Schattenblick →INFOPOOL →RELIGION → CHRISTENTUM

AFRIKA/071: Homosexualität und die Kirchen in Afrika (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion - 1/2014

Unafrikanisch und unchristlich?
Homosexualität und die Kirchen in Afrika

Von Wolfgang Schonecke



In vielen Ländern Afrikas "outen" sich immer mehr Lesben und Schwule, organisieren sich in Verbänden und kämpfen gegen die weit verbreitete Diskriminierung und für ihre Rechte. Dass sie dabei oft von ausländischen Organisationen unterstützt werden, ist ein Problem. In Afrika ist man sehr empfindlich geworden gegen westliche Bevormundung. Gerade auch kirchliche Stimmen warnen bei diesem Thema vor einer "Pervertierung" durch den Westen.


Das Auswärtige Amt hatte im November 2012 ein Dutzend Vertreter von Schwulen- und Lesbenorganisationen in Afrika nach Berlin eingeladen. Auf Wunsch der afrikanischen Gäste stand auf dem Programm auch ein Gespräch mit den Kirchen. Für alle Teilnehmer bewegend waren nicht nur die Zeugnisse über persönliche Schicksale, die prekäre legale Situation in den verschiedenen Regionen und die Zivilcourage, mit der Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle (LSBTI) in Afrika unter hohem Risiko für ihre Rechte in einer ihnen feindlichen Gesellschaft kämpfen.

Beschämend war es, zu erfahren, wie oft es die Kirchen sind, die sich vehement für eine Verschärfung der Gesetze und Strafen einsetzen und dies mit der Bibel begründen. Führend sind dabei einige Pfingstkirchen, aber auch einzelne katholische Priester und Bischöfe haben öffentlich gegen eine Entkriminalisierung homosexueller Handlungen Stellung genommen.


Die legale Situation von Homosexuellen in den Ländern Afrikas ist sehr verschieden. Die heutige Gesetzgebung hat ihren Ursprung nicht in afrikanischen Traditionen, wo Homosexualität zwar tabuisiert, aber oft toleriert war. Sie wurde von den Kolonialverwaltungen nach dem Muster ihrer Heimatländer eingeführt und zur Zeit der Unabhängigkeit ohne Diskussion übernommen. Eine Ausnahme bildet dabei Südafrika, das sich weigerte, in seiner Verfassung von 1996 Homosexualität zu kriminalisieren. Als erstes afrikanisches Land legalisierte Südafrika im Jahr 2006 sogar mit großer parlamentarischer Mehrheit die Homo-Ehe, was allerdings nicht bedeutet, dass homosexuelle Menschen es dort leichter hätten. Gerade Lesben sind immer wieder Demütigungen und sexueller Gewalt ausgesetzt. Am liberalsten sind die ehemaligen französischen Kolonien, wo solche Gesetze nie eingeführt oder wiederabgeschafft wurden.

In 38 der 55 afrikanischen Staaten sind homosexuelle Handlungen strafbar, wobei das Strafmaß von zwei Jahren bis lebenslänglich variiert. Uganda ist Spitzenreiter im Vorgehen gegen Homosexuelle. Auf Betreiben eines freikirchlichen Pastors wurde 2009 ein Gesetzesantrag ins Parlament eingebracht, der die Todesstrafe für homosexuelle Wiederholungstäter und hohe Gefängnisstrafen für alle, die sie nicht der Polizei melden, forderte. Auf großen internationalen Druck hin wurde die Vorlage auf Eis gelegt. Auch der damalige deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel hatte gedroht, dass eine menschenrechtliche Diskriminierung durch das ugandische Parlament "für unsere Zusammenarbeit nicht ohne Folgen bleiben" könne.


Äußerer Druck ist nicht immer hilfreich und kann sogar kontraproduktiv sein. Es wird vermutet, dass Nigeria die Strafverfolgung drastisch verschärfte, um dem Rest der Welt seinen entschlossenen Widerstand gegen einen westlichen "Kultur-Kolonialismus" zu demonstrieren. Als Malawis Präsidentin Joyce Banda auf Druck der westlichen Geberländer die kolonialen Gesetze gegen Homosexuelle aufheben wollte, musste sie nach heftigen Protesten seitens der Kirchen und der Zivilgesellschaft einen Rückzieher machen. In Afrika ist man sehr empfindlich geworden gegen westliche Bevormundung jeder Art und hat ein starkes Selbstbewusstsein entwickelt. Man will selbst entscheiden können, welche Werte und Lebensstile vom Westen übernommen und welche abgelehnt werden.

