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AFRIKA/029: "Von der ganzen Welt vergessen" - Ein Besuch in Yamio im Sudan (ÖRK)


Ökumenischer Rat der Kirchen - Feature vom 21. April 2008

"Von der ganzen Welt vergessen" - Ein Besuch in Yambio im Sudan

Von Juan Michel (*)


Metropolit Dr. Zacharias Mar Theophilus von der Syrischen Mar-Thoma-Kirche von Malabar in Indien war Mitglied eines ökumenischen Teams, das vor kurzem Yambio im Südsudan besucht hat. Yambio, die Hauptstadt des Bundesstaates West-Äquatoria, liegt nahe der Grenze zur Demokratischen Republik Kongo mitten in einem grünen, fruchtbaren Gebiet. "Aber die Menschen, die wir dort getroffen haben, haben das Gefühl, von allen vergessen zu werden", berichtet Metropolit Theophilus, "vergessen von Khartum, vergessen von Juba, vergessen von der ganzen Welt."

Khartum, die Hauptstadt Nordsudans, und Juba, die Hauptstadt Südsudans, sind nicht nur durch 1700 Kilometer voneinander getrennt, sondern auch durch einen 21-jährigen Bürgerkrieg, der tiefe Wunden hinterlassen hat. Der Konflikt zwischen dem vorwiegend muslimischen Norden und dem mehrheitlich christlichen Süden forderte rund 2 Millionen Menschenleben, und mehr als 4 Millionen Menschen wurden zu Binnenvertriebenen.

Das im Januar 2005 unterzeichnete Umfassende Friedensabkommen beendete zwar den Krieg, aber nicht die Probleme. Eines dieser Probleme, und nicht das geringste, ist die Umsetzung der vielen kontroversen Punkte des Abkommens selbst, wie Grenzverlauf, Aufteilung der Ölgewinne und angemessene Vorbereitung einer Volkszählung und von Wahlen.

Yambio liegt in einem vorwiegend landwirtlichen Gebiet und hat weniger als andere Regionen unter dem Krieg gelitten. Allerdings treten sporadisch Spannungen zwischen dem Volksstamm der Zande, das hier angesiedelt ist, und den Vieh züchtenden Dinka auf, die als Vertriebene hierher gekommen sind. Ein weiteres Problem stellt die Präsenz der ugandischen Widerstandsarmee des Herrn dar. Diese Rebellenbewegung ist für ihre Grausamkeit bekannt. Der Internationale Strafgerichtshof hat ihre Führer wegen Kriegsverbrechen angeklagt, die sie während des 21-jährigen Krieges gegen die ugandische Regierung begangen haben.

Ein Mitglied des ökumenischen Teams erklärte: "Yambio könnte ein Paradies sein, aber unter den gegenwärtigen Umständen ist es die Hölle."

Das fünfköpfige Team, das Yambio besucht hat, war Teil einer größeren internationalen ökumenischen Delegation, die vom Ökumenischen Rat der Kirchen und der Gesamtafrikanischen Kirchenkonferenz zu einem Solidaritätsbesuch in den Sudan entsandt wurde. Vom 26.-31. März reisten, zusätzlich zu dem Yambio-Team, drei weitere Teams nach Khartum, Darfur und Rumbek, bevor die ganze Delegation zusammen mit 80 sudanesischen Kirchenvertretern/innen - leitenden Kirchenverantwortlichen, Frauen und Jugendlichen - in Juba an einer dreitägigen Konferenz teilnahm. Ziel der Besuche und der Konferenz war es, die Sorgen und Hoffnungen der sudanesischen Kirchen kennen zu lernen und die Solidarität der ökumenischen Familie mit den Kirchen und Menschen im Sudan zum Ausdruck zu bringen.


FRAGE: Was hat Sie bei diesem Besuch am meisten berührt?

ANTWORT: Die Situation, in der die Menschen leben. Sie haben immer noch Angst und wegen der Angriffe der Widerstandsarmee des Herrn leben sie in ständiger Unsicherheit. Viele Menschen schlafen im Busch, sie können ihre Kinder nicht zur Schule schicken. Auf der anderen Seite waren die Kirchen voll und es herrscht ein tiefes Gemeinschaftsgefühl. Die einzige Hoffnung der Menschen ist die Kirche. Deshalb war dieser Solidaritätsbesuch etwas, was sie gestärkt hat, was ihnen Mut und Hoffnung gegeben hat.

FRAGE: Wie wirkt sich die Präsenz der Widerstandsarmee des Herrn aus?

ANTWORT: Sie dringen aus Uganda in das Gebiet von Yambio ein, töten Menschen und greifen junge Mädchen an. Selbst der katholische Bischof ist in Gefahr. Vor unserem Besuch war ich über das, was hier geschieht, nicht informiert, erst nachher habe ich das Ausmaß des Problems verstanden. In den Medien erfahre ich immer nur, was in Darfur geschieht. Aber das Land ist mit anderen riesigen Problemen konfrontiert, wie der Umsetzung des Umfassenden Friedensabkommens. Das ist nicht leicht. Ich kann daher sagen, dass unser Besuch mir die Augen geöffnet hat.

