


"Reine Mandalas" - ohne Ego-Illusion

Obwohl das Prinzip der Kraftfelder überall in der Welt arbeitet, wird es leichter überschaubar, wenn man sich erst eine Vorstellung auf erleuchteter, "reiner" Ebene davon macht. Es öffnet den Geist und gibt eine viel mutigere und vollkommenere Sicht, wenn man weiß, was ein Zentrum ist und welche Energien sich darum entfalten.

Dies geschieht durch das Im-Augenblick-Verweilen und Raum-Schaffen. Bewertet man die Erscheinungen aus der Vorstellung von einem Ich heraus, wird dies wie eben erwähnt eckig, klebrig und steif. Man verweilt dann in Vergangenheit und Zukunft, will an sich Vergängliches festhalten oder wegschieben. Die Erkenntnis, dass die Vorstellung von einem abgetrennten "Ich" sinnlos ist, dass etwas solches weder im Körper noch in Gedanken oder Gefühlen zu finden ist, schafft in einem Raum, das Gefühl von einer Offenheit, die man weder beeinflussen noch beeindrucken möchte, und dessen riesiger Reichtum einen hineinlockt.

Wer diese Weite jenseits von Mögen und Nicht-Mögen einfach in sich beruhen lässt, erfährt ihre spielerische Kraft. Er erlebt in ihr das Entstehen der Buddhas und ihrer reinen Kraftfelder, die sich wie Wolken aus der Luftfeuchtigkeit verdichten. Ungefärbt von Erwartung und Befürchtung, beruhen sie nicht auf Unwissenheit und enthalten keine Störgefühle, sondern drücken unmittelbar das zeitlose Wesen des Geistes und seine vielfältigen Buddhaeigenschaften aus. Wer diesen Sprung wagt und es sich gönnt, jede bindende Einengung zu durchschneiden, gewinnt jenseits von Morgen und Gestern immer dauerhaftere Zustände der Wonne, das zu sein, was man immer war und bleibt: leuchtender bewusster Raum. Hier bricht die zeitlose Kraft des Erlebers durch; seine volle Erfahrung, das gesamte mögliche Wissen erscheint als der unbegrenzte Reichtum, der einem Jeden innewohnt und sich überall ausdrückt.

Obwohl im Augenblick oft als riesiges Licht wahrgenommen, spielt dieser Weisheitszustand frei und erlebt seine unendlichen Eigenschaften. Grundlegend ist dabei die Erfahrung von einer unerschütterlichen Sicherheit, die zu Buddhas Zeiten als 18 Arten von Furchtlosigkeit beschrieben wurde. Heute, nach den ganzheitlichen Erfahrungen der sechziger Jahre, hieße das wohl: Ein grundlegendes Vertrauen, dass alles wahr ist, einfach weil es geschieht oder nicht geschieht; dass Raum sowie Erscheinung eine Wahrheitsessenz innewohnt. Es ist die Offenheit, dass man tun kann, was vor der Nase liegt, dass man zutiefst gut ist und das leben kann, was dem Geist zeitlos innewohnt. Wo man auch ist, was auch geschieht: Jeder Zustand und jede Erscheinung bezeugen diese unmittelbare Wahrheit. Und die Wissenschaft unterstützt das: In der Schule lernten bis vor kurzem alle, dass es die Dinge entweder gibt oder nicht gibt. Aber wer mehr als Sport und Mode aus den Zeitungen schöpft, weiß inzwischen mehr. Teilchenbeschleuniger und Quantenphysiker erst bei DESI nördlich von Hamburg, dann an der Stanford-Universität nahe San Francisco schmolzen, Buddhas Lehre entsprechend, solche als letztendlich verstandenen Unterschiede weg. Zurzeit beobachtet die Welt bei angehaltenem Atem die Versuche des CERN bei Genf, die schon bewiesen haben, dass Wissen nicht reisen muss, sondern dem Raum zeitlos innewohnt. Sie sollen darüber hinaus letztendliches Wissen über Entstehen und Wesen der Universen bringen und haben im ersten Versuch schon bewiesen, dass wie Raum und Wissen auch Raum und Form untrennbar sind.

Die neue Quantentechnik beweist, was Buddha vor über 2500 Jahren sagte, dass alles in jedem Augenblick miteinander verbunden ist. Wenn ganz besondere - erleuchtende - Bedingungen im eigenen Geist zusammenkommen, wird auch dort verstanden, dass alles Sinn hat; dass die ganze Welt einen hält und dass alle Erscheinungen ein Reines Land sind, ob sie erfahren werden oder nicht.


Wie entstehen die Buddha-Paläste?

