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ASIEN/029: Indiens Christen im Visier radikaler Hindus (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion 11/2008

Welle der Gewalt
Indiens Christen im Visier radikaler Hindus

Von Georg Evers


An verschiedenen Orten in Indien, vor allem im Bundesstaat Orissa, kam es in den vergangenen Monaten zu blutigen Ausschreitungen radikaler Hindugruppen gegen die christliche Minderheit. Hintergrund sind vor allem die sozialen Aktivitäten der Kirchen zugunsten der Urbevölkerung und der Kastenlosen.


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Am 23. August 2008 wurden der 84-jährige Swami Laxmanananda Saraswati und vier seiner Gefährten in seinem Ashram in Jalespata im Distrikt Kandhamal im indischen Bundesstaat Orissa ermordet. Unmittelbar danach begannen radikale Hindugruppen, Gewalttaten gegen Christen und christliche Einrichtungen zu verüben. Dies geschah, obschon am Tatort ein Bekennerschreiben maoistischer Kämpfer gefunden wurde, die sich der Tat bezichtigten und dafür die Verantwortung übernahmen. Vertreter radikaler Hinduorganisationen dagegen behaupteten von Anfang an, dass es christliche Gruppen gewesen seien, die für die Gewalttat verantwortlich seien und dafür bestraft werden müssten.

Die Verdächtigungen seitens der Hindus, Christen seien für die Tat verantwortlich, gehen darauf zurück, dass Swami Saraswati, der an leitender Stelle in der radikalen hinduistischen Organisation Vishwa Hindu Parishad (VHP) tätig war, zu Lebzeiten zu den schärfsten Kritikern der christlichen Kirchen gehörte und sich häufig massiv gegen Bekehrungen von Hindus zum Christentum ausgesprochen hatte. Dabei hatte er sich nicht gescheut, zu Gewalt aufzurufen, um die Missionierungsversuche von Christen zu stoppen.

Der Gewaltausbruch nach dem Mord an Swami Saraswati war die zweite Welle von Gewalt gegen Christen in Orissa innerhalb von neun Monaten. Während der Weihnachtstage 2007 war es ebenfalls im Distrikt Kandhamal zu Ausschreitungen und Gewalt gegen Christen gekommen. Auch damals waren Kirchen, kirchliche Einrichtungen und Häuser von Christen Ziel der Gewalttäter, die über 400 kirchliche Einrichtungen und eine noch größere Zahl von Häusern von Christen zerstörten. Schon davor, Anfang Juli 2007, hatten radikale Hindus Straßensperren um christliche Siedlungen errichtet und diese angegriffen. In dieser schon sehr angespannten Situation eines vergifteten Verhältnisses zwischen der kleinen Minderheit der Christen und den radikalen Hindugruppen wirkte der Mord an dem in den radikalen Hindukreisen hoch angesehenen Swami Laxmanananda Saraswati wie der Funke, der ein Pulverfass zur Explosion bringt.


Die Kirchen setzen sich für die Rechte der unteren Schichten ein

Denn der im Nordosten Indiens gelegene Bundesstaat Orissa gehört zu den ärmsten Regionen des Landes. 70 bis 75 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze und gehören zu den Dalits oder zur Stammesbevölkerung. Die halbfeudale Landwirtschaft wird von Großgrundbesitzern betrieben, die sich der traditionellen Form der Leibeigenschaft bedienen, in der Angehörige der unteren Kasten oder Kastenlose zu Mindestlöhnen schuften müssen und ausgebeutet werden. Neben massiver Armut gibt es in Orissa aber auch wirtschaftliche Riesenprojekte, die mit der Ausbeutung von Bauxitvorhaben zu tun haben und die wiederum große ökologische Probleme mit sich bringen. Bei einer Bevölkerung von 35 Millionen sind rund 95 Prozent Hindus, während der Anteil der christlichen Bevölkerung bei nur 2,4 Prozent liegt.

