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AFRIKA/035: Die "Dritte Kirche" in Afrika und ihre Kreuzzüge (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion 6/2008

Spiritueller Kampf um öffentlichen Raum
Die "Dritte Kirche" in Afrika und ihre Kreuzzüge

Von Andreas Heuser


Afrika wird innerhalb weniger Jahrzehnte das spirituelle Zentrum der Weltchristenheit sein. Dabei verwischen sich in der christlichen Alltagskultur die klassischen Unterschiede zwischen Kirchen und Konfessionen. So genannte Crusades (Kreuzzüge) sind dabei typisch für die Glaubenswelt afrikanischer Kirchen.


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Im Verlaufe des 20. Jahrhunderts ereignete sich eine der bislang stärksten Veränderungen in der Verbreitung der Religionen im globalen Maßstab. Vor allem die Christianisierung der subsaharischen Länder führte zu einer unumkehrbaren religionsgeographischen Verlagerung des Christentums, die der kirchlichen Landschaft des Südens eine stetig wachsende Bedeutung verleiht. Welches theologische wie kirchliche Profil nimmt das Christentum in Afrika an?

Folgende Episode, die sich während meines letzten Besuchs in Ghana ereignete, gibt dazu einige Hinweise: Eines Nachmittags näherte sich mir auf den Straßen Kumasis, der alten Königsstadt der Asante, ein junger Künstler. Er bot mir einige seiner Bilder zum Kauf an. Als ich mich im Verlauf des Gesprächs als evangelischer Pfarrer aus Deutschland zu erkennen gab, änderte sich sogleich der Gesprächsfaden. "Oh, dann sind Sie also einer jener charismatischen Evangelisten und kraftvollen Glaubensheiler aus Übersee, die uns den Glauben lehren!"

Beinahe euphorisch deutete er auf die überdimensionierten Fahnen, Stoffbahnen und majestätischen Plakate, die den Straßenzug säumten; sie kündeten von kurzfristig bevorstehenden Ereignissen kirchlichen Lebens, wiesen auf Großevangelisationen oder Gebetswochen hin.

Die Botschaften, für die sie warben, priesen "Wunder" wirkende Evangelisten und vollmächtige Prediger des "wahren Glaubens", versprachen "Heilung" oder "neues Leben" und den ultimativen Sieg über Satan und dessen zerstörerische Kräfte. Es waren dies also strategisch platzierte Träger einer visualisierten Theologie. Mehr noch: Solche Fahnen und Werbetafeln verweisen auf einen religiösen Kampf um den öffentlichen Raum. Ihre Verbreitung in der Stadt ist einfach und schnell möglich. Aufgestellt an den Verkehrsadern erreichen sie in kurzer Zeit einen großen Teil der Bevölkerung. Wie in Kumasi prägt die Allgegenwart dieser visualisierten Theologie die urbane Topographie in praktisch allen Metropolen des subsaharischen Afrika.

Als sich mein Blick wieder dem Künstler zuwandte, verneinte ich und wies ihn daraufhin, dass mein Aufenthalt in Ghana im Rahmen einer ökumenischen Kirchenpartnerschaft mit der ältesten protestantischen Kirche im Land stehe, der Presbyterian Church of Ghana, deren geschichtliche Wurzeln in die deutsch-schweizerische Missionsbewegung des 19. Jahrhunderts zurückgehe. Mit der internationalen charismatischen Kirchenszene habe das freilich nichts zu tun.

Unbeirrt durch meinen Einwand fuhr mein Gesprächspartner fort: "Ich bin auch Christ, gehöre der Apostolic Church (einer der klassischen Pfingstkirchen in Ghana) an." Dann fragte er recht unvermittelt: "Können Sie für mich beten?" - eine nicht allzu übliche Anfrage an einen Pfarrer in den Straßen Deutschlands. Ich betete für ihn, während weitere Passanten ihres Wegs zogen. Wenige Wochen später traf ich den Künstler zufällig wieder, und er teilte mir überglücklich mit, er habe ein Stipendium erhalten, das ihm erlaube, sich als Kunststudent an der Universität Kumasi einzuschreiben. Er insistierte darauf, dass meine Fürbitte und sein persönlicher Erfolg in einem direkten, kausalen Zusammenhang stünden.