Wenn Ausdrücke letztendlicher Einsicht erscheinen, dann zeigt das nicht nur Wirkung auf begriffsmäßiger Ebene, sondern es entstehen dabei Kraftfelder, die erlebbar sind und die auch für einen arbeiten können. Sie erscheinen, wann immer man an sie denkt, denn alle Möglichkeiten wohnen dem Raum inne. Es ist nicht so, dass ein Buddha sein Kraftfeld irgendwo stehen hat und man müsse zu ihm hinfahren. Ihre Wirkung entsteht mühelos aus dem Raum heraus, wo und wann immer wir für sie offen sind. Darstellungen der Kraftkreise der Buddhas gesehen zu haben, vor allem die erleuchtenden aus der tibetischen Kultur, gehört inzwischen zur höheren allgemeinen Bildung. Meistens hängen sie irgendwo als Bild an einer Wand. Tatsächlich sollte man sie sich aber waagerecht im Raum vorstellen, denn sie stellen den Grundriss des Erdgeschosses vom Hause eines Buddhas dar.

Wie entstehen solche Buddha-Paläste? Wie erwähnt knabbern unsere klarsten Köpfe schon an der Einsicht herum, dass man durch das Erkennen der Leerheit von äußeren Wirkungen und Erscheinungen weder in ein Schwarzes Loch fällt, noch dass es zu Nihilismus führt. Es ist auch keine Erfahrung einer leeren Weite, wonach nichts mehr geschieht. Der Raum des Gewahrseins ruht zwar unzerstörbar in sich, die ihm innewohnende Eingebung arbeitet aber für alle Wesen. Sie wird als selbstentstandene Freude erfahren und handelt mitfühlend in die Welt hinaus. Der Reichtum dieser beiden letzten Ebenen drückt sich durch 32 vollkommene und 80 glückbringende Eigenschaften aus, die sichtbar durch die 32 vollkommenen größeren und 80 glückbringenden kleineren Merkmale in der klassischen Körperform der Buddhas, die eine neue Zeit der Lehre starten, Ausdruck finden. Obwohl verwirklichte Menschen während solcher Dharma-Zeiten vielleicht nur einige solcher Merkmale aufweisen, wirken Einsichten wie Energien vollständig in ihren Kraftfeldern. Wer wenige eigene Schleier oder störende Gefühle besitzt, wird durch die Jahrhunderte hindurch von ihren Lebensgeschichten begeistert. Man erlebt sie dann als etwas tief Bekanntes und Nachstrebenswertes, was mitunter das ganze Leben bereichern kann.

Buddha-Bewusstseinsbereiche sind aber sowohl ohne wie mit Form wahrnehmbar. Wer vor allem begrifflich abstrakt eingestellt ist, wie es wegen der vielen Werbung bei heutigen Menschen oft der Fall ist, erlebt eher in der formlosen Weite einen Zustand der Erfüllung, in dem alles passt. Der Raum selbst ist dann unmittelbar der Segen vom Lehrer und den Buddhas. Er leuchtet vor letztendlichem Sinn und umgibt einen, ob man dessen Quelle als nah oder fern erlebt.

Alles zeigt so auf die Verwirklichung hin, dass der formlose Raum alle und alles enthält und verbindet und als solches die innewohnende Möglichkeit des Geistes ist. Das einfache Zeigen auf den Geist, dass sein bewusster Raum der Wahrheitszustand, seine Erfahrung und Frische der Freudenzustand und die Tat zum Besten anderer der Ausstrahlungszustand ist, bringt Erleuchtung.

Arbeitet der Geist aber lieber mit Form, der Zustand der vor allem hier beleuchtet wird, entstehen die Segenserlebnisse durch die Einstellung auf die Buddhas. Ihre Formen und die Schwingungen ihrer Kraftkreise bringen dann die erwünschte Wirkung. Man erlebt in dem Fall nicht unmittelbar den Sinn aus dem Raum heraus, sondern öffnet sich durch die erfahrene Rückkoppelung. Die zu diesem Zweck von den Buddhas ausgestrahlten Kraftkreise verändern die täglichen Erfahrungen in eine reine Welt, deren erleuchtete Erfahrungen sich durch alle Sinne Glück bringend entfalten. Die Verschmelzung mit ihnen und das Eintreten in ihre Licht-Energie-Paläste bringen rund und kraftvoll die Reine Sichtweise und die selbstentstandene Wonne, die das Ziel des Diamantweges ist. Mit der Einsicht, dass jede Erfahrung einem den eigenen Geist zeigt, engen weder Materialismus noch Nihilismus den Geist ein.


Wie sehen Buddha-Paläste aus?

Man findet zwei Arten davon: Die einen werden von den friedbringenden, bereichernden und entspannt vereinigten männlich-weiblichen Buddhas erschaffen. Sie bewohnen die allgemein bekannten viereckigen Kraftkreise mit den vier Toren an den Seiten. Die anderen findet, wer die Verbindung mit den geheimen und kraftvoll-schützenden Formen sucht, und wird sie als dreieckige Kraftfelder erleben. Das bekannteste und für eine Erklärung nützlichste Gebilde des viereckigen Palastes ist jenes mit vier Toren, wie es Tenga Rinpoche in den 80er Jahren im Kopenhagener Zentrum ausgiebig erklärt hat.