Die christlichen Kirchen werden von den Hindus als störende Faktoren wahrgenommen, weil sie sich für die Rechte der unteren Kasten, der Kastenlosen und der Stammesbevölkerung einsetzen. Radikale Hindugruppierungen reagieren immer wieder mit Gewalt auf christliche Aktivitäten auf den Gebieten der Erziehung, der Gesundheitsversorgung und der sozialen Hilfeleistungen, die sie alle als verkappte Missionsaktivitäten verdammen, die nur darauf angelegt seien, Hindus der unteren sozialen Schichten zum Christentum zu bekehren.

Weit über Indien hinaus bekannt wurde der Mord an dem australischen Missionar Graham Staines, der am 22. Januar 1999 zusammen mit seinen zwei Söhnen in einem Wohnmobil von einem Mob hinduistischer Gewalttäter in Keonjhar, ebenfalls im Bundesstaat Orissa, verbrannt wurde. Der Rädelsführer Dara Singh wurde 2003 zum Tod verurteilt, eine Strafe, die 2005 in lebenslange Haft umgewandelt wurde. In Kreisen radikaler Hindus gilt Dara Singh als ein Held, der sich dadurch ausgezeichnet habe, den Bekehrungsversuchen der Christen an den Hindus Einhalt zu gebieten. Es gibt mehrere hinduistische Organisationen, die sich verpflichtet haben, seinen Kampf gegen christliche Missionsaktivitäten in jeder Form weiterzuführen.

Da 25 Prozent der Bevölkerung zur Stammesbevölkerung gehören, die eigene religiöse und kulturelle Traditionen hat, ist die Behauptung der Hindus, dass diese Bevölkerungsgruppen alle Hindus seien, schlicht unwahr. Die Angehörigen der Stammesbevölkerung wurden lange als Animisten den Dalits zugerechnet. Erst in jüngerer Zeit schlossen sie sich den größeren Religionen an. Die Stammesgruppe der Kondh, die sich in der großen Mehrheit zum Hinduismus bekennen, macht 52 Prozent der Bevölkerung aus, während die Pana, aus denen die meisten Christen kommen, 17 Prozent der Bevölkerung stellen.

Schon wenige Tage nach der Ermordung von Swami Saraswati hatte es Gewalttaten gegen Christen durch radikale Hindugruppen in 13 der 30 Distrikte des Bundesstaates Orissa gegeben. Über 60.000 Christen wurden gezwungen, ihre Wohnungen zu verlassen und in die Wälder zu fliehen, wo sie von bewaffneten fanatischen Hindugruppen verfolgt wurden. In einer Reihe von Dörfern ist es zu Zwangsbekehrungen von Christen zum Hinduismus gekommen, als radikale Hindus unter Androhung von Waffengewalt Christen "zur Rückkehr zum Hinduismus" aufforderten. Dabei wurden die Christen gezwungen, Papiere zu unterzeichnen, in denen sie erklären mussten, sie seien nur deshalb Christen geworden, weil christliche Missionare ihnen Geld und materielle Vorteile versprochen hätten, und kehrten jetzt, nachdem sie ihren Irrtum erkannt hätten, "freiwillig" wieder zum Hinduismus zurück.


Viele Christen mussten wochenlang in Auffanglagern bleiben

Die Behörden waren auch mehr als drei Wochen nach Ausbruch der Gewalt nicht in der Lage, die Sicherheit der christlichen Bevölkerung zu gewährleisten. Der von der Hindupartei Bharatiya Janata Party (BJP) geführten Regierung von Orissa wurde der Vorwurf gemacht, zu lange den radikalen Hindus freie Hand gelassen und den Mob nicht gestoppt zu haben. Der Innenminister der nationalen Regierung, Sripakash Jaiswal, flog in das Krisengebiet und machte der politischen Führung des Bundesstaates Orissa und dessen Regierungschef Naveen Patnaik den Vorwurf, zu wenig getan zu haben, um die Ausschreitungen in Kandhamal zu verhindern. Erst als nach längerem Lavieren und unzureichenden Maßnahmen die Staatsregierung den Ordnungskräften Schießbefehl gegenüber Plünderern und Brandstiftern erteilte, ging die Welle der Gewalt etwas zurück. Da aber auch danach die Gewalt gegen die Christen nicht aufhörte, verhängte die Regierung am 26. September eine Ausgangssperre über die Gebiete, in denen die Gewalt am heftigsten war. Zugleich wurden 700 zusätzliche Polizisten in die Krisengebiete entsandt.