Ungewöhnlich scharf war die Reaktion auf der Straße und in den afrikanischen Medien, als US-Präsident Barack Obama auf seiner Afrika- Reise im Juni 2013 im Senegal eher nebenbei bemerkte: "Meine Meinung ist, dass Menschen durch die Gesetze ungeachtet ihrer Religion, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung gleich behandelt werden sollen." Senegals Präsident hielt Obama entgegen, dass die senegalische Gesellschaft noch nicht bereit sei, Homosexualität zu entkriminalisieren. Heftige Reaktionen gab es aber nicht nur im Senegal, sondern beispielsweise auch aus Kenia: Der Erzbischof von Nairobi, Kardinal John Njue, erklärte in einer Predigt: "Das soll (Obama) vergessen, vergessen, vergessen... Diejenigen, die ihre eigene Gesellschaft ruiniert haben, sollen nicht hierher kommen, um uns zu belehren, was wir tun sollen."


Auslöser für die hitzige Debatte über Homosexualität in Afrika ist, dass sich immer mehr Lesben und Schwule in vielen Ländern öffentlich "outen" und sich in Verbänden organisieren, um gegen Diskriminierung und für ihre Rechte zu kämpfen. Dass sie dabei oft von ausländischen Organisationen unterstützt werden, bringt ihnen den Vorwurf ein, Homosexualität in Afrika verbreiten zu wollen. Durch die modernen Kommunikationsmittel ist man in Afrika informiert über die Einführung der Homo-Ehe in anderen Ländern genauso wie über die Massendemonstration dagegen in Frankreich.

Die Erfolge in anderen Ländern ermutigen afrikanische Schwule und Lesben, sich trotz großer persönlicher Risiken zu ihrer sexuellen Orientierung öffentlich zu bekennen, was wiederum heftige Reaktionen gegen einen solchen Tabubruch hervorruft. Denn trotz ihres hohen Stellenwerts wird Sexualität in der Gesellschaft nicht offen thematisiert. Schon die AIDS-Epidemie zeigte, wie schwierig es ist, über sexuelles Verhalten im Klartext öffentlich zu reden. Die Hürde ist noch viel höher, wenn es sich um Homosexualität handelt.


Homosexualität in Afrika ist kein westlicher Import

In manchen Ländern wird die Homosexualität-Debatte dazu noch politisch instrumentalisiert und so verschärft. Die Parlamentsdebatte in Uganda diente der Regierung dazu, von anderen Problemen des Landes abzulenken. Simbabwes Präsident Robert Mugabe bedient sich mit Vorliebe in Wahlkampagnen einer kruden Rhetorik, um Homosexuelle als "schlimmer als Schweine" zu beschimpfen und den Westen zu beschuldigen, durch die Verbreitung von Homosexualität sein Land ruinieren zu wollen.

Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Titel "Wie mit Homophobie Politik gemacht wird", beschreibt auch das Beispiel Kamerun, wo prominente Persönlichkeiten in der Presse beschuldigt wurden, junge Jobanwärter zu gleichgeschlechtlichen Sex gezwungen zu haben. "Hierdurch sollten korrupte Politiker und Politikerinnen gezielt angegriffen werden, um sie für die politischen und wirtschaftlichen Missstände im Land zu bestrafen." In der öffentlichen Meinung im Kamerun wird Homosexualität sowohl mit traditioneller Hexerei wie auch mit politischen Eliten in Verbindung gebracht. In seiner Weihnachtspredigt im Jahr 2005 geißelte der ehemalige Erzbischof von Yaoundé, Victor Tonye Bakot, mit harten Worten die aktive Ausbreitung ("promotion") von Homosexualität unter der Jugend, was ihm den Vorwurf einbrachte, die Diskriminierung von Homosexuellen noch verschärft zu haben.


Wenn man mit Menschen aus Afrika das Thema Homosexualität anspricht, ist oft eine erste Reaktion: Das gibt es nicht bei uns. Bei einer konsequenten Tabuisierung des Themas ist es denkbar, dass die Mehrheit nie mit homosexuellen Menschen bewusst in Kontakt getreten sind. Wo Homosexuelle nicht mehr zu übersehen sind, wird ihre Existenz als ein westlicher Import erklärt. Der öffentliche westliche Sextourismus jeglicher Art in Ferien-Resorts wie Mombasa unterfüttert solche Vorurteile über den dekadenten Westen, vor dem man sich schützen muss.

