Schattenblick →INFOPOOL →RELIGION → BUDDHISMUS

PRESSE/943: Buchrezension - "Buddhismus als Religion und Philosophie" von Karsten Schmidt (DMW)


Der Mittlere Weg - Nr. 2, Mai - August 2012
Zeitschrift des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.

Karsten Schmidt
Buddhismus als Religion und Philosophie
Probleme und Perspektiven interkulturellen Verstehens

Buchrezension von Willfred Hartig (AFBGF(1))



Karsten Schmidts Arbeit - sie lag in ihrer Urfassung als Doktor-Dissertation 2006 dem Fachbereich katholische (!) Theologie der Frankfurter J. W. Goethe-Universität vor - setzt in ihrer überarbeiteten Version wegweisende Maßstäbe. Sie ist darum eine Pioniertat. Denn nicht allein durch ihre akribisch durchgeführten Literatur-Recherchen und entsprechenden Fußnoten, sondern v. a. durch ihre Strukturierung in einen verstehenden (hermeneutischen), einen religiösen und einen philosophischen Zugang zum Buddhismus schafft sie erstmals eine Erörterungs-Plattform für dieses einzigartige religionsphilosophische Phänomen. Die vorliegende Arbeit selber gliedert sich in fünf Kapitel. Von diesen befassen sich die Kapitel I, II und V mit verschiedenen Verstehensproblemen, nur die Kapitel III und IV mit dem eigentlichen Thema: Buddhismus als Religion und Buddhismus als Philosophie. Aus Platzgründen können wir daher bloß einen kurzen Blick auf die drei hermeneutischen(2) Kapitel werfen. Besonders aufschlussreich erweist sich dort die Fußnote 154, Kap. II. S. 54 f., welche uns die geradezu verwirrende Vielfalt der Fragestellungen bewusst macht: Ist die Buddha-Lehre Religion und Philosophie zugleich oder nur eines von beiden? Und welches dann? Ist sie eine religiös-philosophische Botschaft? Ist sie ein Heils-System aus Meditation, Mystik und Psychologie oder gar eine Psychotherapie? Ist sie eine Protest- oder Reformbewegung oder vielleicht eine ganzheitliche Daseins-Ordnung?

So führt der Verfasser dort immerhin rund 20 Autoren und Titel auf. Was zeigt, wie heiß umstritten dieses faszinierende Thema aus abendländischer Sicht seit langem ist. Doch der Verf. lässt auf S. 57 endlich auch eine genuin(3) buddhistische Stimme zur Worte kommen, nämlich den berühmten ceylonesischen Weltmissionar Narada Mahathera, der anlässlich seiner Hamburg-Aufenthalte (1954) für den Rezensenten, damals junger Indologie-Student, zu einem Mentor wurde. Er betonte immer wieder mündlich und schriftlich die Einmaligkeit der Buddha-Lehre mit den Worten "The Dhamma is the Dhamma". Das mag tautologisch(4) klingen, umschreibt aber in Wirklichkeit ihre nur schwer auslotbare denkerische Tiefe. Dies markiert den Übergang zu den zwei Kernkapiteln. Hier fasst der Verf. Kap. III, S. 61-67 mutig ein noch heißeres Eisen an, nämlich die Bestimmung des Religionsbegriffes mit Blick auf die Budda-Lehre.

Ist dieser Begriff eine rein eurozentrische Prägung, also ungeeignet für die Buddha-Lehre? Er müsste es nicht sein. Jedoch verschenkt der Verf. S. 64 die einmalige Möglichkeit, anhand der beiden etymologischen(5) Ableitungen beim Altrömer Cicero (religio < re-legere, sich rückversammeln, konzentrieren) und beim Neuchristen Lactantius (religio < re-ligare, rückbinden, fesseln) zu einer trennscharfen Abgrenzung zwischen zwei grundverschiedenen Religionstypen (hier henosophische(6) Religions-Ontologien(7), dort monotheistische Religions-Ideologien) zu gelangen. Das hätte um vieles das Verstehen der Buddha-Lehre und verwandter Lehren (Vedanta, Daoismus, Neoplatonismus) erleichtert. Am Ende kommt aber auch der Verf. zu dem Schluss, dass der Sanskrit-Terminus "dharma" (pa. dhamma) noch immer die praktikabelste Wiedergabe des Religionsbegriffs im indo-buddhistischen Bereich darstellt.

Auf die sicherlich sehr lehrreichen Exkurse in die Bereiche von Mahayana, Ch'an-/Zen-Buddhismus und Vajrayana(8) voll von stupendem Detailwissen des Verfs. muss der Rezensent bei aller Anerkennung seitens des Theravada nicht näher eingehen. Im Kapitel IV schließlich visiert der Verf. den Philosophiebegriff auf seine Vereinbarkeit mit der Buddha-Lehre an. Nach verschiedenen Vorüberlegungen über die Vergleichbarkeit von europäischem und indo-buddhistischem Denken konstantiert der Verfasser aus S. 212 ganz klar den "Primat der Soteriologie(9) im indischen Denken". Könnte man da nicht, so der Rezensent, von der Buddha-Lehre - anstelle einer Philo-sophie (Weisheitsliebe) geradezu als von einer Philo-soterie (Erlösungsliebe) oder Soterio-sophie (Erlösungsweisheit) sprechen? Und müsste man angesichts dieses Sachstands eigentlich bei der Buddha-Lehre nicht sogar von einer trans- oder supra-religiösen Bewegung reden, die für jeden Verständigen offen steht?