Viele Christen blieben wochenlang in den Auffanglagern gefangen, während andere auch weiterhin Zuflucht in den Wäldern suchten und sich nur tagsüber in ihre Dörfer trauten. Der für die Region zuständige Erzbischof Raphael Cheenath von Cuttack-Bhubaneswar wurde nach dem Mord an Swami Laxmanananda Saraswati von dessen Anhängern mit dem Tod bedroht, die öffentlich ankündigten: "Ihr Missionare habt unseren Führer getötet. Jetzt werden wir euren Führer ebenfalls töten!" Erzbischof Cheenath sah sich daraufhin gezwungen, sich vor den potenziellen Attentätern zu verstecken, wodurch er nur eingeschränkt die Leitung der Kirche in dieser schweren Zeit wahrnehmen konnte.

In den meisten Dörfern auf dem Lande gab es keine Gottesdienste mehr, da die Kirchen oft zerstört waren und die teilnehmenden Christen mit Gewalt durch Hindu-Gruppen rechnen mussten. Wie die radikalen Hindus vorgingen, berichtet zum Beispiel Pfarrer Basil Kullu, dessen Pfarrei in dem abgelegenen Dorf Madhupur am 25. August 2008 von mehr als 500 Hindus angegriffen wurde. Zusammen mit anderen Priestern, Ordensschwestern und 300 seiner Pfarrkinder gelang es ihm, in den nahe gelegenen Wald zu flüchten. Der Mob zerstörte die Kirche, das Pfarrhaus, die Unterkunft für bedürftige Kinder und die Krankenstation. Der Tabernakel der Kirche wurde aufgebrochen, alle Statuen von Heiligen zerschlagen und Heiligenbilder zerstört.

Schon einige Zeit vor Ausbruch der Gewalt war Pfarrer Kullu von radikalen Hindus aufgefordert worden, seine priesterliche, aber vor allem seine soziale Tätigkeit für die Armen einzustellen und die Gegend zu verlassen. Als die Gewalttaten gegen die Christen nach dem Anschlag auf Swami Saraswati ausbrachen, nutzten lokale Hindugruppen die Gelegenheit, die kirchlichen, aber vor allem die schulischen und sozialen Einrichtungen der katholischen Kirche, die in erster Linie den Angehörigen der unteren Kasten und Kastenlosen dienen, zu zerstören.

Im Dorf Sankarakhole in der Nähe von Bhubaneswar, der Hauptstadt von Orissa, wurde am 25. August 2008 Pater Edward Sequeira von einer Gruppe Hindus zusammengeschlagen und schwer verletzt in sein Haus getragen, das die Angreifer dann anzündeten. Vorher wurde er noch Zeuge, wie Rajni Majih, ein Hindumädchen, das auf der Missionsstation als Hausgehilfin tätig war, von dem Mob ins Feuer gestoßen wurde, in dem sie verbrannte. Pater Sequeira überlebte schwer verletzt.

Im Dorf Paburia, ebenfalls in Orissa, wurde der 27-jährige Rajesh Digal von Hindus erst geschlagen und dann lebendig begraben. Ein ihn begleitender Hindu, der wegen seiner Freundschaft mit einem Christen auch geschlagen wurde, berichtete, dass die Täter Rajesh aufforderten: "Ruf doch zu deinem Jesus, der wird dich dann retten!", als sie ihn lebendig begruben. Da Polizei und andere Ordnungskräfte den Ausschreitungen keinen Einhalt gebieten konnten, sind bis zu 50.000 Christen geflohen, um ihr Leben zu retten.


Gewalt gegen Christen nicht nur in Orissa

Seit der Ermordung von Swami Laxmanananda ist die Zahl der getöteten Christen ständig gestiegen und erreichte Anfang Oktober 2008 die Zahl 59. Der materielle Schaden ist ebenfalls immens. In Orissa wurden 4420 Häuser und 177 Kirchen verwüstet oder in Brand gesteckt und 20 Schulen sowie zahlreiche soziale Einrichtungen zerstört. Auch wenn die Gewalt Anfang Oktober abflaute und weitgehend unter Kontrolle war, hatten die radikalen Hindus ihre Ziele weitgehend erreicht. Auch für die staatlichen Ordnungskräfte gab es nicht mehr viel zu tun, denn in dem umkämpften Distrikt Kandhamal gab es nichts mehr zu schützen. Die Christen waren vertrieben, in die Wälder geflohen oder hatten in Flüchtlingslagern notdürftig Unterkunft gefunden; ihre Kirchen und Häuser waren zerstört, ihr Hab und Gut geraubt.

