Schattenblick →INFOPOOL →RELIGION → BUDDHISMUS

PRESSE/974: Wanderung durch Berge und Täler zum ruhigen Meer (DMW)


Der Mittlere Weg - Nr. 3, September - Dezember 2013
Zeitschrift des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.

Wanderung durch Berge und Täler zum ruhigen Meer
oder: Uwe Kickstein und das TAO der Musik

von Martin Platz



Wer einmal den Klängen der Musikgruppe BHAVANA vom BBH sein Ohr geöffnet hat, könnte meinen, dass diese Musik, ihre Töne, Klänge, Rhythmen spontan entstünden, um genau mit dieser (vermeintlichen) Spontaneität einen Weg von Herz zu Herzen zu finden. Zwar träumten wir Musiker der Gruppe immer wieder mal von diesem Ideal, in unserer Praxis, Aufführungspraxis ging es primär immer erst einmal handfester, praktischer zu. In einer Programmvorlage für einen Auftritt von BHAVANA in der "Langen Nacht der Religionen" am 3.Sept. 2011 heißt es in der Spielanweisung für die Musiker zum Einführungsstück "Impro" für Tambura, 12Str-Gitarre, Gitarre, Flöte, Chimes folgendermaßen:

Tambura erklingt aus der Stille
12string-Gitarre kommt hinzu (leichtes Streichen, dann Zupfmuster Melodie andeutend)
dann 6string Gitarre, leichtes Zupfmuster weniger Töne
Querflöte kommt hinzu: lang gehauchte Töne mit C beginnend, dann solistisch
12string Gitarre nimmt sich zurück (leiser), 6string-Gitarre in den Vordergrund mit wenigen Tönen (leichtes Zupfmuster), 12string-Gitarre ergänzt wieder dazukommend.
Zum Schluss: 12string-Gitarre klingt aus, dann Flöte, dann 6string-Gitarre, dann Tambura, Chimes und Klangschalen setzen letzte Akzente.

Stille
Übergang zum Gayatrymantra usw. usf. mit ähnlichen z.T. noch detaillierteren nüchternen Spielanweisungen usw. usf..

Auch wenn solche Spielanweisungen bei den Übungsterminen unter uns abgesprochen und ausprobiert wurden - ihnen aber gewissermaßen definitiv eine verbindliche Form, eine Art Endredaktion zu geben, war Uwes Anliegen und Geschenk an uns, es lag dann einerseits ein fürs Erste nüchternes schriftliches Schema, also etwas Ordnungstiftendes vor uns (s.o.), gleichzeitig geschah aber - Überraschung! - Überraschung! - durch kleinere und größere Akzentverschiebung auch Anderes, Überzeugenderes, Neusetzung, nämlich: Arrangement, dem wir anderen dann nur zu gerne zu folgen bereit waren, eben, weil Neues lockte...

Ich bin mir sicher, dass sich hier, gewissermaßen in so einem "ping-pong" von "trial and error" Uwes Begeisterung und Freude entwickelte, selber Stücke zu entwerfen, ja, Neues zu komponieren!! "FREUDE ENTSTEHT" heißt eines seiner selbständig entworfenen Stücke, ganz sicher tiefergehend gemeint, aber eben auch für Freude an der Musik war Uwe keine Zeit und kein Geld in geradezu unbeschränktem Ausmaß zu schade. Wer komponiert, trägt ein Klangideal, ein Formziel und letztlich eine Vorstellung davon im Herzen, wie man die beiden erreichen könnte. Ob sich seine Klangvorstellungen allein aus seinen spirituellen Idealen entwickelt haben, ist für mich eine müßige Frage, zumindest bestand da zu keiner Zeit ein Widerspruch, heißt es doch so schön im Lotos-Sutra: wenn Musik mit freudigem Herzen durch Gesang und Trommel die Verdienste der Buddhas gepriesen haben, wenn auch mit leiser Stimme, dann haben auch diese den Buddha-Weg erreicht. Gesang und Trommel hat Uwe für das Erreichen seines Buddha-Weges ganz sicher nicht nötig gehabt, aber beides und erst recht der Klang seiner schönen Gitarren haben diesen für alle noch sichtbarer, noch hörbarer, noch überzeugender und......!!...verlockender gemacht, ja verzaubert erscheinen lassen. Keines seiner anderen Stücke hat mir das so bewusst gemacht, mich im wahrsten Sinne des Wortes so begeistert wie eine seiner ersten bewusst durchkomponierten Klangreisen: LOTOS!

Für einen ersten Auftritt von BHAVANA außerhalb wohlwollender BBH-Sangha-Geborgenheit, nämlich im Ärztehaus Hannover vor großem Auditorium anlässlich eines Vortrages über tibetische Medizin, stellte sich uns die Frage nach einem geeigneten Eröffnungsstück, einer längeren Klangmeditation. Sie müsse geeignet sein, uns das Lampenfieber zu nehmen, uns ein Gefühl verkleinerter Sangha im Fremden garantieren und gleichzeitig den Zuhörer dazu einzuladen, sich ebenfalls zugehörig zu fühlen. Diese Erwartungen - wir waren uns schnell einig - konnte nur Uwes Lotos-Komposition erfüllen. So geschah es.

