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PRESSE/821: Grundlagen für den Befreiungsweg Buddhas (Buddhistische Monatsblätter)


Buddhistische Monatsblätter Nr. 1/2010, Januar - April
Vierteljahreszeitschrift der Buddhistischen Gesellschaft Hamburg e.V.

Grundlagen für den Befreiungsweg Buddhas
Ein Fazit mit Folgerungen aus dem Werk von J. Maug:
"Buddha, Dhamma und Buddhismus. - Eine andere Sicht der Dinge"

Von Rother Baumert (04.2009)


In der Lehre Buddhas geht es vorrangig darum, zunächst zu erkennen und zu verstehen, wodurch unser Leben und alles damit verbundene Leiden ... (dukkha) bedingt ist und wie daraufhin diese komplexe Leidensfülle systematisch gemildert bis gänzlich aufgehoben werden kann - als Weg hin zur Befreiung. Erst in zweiter Linie können damit auch Grundbedürfnisse befriedigt werden, wie etwa allerlei Nöte und Sorgen um das alltägliche Überleben auszuräumen sind, weniger allerdings, uns damit zu gläubiger Geborgenheit oder Wohlgefühl (bis zu "Wellness") zu verhelfen. Soweit nämlich unseren Bedürfnissen bereits selbst wieder Ursachen von dukkha - also unheilsame Wurzeln - innewohnen, kann auch ihre nur vorübergehende Erfüllung niemals zum Ziel endgültiger Leidensüberwindung führen. Im Gegenteil, man verstrickt sich immer tiefer darin - Abhängigkeiten, Süchte, Fesseln. Als zentrales Bedürfnis, welches fortwährend Leiden schafft, stellt sich in diesem Kontext die kontinuierliche Entwicklung und Vertiefung von "Selbst"-Bewusstsein dar, nämlich sich als getrennt existierendes "eigen-ständiges" Wesen oder abgegrenztes Ego zu empfinden, wahrzunehmen und lebenslang zu etablieren. Die Gründe und Zusammenhänge für dieses Bedürfnis nach Abgrenzung und Absicherung als Wunsch oder Verlangen nach bleibendem Dasein - eine festhaltende, einengende, angstbesetzte (Ewigkeits-)Illusion - werden systematisch aufgedeckt. Daraufhin gilt es, diesen Wahn auch im praktischen Leben zu erkennen, umfassend zu durchleuchten und schließlich befreiend aufzugeben. Hier setzt das vorliegende - umfassende, kritischtiefgründige bis ernüchternde - Buch an und erarbeitet konsequent den zeitlosen Fundus dieser pragmatischen Weisheits- und Selbsterfahrungslehre.

Infolge der Ich-Illusion - der biblischen "Erbsünde" nämlich - entsteht erst Bedürftigkeit nach Religion; d.h. ein zunehmend drängendes Bedürfnis steigert sich zum triebhaften Verlangen, diese erst im Kleinkindalter erlernte, kulturell systematisch "gezüchtete", durch stetige Gewohnheit verinnerlichte und damit unbewusst tief eingebildete Abgrenzung - vom "Rest" der Welt als nach außen projizierter Umwelt - wenn auch nur "not-dürftig" zu überbrücken - wiederum dualistisch.