Am 3. September 2008 wurde die St. Xavier School der Jesuiten in Jaipur, der Hauptstadt des Bundesstaates Rajasthan, von einem Mob von 1OO Hindus angegriffen, die Inventar zerschlugen und anwesende Lehrer bedrohten. Die Aktion war ein Protest gegen die Entlassung von sieben Studenten, die wegen eines Gottesdienstes zu Ehren der Hindugottheit Ganesha, den sie in einer Freistunde in einem Klassenzimmer veranstaltet hatten, entlassen worden waren. Diese Disziplinarmaßnahme der Schule wurde von den Protestierenden als eine Beleidigung des Gottes Ganesha bezeichnet, die es zu rächen gelte.

Der Rückgriff auf Gewalt in der ansonsten von religiösen Unruhen freien Stadt Jaipur lässt sich nur vor dem Hintergrund der Gewaltaktionen gegen Christen in Orissa erklären, die Auswirkungen auf das Zusammenleben von Religionsgemeinschaften auch in anderen Gegenden des Landes haben. Nach Gesprächen mit der Schulleitung kam es zu einer friedlichen Lösung. Die Schule nahm die Entlassung der Schüler zurück, da sie sich im Abschlussjahr befanden und verzichtete auf eine Strafanzeige gegen die Protestierer.

In Jamshedpur im Bundesstaat Jharkand wurde am 24. September in die katholische Marienkirche eingebrochen, der Tabernakel gewaltsam geöffnet, die Hostien aus dem Ciborium verstreut und der Speisekelch selbst gestohlen. Am 14. September wurden in Mangalore im Bundesstaat Karnataka 5 christliche Kirchen angegriffen und zum Teil zerstört. Die Gewalttaten wurden von beteiligten radikalen Hindugruppen als Antwort auf die Proteste der örtlichen Christen gegen die Gewalt ihrer Glaubensgenossen in Orissa hingestellt. Die meisten der angegriffenen Kirchen gehören zur Pfingstkirche.

Große Bestürzung über die christliche Gemeinschaft hinaus löste der Angriff auf den Konvent der Klarissinnen in Mangalore aus, bei dem die Schwestern während eines Anbetungsgottesdienstes überfallen, die Monstranz geschändet und Bilder, Statuen und Kirchenfenster zerstört wurden. Der örtliche Bischof Aloysius Paul D'Souza rief im Fernsehen die Christen auf, sich nicht provozieren zu lassen und ruhig zu bleiben. Der Ministerpräsident von Karnataka, der der Bharatiya Janata Party angehört, besuchte Mangalore und versprach, öffentliche Gelder für den Wiederaufbau der zerstörten Kirchen bereitzustellen. Zugleich verdammte er jede Form von Gewalt zur Klärung religiöser Streitigkeiten.

In seiner Rede machte er auch deutlich, dass es einen Verstoß gegen die indische Verfassung darstelle, andere Religionen und ihre Glaubensinhalte zu diffamieren. Damit bezog er sich auf Publikationen protestantischer Gruppen wie der Pfingstbewegung, in denen hinduistische Glaubensvorstellungen als Aberglauben und Götzendienst verurteilt worden seien. Die oftmals aggressive Missionstätigkeit evangelikaler und charismatischer Gruppen ruft immer wieder heftige Reaktionen bei Hindus hervor, die dann generell allen christlichen Kirchen und Gruppen vorwerfen, den Hinduismus zu verdammen.