FRAGE: Welches Problem muss Ihrer Meinung nach am dringendsten gelöst werden?

ANTWORT: Das Gesundheitsproblem. Viele Menschen haben HIV/AIDS. Die Kirche und die Gesellschaft sollten dieses Problem zusammen mit der Regierung und den Hilfswerken angehen. Es gibt auch Fälle von Mangelernährung. Die Menschen brauchen Krankenhäuser und Gesundheitspersonal.

Ein anderes wichtiges Anliegen ist die Ausbildung. Die Kirchen sollten sich in diesem Bereich stärker engagieren. Sie sollten technische und fachliche Ausbildung fördern und die Regierung sollte diese Anstrengungen finanziell unterstützen. Die Menschen brauchen Schulen und eine Universität. Derzeit müssen diejenigen, die eine Hochschulausbildung anstreben, ins benachbarte Uganda oder nach Juba, der Hauptstadt Südsudans, gehen. Die hohe Arbeitslosenrate ist eine Folge mangelnder Ausbildung. Eine Rolle spielt dabei natürlich auch die fehlende Infrastruktur. Auch hier muss etwas getan werden.

In Yambio arbeiten Regierung und Kirchen gut zusammen. Das sollte auf alle Regionen ausgedehnt werden.

FRAGE: Wie kann Ihre Kirche, die so weit weg ist, den Kirchen im Sudan helfen?

ANTWORT: Seit mehreren Jahren schon beten wir für den Sudan. Das Gebet ist ein sehr machtvolles Instrument, es entfaltet eine große Kraft, die Dinge verändern kann. Sobald ich wieder zuhause bin, werde ich in unserer Kirchenzeitschrift über das berichten, was ich hier gesehen habe, und die Menschen aufrufen, zu beten und für den Frieden zu arbeiten.

Es stimmt, dass wir aus der Ferne nicht viel tun können, aber wir können Initiativen des Ökumenischen Rates der Kirchen unterstützen, wie z.B. sein Engagement bei der Umsetzung des Umfassenden Friedensabkommens. Wir können auch Lehrer entsenden - wir haben viele Lehrer - und vielleicht einige Ärzte. Es sollte Möglichkeiten geben, wie wir mit den Kirchen im Sudan in Beziehung treten können.

FRAGE: Was nehmen Sie von diesem Besuch mit nach Hause zurück?

ANTWORT: Obwohl die Menschen in Yambio unter sehr schwierigen Bedingungen und n Unsicherheit leben, hilft das Gemeinschaftsgefüge in ihrem Dorf ihnen doch, sich gegenseitig zu unterstützen. Nicht die Armee, sondern die Liebe und Fürsorge der Menschen schenken ihnen Sicherheit. Das ist etwas, was die heutige Welt lernen sollte. Wenn wir von Sicherheit sprechen, denken wir an schwere Waffen, aber die größte Sicherheit spüren wir, wenn wir Teil einer Gemeinschaft sind, in der die Menschen einander lieben und sich gegenseitig helfen. Deshalb müssen wir von diesen Dörfern lernen, dass unsere Sicherheit letztlich in den Händen Gottes und einer Gemeinschaft der Liebe liegt. Es ist der Hass, der Unsicherheit schafft, und die Liebe, die Sicherheit schenkt. Das ist etwas, das wir lernen müssen.


(*) Juan Michel, ÖRK-Medienbeauftragter, ist Mitglied der Evangelischen Kirche am La Plata in Buenos Aires, Argentinien.

Weitere Berichte und zusätzliche Informationen über den Besuch:
http://gewaltueberwinden.org/index.php?id=5734&L=2

ÖRK-Mitgliedskirchen im Sudan
http://www.oikoumene.org/en/member-churches/regions/africa/sudan.html

Die Meinungen, die in ÖRK-Features zum Ausdruck kommen, spiegeln nicht notwendigerweise die Position des ÖRK wider. Dieses Material kann mit freundlicher Genehmigung des Autors nachgedruckt werden.

Der Ökumenische Rat der Kirchen fördert die Einheit der Christen im Glauben, Zeugnis und Dienst für eine gerechte und friedliche Welt. 1948 als ökumenische Gemeinschaft von Kirchen gegründet, gehören dem ÖRK heute mehr als 347 protestantische, orthodoxe, anglikanische und andere Kirchen an, die zusammen über 560 Millionen Christen in mehr als 110 Ländern repräsentieren. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit der römisch-katholischen Kirche. Der Generalsekretär des ÖRK ist Pfr. Dr. Samuel Kobia, von der Methodistischen Kirche in Kenia. Hauptsitz: Genf, Schweiz.


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Quelle:
Feature vom 21. April 2008
Herausgeber: Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK)
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E-Mail: ka@wcc-coe.org
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. April 2008