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PRESSE/999: Berliner Buddhismus und ein paar Tassen Tee (inta)


inta Nr. 6 - Juni 2015
Interreligiöses Forum

Berliner Buddhismus und ein paar Tassen Tee

von Carmen Häcker


Als verantwortliche Redakteurin für den Schwerpunkt Buddhismus in diesem Heft hat sich die Pfarrerin Carmen Häcker auf den Weg gemacht. Ganz persönlich beschreibt sie, welchen Buddhismus sie in Berlin entdeckt und erzählt von den verschiedenen, Menschen, denen sie dabei begegnet. Ihre Assoziationen zu möglichen Gemeinsamkeiten zum Christentum fließen in diesen "Reisebericht" mit ein.


Vorbemerkung

Ich bin evangelische Pfarrerin, ich lebe und arbeite seit drei Jahren in Berlin. Mit den Kirchen, christlichen Gemeinden und Kolleg_innen kenne ich mich inzwischen ein bisschen aus. Für Judentum und Islam interessiert man sich als engagierte Theologin sowieso - das ist Ehrensache. Auf den Buddhismus in der deutschen Hauptstadt bin ich erst in den letzten Wochen aufmerksam geworden, weil ich ihn ganz bewusst gesucht habe.

Sri Lanka in Berlin-Frohnau

Meine Recherche beginnt im Buddhistischen Haus Frohnau. Ich habe gehört, dass es dort "super" sei, wenn man mit einer Gruppe einen ersten Eindruck vom Buddhismus bekommen möchte. Sehr schön ist schon mal, dass ich in der S-Bahn entspannt bis zur Endstation fahren kann. Jana Gottert begleitet mich mit ihrer Fotokamera, um Bilder für diese Ausgabe zu machen. Auf einem kurzen Fußweg lassen wir die letzten Reste der Stadt hinter uns und entdecken bald den Tempelhügel, den ich mir so auch irgendwo in Südasien vorstellen kann. Schon am Fuße des Hügels ist ein exotisch dekoriertes, offenes Tor, das auf eine Treppe, hoch zum Buddhistischen Haus weist. Wir sind schüchtern. Hätten wir uns nicht doch lieber anmelden sollen? Ob überhaupt offen ist? Diese Bedenken sind zwar irgendwie typisch für uns, passen jedoch keineswegs zu diesem Tempel.

Als wir klopfen, öffnet uns eine freundliche Dame, die wir offensichtlich beim Putzen unterbrechen. Sie deutet auf die Hausschuhe und macht keinerlei Anstalten, irgendetwas von uns wissen oder haben zu wollen. Langsam tasten wir uns vor und fühlen uns mehr und mehr willkommen. Es gibt einen Meditationsraum, der auf eine Buddha-Statue ausgerichtet ist, ein Toilettenhäuschen im Freien, eine Bibliothek mit sehr alten und sehr neuen Büchern. Wenn man mit einem Mönch reden möchte, solle man klingeln, steht auf Englisch auf einem Zettel bei der Klingel, und geschlossen wird um 18 Uhr abends. Irgendwas hat das hier mit Sri Lanka zu tun und vor nicht allzu langer Zeit muss hier eine Party gewesen sein.

Wir klingeln, ein Mönch, der eine braune Daunenweste über seiner Robe trägt, taucht auf. Ob wir Englisch könnten, ja - und wir setzen uns in die Bibliothek. Wie eine Schülerin sitze ich dem Meister gegenüber, in sicherer Entfernung an einem eigenen Tisch. Ja, sie seien alle aus Sri Lanka. Nur ordinierte Mönche, die hier leben, nur Männer. Zu Festen kommen sie dann alle, die Landsleute, die in Berlin wohnen. Jaja, neulich an Silvester, waren viele Leute da und Schulklassen kommen auch häufig. Hochzeiten? Gab es hier auch schon. Nein, an eine Beerdigung kann er sich nicht erinnern. Würden sie aber machen, klar, wenn einer fragt.

