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PRESSE/986: Die Zukunft des Buddhismus liegt im Dialog (Buddhismus aktuell)


Buddhismus aktuell, Ausgabe 3/2014
Zeitschrift der Deutschen Buddhistischen Union

Im Gespräch
Die Zukunft des Buddhismus liegt im Dialog

Interview mit Jampa Tsedroen (Carla Roloff) von Ursula Richard



Jampa Tsedroen (Carla Roloff) äußert sich im Gespräch mit Ursula Richard zu den Chancen, Herausforderungen und Risiken, wenn sich der Buddhismus bei uns im Westen auch als Religion etablieren will.


Buddhismus aktuell: Der Dalai Lama fordert seine westlichen Anhänger immer wieder auf, sie sollten nicht zum Buddhismus konvertieren oder das Ziel buddhistischer Zentren solle nicht sein, für den Buddhismus als Religion zu werben. Wie würden Sie seine Position interpretieren?

Jampa Tsedroen: Es steht mir nicht an, die Position S. H. des Dalai Lama zu interpretieren. Aber ich mache mir als buddhistische Nonne natürlich meine eigenen Gedanken, wenn ich das höre. Ich verstehe das so: Wenn berühmte Buddhismuslehrer wie Seine Heiligkeit in westliche Länder reisen und Einladungen zu buddhistischen Großveranstaltungen annehmen, müssen sie sich manchmal fragen lassen, ob sie missionarische Absichten haben. In Deutschland sind rund 60 Prozent der Bevölkerung katholisch oder protestantisch, die drittgrößte Religion ist der Islam. Die Zahlen der Buddhisten, der jüdischen Gemeinde und der Hinduisten sind daran gemessen relativ klein. Andererseits ist auch in Europa seit über 100 Jahren ein ständig wachsendes Interesses am Buddhismus zu beobachten. Nicht alle aber empfinden den Buddhismus als Bereicherung, sondern mitunter wird er auch als Irrlehre und Bedrohung einheimischer Kultur und Religion gesehen. Der Dalai Lama nimmt solche Sorgen und Ängste ernst und verheimlicht nicht, aus jahrzehntelangen zahlreichen Begegnungen mit Konvertiten zu wissen, dass ihr Übertritt zum Buddhismus sie nicht immer glücklich gemacht, sondern zum Teil auch in tiefe innere Krisen gestürzt hat. Deshalb spricht es für seine Integrität, dass er vor einem solchen Schritt warnt oder darauf hinweist, ein solcher müsse wohl überlegt sein. Um sich mit dem Buddhismus zu beschäftigen, muss man ja nicht unbedingt bekennender Buddhist sein.

Die Zukunft des Buddhismus liegt im Zusammenschluss, im intrahuddhistischen Dialog, der buddhistischen "Ökumene", und darüber hinaus, aufgrund der zunehmenden Pluralisierung moderner Gesellschaften, in der Beteiligung am interreligiösen Dialog und im Dialog mit der säkularen Welt.

Hier im Westen, auch innerhalb der DBU, wird seit Jahrzehnten betont, Missionierung sei dem Buddhismus fremd. Aber ist das wirklich so? Historisch gibt es durchaus Gründe, das zu betonen, aber ich denke, es ist mehr ein buddhistisches Ideal als soziale Realität. De facto können wir doch nicht leugnen, dass es global einen zunehmend regen Wettbewerb unter den Traditionen und Zentren gibt. Sogar innerhalb derselben Tradition gibt es nicht selten in einer Stadt mehrere Zentren. Einige haben sogar PR-Beauftragte und Pressesprecher. Solange alle freundschaftlich miteinander verbunden sind und sich an die ethischen Grundsätze des Buddhismus halten, ist daran nichts auszusetzen. Doch ist das wirklich immer der Fall? Nicht selten sind die Gruppen untereinander zerstritten und konkurrieren miteinander. Alex Berzin weist darauf hin, dass inzwischen fast jeder Lehrer seine eigene Tradition hat. Ist das noch buddhistisch? Ich denke, nein. Die Zukunft des Buddhismus liegt vielmehr im Zusammenschluss, im intrabuddhistischen Dialog, der buddhistischen "Ökumene", und darüber hinaus, aufgrund der zunehmenden Pluralisierung moderner Gesellschaften, in der Beteiligung am interreligiösen Dialog und im Dialog mit der säkularen Welt. Es gibt viele Probleme, die sich nur gemeinsam lösen lassen - als eine große Menschheitsfamilie. Der Buddhismus hat hier viel zu geben und gleichzeitig viel zu lernen.