Dem Christentum in Afrika eignet eine transnationale Dimension

Diese Erfahrung erhellt einige der zentralen Themen, die derzeit im (west-)afrikanischen Christentum verhandelt werden. Zunächst verschmelzen in der christlichen Alltagskultur die klassischen Unterscheidungsmerkmale zwischen den Kirchen. Konfessionelle Loyalität, das Bestehen auf religiöser Differenz erscheint wenig sinnvoll.

Mit großer Selbstverständlichkeit fusioniert das Vokabular von historischen und charismatischen oder Pfingstkirchen und findet zu einer gemeinsamen Formensprache des Glaubens. Sodann erscheint der Habitus von Pfarrern recht stereotyp; unabhängig von konfessioneller Prägung spielen sie eine uniforme Rolle als Kommunikatoren existentieller Bedürfnisse und als Mediatoren von individuellem Erfolg und Wohlergehen, von - im weitesten Sinne - Heilung.

Ferner ist die persönliche Glaubenshaltung eine öffentliche Sache, nicht etwa eingegrenzt auf die private Sphäre. Christlicher Glaube wird ausgelebt und verhandelt auf den Wegen des Alltags. Und schließlich eignet dem Christentum in Afrika eine transnationale Dimension. Die lokale Form des Glaubens verfügt über die Kapazität, die von außen einwirkenden theologischen Diskurse zu kontrollieren.

Ungeachtet meiner Einrede gemeindete mich mein Gesprächspartner in die Riege jener "charismatischen Evangelisten und kraftvollen Glaubensheiler aus Übersee" ein, die kommen, um rechten Glauben und gute Theologie zu lehren. Daraus ergibt sich ein doppeltes Argumentationsmuster: Auf der einen Seite wird den überseeischen Repräsentanten einer jedweden Kirche der Status von machtvollen Predigern zugeeignet beziehungsweise wird deren geistlicher Begabung von vorneherein eine besondere, außergewöhnliche Qualität zugesprochen. Auf der anderen Seite jedoch werden theologische oder kulturelle Importe streng in der Grammatik des lokalen Christentums interpretiert. So wurde ich Zeuge eines Geschehens, das seit einigen Jahren mit zunehmender Plausibilität diskutiert wird, nämlich die Herausbildung einer Christenheit, die sich als so genannte "Dritte Kirche" verstehen lässt.

Die These von der Entstehung einer "Dritten Kirche" jedenfalls vertritt der in Philadelphia lehrende Religionswissenschaftler und Theologe Philip Jenkins. Ausgehend von religionsdemographischen Daten sieht er das Christentum als die Religion des 21. Jahrhunderts. In Jenkins religiösem Panorama erhält Afrika dabei einen besonderen Status. Afrika wird innerhalb weniger Jahrzehnte das spirituelle Zentrum der Weltchristenheit sein; ein dramatischer Umbruch in der christlichen Welt, den Beobachter aus dem Westen bisher kaum wahrhaben wollen.

Die Formen, die dieses afrikanische Christentum annimmt, werden laut Jenkins nicht mehr vom Norden vorgegeben. Diese Kirche wird keine Kopie der westlichen Großkirchen noch der Orthodoxie sein - sie ist die "Dritte Kirche". Abzuwarten bleibt allerdings, wie sich die Dritte Kirche genau von den älteren Traditionen unterscheidet.

Der Missionswissenschaftler Walbert Bühlmann hatte den Begriff der "Dritten Kirche" in Analogie zur entwicklungspolitischen Debatte um die damals so genannte "Dritte Welt" eingeführt. Er machte damit auf die Gewichtsverlagerung des weltweiten Christentums aufmerksam und prognostizierte bereits eine Ära des südlichen Christentums.