Gesetzliche Schritte gegen radikale Hinduorganisationen gefordert

Die Proteste von Hindus richten sich vor allem gegen die so genannten "New Life Churches", evangelikale christliche Kirchen von "Born Again Christians", die seit gut 20 Jahren von aus den USA kommenden Missionaren gegründet wurden. Von Seiten der Hindus wurde dieser Gruppe vorgeworfen, Pamphlete in Umlauf gebracht zu haben, in denen der Hinduismus als Heidentum verunglimpft werde und die Hindugottheiten als Götzen der Lächerlichkeit preisgegeben würden. Die New-Life-Bewegung bestreitet, jemals solche Publikationen veranlasst zu haben, und unterstellt, dass es sich hier um gezielte Provokation radikaler Hindus handele.

Am 23. September hat die Regierung von Karnataka dann doch schärfer auf die Gewalt gegen Christen reagiert und die Bestimmungen des aus dem Jahr 1985 stammenden "Anti-Goonda-Gesetzes" in Kraft gesetzt, wodurch den Behörden die Macht gegeben wird, gegen alle vorzugehen, die Angriffe gegen Einrichtungen religiöser Minderheiten begehen. Dies geschah, nachdem der Erzbischof von Bangalore, Bernard Moras, mit scharfen Worten gegen das Nichtstun der Regierung von Karnataka protestiert hatte.

Am 20. September 2008 haben Hindu-Extremisten einen Einbruch in die Jakobskirche in Bangalore verübt, den Tabernakel aufgebrochen, Heiligenstatuen zerstört und in der Sakristei die liturgischen Gewänder vernichtet. Die Polizei hat inzwischen den mutmaßlichen Rädelsführer Mahendra Kumar von der radikalen Hinduorganisation Bajrang Dal zusammen mit über 70 weiteren mutmaßlichen Tätern aus der gleichen Organisation verhaftet, die für die Anschläge in Mangalore, Chikmaglur und Udupi verantwortlich gemacht werden. Wohl um seine Organisation vor weiteren Maßnahmen seitens der Behörden zu retten, hat Mahendra Kumar in einem Brief an die nationale Organisation die Führung der Bajrang Dal in Karnataka offiziell niedergelegt und erklärt, er werde als einfaches Mitglied weiter für die Verteidigung der Belange des Hinduismus kämpfen.

Am 19. September 2008 wurde ein Brandanschlag auf die 120 Jahre alte Peter-und-Paul-Kathedrale in Jabalpur im Bundesstaat Madhya Pradesh verübt, bei dem durch das schnelle Eingreifen von Rettungskräften das Feuer eingedämmt werden konnte, so dass nur ein Altar verbrannte. Ob die Täter auch verfolgt und bestraft werden, ist dagegen ungewiss, da die nationalistische Hindu-Partei BJP in Madhya Pradesh die Regierung stellt. Auch in Kerala wurden Kirchen angegriffen: Am 22. September wurden in Akapparambu, einem Dorf in der Nähe von Kochi, die Fenster der Kathedrale der Jakobiten, die auf das Jahr 825 zurückgeht, eingeworfen. Im Friedhof einer anderen Kirche wurde eine über zwei Meter hohe Christusstatue zerschlagen. Auch im Bundesstaat Tamil Nadu gab es Ende September Angriffe gegen christliche Kirchen.

Einen Tag nach der Ermordung von Swami Laxmanananda Saraswati und seinen Gefährten hatten der Vorsitzende der indischen Bischofskonferenz, Kardinal Varkey Vithayathil von Ernakulam-Angamaly, und der Vizepräsident, Kardinal Oswald Gracias von Mumbai, die Mordtat verurteilt und sich für Frieden und das Ende von Gewalt ausgesprochen. Nach Ausbruch der Gewalt gegen die Christen in Orissa bat die Indische Bischofskonferenz am 27. August die nationale Regierung, Truppen in das Gebiet um Kandhawal zu schicken, um die Gewalttaten zu stoppen. Verbunden damit war die Forderung, dass die zentrale Untersuchungsbehörde Indiens die Umstände des Mordes an Swami Saraswati und seinen Gefährten untersuchen und aufklären solle, damit der Vorwurf der Hindugruppen, Christen seien für diese Bluttat verantwortlich, durch die Verhaftung der wirklichen Täter widerlegt werde.