Seine Heiligkeit sagt auch, wir sollten an den Buddhismus "wissenschaftlicher" herangehen. Damit meint er meines Erachtens nicht nur den Dialog mit den Naturwissenschaften, sondern auch, dass wir eine kritische Haltung beibehalten, wenn wir uns dem Buddhismus zuwenden. Auf Errungenschaften wie Aufklärung, Demokratie und Gleichberechtigung der Frau können wir stolz sein. Sie sollten nicht einem falsch verstandenen Vertrauen in den Buddhismus geopfert werden. Vertrauen, Mitgefühl und liebevolle Zuneigung wollen mit Weisheit vereint sein.


Wenn man den Buddhismus bei uns vor allem als Philosophie oder eine Art Lebenshilfe lehrt, geht dann nicht auch etwas verloren? Wenn ja, was wäre das?

Ich denke, hier müssen wir differenzieren. Zunächst einmal müssen wir uns fragen: Was ist der Buddhismus? Eine Religion, eine Philosophie, ein Lebensstil? Idealerweise hat der Buddha-Dharma ähnlich wie unser Körper viele Teile. Manche verstehen ihn als eine Wissenschaft des Geistes, andere als Philosophie oder Religion und wieder andere als ein praktisches Meditationssystem und vor allem als einen Lebensweg. Wenn man ihn vollständig praktiziert, erfasst oder durchdringt die Lehre des Buddha all unsere Lebensbereiche. Ob unsere Praxis erfolgreich ist, können wir daran ablesen, ob wir uns im Laufe der Jahre positiv weiterentwickeln. Hat uns der Buddhismus zu einem besseren Menschen gemacht, freundlich, freigebig, offen und hilfsbereit? Wenn unser Denken und Tun zunehmend besser wird, scheint es zu funktionieren. Wenn nicht, läuft irgendwas schief. Ich kenne solche und solche Buddhisten. Auch habe ich sowohl familiär und beruflich als auch privat Kontakt zu Menschen, die keine Buddhisten sind, und manche von ihnen verhalten sich menschlich betrachtet buddhistischer als andere, die sich als Buddhisten bezeichnen.

Dharmapraxis bedeutet, das eigene Denken durch tägliche Praxis und Meditation zu transformieren. Dafür muss man nicht unbedingt Buddhist sein. Möchte man jedoch das buddhistische Heilsziel, die Befreiung aus dem Daseinskreislauf erlangen, macht es Sinn, Buddhist zu werden.

Um zu beurteilen, ob etwas fehlt, müsste man genauer hinsehen, um welche Tradition es sich handelt und welches Selbstverständnis die Lehrenden dieser Tradition haben. Auf welche Textbasis und welche Überlieferungen stützen sie sich? Im tibetischen Buddhismus gehören zum Beispiel Hören, Nachdenken und Meditation zusammen. Zunächst hört man Unterweisungen qualifizierter Lehrer, die sich in der Regel auf die autoritativen Texte der jeweiligen Tradition stützen und diese mit den eigenen Erfahrungen Verbinden. Darüber denkt man nach. Dabei kann es hilfreich sein, Teil einer Gemeinschaft zu sein, mit der man darüber diskutieren kann, im direkten Kontakt oder über die modernen Medien. Kommt man in der Gemeinschaft an Grenzen, ist es sinnvoll, Menschen mit guter Schriftkenntnis und langer Praxiserfahrung zu konsultieren. Hat man das Gehörte richtig verstanden, beginnt man das Gelernte in der Meditation zu vertiefen. Dharmapraxis bedeutet, das eigene Denken durch tägliche Praxis und Meditation zu transformieren. Dafür muss man nicht unbedingt Buddhist sein. Möchte man jedoch das buddhistische Heilsziel, die Befreiung aus dem Daseinskreislauf erlangen, macht es Sinn, Buddhist zu werden.


Wann kann man sich überhaupt sinnvollerweise als Buddhist oder Buddhistin bezeichnen?