Die aktuellen Daten bestätigen das seismographische Gespür Bühlmanns: Berücksichtigt man die statistischen Trends, die sich im Laufe des 20. Jahrhunderts abgezeichnet haben, werden die Gravitationszentren des Christentums eindeutig in Lateinamerika und, selbst bei konservativen Schätzungen, vor allem in Afrika liegen. Die Zuwachsraten der christlichen Weltbevölkerung sind derzeit in Afrika am höchsten, während sich beispielsweise für das christliche Abendland ein Negativtrend abzeichnet. Lag der europäische Anteil an der christlichen Weltbevölkerung im Jahr 1900 noch bei 70 Prozent, wird er bis 2025 bei Fortschreibung gegenwärtiger Zahlen auf 20 Prozent abschmelzen,

Zieht man Taufstatistiken etwa der katholischen Kirche zu Rate, ist die Gesamtzahl der jährlichen Taufen in den europäischen Kernländern Italien, Polen, Frankreich und Spanien in den letzten Jahren niedriger als die einzelner Länder wie Nigeria oder der Demokratischen Republik Kongo. Annähernd 40 Prozent dieser Taufen in Afrika sind Erwachsenentaufen. Da Erwachsenentaufen auf eine bewusste Entscheidung hindeuten, sich einer Kirche anzuschließen oder gar einen Religionswechsel vorzunehmen, lässt diese Kennziffer eine betont evangelistische Grundausrichtung des kirchlichen Lebens erahnen. Dieser Megatrend ist unabhängig von konfessioneller Zugehörigkeit zu beobachten.

Seit Mitte der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts, als die Zahl der Christen erstmals in der afrikanischen Geschichte die der Muslime übertraf, stieg der Anteil der christlichen Bevölkerung Afrikas von einem Viertel in einer bemerkenswert kurzen Zeitspanne auf derzeit nahezu 50 Prozent der Bevölkerung an. Daher gilt dieser dramatisch anmutende Wandel in der globalen Topographie des Christentums inzwischen als unstrittig und wird sich fortsetzen.


"Neue Kirchen" haben sich eine Art spirituelle Hegemonie gesichert

Das afrikanische Christentum bildet selbstverständlich keinen einheitlichen Block. Charakteristisch aber ist, dass sich quer zu den Konfessionen gemeinsame theologische Strukturelemente ausprägen, die sich in ähnlicher Glaubensüberzeugung und Religionspraxis niederschlagen. Die Trendsetter solcher übergreifender theologischer Kennzeichen sind die so genannten Neuen Kirchen Afrikas. Damit werden charismatische Kirchen und Kirchen mit neopentekostaler Tradition zusammengefasst, die sich innerhalb der vergangenen zwei Jahrzehnte eine Art spirituelle Hegemonie in der gesamtreligiösen Kultur vieler afrikanischer Länder gesichert haben.

Ihre grundlegenden Themen wie Heilung, Traumvisionen, Geisteraustreibung oder auch eine endzeitliche Botschaft strahlen in das breite Spektrum der historischen Kirchen katholischer und protestantischer Herkunft aus. Dort setzen sie wiederum eine eigene Dynamik frei, die insgesamt zu einer stärkeren Charismatisierung des kirchlichen Lebens führt. Doch reichen solche Einflüsse bis über den Rand des Christlichen hinaus und wirken auf andere Religionen ein. Ein Aspekt, der in jüngster Zeit beispielsweise manche islamische Reformbewegung inspiriert hat, ist der starke Impuls der Neuen Kirchen zur Evangelisierung mit den damit verbundenen öffentlichen Strategien zur Ausbreitung des Glaubens.

Dieses stark auf religiöse Mobilisation ausgerichtete Gepräge, das die Neuen Kirchen in die religiöse Alltagskultur vieler afrikanischer Länder eingetragen haben, zeigt sich nirgends so eindrucksvoll wie in der Praxis von Großevangelisationen - im englischen Sprachgebrauch als "Crusades" bezeichnet.