Die Behauptung, es habe in Afrika keine Homosexuellen gegeben, hält jedoch einer seriösen Prüfung nicht stand. Nicht nur diverse anthropologische Studien, die allerdings fast alle aus der Feder westlicher Wissenschaftler stammen, sondern auch die Tatsache, dass es in vielen Sprachen dafür ein Wort gibt, belegen die Existenz des Phänomens. Dass Homosexualität so stark tabuisiert und verdrängt wurde, hängt wohl auch zusammen mit dem hohen Wert, der der Fruchtbarkeit beigemessen wurde, vor allem in Zeiten, als von zehn Kindern nur zwei oder drei überlebten. Das Überleben der Gruppe hatte erste Priorität und jede Form von Sexualität, die nicht diesem Zweck diente, wurde geächtet. Deshalb wird die Unterstützung von Schwulen- und Lesbenorganisationen durch ausländische Kräfte auch als Versuch gewertet, die Fruchtbarkeit und Kinderfreudigkeit in Afrika auszubremsen.


Eine laute Stimme im Chor derer, die meinen, Afrika vor einer Pervertierung durch Europa schützen zu müssen, sind die Kirchen, besonders alle, die eine fundamentalistische, wörtliche Bibelinterpretation pflegen. Wenn der ugandische "wiedergeborene" Parlamentarier David Bahati die Todesstrafe für Homosexuelle fordert und dafür in den Kirchen Unterstützung findet, dann werden zur Rechtfertigung biblische Texte angeführt, wie das Heiligkeitsgesetz im Buch Levitikus, wo für Geschlechtsverkehr zwischen zwei Männern die Todesstrafe gefordert wird (Lev 20,13; 18,22).

Die mutigste und wortgewaltigste Stimme gegen die Diskriminierung Homosexueller war Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu, der in einem Brief an ugandische Parlamentarier die geplanten Diskriminierungsgesetze mit den Apartheidgesetzen verglich. Mit der ihm eigenen Leidenschaft argumentierte er gegen die verbreiteten Vorurteile: "Diejenigen, die behaupten, dass Homosexualität nicht Teil unserer afrikanischen Kultur ist, ignorieren die Tatsache, dass Lesben, Schwule, Bi- und Trans- und Intersexuelle Afrikaner friedlich und produktiv mit uns gelebt haben während unserer gesamten Geschichte... (Sie) sind Teil der Menschheitsfamilie, Teil der Familie Gottes, und natürlich auch Teil der afrikanischen Familie."


Die Ansichten des anglikanischen Erzbischofs Tutu werden keineswegs von allen Kirchen geteilt. Am radikalsten agieren evangelikale und Pfingstkirchen, die für ihre anti-homosexuellen Kampagnen oft Unterstützung von rechtsradikalen christlichen Gruppen in den USA erhalten. Aber nicht nur evangelikale, sondern fast alle aus den Missionen des 19. und 20. Jahrhunderts hervorgegangenen Großkirchen nehmen eine ablehnende Haltung gegenüber jeder positiven Bewertung von Homosexualität ein und befürworten die strafrechtliche Verfolgung von sexuell aktiven Schwulen und Lesben. Sie sind skandalisiert, wenn europäische Kirchen die Akzeptanz von Homo-Ehen erwägen, und waren entsprechend besonders schockiert, als die Episkopalkirche, also die US-amerikanischen Anglikaner, 1996 Schwule und Lesben zum Pfarramt zuließen beziehungsweise 2003 den ersten schwulen Bischof wählten.

Daraus entstehen fast unüberbrückbare Spannungen zwischen den Kirchen des Nordens und des Südens, an denen gerade die anglikanische Kirche zu zerbrechen droht. Auch den Lutheranern machen sie schwer zu schaffen. Für die afrikanischen Kirchen handelt es sich dabei nicht nur um eine Frage der Kirchendisziplin, sondern um eine Bekenntnisfrage. Die Befürwortung homosexueller Lebensweisen halten sie für einen Verrat am Wort Gottes und für ein nicht zulässiges Zugeständnis an den Zeitgeist.