Ich frage neugierig nach, wie mein eigenes urbanes Leben spiritueller werden könnte? Na, da müsse ich mich eben an die fünf buddhistischen Regeln halten: 1. Nicht töten, 2. Nicht stehlen, 3. Enthaltsam sein (gilt nur für ordinierte), 4. Nicht lügen, 5. Keinen Alkohol trinken und keine Drogen nehmen. Das ist alles? Ja, das scheint für mich heute hier alles zu sein, denn der Mönch wiederholt die fünf Regeln genau so kurz und bündig, wie er sie mir bereits einmal genannt hat, noch einmal, schaut mich herausfordernd an und ich höre Jana hinter ihrer Kamera in der Ecke kichern.

Auf der Suche nach buddhistischen Frauen

Ein paar Tage später bin ich mit der Berliner Buddhistin Irmi Jeuther zum Frühstück verabredet. Sie ist in Deutschland christlich aufgewachsen, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Buddhismus und beantwortet geduldig meine vielen Fragen. Ja, viele buddhistische Bewegungen und Initiativen in Berlin haben nichts mit Migranten zu tun, der Feminismus ist ein wichtiges Thema für sie und das mit dem Meditieren bringe nur etwas, wenn man dadurch nicht besser, gelassener oder schöner werden möchte. Schade, ich hätte gerne ein Rezept mitgenommen, was ich jetzt vielleicht als nächstes tun könnte um selbst besser, gelassener, schöner und buddhistischer zu werden. Was ich mitnehme sind noch mehr Fragen über diese fremde Religion; die irgendwie keine sein zu wollen scheint, und ein paar Namen von buddhistischen Frauen in Berlin.

Ich suche im Internet nach den Namen, finde unzählige buddhistische Zentren, Gruppen, Seminare und verliere mich im buddhistischen Netz dieser abendländischen Stadt. Vieles verstehe ich nicht, das liegt auch an den Begriffen aus dem Pali und Sanskrit, die mir noch nie begegnet sind. Ich bräuchte ein Wörterbuch ... finde tatsächlich eine ausführliche Liste buddhistischer Begriffe auf der Seite der Buddhistischen Akademie in Berlin Brandenburg und drucke sie mir aus. Die Akademie bietet eine Art Volkshochschulprogramm, das sich um verschiedenste Formen des Buddhismus, um Mitgefühl, Poesie, Ethik, Zen und Spiritualität dreht. Es gibt Reihen, Kurse, Wochenend- und Abendangebote.

Ein Guru, ein Vorbild für mich selbst?

Ich schaue mir die Porträtfotos der Einladenden an. Ob da eine Lehrerin oder ein Lehrer für mich dabei ist? Das hätte ja schon etwas. Ich stelle mir vor, einen Guru zu haben: Jemand, an deren Lippen man hängt, wenn sie unterweist, die einen beim Sitzen sanft an der Schulter berührt und vom Einschlafen abhält, eine, die in schwierigen Situationen die ultimative Lösung individuell für mich in einem Satz formuliert. Aber das wäre wohl eine zu einfache Lösung.

Begegnung mit einer buddhistischen Redakteurin

Ich treffe mich mit Ursula Richard, Chefredakteurin von "BUDDHISMUS aktuell". Ich habe die neueste Ausgabe im Bahnhofs-Zeitungsladen gefunden und gleich im Zug durchgelesen. Es ging um Gemeinschaft. Ich musste oft an den einen Leib Christi denken, durch welchen wir alle eins sind. Um den ging es im Heft allerdings überhaupt nicht.