Eine schöne, strahlend weiße geöffnete Lotosblüte hatten wir in eine grüne mit Wasser gefüllte Schale gelegt und auf eine mitgebrachte Säule aus Holz vor die Zuhörer gestellt, das musikalische Bild einer frühmorgendlichen Stimmung erklang, (ich assoziiere bei LOTOS immer erste Sonnenstrahlen aus leuchtend blauem Himmel über der morgendlichen Stille eines Sees voller Blüten, die sich zu öffnen beginnen, vielleicht am ehesten noch mit Stings Naturmalereien aus "Morning has broken", vergleichbar,) LOTOS also erklang, von Anfang an durchgehend mit einem kräftigen, entschlossenem Akkordspiel.:

Vorweg die hellen lauten Töne der hart angeschlagenen Klangschalen, symbolisch das Licht der aufgehenden Sonne ankündigend, dann die ersten kräftigen entschlossenen Gitarrenakkorde, erste, zweite Gitarre im Wechsel und zusammen, dazu, überraschend grell die brillierenden Flötentöne über dem Ruhe stiftenden Klangteppich des Keyboards. Waren es 9 oder 10 oder 15 Minuten? Oder eine kleine Ewigkeit? Unter uns und unter den Zuhörern war friedvolle Stille eingetreten, an die nach zwei weiteren Stücken ein interessanter Vortrag über eine ganz andere Medizin entspannt anknüpfen konnte. Ich erinnere mich, dass ich während des ganzen Vortrags das Gefühl hatte, die Klänge von LOTOS stünden weiterhin im Raum, ja dass sie die Worte der Vortragenden in wohlklingende heilsame Farben verwandelten, und dass mir absolut festzustehen schien, es könne überhaupt keine andere, bessere Medizin als die tibetische geben. Wir werden sehr weit in Geist und Herz, wenn uns das TAO der Musik streift und beglückt!!!

Musik ist unsichtbar, und doch wissen wir, sie ist da. Wir können sie nicht berühren, aber man kann sie spielen. Wir können sie nicht schmecken, aber man kann sie genießen. Wir können sie nicht riechen und doch erfüllt sie die Luft mit Duft. Sobald das TAO DER MUSIK erst einmal gespürt worden ist, wird es nie mehr vergessen.

JA,
die vielen musikalischen und freundschaftlichen Erfahrungen mit Uwe in der Bhavana-Gruppe werden mir unvergesslich bleiben und ich würde mir wünschen, dass ich, wir oder wer auch immer, Kraft, Fantasie, Liebe und Ausdauer aufbrächten, seine anderen Kompositionen oder solche Musikstücke, denen er seinen kompositorischen Geist verliehen hat, zu sampeln, in einem Album zusammenzufassen. Es gibt sie alle verstreut in den verschiedensten Fassungen auf seinen vielen CDs, die er unermüdlich als Protokolle unserer musikalischen Treffen aufgenommen hat, wie z.B. AM MEER, oder WEG DER MÖNCHE, oder das Projekt TO THE FAIRY GROUND mit Dirk, oder SCHAU NACH INNEN, oder FREUDE ENTSTEHT, oder seine längste Komposition WANDERUNG DURCH BERGE UND TÄLER ZUM RUHIGEN MEER, an der sein Herz in besonderer Weise hing.

Es gibt einen Moment im Zusammensein von Musikern, in dem - wie aus heiterem Himmel - mit einem Mal nichts mehr geht wie gestern oder wie eigentlich doch sonst immer, plötzlich streitet man sich, versteht die Welt nicht mehr und begreift nicht, dass sich unbemerkt und längst etwas verändert hat, von dem man nicht die geringste Ahnung gehabt hätte, dass es sich verändern könnte. BHAVANA!!! Das Sanskritwort steht in einer ersten vordergründigen Bedeutung für Veränderung. In unser Musikgruppe habe ich mit Uwe die Erfahrung gemacht, dass Frustration und Streit nicht sein muss, wenn man von diesem BHAVANA-Prinzip nicht nur Kenntnis nimmt, sondern seine Bedeutung in einem viel umfassenderen Sinn zu begreifen, ja zu praktizieren versucht. Für Uwe und mich (genauso auch wie für Uwe und Dirk mit den Gitarren) hieß das: Improvisation, Gitarre und Flöte, ....Flöte und Gitarre... usw. usw. Unendlichkeit des Dialogs zwischen zwei doch eigentlich völlig verschiedenen, sich fremden Klangwelten, Bewusstseinswelten. TAO!

Sobald du das TAO DER MUSIK einmal gespürt hast, wirst du es nie mehr vergessen, wirst es immer wieder suchen. Ich habe in vielen Gruppen und Orchestern zeitlebens mitspielen dürfen, das TAO DER MUSIK habe ich nur in der BHAVANA-Gruppe und im improvisatorischen Zusammenspiel mit Uwe erfahren dürfen.

Es ist ein eigen Ding mit der Trauer, genau so mächtig wie die Liebe kommt und geht sie, wann und wie sie will. Erst jetzt, wenn ich den Raben "Nevermore" krächzen höre, begreife ich, so wie mit Uwe wird meine Musik nie wieder sein, und es kommen mir die Tränen. Aber ich muss fürchten, es sind gänzlich "unwissende", "unerleuchtete", "egoistische" Tränen, die Uwes Welt des Gleichmuts nicht angemessen sind.

*

Quelle:
Der Mittlere Weg - majjhima-patipada
45. Jahrgang, September - Dezember 2013/2556, Nr. 3, Seite 14-16
Herausgeber: Buddhistischer Bund Hannover e.V.
Drostestr. 8, 30161 Hannover,
Tel. und Fax: 05 11/3 94 17 56
E-mail: info@buddha-hannover.de
Internet: www.buddha-hannover.de
 
"Der Mittlere Weg - majjhima-patipada" erscheint
nach Bedarf und ist für Mitglieder kostenlos.


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Oktober 2013