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PRESSE/914: Buddhistische Laienethik (DMW)


Der Mittlere Weg - Nr. 2, Mai - August 2011
Zeitschrift des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.

Buddhistische Laienethik
"Gibt es unheilsame Berufe im Buddhismus?"

Von Friedrich Fenzl


Die fünfte Stufe auf dem edlen achtfachen Pfad hat Shakyamuni den rechten Lebensunterhalt genannt. Rechter Lebensunterhalt bedeutet seinen Lebensunterhalt so zu bestreiten, dass daraus keine üblen karmischen Folgen entstehen. Es wird jedem Einsichtsvollen verständlich sein, dass ein Lebensunterhalt, bei dem die zur Lebensführung nötigen Mittel durch unrechtmäßige Aneignung fremden Gutes, also Diebstahl, Raub, Betrug etc. erworben werden, kein rechter Lebensunterhalt sein kann. Doch gehen die buddhistischen Lehrtexte darüber noch hinaus und hier beginnt die eigentliche Problematik. Denn es werden dem Schüler und Jünger Shakyamunis Berufe und Tätigkeiten genannt, die er unter allen Umständen meiden soll, dazu zählen der Handel mit Waffen, mit Lebewesen, mit Fleisch, Rauschmitteln und Giften, aber auch das Töten von Tieren, das Waffenhandwerk etc. Der Anhänger der Lehre wird ermahnt, diese beruflichen Tätigkeiten zu unterlassen, um kein übles Karma zu schaffen, das sich dereinst bei seiner Wiedergeburt in einem neuen Dasein verhängnisvoll, auswirken müsste.

Nun wird mancher einwenden, dass der Inhaber eines unheilsamen Gewerbes dieses ja aufgeben könne, um fortan einen heilsamen beruflichen Lebenswandel zu führen. Aber so einfach liegen die Dinge nicht. Familiäre, gesellschaftliche und ökonomische Bedingungen stehen einem solchen Berufswechsel sehr oft entgegen. Nehmen wir etwa einen Metzger- oder Fleischermeister, der auf elterlichen Wunsch dieses Handwerk erlernt und das väterliche Geschäft übernommen hat. Bewohner entlegener Küstenstriche ohne andere Verdienstmöglichkeiten werden auf den Fisch- oder Robbenfang angewiesen sein, um ihren Lebensunterhalt zu fristen.

Alljährlich gehen Wogen der Empörung über die Schlachtung der kleinen Robbenbabies an der einsamen Küste der kanadischen Provinz Newfoundland hoch. Aber kaum einer der Protestierenden, unter denen sich auch Buddhisten befinden, hält sich vor Augen, dass die Menschen an der neufundländischen Küste die kleinen Robben nicht aus purer Mordlust oder Sadismus erschlagen, sondern weil sie sonst mit ihren Familien verhungern müssten. Das kalte Klima und der hartgefrorene Boden gestatten keinen Ackerbau, da Bodenschätze fehlen gibt es keine Industrie oder Bergbau und mit Fremdenverkehr ist in dieser unwirtlichen Gegend auch nichts zu holen. Bevor man also diese Menschen wegen ihres blutigen Handwerks tadelt oder gar verdammt, sollte man Überlegungen über alternative Erwerbsmöglichkeiten für sie anstellen.

Übersehen wird aber auch, dass viele unserer buddhistischen Gesinnungsfreunde aus der unheilsamen Tätigkeit mancher Mitmenschen bewusst oder unbewusst Nutzen ziehen, auch wenn sie selbst diese unheilsamen Berufe nicht ausüben. Bei einer Reise durch Sri Lanka wurde mir berichtet, dass das Schlachten von Tieren für den Fleischgenuss durch Angehörige der muslimischen und christlichen Minderheiten besorgt wird. Verzichten aber die dortigen Buddhisten auf den Konsum von Fleisch? Sehr viele tun es nicht, wenn dieser auch geringer sein mag als in denWohlstandsländern desWestens.

Aber selbst der Vegetarier - lässt er sich nicht mit Vakzine impfen oder nimmt Pillen und andere Medikamente, die aus dem Serum von Tieren gewonnen bzw. an Tieren ausprobiert wurden? Wir müssen uns vor Pharisäertum und eitler Selbstgerechtigkeit gegenüber diesen Menschen hüten!

Zudem sind die Ausübenden unheilsamer Berufe und Gewerbe oft sehr hilfsbereite, gastfreundliche und großzügige Menschen. Einer der liebenswürdigsten und tiefreligiösen Buddhisten, die ich in Japan traf, war ausgerechnet der Besitzer einer "Sakebrauerei" in Kobe, der allwöchentlich sein gastliches und kultiviertes Haus einer kleinen shin-buddhistischen Kongregation für ihre religiösen Übungen zur Verfügung stellte.

Während aber die Vertreter dieser unheilsamen Berufe zwar unheilsam aus der Sicht der buddhistischen Ethik handeln, nichtsdestoweniger aber gesellschaftliche Reputation genießen, trifft gesellschaftliche Diskriminierung und menschliche Isolation die Angehörigen sozialer Randschichten. Menschen, die in asozialem Milieu leben, entlassene Sträflinge, Drogenabhängige, Alkoholiker, Tippelbrüder ("Clochards", "Tramps") und Prostituierte zählen zu ihnen. Einige dieser Menschen sind durch politische Katastrophen wie Kriege, Revolutionen und Flucht, andere durch familiäre Ereignisse (Ehescheidungen, zerrüttete Familienverhältnisse, früher Tod der Eltern), wieder andere durch soziale Not und wirtschaftliche Verelendung, viele aber durch charakterliche Mängel oder menschliche Schwäche aus der Bahn eines geordneten bürgerlichen Daseins geworfen worden. Ihr Heim ist die Strasse, sind Brückenbögen und Abbruchhäuser, ihren Lebensunterhalt bestreiten sie oft aus Einkünften, deren Quellen in einer semikriminellen Grauzone liegen.