Ursprünglich entfaltete sich das "Crusade Style Ministry" kurz nach dem Zweiten Weltkrieg im Mischraum von evangelikaler und pentekostaler Bewegung in den USA. Kennzeichnend für diese Evangelisierungskampagnen sind durchstrukturierte Massenveranstaltungen in zumeist urbanen Milieus. In Afrika fanden erste Crusades während der Entkolonialisierungswelle um 1960 statt, als US-amerikanische Prediger wie Billy Graham einige pan-afrikanische, mehrere Länder umfassende Evangelisierungskampagnen durchführten.

Seit den späten neunziger Jahren allerdings umgreift die Kreuzzugspraxis weit mehr als nur die ursprünglichen kirchlichen Herkunftsmilieus und gehört zum ökumenischen Inventar buchstäblich aller Kirchen. Kreuzzugsveranstaltungen sind eine Begleiterscheinung des allgemeinen Charismatisierungsprozesses, der afrikanische Kirchen erfasst hat. Sie unterliegen zwar der Hoheit einzelner Kirchen, werden oft jedoch in überkonfessionellen Kooperationen vorbereitet. Dies betrifft die organisatorische wie infrastrukturelle Vorbereitung.

Es kann aber auch eine Kampagnentour verabredet sein, in der ein international angesehener Gastprediger gemeinsam eingeladen wird, der jedoch in mehreren Kirchen abwechselnd zu Veranstaltungen zu Gast ist. Beispielsweise erlebte ich im Zeitraum von vier Wochen in Kumasi drei populäre Typen von Crusade: einen zentral und en bloc durchgeführten transnationalen Crusade, einen dezentralen transnationalen Crusade und einen Crusade in einzelgemeindlicher Verantwortung.

Im ersten Fall war der Hauptakteur der Gründer einer englischen neopentekostalen Kirche. Der einwöchige Crusade, in dem es sich hauptsächlich um das so genannte Miracle Healing (Wunderheilung) drehte, wurde von nahezu allen historischen Kirchen und den meisten klassischen Pfingstkirchen in Kumasi an einem einzigen Ort veranstaltet. Diese Ausprägung von Crusade zieht Tausende und Zehntausende an.

Ein weiterer transnationaler Crusade dauerte insgesamt nur drei Tage und spielte sich mit bescheidenerer Reichweite ab. Hier lehrte ein in den USA ordinierter, aber aus Ghana stammender Methodist an einem Abend in einer presbyterianischen Gemeinde über "das Wirken des Heiligen Geistes" und trat am folgenden Morgen als Gastredner mit dem Thema "Growth in Spiritual Life" in der Evangelisationskampagne der größten katholischen Ortsgemeinde auf, bevor er seine ökumenische Tour schließlich in einer Pfingstkirche mit Ausführungen zu "Spiritual Warfare" beendete.

Die dritte Form eines Crusade betraf die Aktion einer einzelnen Kirche, der Presbyterianischen Kirche, deren örtlicher Jugendverband zu einer zweiwöchigen Kampagne mit einem voll ausgestatteten Tourneebus ins ländliche Hinterland aufbrach; damit wurde das urbane und stationäre Setting eines Crusade verlassen. Wichtige Themen auf dieser Evangelisationskampagne waren besonders die Bewährung des Glaubens oder die Einübung von Missionsstrategien im Nahbereich.

Solche Crusades lassen die Glaubenswelt afrikanischer Kirchen gut erkennen. Sie zehren von der Gewissheit, dass Gottes Handeln unmittelbar wirksam wird und das Leben Einzelner erfahrbar verändern kann. Wie Gott direkt in das Alltagsleben einzugreifen vermag, zeigt sich in den einzelnen Teilen, die im Verlaufe eines Kreuzzugs zur Aufführung kommen.