In der Mitte des Kraftfeldes thront der Haupt-Buddha - alleine oder in Vereinigung. Er ist umgeben von einem symmetrischen Aufbau von weisheitshaltenden, segnenden und schützenden Buddhas, die seiner Wirkungsweise entsprechen. Auf den tibetischen Rollbildern wird heute oft nur eine einzelne - die zentrale - Buddhaform abgebildet. Aber in der Tat ist kein Buddha jemals alleine. Sie sind ständig von dem Kraftfeld umgeben, die die eben benötigten von ihren erleuchteten Eigenschaften ergänzen und bestmöglich in die Welt bringen.


Eintritt ins Mandala - a) der schnelle Weg

Die Mandalas der Buddhas entstehen aus dem Raum, um die Wesen ihre innewohnende Erleuchtung durch das Betreten vom Kraftfeld eines ihnen entsprechenden Buddhas erfahren zu lassen. Sie zeigen bildlich unterschiedliche Wege zu der Verwirklichung des/ der Buddha(s) in der Mitte vorzustoßen und sich dessen Eigenschaften anzueignen.

Das alles umfassende Mittel ist die Ermächtigung bzw. Einweihung. Wenn der Lama, der sie gibt, eine echte Übertragung und der Empfänger ein sehr starkes Vertrauen hat, kann man sogar den Lehrer als die gerufene Buddhaform wahrnehmen, was zutiefst überzeugend ist. Meine Beschreibungen in "Buddhas vom Dach der Welt" und "Über alle Grenzen" (beide Aurum Verlag) über die Jahre unter den höchsten Lamas ab den späten Sechzigern in den Himalajas enthalten mehrere solcher Ereignisse, vor allem beim 16. Karmapa und anderen ganz nahen Lehrern. Den ausgesprochen männlichen Karmapa bei einer Ermächtigung einmal als wunderschönes, ungefähr sechzehn Jahre altes grünes Mädchen wahrzunehmen, war etwas sehr Besonderes - ebenso wie Kalu Rinpoche durchsichtig und mit vielen Armen. Solche Einweihungen sind eine echte Begegnung in der Mitte des Kraftfeldes und eine stehende Einladung, durch eigene Verwirklichung dauerhaft dort einzutreten.

Meistens jedoch erreicht man bei einer Einweihung auch bei viel Offenheit nur das Umfeld des angestrebten Kraftkreises. Man erlebt Freude und tiefen Sinn, steht aber bildlich gesehen vor dem durchsichtigen Buddha-Palast, der vor einem entsteht. Mit Hilfe der Erklärungen des Lehrers schaut man durch die Regenbogenlicht-Wände auf die zentrale(n) Gestalt(en). Diese mögen friedvoll, bereichernd, begeisternd oder schützend erscheinen, einzeln oder auf der höchsten Ebene in Vereinigung auftreten. Weiblich oder männlich, sitzend oder stehend sind diese Buddhas umgeben von anderen Licht-Energieformen, die ihr Kraftfeld vervollkommnen und wirksam machen. Die innersten Wände der Regenbogenpaläste haben dieselbe Farbe wie die Licht-Energie-Buddhas in ihrer Mitte. Durchsichtige Wände in den anderen vier Farben folgen dann auf dem Weg nach außen. Ob bildlich oder begrifflich erfahren: Das Ganze ist unglaublich schön und überzeugend, wirkt zutiefst anziehend und man will unbedingt dem Buddha dahinter begegnen. Also versucht man sofort, sich ihm anzunähern.

Durch tiefste Offenheit und Hingabe kann dementsprechend eine unmittelbare Erfahrung von der Wonne des Buddhazustandes erlebt werden. Danach folgt als unumgängliche Aufgabe, diesem mit allen Mitteln, zu Beginn vor allem in der Meditation, immer wieder nachzustreben, bis er nicht wieder verloren gehen kann. Das besonders Wirksame am Diamantweg ist seine dauerhaft-höchste Sichtweise, dass so wenig Trennung wie möglich zwischen Meditation und Alltag erlebt werden soll. Das heißt, man tritt danach mit der ganzen Fülle und dem Reichtum der Vertiefung in die Welt als ein Reines Land. Jeder hat dann die Buddha-Natur und jeder Gedanke ist Weisheit, einfach weil er die Möglichkeit des Raumes ausdrückt. Jedes Geräusch wird Mantra und jedes Atom schwingt vor Freude und wird von Liebe zusammengehalten. Diese Ebene durchgehend zu erfahren, heißt die Höchste Sichtweise halten und im Kraftkreis der Buddhas zu bleiben.