Wegen der andauernden Untätigkeit der Sicherheitskräfte, die Gewalt gegen die Christen in Orissa zu unterbinden, wandte sich Erzbischof Raphael Cheenath von Cuttack-Bhubaneswar an den Höchsten Gerichtshof Indiens mit der Forderung, das Gericht solle den Behörden in Orissa den Befehl erteilen, die Christen in Orissa zu beschützen, indem sie genügend Polizei- und Sicherheitskräfte bereitstellten, um wirkungsvoll gegen die radikalen Hindugruppen vorzugehen. Am 3. September hat das Oberste Gericht die Regierung des Bundesstaates Orissa aufgefordert, binnen 24 Stunden einen Bericht zu erstellen, in dem dargestellt werde, welche Maßnahmen die Staatsregierung zum Schutz der Christen unternommen habe.

Eine ökumenische Delegation von sieben Vertretern der christlichen Kirchen hat Premierminister Manmohan Singh ein Memorandum überreicht, in dem die katastrophale Lage in Orissa geschildert und um Entsendung von Armeeeinheiten zur Unterstützung der lokalen Sicherheitskräfte ersucht wurde, da die Behörden vor Ort offensichtlich nicht in der Lage oder, noch schlimmer, nicht gewillt seien, den Schutz der christlichen Bevölkerung sicherzustellen. Premierminister Singh hat daraufhin den Premierminister von Orissa aufgefordert, unmittelbar Maßnahmen zu ergreifen, um Ruhe und Sicherheit in der Region wieder herzustellen.

Eine interreligiöse Delegation aus Führungspersönlichkeiten von Christen, Hindus und Muslimen hat sich am 1. September 2008 in Delhi mit der Präsidentin der Indischen Union, Pratibha Patil, getroffen und sie aufgefordert, eine Anordnung zu erlassen, in der die Regierung des Bundesstaates Orissa verpflichtet werde, die Gewalt gegen die Christen zu beenden. Zugleich forderten sie, dass die Regierung gesetzliche Schritte gegen eine Reihe von radikalen Hinduorganisationen wie die Vishwa Hindu Parishad (VHP-Welthindukonferenz) und die Bajrang Dal (Partei der Starken und Tapferen) ergreifen solle, die beide als Organisationen gelten, die der Bharatiya Janata Party (BJP) verbunden sind und als ihre militanten Werkzeuge gelten. Auch einige politische Parteien, darunter die Kommunistische Partei, haben die Forderung erhoben, gewalttätige radikale Hinduorganisationen zu verbieten.


Ein Tag des Fastens und des Gebets

Am 29. August stellten alle christlichen Schulen und Lehreinrichtungen im Lande, das sind immerhin 45 000 Einrichtungen mit mehr als 10 Millionen Schülern und Studenten, aus Protest gegen die Gewalt gegen Christen in Orissa für einen Tag ihre Lehrtätigkeit ein. Es ist bemerkenswert, dass 60 Prozent dieser Einrichtungen sich in Dörfern befinden und in erster Linie den unteren und ausgegrenzten Schichten in der Bevölkerung dienen. Die Schulbehörden in den indischen Bundesstaaten, in denen die BJP die Regierung stellt, verlangten Erklärungen, wieso die Schulen ohne Erlaubnis der Regierungsstellen geschlossen wurden, und kündigten Sanktionen an.

Als Reaktion auf die Schließung der christlichen Schulen haben Anhänger der Vishwa Hindu Parishad (VHP) in verschiedenen Städten christliche Schulen angegriffen, Schulbusse zerstört und gedroht, die Einrichtungen abzubrennen. Nur der Einsatz von Polizeikräften hat verhindern können, dass sie diese Absicht in die Tat umsetzten. Bei diesen Demonstrationen trugen die Anhänger der VHP Plakate, in denen die Christen beschuldigt wurden, für die Ermordung von Swami Saraswati verantwortlich gewesen zu sein. Der Führer der VHP, Proveen Togadia, rechtfertigte die Gewalt gegen die Christen als Selbstverteidigung der Hindus gegen die Gewalt, die zuerst von den Christen ausgegangen sei.

Andere Hinduführer gingen noch weiter und unterstellten, dass die Christen selbst ihre Kirchen und Häuser angezündet hätten, um Entschädigungen vom Staat zu erhalten und zugleich die Hindus zu verunglimpfen.