Die lutherische Kirche Tansanias hat 2010 in der "Dodoma-Erklärung" ihre Ablehnung der gleichgeschlechtlichen Ehe deutlich ausgedrückt und dabei auch die Frage aufgeworfen, ob die Partnerschaft mit Kirchen, die - wie die schwedische Kirche - eine lesbische Pfarrerin zur Bischöfin von Stockholm gewählt hatte, fortbestehen könne. Wie schwer es einzelne kirchliche Persönlichkeiten haben, das Thema Homosexualität offen anzugehen, zeigt das Beispiel von Pastor Jean- Blaise Kenmogne. In einem bemerkenswerten Interview, das unter dem Titel "Homosexualité. Eglise et Droits de L'homme" veröffentlicht wurde, setzte er sich für die Rechte von Homosexuellen ein und wurde dafür von seinem Posten als Rektor der "Université Evangélique du Cameroun" enthoben und von seiner Kirche geächtet.


Katholische Bischöfe versuchen den Spagat

Die katholischen Bischöfe halten sich in der Diskussion eher bedeckt. Einzelne Bischöfe haben sich jedoch dezidiert und manchmal sehr emotional gegen eine gesellschaftliche Akzeptanz von Homosexuellen ausgesprochen. Nuancierter äußerte sich beispielsweise die simbabwische Bischofskonferenz. Sie hatte den Mut, im Jahr 2012 in einer von Präsident Mugabe aufgeputschten Kampagne mit einem Hirtenbrief die Haltung der katholischen Kirche darzustellen.

Das Dokument versucht einen Spagat zwischen Menschenrechten und kirchlicher Sexualmoral: "Wir können nicht Diskriminierung, Vorurteile und Gewalt gegen irgendeinen Teil der Gesellschaft auf Grund von Geschlecht, Alter, politischen Ansichten oder sexueller Orientierung dulden; wir müssen uns ebenfalls klar sein, was die Kirche über sexuelle Orientierung und sexuelle Akte lehrt." Nämlich, dass "die Ehe die ursprüngliche Absicht Gottes für die Schöpfung ist" und deshalb "eine starke Anziehung zum gleichen Geschlecht, so real sie auch ist, nicht im Einklang mit Gottes ursprünglichem Plan ist" und "dass Keuschheit der einzige akzeptable Ausdruck von Liebe für Menschen, die sich als homosexuell erfahren, ist."

Die Bischöfe wagen sich recht weit vor, wenn sie kategorisch erklären, dass die katholische Kirche nie eine legale Kategorie einer gleichgeschlechtlichen Ehe zulassen könne, dass dies aber nicht dasselbe sei wie "'zivile Partnerschaften', die eine legale Anerkennung einer freundschaftlichen Verbindung durch den Staat ist in Bezug auf Versicherungen, Begräbnisarrangements, medizinische Versorgung und Erbrechte". Damit scheinen sie nicht nur einer Entkriminalisierung von Homosexualität, sondern der Möglichkeit einer begrenzten legalen Anerkennung durch den Staat zuzustimmen.


Keine Gewalt, keine Diskriminierung, keine Verurteilung und keine Exklusion

Die Auseinandersetzung in den afrikanischen Ländern und Kirchen über die Rechte von Homosexuellen ist Teil einer weltweiten Kontroverse über die Rolle der Menschenrechtscharta, die Grundlage für den Kampf gegen die Diskriminierung von Homosexuellen ist. "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten. Die Menschenrechte sind universell, unteilbar und bedingen einander. Die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität sind Teil der Würde und des Daseins eines jeden Menschen und dürfen nicht als Grundlage für Diskriminierung oder Misshandlung dienen", heißt es im Vorwort zu den so genannten "Yogyakarta-Prinzipien", die 2006 von namhaften internationalen Menschenrechtsexpertinnen und -experten auf einer Konferenz im indonesischen Yogyakarta entwickelt wurden.

Die Universalität der Menschenrechte wird allerdings immer mehr von Vertretern nichteuropäischer Kulturen in Frage gestellt, die im UN-Menschenrechtsrat den Versuch unternehmen, einen "Absolutheitsanspruch" mit zwei Argumentationslinien auszuhebeln. Zum einen seien die Menschenrechte Produkt einer europäischen Philosophie, für die in anderen Kulturen keine Grundlage bestehe. Zum anderen seien sie einseitig als Individualrechte definiert und berücksichtigten nicht die Gemeinschaftsrechte, die in vielen anderen Kulturen eine gewichtige Rolle spielten. Ähnliche Argumente werden auch immer wieder in Afrika gebraucht, um die Kriminalisierung von Homosexuellen zu rechtfertigen.