Unerwartet fühlt sich der Meditierende dann plötzlich richtig gut. Alles passt und man wird von der Mitte heraus glücklich und warm. Das wird Segen genannt und verbindet wie Haken und Ring die inneren und äußeren Energiefelder. Stellt man sich außen auf sie ein, folgt eine innere Erfahrung, und ist das Heranwachsen der inneren Reife die Ursache, entsteht eine Einsicht in die Zusammenhänge in der äußeren Welt und damit verbunden auch die steigende Fähigkeit, mit den Naturgesetzen zu spielen. Dass diesen Kraftkreisen riesige Bedeutung innewohnt und was ihre Verwirklichung bedeutet, wird einem immer klarer. Das Andocken an die Erleuchtung und das Erreichen der Buddhas in ihren reinen Bereichen kann mit Kleben verglichen werden. Damit das kraftvoll gelingt und auch hält, dürfen die Kontaktflächen weder schmierig noch staubig sein, das heißt: Der Anwärter muss etwas Echtes bieten, Seiten von sich entwickeln und vertrauenswürdig sein.

Hier eine klassische Beschreibung des Vorganges: Viele versuchen vom Osten her den Kraftkreis zu betreten. Auf den Thangkas ist das die untere Seite, denn die Tibeter sehen vermutlich der Sonne folgend ihre Himmelsrichtungen um 90 Grad gedreht gegenüber den unseren.

An diesem östlichen Tor begegnen einem zwei kraftvolle blaue Schützer, von Flammen umgeben. Sie sagen: "Wenn du rein willst, musst du deinen Zorn abgeben." Wenn man das noch nicht kann, dann geht man um 90 Grad nach links und versucht sich an der südlichen Pforte. Dort stehen aber zwei kraftvolle gelbe Schützer und sagen: "Der Eintritt ist dein Stolz." Weiter links an der westlichen Pforte fordern zwei flammende rote Herren die Anhaftung. Und an der nördlichen Pforte schließlich fordern ihre grünen Kollegen die Abgabe der Eifersucht. Damit steht man unverrichteter Dinge wieder an der östlichen Pforte.

Der Verlauf kann bildlich und stufenweise erlebt werden, oder formlos und als fließende innere Zustände. Zum Beispiel kann es bei oder nach starken Einweihungen und Vertiefungen vorkommen, dass man Ungewöhnliches erfährt. Flackert dabei unerwartet etwas Überzeugendes und Blaues auf, kann es das Zeichen für die blauen Schützer sein, die das Aufgeben von Zorn fordern.

Wer sich den kraftvoll-schützenden Kraftkreisen annähert, hat nur drei Eingänge. Der Grund dafür ist, dass die Kraft des Zorns bereits in Weisheit verwandelt wurde, so dass nur noch die Tore von Begierde, Stolz und Eifersucht offen stehen. Deswegen geben hier drei statt vier Seiten Zugang zu der Mitte des Kraftfeldes.

In beiden Fällen steht man schließlich wieder vor der ersten Pforte, aber Charakter bildende Einsichten sind entstanden. Das Verständnis bahnt sich an, dass die Störgefühle den Weg ins Reine Land vereiteln.

Der folgende Wachstumsverlauf macht einen auf vorhandene Schwachstellen aufmerksam und beseitigt sie. Zugleich steigert sich die erste Verbindung mit den Buddhas zu einer dauerhaften Erfahrung. Sie beruht aber nur auf der Sauberkeit der Klebeflächen des Anwärters, denn bei den Buddhas stimmt immer alles. Sie sind überpersönlich, uferlos, strahlend und toll. Wer in das Kraftfeld eintreten und daran teilhaben will, muss menschliche Seiten anbieten, die idealistisch sind, teilweise jenseits vom Ego liegen und weitgehend frei von eigenen Erwartungen und Befürchtungen sind. Am besten man zeigt - wie auch im Leben - sofort Bereitschaft und schnappt sich einen Besen, stellt sich auf andere ein und nutzt ihnen.

Die Annäherung an den erleuchteten Kraftkreis ist das zunehmende Vertrauen in die eigene Buddhanatur.

Die Buddhas sind ja Ausdruck der eigenen inneren Fähigkeiten, und die Mandalas sind Grundrisse für die Verwirklichung aller uns innewohnenden Möglichkeiten, dargestellt durch die Häuser der Buddhas und die möglichen Wege dorthin.

Die Hindus suchen ihre höchste Wahrheit innerlich und die Christen wollen sie außerhalb anbeten. Tatsächlich ist aber alles drinnen und draußen zugleich und bedingt sich gegenseitig. Raum ist Wissen, und wer sich hier auf etwas einstellt, gibt im Nu und uferlos dieselben Eindrücke in den Raum. Es ist also beides zugleich, kein "Entweder-Oder". Was in uns vorgeht, hat Wirkungen in der Außenwelt, und was wir dort tun, sagen und denken, wirkt auf uns zurück.