Am 7. September 2008 hielten die Katholiken in Indien auf Initiative von Kardinal Vithyathil einen Tag des Fastens und des Betens. Die Führer der protestantischen Kirchen von Nord- und Südindien schlossen sich diesem Aufruf an und riefen ihre Gläubigen ebenfalls zu einem Tag des Fastens und Betens für die Opfer der Gewalt in Orissa und um Frieden und Harmonie zwischen den Religionen auf. Als Reaktion auf die Gewalt gegen die Christen wurden an vielen Stellen im Lande besondere Gebetsgottesdienste abgehalten, in denen Christen zusammen mit Hindus, Muslimen, Sikhs und Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften für die Opfer in Orissa beteten.


Ein negatives Licht auf Indien

In Varanasi, einem Zentrum des Hinduismus, trafen sich Vertreter verschiedener Religionen am Platz vor der katholischen Kathedrale, um für ein Ende der Gewalt und für die Opfer zu beten. Es wurden Texte aus verschiedenen Heiligen Schriften gelesen, in denen Gewalt im Namen der Religion verurteilt wird.

Am 2. Oktober 2008, dem Geburtstag von Mahatma Gandhi (1869-1948), demonstrierten in Delhi mehr als 10.000 Angehörige und Führer verschiedener Religionen gegen die Verfolgung der Christen in Orissa und anderswo. Hinduführer wie Swami Agnivesh beklagten, dass dieselben radikalen Hindugruppen, die auch Gandhi ermordet hätten, weiter bestünden und ihre Gewalt gegen die Christen richten können. Auch führende Politiker nahmen an der Demonstration teil, die deutlich machte, dass die radikalen Hindu-Gruppierungen der Sangh Pariwar weithin unter Hindus auf Widerstand stoßen und nur eine Minderheit darstellen.

Die Gewalttaten gegen Christen werfen ein negatives Licht auf Indien, das im vergangenen Jahr, am 15. August 2007, den 60. Jahrestag der Unabhängigkeit von britischer Kolonialherrschaft feierlich begangen hat. Mit Stolz und Genugtuung blickten Politiker, Intellektuelle, Mitglieder der Religionsgemeinschaften und viele einfache Bürger auf das in dieser Zeit im Bildungs- und Gesundheitswesen, auf den Gebieten der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Technologie Erreichte zurück. In der Informationstechnologie hat Indien sich eine weltweit führende Position sichern können. In den letzten Jahren hat die indische Volkswirtschaft Wachstumsraten in der Größenordnung von 8 bis 9 Prozent erzielt, wodurch das politische Gewicht Indiens als führendes Schwellenland in Südostasien unterstrichen wurde.

Indien gilt als die weltweit größte Demokratie und kann stolz darauf sein, dass sich die demokratischen Institutionen trotz der blutigen Kämpfe zur Zeit der Teilung des indischen Subkontinents, der kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem Nachbarland Pakistan und innerer Spannungen bewährt haben. Auch die Stellung der Frau hat sich in diesem Zeitabschnitt zum Positiven gewandelt. Auf dem Lande beeinträchtigt zwar immer noch das Mitgift-System die Stellung der verheirateten Frauen und wegen Problemen mit der Mitgift kommt es immer wieder zu Morden an Frauen. Als bezeichnend für den Wandel zum Besseren kann aber gesehen werden, dass am 19. Juli 2007 mit Pratibha Patil zum ersten Mal eine Frau zur Präsidentin der Indischen Union gewählt wurde. Sonja Gandhi als Vorsitzende der Kongresspartei und Mayawati Kumari als Ministerpräsidentin des Bundesstaates Uttar Pradesh sind weitere Frauen in führender politischer Funktion. Von besonderer Bedeutung ist, das Mayawati Kumari, die zu den Dalits gehört, in Uttar Pradesh in das Amt der Ministerpräsidentin gewählt worden ist.

Auch wenn es in der 60-jährigen Geschichte der Indischen Union immer wieder gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen verschiedener Religionsgemeinschaften gegeben hat, ist mehrheitlich das in der Verfassung verankerte Prinzip des "säkularen Staates" nie in Frage gestellt worden. Angesichts der jüngsten Auseinandersetzungen und der Gewalt gegen die christliche Minderheit wird von Beobachtern kritisch angefragt, inwieweit die Neutralität des Staates gegenüber den Religionen noch gelte, nach der die Religionsgemeinschaften in der Politik keine eigene Rolle spielen dürfen.