Ein großer Themenkomplex, der im gesamten Kirchenspektrum eine grundlegende Rolle spielt, umfasst das Verständnis und die Praxis von Heilung. Heilung bezieht körperliche wie seelische oder soziale Leiden ein und kommt vor als Wunderheilung und Glaubensheilung wie auch als prophetische Diagnose und Eindämmung von Geisterbesessenheit. Im Zentrum steht die einzelne Person und deren Lebensentfaltung. Als Krankheit wird bereits empfunden, wenn die Potenzialität des Lebens durch das Einwirken vor allem äußerer Einflüsse beeinträchtigt ist. Solche negativen Effekte verstärken sich in der Situation von Armut, in der sich viele Gläubige befinden und in der die Kirche wächst. Daher ist Heilung zu dem Schlüsselelement kirchlichen Selbstverständnisses avanciert. Das eigentliche Heilungshandeln ist performativ ausgestaltet, das heißt, es ist eingebettet in eine Reihe von rituellen Komponenten.

Dieses Christentum betont mithin die Mitwirkung des Menschen im Heilungsgeschehen. Meist gehen ihm reinigende Elemente des Fastens voraus, die Aus- und Vertreibung böser Geister erfolgt in ausgefeilter ritueller Weise, neuerdings - erst seit den neunziger Jahren - in Form von so genannten Deliverance-Gottesdiensten. Deliverance leitet sich ab von der Vater-Unser-Bitte "Erlöse uns von dem Bösen", wobei Erlösung sich darauf bezieht, die Anfechtungen eines Christen durch die zerstörerischen Kräfte der Dämonen abzuwerfen, sich aus der Macht des Satans loszusagen.

Dämonische Attacken auf die moralische Integrität einer Person werden pariert, gewisse Krankheitsbilder mit dem Befall durch den Teufel oder seine menschlichen Agenten erklärt und in Kategorien unterschiedlicher Schwere unterteilt. Der Zustand von Heilung wird durch Salbungsrituale beglaubigt, in deren Verlauf bevorzugt Olivenöl auf betroffene Körperpartien aufgetragen wird.

Solche individuellen körperlichen Salbungsvorgänge können ebenso oft dazu dienen, Missgeschick und Unglück von der betreffenden Person abzuwehren. Sie sind lebenspraktisch verankert, weshalb auch nichts gegen sich wiederholende Salbungsvorgänge spricht. Unter charismatisch-neopentekostalen Kirchen gilt die Salbung gar als äußeres Zeichen für die Segnung durch den Heiligen Geist. Aufgrund dieser Kombination von Medikation, Schutzfunktion und Auserwählung durch rituelle Teilhabe haben Heilungsgottesdienste einen herausragenden Rang im geistlichen Leben einzelner Kirchen erhalten.

So befremdlich das Szenario wirken mag, drückt sich darin doch kein weltflüchtiger, ekstatischer Glaube aus, sondern im Gegenteil die Überzeugung, dass christlicher Glaube Auswirkungen im Hier und Jetzt und in allen Lebensbereichen hat. Es geht im Kern dieser Glaubensäußerungen um konkrete, handgreifliche Problembewältigung.

Aufgrund der Alltagsbedeutung des Glaubens hat ferner eine Theologie Fuß gefasst, die einen hohen sozialen Status und individuelles Wohlergehen wie materiellen Erfolg als Segensgabe Gottes versteht. Dieses so genannte Wohlstandsevangelium (oder "Prosperity Gospel") spricht häufig eine jüngere, sozial aufwärts strebende Generation und eine meist gebildete städtische Schicht an. Der ästhetische Code solcher Wohlstandsprediger wie auch Habitus und Erscheinungsweise ihrer Anhänger betonen formale, westliche Markenmode. Einem Prediger, dem materielles Wohlergehen beschieden ist, eignet ein entsprechendes Prestige als Mediator göttlicher Wahrheit. Ihm wird die Fähigkeit zugesprochen, auch das Leben anderer Menschen spirituell wie materiell zu transformieren.