Über die Jahre hinweg und durch die übermittelten Übungen verdichtet sich eine immer nähere Verbindung zu Buddhas Kraftkreisen. Vor allem bei denjenigen, die die eigenen Eigenschaften am klarsten auf erleuchteter Ebene darstellen, versucht man immer wieder sein Glück, läuft dabei gegen eine Wand, hat aber wieder dazu gelernt. Auch im täglichen Leben mehren sich Fragen wie: "Wie komme ich in die Erfahrung?", "Was für Hindernisse verstecken sich noch?", "Wie werde ich entspannter?", "Wie handelt man im Nu?" oder "Wie trickse ich die Schützer an den Toren besser aus?". Im Leben wie in der Vertiefung greift man so aus verschiedenen Seiten und immer bewusster die Festung des Egos an. Dass der Geist anfängt, seine Möglichkeiten für Verwirklichung und Erfahrung der Buddhanatur einzuschätzen, macht alles zu Schritten auf dem Weg. Man ist zwar noch nicht richtig aufgewacht, stellt sich aber laufend der eigenen Schwäche und entwickelt immer gezielter seine innewohnenden Stärken. So wird im Laufe der Zeit jede Erfahrung zu einem Spiegel für den eigenen Erleber. Zugleich und immer überpersönlicher erfährt man, wie alles durch ganz viele und sich ständig ändernde Bedingungen erscheint und nimmt mit einem ständig wachsenden Gefühl der Verantwortung wahr, wie Menschen, Länder und Kulturen ganz lange Ursache-Wirkungs-Ketten ausdrücken, aber diese viel zu selten erfahren. Während sich der Geist durch solche Einsichten bewusster macht, reifen dann plötzlich frühere Wünsche und gute Taten und man erlebt die Wonne, die zeitlos einem Jeden innewohnt. Die Sache ist rund und man ist angekommen.

Wie man sich dem Buddha öffnet und der dauernden Erfahrung des Segens nähert, entspricht den Grundneigungen der Wesen. Manche werfen sich auf ihn wie ein Liebhaber. Andere sind zaghafter, versuchen mit ihm zu verhandeln und noch dünnere Anwärter kommen wie die Bettler. Je nach Kraft und Einstellung findet also ab dem ersten Augenblick jeder eine ihm gemäße Verbindung mit der Erleuchtung. Aber wie auch der Anfang war: Allmählich wird jeder sinnvolle Eigenschaften übernehmen und wird dadurch Teil von Buddhas Arbeit in der Welt.

In der unerschütterlichen Mitte aller Möglichkeiten angekommen, wird die Arbeit für andere uferlos.

Aus einem erleuchteten Kraftkreis heraus sieht man die Welt wie von einem Berggipfel aus. Man erfasst die grenzenlose Weite, wird aber zugleich den Berghang hinabblicken, den man zuvor erklomm. So erfährt man vor allem die Art von Menschen, mit denen man sich zusammen durch die Leben entwickelte, erkennt, dass man für sie am meisten tun kann und setzt die geeigneten Tatbereiche zu ihrem Nutzen ein, ohne dabei seine besten Wünsche für alle zu schwächen. So entstehen die erkennbaren Kraftkreise buddhistischer Lamas.

Je nachdem, ob man als Lehrer im friedbringenden, bereichernden, begeisternden oder kraftvoll-schützenden Bereich tätig war und hier stärkste Bände zu anderen besitzt, wird man von Leben zu Leben wieder solche Kraftfelder um sich verdichten und ähnlich eingestellte Menschen anziehen.

Dass die Kraftkreise bekannter Lamas besondere Schüler anziehen, bringt übenden Buddhisten vielseitige Möglichkeiten, um eigene Neigungen zu erkennen. Manche Gruppen werden zum Beispiel moralisch, oft mit vielen Gerüchten und rituellem Verhalten, andere eher gelehrt oder weiblich-mitfühlend. Im Falle der Diamantweg-Gruppen geht es vor allem um Lebenserfahrung. Das sind Auswirkungen von Gewohnheiten früherer Leben; ob man im Kloster, beim Pferdeklauen oder Seite an Seite im Kampf seine Bände aufbaute, außerhalb oder mitten in der Gesellschaft. Weil das kostbarste für alle Wesen letztendlich die Zeit ist, sollten Lehrer und Gruppen mit Überblick deswegen auf andere, ihnen echt vorkommende buddhistische Lehrer und Kraftkreise aufmerksam machen, wenn ein neuer hoffnungsvoller Freund sich vor Ort "außen" fühlt.