Wo viel Licht ist, da ist bekanntlich auch mancher Schatten. Also fragt sich der Rezensent nicht nur, was an diesem Buch gut ist, sondern auch, was hätte besser sein können. Es ist vor allem der Erkenntnisstand. Doch hier trifft den Verf. der geringste Vorwurf. Dieser sagt auf S. 291 völlig zutreffend: "Manchmal hat man aber das Glück, und das zu verstehende Denken verfügt über eine hochreflektierte eigene Hermeneutik..." Aber hier ergreift er dies seltene Glück nicht. Wieso ist ihm nicht bekannt, dass die ursprüngliche Buddha-Lehre nach wie vor die großartigste Hermeneutik des Daseins im Altertum ist? Und das rd. 2500 Jahre vor Heidegger (1889-1976) und Gadamer (1900-2002)? Dass überdies die Sprache Buddhas und seiner Gefolgsleute hochgradig phänomenologisch(10) geprägt war? Dass sie also mit Abstand die bedeutendsten Phänomenologen vor Husserl und Heidegger waren? Was selbst Husserl leider verkannte, vom Verf. ganz zu schweigen (Dem Rez. auf S. 211, FN 760 in seinem Buch über Buddha und Heidegger S. 8 unpräzisen Ausdruck anzudemonstrieren, verkennt die Lage. Denn eine zutiefst phänomenologische Sprache zu sprechen und außerdem soteriologische Ziele dabei zu verfolgen, schließt sich doch nicht aus, sondern verträgt sich sehr gut.).

Ist ferner dem Verf. nicht bekannt, dass der Buddha längst einen Parallel-Entwurf, vielleicht sogar den Gegenentwurf zur griechischen Philosophie vorgelegt hat, nämlich den Begriff des "manasi-kara", wtl. "Arbeit im Denken", also Denk-Arbeit. Gedanken-Arbeit? Ein viel exakterer Begriff als der verschwommene griechische. Sodann erwähnt der Verf. S. 244 aus Jens Schlieters Arbeit "Versprachlichung - Entsprachlichung" die dominierende Tendenz zur Entsprachlichung in den buddhistischen Lehren. Dass es besonders in der frühen Buddha-Lehre umgekehrt einen starken Trend zur Versprachlichung gibt - der Buddha ist dafür das beste Beispiel - wird übersprungen. Denn er selber ist ja der Begründer der indobuddhistischen Rhetorik, wie sie der Rezensent aus den Texten des Pali-Kanons rekonstruieren konnte (s. DMW, 3/2010 u. 2/2011). Damit muss die Geschichte der Rhetorik des Altertums umgeschrieben werden! Doch alles das ist offenbar der universitären Forschung weitgehend unbekannt, geschuldet einer eigenartigen Buddhismus-Blindheit unserer eurozentrischen Geisteswissenschaften.


Karsten Schmidt, Buddhismus als Religion und Philosophie, Probleme und Perspektiven interkulturellen Verstehens, 320 S., Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-17-021505-4, EUR 34,80.


GLOSSAR:

1)‍ ‍AFBGF= Akademie für buddh. Grundlagenforschung
2)‍ ‍Hermeneutik = Auslegekunst, Deutung, Verstehenslehre
3)‍ ‍genuin = echt, unverfälscht
4)‍ ‍tautologisch = einen Sachverhalt doppelt wiedergebend ("weißer Schimmel")
5)‍ ‍etymologisch = vom Ursprung des Wortes ausgehend
6)‍ ‍Henosophie = die Kunde vom Einen
7)‍ ‍Ontologie = Wissensch. vom Seienden
8)‍ ‍Vajrayana = tibetischer Buddhismus
9)‍ ‍Soteriologie = Heilslehre
10)‍ ‍Phänomenologie = Philosophie, wonach nur die Erscheinungen der Dinge, nicht aber diese selbst erkannt werden können.

*

Quelle:
Der Mittlere Weg - majjhima-patipada
44.‍ ‍Jahrgang, Mai - August 2012/2555, Nr. 2, Seite 30-31
Herausgeber: Buddhistischer Bund Hannover e.V.
Drostestr. 8, 30161 Hannover,
Tel. und Fax: 05 11/3 94 17 56
E-mail: info@buddha-hannover.de
Internet: www.buddha-hannover.de
 
"Der Mittlere Weg - majjhima-patipada" erscheint
nach Bedarf und ist für Mitglieder kostenlos.


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2012