Als Buddhist oder Buddhistin kann man sich bezeichnen, wenn man Zuflucht zu Buddha, seiner Lehre und seiner Gemeinschaft genommen hat und die Vier Siegel akzeptiert. (Diese kann man im buddhistischen Bekenntnis der DBU nachlesen.) Darüber hinaus ist es karmisch betrachtet sehr verdienstvoll, die Laien-, Mönchs- oder Nonnenregeln auf sich zu nehmen und im Mahayana zusätzlich ein Bodhisattva-Gelübde abzulegen und vielleicht auch tantrische Initiationen zu nehmen. Das A und O scheint mir zu sein, dass man integre und entsprechend dem Kontext gut ausgebildete Lehrende findet. Ob man diesen Schritt tatsächlich vollzieht und individuell zum Buddhismus konvertiert, ist eine persönliche Entscheidung. Sie will gut überlegt sein.

Viele haben sich dazu entschlossen, und dann ist es durchaus legitim, sich zu wünschen, Teil einer buddhistischen Religionsgemeinschaft zu sein und als solche auch gesellschaftlich Mitverantwortung zu übernehmen, sich gesellschaftlich einzubringen und für buddhistische Werte einzustehen. Der eine oder andere mag bereits von Geburt an Teil einer buddhistischen Familie sein. Andere haben vielleicht asiatisch-buddhistische Ehepartner. Wieder andere sind konvertiert und befinden sich dadurch tagaus, tagein in einer interreligiösen und vielleicht auch interkulturellen Beziehung. Etwa die Hälfte der Buddhisten in Deutschland sind gebürtige Deutsche und möchten, dass der Buddhismus hier heimisch wird, eine Art deutscher oder europäischer Buddhismus entsteht. Aber was bedeutet das konkret? Hier gilt es zu bedenken, dass der Buddhismus innerhalb Indiens eine rund 1500 Jahre lange Geschichte durchlaufen hat und sich im Laufe der Jahrhunderte entsprechend dem jeweiligen Entwicklungsstand in Indien in verschiedene kulturelle Kontexte hineinentwickelte und somit unterschiedliche Inkulturationsprozesse durchlaufen hat. Deshalb spricht man in Expertenkreisen mitunter von verschiedenen "Buddhismen".

Man kann sich nicht einerseits auf die Menschenrechte berufen und an anderer Stelle, wenn es um die Stellung der Frau in der Religion geht, die Gleichberechtigung ignorieren. Das ist ein Punkt, der für alle Traditionen des Buddhismus gilt.

Der Buddhismus hat sich in Deutschland längst auch als Religion etabliert. Es fragt sich aber, inwieweit dies gut vorbereitet war oder mehr in Form eines Wildwuchses geschah, der nun einer Nachbesserung bedarf. Der Buddhismus beinhaltet sicherlich Aspekte, die sowohl säkular als auch für Menschen anderer Religionen eine Bereicherung darstellen. Solche Aspekte können im Sinne der Förderung der Gewaltlosigkeit, der Völkerverständigung und der Toleranz in Religion, Kultur und Gesellschaft eingebracht werden, um das gesellschaftliche Denken positiv zu beeinflussen. Dabei können meines Erachtens alle nur gewinnen und nichts verlieren.


Sie selbst haben sich ordinieren lassen und sind Nonne geworden. Das kann man als ein klares Ja zur religiösen Dimension des Buddhismus verstehen. Ist das so, oder was war für Sie ausschlaggebend, diesen Schritt zu tun?

Ja (lacht). Diese Einschätzung ist völlig richtig. Als Nonne kann man schlecht verbergen, Buddhistin zu sein. Da gibt es also kein "Oder". Ich habe noch den Tagebucheintrag von dem Tag meiner Ordination zur Sramanerika (Novizin). Es war der erste Tag des achten tibetischen Monats des Eisenvogel-Jahres um 15 Uhr, nach westlichem Kalender der 29. September 1981, etwa anderthalb Jahre, nachdem ich Buddhistin geworden war. Da steht: "Ich möchte völlige Entsagung erreichen." Das schien mir damals wesentlich einfacher als heute. Inzwischen wäre ich schon froh, wenn sich das Ergebnis in zukünftigen Leben einstellen würde. Ich gehe aber nach wie vor davon aus, dass es möglich ist, einen solchen Zustand zu erreichen. Darüber hinaus wollte ich keine halben Sachen machen. Ich wollte mein Leben voll und ganz dem Buddhismus widmen. Es war Berufung im religiös-spirituellen Sinn. Kurz nachdem ich zum Buddhismus übergetreten war, reiste ich für drei Monate nach Indien und studierte dort drei Monate an der Library of Tibetan Works and Archives. Zu der Zeit bin ich auch zum ersten Mal S. H. dem Dalai Lama begegnet. Seine Bescheidenheit hat mich tief beeindruckt. So hatte ich das Glück zu sehen, wie der tibetische Buddhismus von Tibetern praktiziert wird. Was mir damals aber noch nicht auffiel, war: Für Frauen ist der Weg im Buddhismus besonders steinig.