Sollte einem mitunter das Gefühl kommen, so wie es bei mir der Fall ist, dass man die spannendsten Leute um sich hat, soll man ihre Kraft und Frische schon genießen. Die Freude daran wird aber erst rund, wenn man versteht, dass es darum geht, dass keiner benachteiligt ist: Buddhas 84000 Lehren können allen nutzen. Wer sich dem Buddha mit Hingabe und Vertrauen in die Arme wirft, wird aber nichts zu bereuen haben.


Eintritt ins Mandala - b) der langsamere Weg

Der Diamantweg der Ermächtigung und des Segens ermöglicht durch heldenhaften Einsatz und kraftvolle Mittel wie das Phowa und die Sichtweise des Großen Siegels während eines Lebens die volle Verwirklichung. Es gibt aber auch eine Reihe weniger steile Wege. Hier fängt man weiter außen um das Kraftfeld an, nicht durch Hingabe und starkes Verlangen, sondern indem man gewisse Reife bringende Erfahrungen im Leben macht. Nahestehende Menschen sterben, oder man erlebt überzeugend, dass man den Geist nicht immer so halten kann, wie man es möchte. Dadurch entsteht von selbst das Gefühl, dass es mehr geben muss, als die Erfahrungswelt einem vorführt und man täglich anstrebt oder vermeiden will. Überpersönliche befreiende Gefühle werden einem bewusst und man genießt die besonderen Eigenschaften der anderen, während der Reichtum der Sinneswelt und das Wissen an sich einen ständig neu berührt. Meist öffnen die ganzheitliche Weisheit der Buddha-Formen oder ein selbstentstandenes Vertrauen in die letztendlichen Lehren des Großen Siegels die Tore der Wahrnehmung. Einweihungen - auch aus früheren Leben - werden hier wach und entfalten sich. Wer nicht verbissen-materialistisch dagegen ankämpft, wird ab einer gewissen Ebene von Selbständigkeit und kritischem Denkvermögen dies verstärkt erleben.


Reinheit, die Lotusblüte

Sehr überzeugend und entwaffnend wirkt die erfahrene Reinheit der Kraftkreise, die bildlich als die Mandala-Paläste und Kraftkreise der Buddhas dargestellt werden. Abstrakt erscheinen sie als erlebter Raum gleich Wonne und Sinn. Sie werden entweder formhaft durch Lotusblüten gehalten und verwirklichen darin ihren Reichtum oder formlos als ein Zustand nackten Bewusstseins erfahren, das alles ermöglicht. In beiden Fällen wird der Zustand als der Grund aller Dinge erkannt, was sich rein und bedeutend anfühlt. Man begegnet hier einer unzerstörbaren Grundlage, die zutiefst sinnvoll ist und viel weiter geht, als man sich sonst hätte vorstellen können. Dafür steht diese Lotusblüte, für das an sich vollkommene Grundgewahrsein.

Es begegnet einem hier ein ganz anderes Bild von Reinheit als das lange in unserer Kultur vorherrschende. In den Glaubensreligionen, die während der letzten 1000 Jahren aus dem Mittleren Osten Europa und die westliche Welt geistig übernahmen und denen jetzt in einer äußerst unterdrückenden und freiheitsraubenden Form der Sprung aus der Wüste in die Zivilisation gelingen könnte, ist Reinheit eine Sache des Zwangs und kann nur mit Gewalt aufrecht gehalten werden. Die Jungfräulichkeit zum Beispiel ist wohl ab einem gewissen Alter für die meisten ein einsamer und unnatürlicher Zustand. Die buddhistische Vorstellung von Reinheit wäre hingegen die einer starken Frau, die gekämpft und geliebt hat, die Kinder hatte, alles erlebte und durch ihre Reife die Erfahrungen umkehrt und rein und bedeutend macht. Sie hat also eine selbst schützende Reinheit, auf die Verlass ist. Ihr Sinnbild ist deswegen die Lotusblüte: Diese lebt vom Schlamm, also in der allgemeinen menschlichen Erfahrung, wächst durchs mehr oder weniger reine Wasser empor und öffnet sich erst in der hoffentlich sauberen Luft. Sie drückt die Kraft der Umwandlung aus, das bewusste Sinn-Geben zum Leben, was später bei der Erleuchtung Inneres wie Äußeres durchstrahlen wird. Interessanterweise verwendet man heute erfolgreich die Textur der Lotusblüte auf Verkehrsschildern. Dadurch werden ihre Oberflächen Schmutz abweisend.


Zweifel, der Ring aus Waffen

Wer sich weiter der Mitte des Kraftkreises nähert, bildlich wie in der Vorstellung, erfährt einen Zustand der durch tibetische Silben oder einen Kreis von herausstehenden Waffen wie Haumesser, Phurbas oder auch Schädeln dargestellt wird. Hier gerät man zum ersten Mal mit Zweifeln aneinander.