Das "Wohlstandsevangelium" spricht vor allem jüngere Generationen an

Diese Wohlstandsdoktrin ist bislang jedoch auf die charismatisch-neopentekostalen Stränge der afrikanischen Kirche begrenzt und die zur Schau gebotene materialistische Weltauffassung steht unter massiver Kritik. Das Wachstum im Glauben, hieß es auf einer der erwähnten Crusadeveranstaltungen, sei nicht an die Versprechungen von materiellem Wohlstand gebunden. Gewachsen sei durch die Betonung dieses Aspekts allenfalls die Korruption auch in kirchlichen Zusammenhängen.

Geistliche Kampfführung oder Spiritual Warfare ist ein weiteres Großthema, das sich mit den Crusades verbindet. Hier herrscht territoriales Denken vor, das zwischen der Welt der Erlösten und der Welt der Verlorenen unterscheidet. In solch stereotyper Aufteilung der Welt gibt es keinen neutralen Boden: "Die Leute müssen wissen", verlautet es in der Erbauungsliteratur, die unter Gläubigen in Kumasi zirkuliert, "dass von dem Augenblick an, in dem sie als Christ neu geboren sind, der Teufel gegen sie als Person agiert, dass er ihre Familie und die gesamte Kirche angreifen wird." Angesichts dieser beständigen Bedrohungslage, heißt es weiter, "beginnen wir die geistliche Kampfführung im Mutterleib und führen sie fort bis ins Grab". Das Arsenal aggressiver Handlungen gegen die Welt der Gläubigen erfordert wirksame Gegenstrategien. In der Bildwelt der Neuen Kirchen ist die Kirche "eine Militärakademie, wo man zugleich die Theorie und praxisbezogene Strategien des Spiritual Warfare erlernt".

Vielfach vorzufinden im Denken der spirituellen Kriegführung ist eine Religionsgeographie, die vor allem ländliche Regionen "dämonisiert". Denn dort residieren die Agenten des Bösen in den Schreinen afrikanischer Religion. Die Landkarte der Kriegführung zwischen den Kräften des Guten und den bösen Mächten lokalisiert die "Schule Satans" in der Wildnis. Nicht nur, aber auch deshalb gehen Crusade-Kampagnen vom urbanen Zentrum aus, um von diesem Standpunkt innerhalb einer göttlichen Domäne die ländliche Umgebung, den Hort möglicher Gegner Gottes zu evangelisieren.

Umgekehrt ist die Stadt, das Symbol für das Neue Jerusalem, Anziehungspunkt für Landbewohner und Arbeitsmigranten. Sie steht in Gefahr, im Zuge solcher Migrationsbewegungen von den böswilligen Kräften aus der "Schule Satans" infiltriert zu werden. In einer unter Kirchen in Kumasi weit verbreiteten Broschüre heißt es dramatisch: "Auf dem satanischen Computer kennen sie die Stadt, die Straße, deine Hausnummer und selbst die Zimmernummer." Die als real eingestufte Bedrohung durch dämonische Akteure erfordert die Tatkraft von Kreuzzüglern und göttliche Intervention, um das urbane Leben zu beschützen oder seine Reinheit wiederherzustellen.

Der Kampf um Einflusssphären ist kein Rückzugsgefecht. Kreuzzüge zielen nicht darauf ab, heilige Bezirke zu markieren, in die sich Gläubige vor dämonischen Angriffen zurückziehen können. Sie hegen keine städtischen Schutzzonen ein, sondern handeln von Grenzverschiebungen, wollen eine Hegemonie der göttlichen Sphäre erreichen. Wie schon die allgegenwärtige visualisierte Theologie der Dritten Kirche andeutet, soll der öffentliche Raum zu einer geheiligten Landschaft werden.


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Andreas Heuser (geb. 1961) ist promovierter Missions- und Religionswissenschaftler, mit einem Forschungsschwerpunkt in afrikanischer Religions- und Kirchengeschichte. Er ist theologischer Berater von Kirchen afrikanischer Herkunft in Europa. Derzeit bekleidet er eine Profilstelle für Ökumene und Bildung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, in Limburg an der Lahn.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
62. Jahrgang, Heft 6, Juni 2008, S. 316-320
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. August 2008