Sie sind seit vielen Jahren im tibetischen Buddhismus zu Hause. Gibt es Punkte, an denen er Ihnen fremd geblieben ist?

Das ist schwierig zu sagen. Ein Tibeter hat mal zu mir gesagt, ich würde zu 70 Prozent wie eine Tibeterin denken. Das ist wohl der Unterschied zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung. Es war mir schon früh klar, dass ich als Deutsche in gewisser Weise immer eine Fremde bleiben würde. Daran gemessen habe ich doch relativ viel Anerkennung und Hilfestellung erfahren; wohl auch, weil ich 25 Jahre lang die Flüchtlingshilfe im Tibetischen Zentrum geleitet und die tibetische Sprache und Kultur studiert habe. Da ich erst 21 war, als ich zum Buddhismus kam, hat er mich insbesondere in seiner tibetischen Ausprägung sicherlich stark beeinflusst. Und ich hatte durch die enge Zusammenarbeit mit meinem Lehrer Geshe Thubten Ngawang und unsere vielen gemeinsamen Reisen in die tibetischen Klöster im indischen Exil lange Zeit das Gefühl, zwischen zwei Kulturen zu leben. Andererseits waren für mich gerade auch mit Bezug auf die Menschenrechtsverletzungen in Tibet westliche Werte wie Demokratie und Menschenrechte immer sehr wichtig geblieben. Und diese sind universell. Man kann sich nicht einerseits auf die Menschenrechte berufen und an anderer Stelle, wenn es um die Stellung der Frau in der Religion geht, die Gleichberechtigung ignorieren. Das ist ein Punkt, der für alle Traditionen des Buddhismus gilt. Früher hätte ich gern in einem tibetischen Kloster gelebt. Aber meine Aufgaben lagen mehr in Hamburg. Heute wäre mir ein solches Leben zu starr, zu stark reguliert, zu formell und zu wenig spirituell. Ich liebe weiterhin den Lamrim, also den Stufenweg zur Erleuchtung, und die Geistesschulung. Gewaltlosigkeit, Ethik, Abhängiges Entstehen und Leerheit werden glänzend erklärt. Aber im Bereich Meditation, Lebensberatung und tantrische Praxis gibt es Klärungsbedarf durch intensiven Dialog mit der Psychologie und Pädagogik. Ich denke, dass hier Körperlichkeit und Gemeinschaft jeder Art mehr einbezogen werden müssen.


Der Buddhismus hat ja im Westen ein sehr gutes Image als tolerante, friedvolle, lebendige Religion, in der es um Werte wie Mitgefühl, Gelassenheit, Achtsamkeit, Weisheit und Mitfreude geht, nach der sich doch eigentlich alle sehnen. Blickt man genauer hin, sieht man, dass das doch zum Teil naive Wunschvorstellungen sind und der Buddhismus ähnliche Verkrustungen und Fundamentalismen aufweist, wie sie auch aus anderen Religionen bekannt sind. Wie sehen Sie das?

Ein Problem ist, wenn wir soziale Realitäten der einen Religion mit den Idealen der anderen vergleichen. Mit anderen Worten: Viele von uns Westlern sind mit den sozialen Realitäten des Christentums Vertraut. Dann lesen wir buddhistische Schriften oder hören Unterweisungen buddhistischer Meister, studieren also die Ideale des Buddhismus und vergleichen sie mit den sozialen Realitäten des Christentums. Da schneidet dann der Buddhismus sehr gut ab. Zu meinen, dass Buddhisten genauso gut wie der Buddha praktizieren, ist in der Tat ziemlich naiv. Es ist meines Erachtens sehr wichtig, die Kulturen von innen kennenzulernen, Reisen zu machen, sich mit Asiaten in einen Dialog zu begeben. Ein großes Hindernis ist die Sprache. Gerade in den Klöstern werden säkulare Studien wie das Lernen von Fremdsprachen sehr vernachlässigt. Ein weiteres Phänomen ist, dass wir bei all dem Neuen, dem wir begegnen, oft nicht unterscheiden können, was Kultur und was Religion ist. Dadurch kommt es zu den unterschiedlichsten Projektionen. Deshalb sollten wir unsere Kritikfähigkeit, unseren gesunden Menschenverstand nicht am Tempeleingang ablegen, sondern mit hineinnehmen. Weder sollten wir uns die Dinge schönreden noch vorschnell urteilen. Es gibt Wundervolles zu entdecken, aber in der Tat auch Dinge, die wir besser dort lassen sollten, wo sie sind, und nicht importieren.