Ursula Richard ist eine sehr freundliche und beruhigend normale Frau. Die meiste Zeit lässt sie mich einfach selbst reden, scheint über manche meiner Buddhismus-Beobachtungen amüsiert, beantwortet alle meine Fragen und legt mir immer wieder ein Buch, einige Flyer, weitere Hefte und den Berliner Buddhismus-Veranstaltungskalender (BUBB) neben meine Teetasse. Ich gestehe Frau Richard meine Faszination am Buddhismus und an vielen anderen Religionen. "Vielleicht sind Sie ja religiös mehrsprachig." Es gäbe ja etliche Christ_innen, sogar Pfarrer_innen oder Priester, die sich zum Beispiel für den Zen-Buddhismus interessieren oder sogar als Zen-Lehrer_innen aktiv sind. Ich kann es nicht lassen und frage sie: "Sind Sie Buddhistin?" Sie scheint sich nicht unbedingt festlegen zu wollen. Es ist ihr wohl nicht so wichtig.

Buddhismus am Alexanderplatz

Ich sitze im Café des Lotos-Vihara-Zentrums. Während meiner Ausbildung zur Pfarrerin war ich hier schon einmal. Der aktuelle spirituelle Leiter des Zentrums Dr. Wilfred Reuter ist auch unter Christ_innen bekannt. Das mag daran liegen, dass sich ein Pfarrer in der Nähe für das Zentrum interessiert und immer wieder den Kontakt und Möglichkeiten zur Zusammenarbeit sucht. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass es ein sehr schöner, offener Ort ist. Das Lotos-Vihara-Zentrum scheint wie andere Orte religiöser Andacht zu funktionieren, die mir bekannt sind. Die Mitglieder haben nach meinem Eindruck unterschiedlich starke Verbindungen zum Zentrum, und das Ritual an jedem Sonntagabend ähnelt auf seine Weise einer Art Gottesdienst.

Dr. Wilfried Reuter taucht auch im Programm der Buddhistischen Akademie auf, die sich für ihre Veranstaltungen rund um das Thema Buddhismus meist in den Räumen des Lotos-Vihara einmietet. In der Mitte des kiesbedeckten Innenhofs steht etwas rundes Hohes mit kleinen Stufen und glatt und kugelig oben. Ich lerne, dass es sich um eine Stupa handelt, ein traditionelles buddhistisches Symbol, in dem oft auch Reliquien von buddhistischen großen Meistern oder Heiligen aufbewahrt sind. In einer Ecke unter einem Strauch ist eine Buddha-Figur. Durch die Fenster kann ich in die unterschiedlichen Räume schauen. Ich sehe den großen, hellen, mit Teppich ausgelegten Meditationsraum. Alles ist auf einen bunt geschmückten Altar ausgerichtet. Man soll die Schuhe ausziehen, einem Vortrag lauschen, sitzen, meditieren, die Gedanken vorbei ziehen lassen, dann vielleicht Fragen stellen. Es gibt auch die Möglichkeit im Zentrum zu übernachten und einen Einzel-Retreat zu machen. Das erinnert mich an eine Einkehrzeit im Kloster, und ich erwische mich, dass ich permanent Vergleiche mit den christlichen Kirchen mache, da diese eben meine religiöse Sozialisation ausmachen.