In gleicher Weise funktioniert auch unsere Sprache: sie lässt alles so "Wiedergegebene" und damit gezielt "Herausgehobene" zwangsläufig schon in einem anderen Licht erscheinen als das ursprünglich wahrgenommene oder erkannte Original im Gesamtzusammenhang. Es erscheint getrennt und täuscht unabhängiges, eben duales Eigensein vor. Maug nennt dieses Phänomen treffend "semantische Falle", die uns aus lebenslanger Sprech- und daraus folgender Denk-Gewohnheit kaum mehr bewusst wird. Es funktioniert ähnlich wie die zur unbewussten Routine erlernte Gewohnheit, bei der optischen Wahrnehmung oben und unten sowie rechts-links wieder zu vertauschen, was bekanntlich auf der Netzhaut unseres Auges spiegelverkehrt erscheint und nur Neugeborene zuerst irritiert, bis sie diese Erfahrungen systematisch eingeübt, quasi im Bewusstsein umprogrammiert haben - dies geschieht zudem noch im unbewussten Alter, sodass man sich später nicht mehr an diesen Lernprozess erinnern kann. Ähnlich verläuft der Entstehungsprozess unseres allmählich eingeübten, sich abgrenzenden Ich-Bewusstseins, womit das Kleinkind in der Anfangsphase des Sprechen-Lernens auch noch nichts anfangen kann, sich erst langsam gewöhnend dieses dualen Selbstes (als sukzessive Sprachschöpfung) bewusst wird und daran zunehmend festhält, weshalb schließlich dieses getrennt erscheinende, "ein-gebildete" Ich für die selbstverständlichste Tatsache gehalten wird. Dass es im Grunde kein beständiges, abgegrenztes Ego gibt, mag später (fast) keiner mehr wahrhaben wollen; denn "es" erscheint ja offensichtlich als konkret gefühlter, "augen-scheinlicher" und sich im Alltag durchgängig bestätigender Eindruck, woran keinerlei Zweifel mehr aufkommt, ja aufkommen darf, da dieses Selbst-Bewusstsein zur Grundlage unseres Selbstverständnisses im Alltags(er)leben wird: Der "Rest der Welt" ist somit außerhalb von "mir", wird gewohnheitsmäßig nach außen projiziert, woraufhin sich entsprechendes "Haben-Denken" konsolidiert, hochgradig "ansteckend" zugleich; d.h. Begehren-Wollen all dessen, was es da draußen gibt - wiederum als Rückbindungsversuch, noch ständig durch Werbung, Vorbilder ... stimuliert - wird allmählich grund-legend verinnerlicht; folglich auch das Verlangen (Neigung, Glaube, Sucht ...), all dieses Äußere zum "erfüllten" Leben zu 32 benötigen, um damit stets aufkeimende Glückserwartungen zu befriedigen - erweist sich jedoch als Leidenskette ohne Ende.

Allein dafür, nämlich diese - zwar subjektiv gefühlte aber im Grunde illusionäre - dualistische Trennung wieder zu "kitten" oder zumindest etwas erträglicher werden zu lassen und zu gestalten, bedarf es einer weiteren, ebenso illusionären "Instanz". Diese soll eine "Rückbindung" erst ermöglichen bzw. gewährleisten, sich mit ihr dann auch sicher zu fühlen (wähnen) - anstelle einer konsequenteren "bewussten Wiedervereinigung" in fließender Einheit mit Natur und Kosmos, alias "Paradies".

Das Sicherheitsbedürfnis zwingt gleichsam zur "Konstruktion" einer transzendenten Instanz "Über-Ich" oder "Gott", dgl. in deren Folge z.B. Liebespostulat, Ehr-furcht ... - "geforderte" Ethik nur einem Gott "schuldig"? Schon die Formulierung des "ersten Gebotes" ist unmissverständliches Zeugnis (Beleg ...) für Menschenwerk bzw. deren extraversierte Projektion - entlarvt typisch archaisches Autoritäts-Gehabe, das aus der Furcht damaliger Menschengeschlechter entsprang und müsste für einen mittlerweile präferierten "liebenden Gott" längst umgeschrieben werden.

Erst beim Überwinden oder Loslassen dieser Illusionen, Bedürfnisse, Instanzen, Konstruktionen und letztlich auch der Abgrenzung erübrigt sich jegliche Notwendigkeit von Rückbindung (als Religion); denn wir sind bereits naturgemäß unauflöslich mit allem Dasein (Werden und Vergehen - Geschehen) dynamisch verflochten oder fließend verbunden - auch direkt erfahrbar beim Loslassen abgrenzender Ich-Illusion, z.B. beim bewussten Atmen: "sich" fließen lassen! Auf dualistischer Sprachstruktur basierende verbale Logik fördert begriffliches Denken und lässt "unser" Ego nur getrennt erscheinen (Worte ... - Wortgläubigkeit), eine sowohl augenscheinliche wie lebenslang gewohnte aber täuschend abgrenzende Wahrnehmung (Fata Morgana) - und dieser Ich-Glaube bedingt wiederum "not-wendiger"-weise als Pendant einen (ebenso spekulativen) Gott-Glauben infolge immanent gewachsenen Sicherheitsbedürfnisses - Zitat Leibniz: "Es gibt Gott, weil wir ihn brauchen".

Selbst-loslassend erkennen wir dann auch unsere grenzenlose Verantwortung (für alles - in fließender Einheit, einsichtiger Interdependenz) und können uns voll darauf konzentrieren, sie auch praktisch umzusetzen. Die Aufgabe oder der Übungsweg dafür ist im achtfachen Pfad der Lehre Buddhas vorgezeichnet und empfohlen (kein Dogma).


Werden wir uns dessen bewusst (Erkenntnis, Einsicht) - es gibt viel freizulegen: "packen wir's an"!