Das Ego hat jetzt die Gefahr der Reinen Sicht erkannt, sieht sein Einflussgebiet zerfallen und fängt an zu bocken. Am Anfang hatte es noch erwartet, die Lage für sich nutzen zu können. Die Erwartung von früher: "Ich bin schon so toll und jetzt werde ich auch noch heilig" hätte ihm Gewinn gebracht! Beides geht aber nicht. Das "Heilige" nimmt den weltlichen Vorstellungen den Platz weg und macht letztendlich alles Selbstbezogene sinnlos. Deswegen schützt sich das Ego mit Zweifeln, häufig grundlegende wie "Werde ich noch in der Welt leben können, wenn ich weiterhin meditiere?" oder "Ist das hier eine Sekte, sind die nur hinter meinem Geld her?" Sicher fragen sich einige: "Werde ich hier nicht zu weich? Kann ich mich dann noch durchsetzen in der Arbeit?" Das sind ernste Stachel gegen das Grundvertrauen, ausgedrückt durch die Waffen um den Hauptbau im Kraftkreis und hier muss man sich für die Entwicklung entscheiden "Ich habe Kraft genug. Ich kann freundlich UND stark sein, Glück in diesem Leben und danach hat dieselbe Wurzel."

An diesem Punkt muss man dann die Entscheidung treffen, weiter zu gehen und die Schmerzen eines sterbenden Egos zu ertragen. Die Wahl liegt zwischen dem unendlichen Reichtum des Raums und "Schaffe, schaffe, Häusle baue, Steuer zahle, sterbe" - dem Lohn der bedingten Welt.


Acht Friedhöfe, die Vergänglichkeit

Mit der ersten Runde siegreich geschafft und erleichtert jenseits gegangen, erblickt man auf den tibetischen Rollbildern daraufhin acht hellblaue Felder im Ring. Ein Bayer würde sie sicher als acht Weißwürste im Ring auffassen. Die hellblauen Bilder erwecken bei näherem Zuschauen aber eher die Einsicht als den Hunger, denn sie zeigen acht Verbrennungsstellen aus Nordostindien, wo Buddha die Vergänglichkeit des menschlichen Körpers im Innersten verstand. Sie zeigen, dass jeder sterben wird und verlagern so die Sinnsuche von vergänglichen Körpern und Besitz auf das einzig Zeitlose, das keiner verlieren kann: die leuchtende Weite des eigenen Gewahrseins. Von der Warte ausgehend, ist der Körper zwar ein Werkzeug, das gut verwendet werden soll, um in diesem Leben anderen und sich selbst Nutzen zu bringen, er ist aber keineswegs eine Zuflucht, denn er zerfällt und stirbt. Weil die Kraftkreise, die Buddha an diesen Verbrennungsstätten aufbaute, immer noch sehr wirksam sind, haben die Yogis später dort besonders viel Ego, Anhaftung usw. abgeben können. Diese Entwicklungsschritte - bildlich dargestellt durch das Betreten der Lotusblüte, die herausstehenden Waffen, die acht Begräbnisstätten - sind unumgänglich, wenn man sich dem Kraftkreis mit wenig letztendlicher Hilfe wie Einweihungen und Segen nähert. Danach - und es kann in diesem Fall mehrere Leben gedauert haben - steht man dann wie unmittelbar auf dem Weg der Ermächtigung und des Segens vor dem Lichtpalast des Buddhas und dessen vier Pforten; sie zeigen sinnbildlich die Umkehrung der Störgefühle in einem selbst.


Erfahrungen, Erkenntnisse - formlos oder als Yidams

Die Kraftkreise des Freudenzustandes zeigen sich also in zwei Weisen: entweder unmittelbar als Licht-Energieformen oder als die formlose Erfahrung des bewussten Raumes.

Viele Menschen wählen heutzutage eher den zweiten Zugang. Sie sind begriffsmäßig ausgebildet und müssen sich dann nicht erst an die Buddha-Formen gewöhnen und ihre Formensprache verstehen. Sie sehen sowieso die sich monatlich wechselnden Formen und Farben neuer Verbrauchsgüter oder Moden, und die langen Zeiten von Ruhe im alten Tibet fehlen. Aus diesen Gründen mögen die meisten Westler ihre Begegnungen mit und Eintritte in die Mandalas lieber formlos gestalten. Als plötzliche Aha-Erfahrungen, losgerissene aber überzeugende Einsichten und als andere ganzheitliche Erlebnisse kommen sie leichter an den Zustand heran. Man beobachtet sich in dem Falle dabei, plötzlich etwas zu verstehen oder tun zu können, weiß aber nicht, wo man das eigentlich gelernt hat. Die Zustände und dass man sich dabei so selbstverständlich verhält, sind bei vielen ihre wichtigsten Wachstums-Erfahrungen.