Vietnamesischer Tempel in Berlin-Spandau

Das Kontrastprogramm finde ich in Berlin-Spandau. Schon von weitem sticht der mit bunten Fahnen übersäte, vietnamesische Tempel, die Pagode Linh Thuu, aus dem Grau der langweiligen Vorstadt-Siedlung hervor. Der Eingang führt durch einen kunstvoll angelegten Garten mit Statuen, einem Brückchen, viel Kiesel, hübschen Tischen und Stühlen. Es ist Samstag, hier tobt das Leben. Freundliche Vietnames_innen huschen um die Ecken, versammeln sich in Gruppen, strahlen, freuen sich, feiern. Das große Foyer ist komplett gefliest, auf Theken sind die unterschiedlichsten Nahrungsmittel ausgebreitet, es duftet nach Reis, an der Wand stehen Schuhregale, hinten in der Ecke ist ein kleiner Laden. Im Stockwerk darüber befindet sich eine imposant große, goldene Buddha-Statue. Sie ist mit vielen Blumen geschmückt, der Altar, auf dem sie steht wirkt lebendig, ständig verändert jemand etwas daran, der Buddha wird umsorgt und gepflegt. Weiter hinten im Raum gibt es nochmal so eine Insel, die wie ein" Altar wirkt. Auch dieser ist kunstvoll dekoriert und ich glaube, von den kleinen Wasserflaschen kann man sich eine mitnehmen. Ob das Wasser heilig ist? Auch hier ist ein Kommen und Gehen und Gewusel. Dann beginnt die Zeremonie. Eine Nonne übernimmt die Leitung, es wird gesessen, gestanden, sich verneigt, gesungen und angebetet. Plötzlich nehmen alle Mitfeiernden einen Plastikhocker, auf welchem sie das "Gesangbuch" (wahrscheinlich heißt es anders) ablegt. Es scheint tatsächlich so, als sei Buddhismus eine Religion. So erlebe ich es zumindest hier in den beobachteten Gesten.

Buddhistischer Religionsunterricht

Nicht zuletzt gibt es die Buddhistische Gesellschaft Berlin e. V. (BGB). Im BUBB-Veranstaltungskalender finde ich: Mittwoch 17:00 - 18:30 Uhr: Möglichkeit zur Information und Buchausleihe. Ich mache mich also auf den Weg nach Steglitz. Mich interessiert auch der buddhistische Religionsunterricht, der von der BGB durchgeführt wird. Renate Noack, die einzige buddhistische Religionslehrerin Berlins öffnet mir, bittet mich herein, verschafft mir einen Überblick über Empfang, Meditationsraum, Büro und hat Zeit für eine Tasse Tee. Ob man Buddhistin sei, könne der Senat nicht prüfen, man brauche eben zwei Staatsexamen (und ein Fach, das Buddhistischen Studien ähnelt - das Fach gibt es in Berlin nicht, aber z. B. in Hamburg - hier sollte es dann wenigstens Philosophie oder Religionswissenschaften sein). Das Studium, so Renate Noack, hat immer Freude gemacht! Mit den Älteren trifft sie sich noch immer regelmäßig. Sie erzählen dann sehr viel, das sei ihnen sehr wichtig. Und auch den Kleinen kann man Siddharthas Leben erzählen, über die fünf ethischen Regeln reden und Konzentrationsübungen machen. Nein, Kinder mit asiatischem Hintergrund kommen weniger, für die hat ihre Religion in der Schule weniger den Platz, sie lernen eher in ihrer jeweiligen Gemeinde. Aber muslimische Kinder habe sie gehabt und zwei Kinder aus wahrscheinlich christlichem Elternhaus wollten dann auch buddhistisch werden, das war ihnen sehr ernst.

Ob ich mit meinen zwei kirchlichen Examen wohl auch buddhistischen Religionsunterricht geben dürfte? Mich reizt die Idee, am Buddhismus dran zu bleiben, noch viele Tassen Tee mit diesen Menschen zu trinken, die nicht zufällig religiös, sondern sehr reflektiert und wache Zeitgenossen sind. Danke Berlin für deinen Buddhismus.


Carmen Hacker (Jg. 1983) studierte Theologie in Tübingen, München und in Kiel. Heute arbeitet sie als Pfarrerin in Berlin und ist im interreligiösen Dialog aktiv.

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Quelle:
inta - Interreligiöses Forum, Nr. 6 - Juni 2015, S. 10 - 12
2. Jahrgang
Herausgeber und Verleger: Schlangenbrut e.V.
Lupoldstr. 52, 45881 Gelsenkirchen
Telefon: 02 09 - 35 98 98 14, Fax: 02 09 - 35 98 81 27
E-Mail: info[at]inta-forum.net
Internet: http://www.inta-forum.net


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Oktober 2015

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