Das war auch in Europa lange Zeit der Fall. Der Menschenrechtler Heiner Bielefeldt schreibt im Vorwort der Yogyakarta-Prinzipien: "Dass das Subjekt der Menschenrechte heterosexuell orientiert sei, galt hingegen noch bis vor wenigen Jahren international weithin als Selbstverständlichkeit. Infolgedessen wurde beispielsweise das Recht auf Schutz von Ehe und Familie lange Zeit fraglos auf die traditionelle heterosexuelle Partnerschaft und die mit ihr einhergehende Familienstruktur verkürzt. Mit anderen Worten: Diskriminierungen und Exklusionen sind faktisch im Namen der Menschenrechte legitimiert worden - ein eklatanter Widerspruch zum Anspruch des menschenrechtlichen Universalismus". Es darf also nicht verwundern, dass die Akzeptanz von Homosexuellen als Menschen mit gleichen Rechten in Afrika ein schwieriger Prozess ist.

Allerdings darf man in der Diskussion den kulturellen Kontext nicht einfach ignorieren. Wie Sexualität gelebt und ausgedrückt wird, hat in verschiedenen Zeiten und Kulturen jeweils unterschiedliche Formen angenommen. Ob die omnipräsente öffentliche Darstellung von hetero- und homosexueller Sexualität in der westlichen medialen Kultur seit der sexuellen Revolution der sechziger Jahre ein universelles Recht ist, und ob nicht andere Kulturen das Recht haben, menschlicher Sexualität einen Intimbereich zuzuweisen, ist nicht so eindeutig. Manche gebildeten und weltoffenen Afrikaner argumentieren, dass sie sehr wohl um die Existenz von Homosexuellen wissen und keine Verfolgung wünschen, solange sie nicht ihre Sexualität öffentlich zur Schau tragen.

Auch im November 2013 kam es zu einem Treffen einer Delegation afrikanischer Homosexueller mit Vertretern der Kirchen. In einem vorbereitenden Gespräch wurde deutlich, dass nicht nur zwischen den Kirchen Afrikas und Europas, sondern auch innerhalb der Kirchen in Europa die Haltungen zu Homosexualität weit auseinanderliegen. Kirchen mit einer fundamentalistischen Auslegung der Bibel lehnen Homosexualität kategorisch als Sünde ab.

Die katholische Kirche anerkennt homosexuelle Orientierung als eine Gegebenheit, beurteilt aber aufgrund ihres Verständnisses von Naturrecht homosexuelle Akte als "gegen die Natur" und fordert sexuelle Abstinenz. Viele protestantische Kirchen in Europa und den USA sehen in einer dauerhaften, liebenden Beziehung eine ethisch verantwortliche Haltung, Homosexualität zu leben - eine Position, die zaghaft auch von einigen prominenten katholischen Kirchenführern, etwa dem verstorbenen Kardinal Carlo Maria Martini oder dem Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn, angedeutet wurde.


Gibt es jenseits der festen biblischen und theologischen Interpretationen und Traditionen eine gemeinsame Basis für eine christliche Haltung gegenüber Homosexuellen in der Gesellschaft und in den eigenen Reihen? Eine Verständigung über das, was (menschliche) Natur ist und welche moralischen Postulate sich aus ihr ableiten lassen und was in den einschlägigen biblischen Texten dem historischen Kontext geschuldet und was Kernbotschaft ist, wird Generationen brauchen. Trotzdem könnten Christen jeder Konfession sich auf das gemeinsame Zentrum ihres Glaubens besinnen: die Lehre und Lebenspraxis Jesu. Daraus ließen sich ein paar gemeinsame Prinzipien herausschälen.


Gewaltlosigkeit ist eine Grundhaltung Jesu, die er bis zum eigenen Gewalttod am Kreuz durchhält. Alle Kirchen in allen kulturellen Kontexten müssten sich aus dem Geist Jesu klar und deutlich gegen jede Form von Gewalt gegen homosexuelle Menschen einsetzen beziehungsweise ihnen auch Schutz vor Gewalt anbieten. Ebenso müssten sie sich energisch gegen sexuellen Missbrauch durch Hetero- und Homosexuelle wenden. Vielleicht gehört zur Vermeidung von verbaler Gewalt auch seitens der Homosexuellen der Verzicht, alle, die nicht ihre Sicht über Homosexualität teilen, sofort als Homophobe, das heißt ja als Geisteskranke, abzuwerten, was nicht unbedingt dialogförderlich ist.