Die geordnete Welt unserer Wohlstandsgesellschaft ist allzu leicht bereit, sie als menschliches Strandgut abzuschreiben und sie, da sie eine ständige Mahnung an unser soziales Gewissen darstellen und die Unvollkommenheit der menschlichen Natur ebenso wie die Mängel unseres Gesellschaftssystems reflektieren, von der Bildfläche zu bannen. Gerade der Mensch, der in der wohltemperierten Atmosphäre eines gepflegten Heimes und eines warmherzigen Familien- oder Freundeskreises lebt - und der Buddhist macht da keine Ausnahme - ist nur allzu leicht bereit, sich von ihnen zu distanzieren und neben der physischen Not auch ihre existentielle, und dazu zählt auch eine metaphysisch orientierte Sinngebung des Lebens, in das Unterbewusstsein zu verdrängen.

Sollte allen diesen Menschen, den Berufstätigen in unheilsamen Gewerbe und den sozial Gestrandeten und Gedemütigten der spirituelle Weg zum Heile, zur Befreiung von Leid, Kummer und Schmerz verschlossen sein? Vor siebenhundert Jahren sah sich ein einfacher japanischer Priester mit eben demselben Problem konfrontiert: Die Situation war kaum anders als heute, ja in der damaligen Feudalgesellschaft noch bedrückender. Man verschloss selbst die Tempeltore vor diesen armen Menschen und verweigerte ihnen den kleinsten Trost und Zuspruch. Voll brennenden Mitleid sah er die elende Lage dieser Leute und begann ihnen einen Weg zum Heile zu weisen. Im XIII. Kapitel seines berühmten TANNISHO erinnert sich der Priester Yuien der Worte seines hochverehrten Lehrers, des ehrwürdigen Shinran Shonins:

"Unser Meister hat auch gesagt: Es ist immer dasselbe und gar nicht verschieden, ob einer in der See und im Fluss mit Netz und Angel die Fischerei betreibt, ob einer durch Vogelfang und Wildjagd sein Leben fristet oder ob einer von Handel und Ackerbau lebt, wenn die Zeit kommt und die jeweiligen karmischen Bedingungen es veranlassen, wird jeder alles Mögliche begehen können. Trotz dieser seiner Worte sind heutzutage manche der Ansicht, nur die Guten dürfen Nembutsu sagen und heften unter anderem Zettel beim Eingang des Andachtsplatzes an: Wer dies und das begangen hat, darf nicht eintreten, und so fort. Heißt das aber nicht, dass man sich nach Außen weise, gut und beflissen zeigt, im Innern jedoch nur Heuchelei und Lüge hegt..."

Prof. Ryogi Okochi schreibt in seinem berühmtem Kommentarwerk Tannisho - die Gunst des Reinen Landes (Origo, Bern 1979):

"Aus seinen (Shinrans) Briefen, die er nachher aus Kyoto seinen Leuten in Hitachi geschrieben hat und aus seinen hinterlassenen Werken geht eines klar hervor: nämlich mit welchen Leuten er dort Umgang pflegte, wie er mit ihnen umging, und welche religiöse Bedeutung dieser Umgang für sie hatte. Er lebte mit Menschen, die äußerst arm und völlig ungebildet waren und zum Erwerb des täglichen Brotes unter Umständen wider Willen Verbrechen begehen mussten. Es handelt sich also um diejenigen, die 'im Meer und in den Flüssen mit Netz und Angel die Fischerei betreiben, durch Vogelfang und Wildjagd das Leben fristen, von Handel und Ackerbau leben müssen.' Das ist mit einem Wort die unterste Schicht der Gesellschaft.

Damals und teilweise noch bis vor kurzem war in Japan auf Grund des buddhistischen Einflusses das Schlachten von Tieren, auch das Töten von Fischen nur widerwillig geduldet und nur in äußerster Not erlaubt. Die Berufe der Jäger und Fischer galten als unerlaubt, zumindest aber schmutzig. Diejenigen, die Ackerbau und Handel trieben, waren wie überall in der feudalen Gesellschaft sozial sehr diskriminiert und verachtet. Im Gegensatz zu den Adeligen, Priestern und der herrschenden Klasse, welche überhaupt nicht zu arbeiten brauchte, galt die niedere Schicht grundsätzlich als ungebildet, grausam, sittenlos und 'dreckig'. Sie waren soviel wie 'Nicht-Menschen' oder 'Untermenschen'. Sie leisteten sich in der Tat alles Mögliche und Unmögliche 'wenn die Zeit kommt und die jeweiligen karmischen Bedingungen es veranlassen.'" Diesen Unglücklichen wies Shinran die Gnade und das Mitleid AMIDA Buddhas. Dieses Mitleid kann das Leben auch des aller-erbärmlichsten und elendsten Menschen umfassen und mit strahlendem Licht erfüllen und ihn in das Reine Land (Skr.: Sukhavati, Jap.: Jodo) führen, in jenes Land der 'Weder-Geburt-noch-Todlosigkeit', in dem alles Leid, alle Zweifel und alles üble Wollen erloschen ist und damit auch alle karmischen Auswirkungen einer üblen beruflichen oder gesellschaftlichen Tätigkeit.

NAMU AMIDA BUTSU


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Quelle:
Der Mittlere Weg - majjhima-patipada
43. Jahrgang, Mai - August 2011/2555, Nr. 2, Seite 21-23
Herausgeber: Buddhistischer Bund Hannover e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Mai 2011