Welche verkrusteten (patriarchalen, hierarchischen) Strukturen des Buddhismus sind vielleicht mittlerweile auch bei uns im Westen angekommen und werden auch bei uns kaum hinterfragt?

Ein großes Problem sehe ich in den asiatischen Hierarchien und Höflichkeitsformen, die so nicht auf den frühen Buddhismus zurückgehen und so auch nicht auf moderne demokratische Gesellschaften übertragbar sind. Meines Erachtens war der Buddhismus in seiner ursprünglichen Form nicht so hierarchisch. Und selbst wenn, hieße das nicht, dass er so bleiben muss und nicht in der Lage ist, sich einem neuen Kontext und anderen Gesellschaftsformen anzupassen. Das ist er durchaus. Der Buddhismus hat dies in der Vergangenheit mehrfach bewiesen.

Der Buddhismus hat sich in Deutschland längst auch als Religion etabliert. Es tragt sich aber, inwieweit dies gut vorbereitet war oder mehr in Farm eines Wildwuchses geschah, der nun einer Nachbesserung bedarf.

Der Buddha selbst hat das in Indien vorherrschende Kastensystem abgelehnt. Um die Probleme klar erkennen zu können, ist es nötig, sich jede Tradition und jedes Land, in dem der Buddhismus prägenden Einfluss erlangt hat, gesondert anzuschauen. Aus meiner Arbeit mit Tibetern im Exil ist mir klar, dass die Exiltibeter, allen voran S. H. der Dalai Lama und Samdhong Rinpoche, sich seit den 1960er-Jahren für eine Demokratisierung der tibetischen Gesellschaft stark machen. Dabei geht es nicht nur um die Abschaffung der stark patriarchalen Strukturen, wie sie vergleichbar auch in der katholischen Kirche und dem Vatikan zu finden sind, sondern darüber hinaus ebenso um die Neuordnung der Beziehung zwischen Klerus und Laien und die Trennung zwischen Staat und Kirche. Hier sind meines Erachtens innerhalb des Buddhismus Reformen nötig, die sich stärker an der jeweiligen Qualifikation und nicht an dem Status als Laie, Mönch oder Nonne orientieren sollten. Ich habe keine festen Vorstellungen, wie ein Klosterleben im Westen heute aussehen könnte. Im Grundsatz denke ich, ähnlich wie das S. H. der Dalai Lama einmal in einem Interview mit Buddhismus aktuell gesagt hat, dass man sich hier in Europa an der Struktur christlicher Klöster orientieren sollte. Das gilt nicht nur im Hinblick auf die finanzielle Eigenständigkeit der Klöster, sondern auch im Hinblick auf die geordnete Eingliederung der Ordensmitglieder in das jeweils gültige Sozialversicherungssystem. Wir können nicht zu mittelalterlichen Strukturen zurückkehren.

Darüber hinaus meine ich, dass ausländische Lehrende, die hier lehren möchten, unsere Sprachen lernen müssen und sich nicht kontinuierlich auf Übersetzer stützen und eine hauswirtschaftliche Rundumbetreuung erwarten können. In den Köpfen vieler Praktizierender scheint es eine Art hollywoodreifes Meister-Schüler-Klischee zu geben, in der Art, dass man schnell große spirituelle Fortschritte macht, wenn man alles tut, was der Meister sagt. Doch wenn der Meister in ein fremdes Land kommt und sich nicht auskennt und der eine nicht die Sprache des anderen spricht, können gegenseitige Projektionen und Erwartungen desaströse Folgen haben.

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Quelle:
Buddhismus aktuell, Ausgabe 3/2014, S. 32-36
Herausgeberin: Deutsche Buddhistische Union (DBU)
Buddhistische Religionsgemeinschaft e.V.
www.buddhismus-deutschland.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Dezember 2014