... und angesichts "wachsender" Krisen kommt die Herausforderung zum überfälligen Aufarbeiten vernachlässigter Grundlagen unseres Selbstverständnisses - als evolutionäres Selbst-Bewusstsein, aber verlorener Mitverantwortung - einem Paradigmenwechsel gleich - von innen heraus:


Wiedervereinigung durch Ablegen des Ich-Wahns

Dieser zeigt sich z.B. als Personenkult, Dünkel - eingebildete "Würde" nur in selbst-gefälliger Abgrenzung gegenüber dem "Rest" der Natur als "Krone der Schöpfung"? - Profilneurosen usw. -

"Anpacken" meint hier gleichzeitig: lassen wir auch alles Haften, Hängen an Vergänglichem los, zumindest reduzieren wir solche (bisherigen) Prioritäten zugunsten regelmäßiger offener Besinnung und/oder Meditation - es führt allemal zur Vermeidung bzw. Befreiung von unnötigem "Leiden ..."; denn Leiden geschieht nur, wo und wann immer anicca(1) nicht erkannt und akzeptiert wird - dies allein ist schon fundamentale (umfassende) Wahrheit/Weisheit Buddhas: alles unterliegt anicca - daraufhin sind dukkha(2) und anatta(3) lediglich Konsequenzen daraus bzw. logische Folgen!

Ferner: Missbrauchen wir doch bitte nicht diesen trügerischen Begriff "Wachstum" als schön-färberische Vergleichsgröße für erwirtschaftete (oft fragwürdige) Leistungsbilanzen. Was wird uns hier (als) "wachsend" vorgetäuscht und inzwischen gar als "Minus-Wachstum" verbal kreiert? In doktrinärer Abhängigkeit von dieser angeblich unentbehrlichen "heiligen Kuh" sollen wir zwanghaft angetrieben und gejagt - nicht nur im Dauerstress für die Wirtschaft - unsere nimmersatten Begehrlichkeiten weiter steigern, ständig angestachelt "mehr haben" zu wollen, ja zu müssen: welch verblendeter Irrweg und stets ansteckender Irrglaube "Hast du was, so bist du was" - auch hier wähnt das "Ich", sich rückbindend absichern zu können. Es führt weder zu echter "nachhaltiger" Zufriedenheit noch zum friedlichen Miteinander - stattdessen zu Neid, Missgunst, globaler Ellenbogenmentalität, Gewalt ...; denn mit dieser Wachstums-Ideologie sägen wir uns systematisch den "eigenen Ast" ab (Natur-Fließgleichgewicht), auf dem wir sitzen und wovon alles evolutionär-angepasste Leben (einschließlich des menschlichen) abhängig ist:

Wir sind mit allem im Wandel verbunden und damit auch verantwortlich!

Andererseits offenbart sich die abgrenzende Ich-Illusion als "Fehlkonstruktion Mensch" und wird von der Natur in absehbarer Kürze (bezogen auf die kurze Dauer seines evolutionären Erscheinens) wieder ausgemerzt - haben wir überhaupt noch die Wahl oder Chance zwischen diesen Alternativen??? - Letztlich bewirkt gerade diese "religiöse" Absonderung des Menschen ("Erbsünde") einschließlich seiner illusionären Gottesvorstellung sein Scheitern.

Andersherum in theistischer Version (ketzerisch?): "Gottes" Exkurs, Experiment, Versuch ... - wenn auch nur als extraversierte Vorstellung seiner Gläubigen - erweist sich als schlicht unbrauchbar; d.h. ist auf Dauer nicht zum einträchtigen Miteinander im Gesamtverband der Natur geeignet, da sich "sein Geschöpf" als überhebliches Wesen mit der religiösen Einbildung "Ebenbild Gottes zu sein" absondert ("Erbsünde" ohne Einsicht zur Umkehr) und sich nicht mehr in den Haushalt der Natur unterordnen oder integrieren kann und will - also gerade diese Illusion der Abgrenzung einschließlich dualistischen Rückbindungs-Versuchs disqualifiziert ihn zum friedlichen Miteinander und anpassungsfähigerem Weiterleben. Es wäre höchste Zeit, diesen Wahn und seine daraus folgende destruktive Vermessenheit als "Krone der Schöpfung" (mit allen Folgen!) endlich mal zu durchschauen, zu erwachen und konsequent loszulassen oder wenigstens abbauen zu beginnen. Die Chance dazu wäre jederzeit vorhanden, wird aber angesichts routinemäßig praktizierter, ego-fixierter Verantwortungslosigkeit, nämlich unverantwortlich-leichtfertiger Abgabe dieser (seiner) Verantwortung an eine illusionäre Instanz und/oder eskalierender "Selbst"-Herrlichkeit im egoistischen Haben- und Begehrenrausch (z.B. Neoliberalismus) vertan. Die absehbaren Folgen hat sich diese "Fehlkonstruktion der Natur" selbst zuzuschreiben.