Die von den in der Sangh Parivar organisierten hinduistischen Gruppierungen vertretene Ideologie der "Hindutva" spricht sich entschieden gegen das säkulare Modell aus und möchte in Indien einen Hindustaat errichten, in dem Nichthindus Bürger zweiter Klasse sein würden. Auch wenn die Hindus 80,5 Prozent der indischen Bevölkerung ausmachen, sind die Muslime mit 13,4 Prozent, die Christen mit 2,3 Prozent und die Sikhs mit 1,8 Prozent religiöse Minderheiten, die sich ebenso wenig wie die Buddhisten, Jains, Parsi und Bahai von der hinduistischen Mehrheit einfach vereinnahmen lassen wollen. Die radikalen Hindus sind der Auffassung, dass sich nur über den Hinduismus definieren lässt, was eigentlich die kulturelle, religiöse, soziale, politische, und wirtschaftliche Identität Indiens ausmacht.

Auch wenn diese Form eines "kulturellen Nationalismus" der Idee des vom ersten indischen Ministerpräsidenten Pandit Nehru vertretenen säkularen Staates zuwiderläuft und von der Mehrheit der indischen Bevölkerung nicht mitgetragen wird, findet dieses Gedankengut doch in Organisationen wie der Vishwa Hindu Parishad (VHP), der Bajrang Dal und anderen radikalen Hindugruppen starken Widerhall. Bei den radikalen Hindus geht die Angst um, dass Dalits und Angehörige der Stammesbevölkerung dem Hinduismus den Rücken kehren könnten, weil sie sich dort nicht länger beheimatet fühlen oder wegen der Kastenordnung eigentlich nie im vollen Sinn eine Heimat hatten. Daher lehnen sie Bekehrungen vom Hinduismus zu anderen Religionen in einer fast schon manisch anmutenden Weise ab.

In ihrem Kampf gegen Bekehrungen setzen sie auf staatliche Unterstützung. So forderten Vertreter der VHP am 26. September 2008 die indische Regierung auf, ein generelles Verbot von Bekehrungen zu erlassen. Zugleich erneuerten sie ihre Vorwürfe, dass christliche Missionare nur mit Gewalt und durch das Versprechen von materiellen Vorteilen oder durch Zwang Angehörige der unteren Schichten und der Stammesbevölkerung zum Christentum bekehrten. Belegen können sie allerdings diese Vorwürfe nicht. Denn in einer Reihe von indischen Bundesstaaten - 1978 in Arunachal Pradesh, 2003 in Gujarat, 2006 in Madhya Pradesh und Chhattisgarh und 2007 in Himachal Pradesh - wurden Gesetze verabschiedet, die Bekehrungen, die unter Zwang oder durch materielle Vorteile erfolgten, unter Strafe stellen. Bisher wurde jedoch noch kein einziger Fall vor Gericht gebracht.

Der eigentliche Grund für den Kampf gegen die christliche Minderheit liegt jedoch anderswo: Die radikalen Hindus nehmen Anstoß an der Arbeit der Christen im Erziehungs- und Gesundheitssektor unter den Dalits und den Angehörigen der Stammesbevölkerung. Die bis dahin leicht zu manipulierenden und auszubeutenden Bevölkerungsgruppen haben durch schulische Ausbildung an Selbstbewusstsein gewonnen und sind immer mehr in der Lage, selbst für ihre Rechte einzutreten.


Georg Evers (geb. 1936), promovierte bei Karl Rahner über Theologie der Religionen. 1979-2001 war er Asienreferent im Theologie der Religionen. 1979-2001 war er Asienreferent im Missionswissenschaftlichen Institut Missio (Aachen). In dieser Eigenschaft unternahm er zahlreiche Reisen in asiatische Länder und wirkte bei wichtigen theologischen Konferenzen im Rahmen der Vereinigung Asiatischer Bischofskonferenzen (FABC) mit. Zahlreiche Veröffentlichungen zum interreligiösen Dialog und zur Theologie der Mission.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
62. Jahrgang, Heft 11, November 2008, S. 551-557
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2008