Die katholische Kirche sieht sich seit der Enzyklika von Papst Johannes XXIII. "Pacem in Terris" als Anwalt der Menschenrechte. Protestantische Kirchen sind oft noch engagiertere Menschenrechtsverteidiger. Der Katechismus der Katholischen Kirche lehnt explizit die Diskriminierung von Homosexuellen ab (2358). Noch radikaler formuliert das insgesamt umstrittene Dokument der Glaubenskongregation von 1986 "Über die Seelsorge für homosexuelle Personen" zu diesem Punkt: "Es ist nachdrücklich zu bedauern, dass homosexuelle Personen Objekt übler Nachrede und gewalttätiger Aktionen waren und weiterhin noch sind. Solche Verhaltensweisen verdienen, von den Hirten der Kirche verurteilt zu werden, wo immer sie geschehen. Sie bekunden einen Mangel an Achtung gegenüber anderen Menschen, der die elementaren Grundsätze verletzt, auf denen ein gesundes staatliches Zusammenleben fußt. Die jeder Person eigene Würde muss nämlich immer respektiert werden, und zwar in Wort und Tat und Gesetzgebung" (10).

Solche oft unbekannten kirchlichen Aussagen könnten als Basis für einen Dialog innerhalb der katholischen Kirche sein. Schwierige Grenzfragen, ob Homosexuelle Zugang zu Priestertum oder Ehe haben, sind sicher nicht der ideale Einstiegspunkt für einen Dialog.

Jesus verbietet kategorisch, andere zu richten. Das ist Gottes Sache. Das muss unter Christen auch für homosexuelle Menschen gelten. Der Katechismus verlangt in diesem Sinne, ihnen "mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen", wobei "Compassion" hier wohl besser mit Sympathie wiederzugeben wäre. Papst Franziskus hat diese Haltung des Respekts auf eine Frage von Journalisten über seine Haltung zu Homosexualität in einer viel zitierten Antwort zusammengefasst: "Wenn jemand schwul ist und guten Glaubens den Herrn sucht - wer bin ich, über ihn zu urteilen?"

Im Interview mit dem Jesuiten Antonio Spadaro geht der Papst noch einen Schritt weiter: "Wenn Gott eine homosexuelle Person sieht, schaut er die Tatsache mit Liebe an oder verurteilt er sie und weist sie zurück? Man muss immer die Person anschauen. Wir treten hier in das Geheimnis der Person ein. Gott begleitet die Menschen durch das Leben und wir müssen sie begleiten und ausgehen von ihrer Situation."


Jesus kennt keine Exklusion. Bei ihm sind alle willkommen, auch alle Kategorien von Sündern. Darf die Kirche sich da anders verhalten? Die Kirche heißt (Homosexuelle) willkommen, sagt der Papst. Davon sind viele Kirchen in der pastoralen Praxis noch weit entfernt, obwohl sie alle anderen Kategorien von Sündern nicht ausschließen. Die meisten Christen in Afrika leben in irregulären Ehesituationen und fühlen sich trotzdem willkommen in ihrer Gemeinde. Warum sollten homosexuelle Menschen eine Ausnahme sein?

Bis wir in den Kirchen diese Grundhaltungen Jesu auch in der Beziehung zu homosexuellen Menschen leben, haben wir noch einen langen Weg vor uns, in Deutschland wie in Afrika. Dazu ist ein langer, geduldiger, respektvoller Dialog der Kirchen miteinander nötig, für den die Ermahnung des Hl. Paulus an die Gemeinde von Ephesus gilt: "Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einander in Liebe" (Eph. 4:2).


Wolfgang Schonecke (geb. 1938) war bis 2007 Leiter des Netzwerks Afrika Deutschland mit Sitz in Bonn und Berlin (www.netzwerkafrika.de) und führt seit 2008 das Berliner Büro. Von 1965 bis 1982 arbeitete er in der Pastoral in Uganda. Von 1982 bis 1992 übernahm Schonecke Leitungsaufgaben für seinen Orden der Afrikamissionare - Weiße Väter; 1994 bis 2001 leitete er die Pastoralabteilung bei der ostafrikanischen Bischofskonferenz (AMECEA).

*

Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
68. Jahrgang, Heft 1, Januar 2014, S. 37-51
Anschrift der Redaktion:
Hermann-Herder-Straße 4, 79104 Freiburg i.Br.
Telefon: 0761/27 17-388
Telefax: 0761/27 17-488
E-Mail: herderkorrespondenz@herder.de
www.herder-korrespondenz.de
 
Die "Herder Korrespondenz" erscheint jährlich mit 12 Monatsausgaben
plus 2 Spezialausgaben.
Heftpreis im Abo 11,50 Euro zzgl. 0,80 Euro Versand.
Das Einzelheft kostet 12,90 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juli 2014