Wird man sich bewusst, welche Brisanz in den Offenlegungen dieses Buches von J. Maug enthalten ist, so leuchtet ein, dass ein Paradigmenwechsel längst überfällig ist, anderenfalls jedoch bei weiterer Ignoranz (bzw. Verdrängung) der aufgedeckten Zusammenhänge ein absehbarer Untergang dieser "Fehlkonstruktion" unabwendbar ist. Unersättliche, global-unbegrenzte Gier steigert sich immer weiter unter dem Deckmantel individueller Freiheit verbrämt, die jedoch gleichzeitig einem fundamentalen "neoliberalen" Irrtum infolge dualistischabgrenzender Ich-Illusion verfallen ist. Mithin zeichnen sich die Überlebenschancen dieser vom "Ich-Virus" befallenen Spezies - beim selbstbewirkten Entzug der Naturbasis, Fließgleichgewicht ... - schon heute als unwahrscheinlich, ja unrealistisch ab. Jeder kann und muss letztlich die Konsequenzen für "sich" daraus ziehen.

Buddhas richtungweisende Einsicht/Erkenntnis besteht darin, dass anicca ausnahmslos als grundlegendes Prinzip allen "Seins" bzw. Geschehens (Wandel, Vergänglichkeit ...) wirksam ist, jedoch kein Träger dieses Wandels auszumachen ist - ein solcher wäre bereits ein Widerspruch des Prinzips in sich und entsteht erst und nur in der Vorstellung oder dem Eindruck unserer sich "als Selbst" bewusst werdenden Ich-Illusion, ohne den weiteren, zwingend not-wendigen, reflektierenden Erkenntnisschritt zu gehen: nämlich dass diese Vorstellung auf dualistischer und damit Illusionen erweckender Ausdrucks- sowie entsprechend prägender Denkweise (gewohnheitsmäßiges Denken in Begriffen, Benennungen ...) beruht und gleichfalls als Hilfsmittel zwecks Kommunikation "nur" Prozess-Charakter hat.

Ein "Träger des Wandels" erscheint lediglich als sprachlich konzipiertes und somit dualistisch erdachtes - insofern nur abstraktes, statisch abgrenzendes - Konstrukt, wie z.B. "der Wandel" oder "der Wind" - solche statisch fixierten Begriffe haben nur Sinn und Funktion, auf konkret ausschließlich Dynamisches, nämlich Prozesse hinzuweisen - hinzugefügt als Hilfsmittel aufgrund der Sprache innewohnender Logik bzw. lt. Maug "rein sprachlicher Genese", ansonsten ohne Bedeutung und Realität - noch mal anders ausgedrückt: nur eine verbale Hilfskonstruktion, die zum Kommunizieren bzw. Abgrenzen aufgrund dualistischer Sprachstruktur verwendet wird - gleichsam eine semantische Falle (s. z.B. Seite 156 vorletzter Absatz bei J. Maug).

Schließlich eröffnet Buddhas Lehre hiermit eine angst-befreiende Reflexion durch Loslassen verinnerlichter Ich-Einbildung (-Vorstellung, -Fiktion, -Vision ... alles nur Phantome), die sich beim fixierten Selbstbewusstsein zwangsläufig aber völlig substanzlos einstellt, quasi einschleicht - sinngemäß: Unaufhörliches, permanentes Sterben (Wandel, Vergehen) gibt es, doch kein "Sterbender" und folglich auch kein "Gestorbener" findet sich da! Hier wird deutlich, wie uns die gewohntverinnerlichte semantische Logik als unbewusste Falle erst ein daraus reflektiertes Sein vortäuscht und mit dessen augenfälligem Vergehen (Wandel!) sich entsprechend bedingte Leidhaftigkeit manifestiert. Werden wir uns zumindest kritischer und sensibler dieser illusionären, semantischen Logik - infolge dualistischer Sprachstruktur - bewusst und glauben nicht weiter blind - unbewusst oder naiv? - ihrem spontanen Eindruck - eine dauerhafte Übungsmöglichkeit zur Befreiung!


Anmerkungen:

(1) anicca = Wandel, Vergänglichkeit, Unbeständigkeit
(2) dukkha = Leiden, Unbefriedigung, Unzulänglichkeit
(3) anatta = Nicht-Selbst, unbeständiges Ich, kein bleibender Wesenskern (z.B. keine ewige Seele)


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Quelle:
Buddhistische Monatsblätter Nr. 1/2010, Januar - April, Seite 30-36
Vierteljahreszeitschrift der Buddhistischen Gesellschaft Hamburg e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Februar 2010