Mein eigener Geist mag beides, Ideen und etwas Erleuchtetes für die Sinne. Die stärksten Erlebnisse in meinem Leben kamen durch die Begegnungen mit Licht-Energie-Buddhaformen. Unerwartet erscheinen sie vor einem, unbeschreiblich schön und durchscheinend. Sie lächeln einen an, die Gesichter der weißen Formen werden rosa, wenn sie einen segnen, und man hat danach stundenlang nasse Augen vor grenzenloser Freude. Die Lebensgeschichten der größten Meister, wie die der mittlerweile 17 Karmapas, zeigen, dass die Begegnung mit Buddha-Aspekten ihnen unendlich wichtig war. Deswegen sollte jeder, der dafür Sinn hat, sich nicht nur mit den abstrakten Einsichten zufrieden geben, sondern sich bewusst sein, dass diese Energiefelder einen von der Zuflucht und den ersten Mantras an folgen und sich plötzlich in unglaublicher Weise aus dem Raum verdichten können. Hauptbedingung ist die Fähigkeit, dem Raum zu vertrauen und sich selbst zu vergessen. Die reinen Felder der Buddhas, überpersönliche Einsichten, alle erleuchteten Eigenschaften und Segnungen sind ständig da, von dem Moment an, wenn wir das erste Mantra sagen oder unseren Geist auf sie richten. Sie wohnen zeitlos dem Raum inne und kommen selbsttätig durch unsere Offenheit immer mehr zum Vorschein.


Kraftkreise arbeiten auch in die Welt hinaus

Bis hierher wurde untersucht, was diese Kraftkreise sind, wie wir sie betreten und verwirklichen können. Aber erleuchtete Mandalas handeln auch nach außen hin. Ich habe mehrfach erlebt, wie sie in höchst unvorstellbaren, unerwarteten und besonderen Weisen zur rechten Zeit und Stelle wirksam wurden und tatkräftig eingriffen, vor allem um vor schweren Unfällen zu schützen. Mehrmals erfuhren seit den späten sechziger Jahren meine Frau Hannah und ich Dinge, die nur so erklärbar sind, dass der Kraftkreis des 16. Karmapas sich auf den Westen ausdehnte und hier Fuß fasste und zu arbeiten begann. Meine oben erwähnten Bücher enthalten zahlreiche Beispiele dazu.

Im Winter 1971/72 unterrichteten Hannah und ich tagsüber in einer dänischen Schule und fügten nachts die kaputten Bänke in einer anderen Schule für gestörte Kinder wieder zusammen. Zu dieser Zeit kamen auch die ersten fürs Dharma offenen Freunde zusammen und wir haben sie mit den Beispielen unserer Lehrer begeistert.

Vor Neujahr saß ich einmal in einem Schulzimmer und überlegte, wie es jetzt weitergehen solle. In dem Augenblick kamen ganz still zwei Kinder mit einer großen Karte von Indien herein. Man sah darauf nur den Umriss Indiens, keine Einzelheiten, aber ganz unten stand "angalore" mit einem Buchstaben davor, was ein B oder ein M hätte sein können. Die Stelle konnte also Bangalore oder Mangalore sein. Alles geschah wie in Zeitlupe, und ich wusste sofort, dass etwas dahinter stecken würde. Am nächsten Morgen, als wir aufwachten, wurde es klar. Ein Brief von einem Lama namens Ayang Tulku fiel durch den Briefschlitz. Er schrieb: "Bitte kommt und helft mir hier. Ich bringe euch gerne das 'Bewusste Sterben' bei." Sein Flüchtlingslager war genau an der Straße zwischen Bangalore und Mangalore in Südindien. Auch der 16. Karmapa, der die Verbindung zwischen uns in Rumtek geschaffen hatte, bestätigte uns kurz danach, dass wir jetzt dorthin fahren sollten.


Was kann uns das Mandala-Prinzip geben?

Das oben Erwähnte ist vielleicht das Wichtigste, was das Mandala-Prinzip der Welt schenken kann: die Offenheit, dafür bewusst zu sein, dass jedes Geschehnis sowie das Fehlen davon seinem Wesen nach wahr ist, weil es dem Geist entspringt. Diese Einsicht bringt einen dazu, in der eigenen Mitte zu verweilen, statt immer zu denken, man müsse irgendwo anders etwas anderes bewerkstelligen. Wer wie im Tennis den "Sweet Point" des nackten Gewahrseins trifft, wird erkennen, dass dann genau das geschieht, was anderen und einem selbst am besten nutzt. Dann ist die Welt das Reine Land und es gibt nichts Weiteres zu verwirklichen. Zeitlose höchste Freude ist dann der Dauerzustand und es entsteht keine Verstellung, noch etwas beweisen zu müssen.

Mögen wir, wie die großen Kagyü-Diamantweg-Meister, alle diese Ebene schnell verwirklichen!


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Quelle:
Buddhismus heute 46, Frühjahr/Sommer 2009, Seite 26 - 35
Herausgeber:
Buddhistischer Dachverband Diamantweg der Karma Kagyü
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. April 2009