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BERICHT/230: Zur Bedeutung von Himmelfahrt und Pfingsten (uni hannover intern)


uni intern 2 / Mai 2007
Informationen für die Leibniz Universität Hannover

Himmelfahrt und Pfingsten
Verlust an kultureller Erinnerung?

Von Prof. Friedrich Johannsen


Feiertage sind ein wichtiger Bestandteil der Erinnerungskultur einer Gesellschaft. Mit ihrer Erosion schwindet die Rückbindung an die sinn- und identitätsstiftenden Traditionen, die für die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft relevant sind, so der Theologe Prof. Friedrich Johannsen von der Philosophischen Fakultät der Leibniz Universität Hannover


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Während Weihnachten und Ostern noch relativ gut im allgemeinen gesellschaftlichen Bewusstsein verankert sind, ist der Bedeutungshintergrund von Himmelfahrt und Pfingsten verblasst. Das Verständnis der Einzelfeste erschließt sich aus dem Gesamtzusammenhang des Festkalenders.

Die christliche Festtradition hat einen wesentlichen Ursprung in der Sabbatfeier des Judentums. Für diese ist es geradezu zentral, dass die ökonomische Logik während der Festzeit unterbrochen wird. An diesem Tag soll in Erinnerung an die Schöpfung und im Vorgriff auf die zukünftige Heilszeit weder gesät noch geerntet oder produziert, sondern aus der Fülle gelebt werden. Darüber hinaus dient der Festzyklus der Pflege gemeinschaftlicher Erinnerungskultur, der Vergewisserung der Ursprünge sowie der tragenden Ordnungen und Orientierungen. Ein Spezifikum des jüdischen Festkalenders ist die Transformation der ursprünglich am Zyklus von Saat und Ernte ausgerichteten Feste durch heilsgeschichtliche Erinnerungen. Ein altes Hirtenfest zum Weidewechsel wurde um die Feier der Befreiung aus der Sklaverei (Passa) erweitert und zu einem Festkontinuum mit dem sieben Wochen später stattfindenden Fest der Weizenernte zusammengefasst. Das sogenannte Wochenfest (Shavuot) verbindet den Dank für die Weizenernte mit der Feier der Verkündigung der Tora, der göttlichen Weisung, die dem befreiten Leben Orientierung gibt. Mit einigen Ausnahmen wie der des Weihnachtsfestes, das bedeutende römische Feste überlagert, folgt der christliche Festzyklus dem jüdischen. Die inhaltliche Ausrichtung wird dabei allerdings neu akzentuiert: Aus dem Passa mit der Feier der Befreiung aus Fremdherrschaft wird der Auferstehungstag mit der Feier der Befreiung von der Macht des Todes, aus dem Wochenfest mit einer Feier der Orientierung gebenden Weisung wird die Feier der Sendung des Geistes der Wahrheit. In der Urszene des Pfingstfestes erfahren die Shavuot feiernden Jünger Jesu die Sendung des Heiligen Geistes und die Gründung der christlichen Gemeinde. Der Heilige Geist ist nach biblischer Überlieferung die Kraft, die die weltumspannende (ökumenische) Gemeinschaft Christi (die Kirche) konstituiert und das universale Verkündigen und Verstehen der Botschaft anleitet.

Der christliche Festkalender entwickelte sich auf der Grundlage des lukanischen Doppelwerks (Lukasevangelium und Apostelgeschichte). Die Überlieferung von der Himmelfahrt Christi, nach der der auferstandene Christus zu Gott "entrückt" und an dessen Seite er die himmlische Herrschaft antritt, wurde in urchristlicher Zeit noch nicht mit einem eigenen Festtag bedacht. Diese am Ölberg in Jerusalem haftende Erinnerung wurde zunächst in die Osterwoche sowie in die Pfingstfeiern einbezogen. Erst Ende des vierten Jahrhunderts begann man, gemäß der Chronologie des Lukas, den 40. Tag nach Ostern als Tag der Himmelfahrt zu begehen. Grund der Feier ist für die Gläubigen der Beginn der verborgenen Weltherrschaft Christi, die bei seiner Wiederkehr am Ende der Zeiten in offene gerechte Herrschaft einmünden wird. 50 Tage nach Ostern wird dann im Pfingstfest (nach Pentecoste = 50) daran erinnert, dass der Heilige Geist die Christusanhänger "begeistert" und der erhöhte Christus durch den Heiligen Geist Gemeinschaft mit den Seinen hält.

Himmelfahrt und Pfingsten erinnern an eine mögliche Qualität menschlicher Gemeinschaft mit geistvoller Lebendigkeit und erhalten dadurch jeweils eine macht- und herrschaftskritische Komponente. Dass sie in der Volksfrömmigkeit und in der säkularen Gesellschaft in der Wahrnehmung ihres Sinngehaltes hinter Weihnachten und Ostern zurückfallen, hat eine Ursache darin, dass hier weniger Brauchtum entwickelt wurde.

Wenn der Sinngehalt schwindet, verlieren Feste ihre Funktion zur Vergewisserung des kulturellen Gedächtnisses. Auf längere Sicht mag das zu kulturpessimistischen Prognosen Anlass geben. Noch problematischer wäre es aber, wenn die Feiertage aufgrund des empirischen Befundes als obsolet betrachtet und gesetzlich abgeschafft würden. Himmelfahrt und Pfingsten haben heute weitgehend ihre religiöse Komponente verloren und damit eine Verkürzung erfahren. Aber auch, wenn Festtage "nur" als Ausflugstage begangen werden, bleibt mit der Unterbrechung des Alltags und der Feier des unverzweckten Lebens ein wichtiger Aspekt der Feiertagstradition erhalten. Trotz dieses Wandels ist so zumindest die Möglichkeit kultureller Erinnerung in der Festkultur erhalten, obgleich sie gerade in Bezug auf Himmelfahrt und Pfingsten aus dem Blick gerät.

Der Himmelfahrtstag wurde in einigen Landesteilen als Herrentag bezeichnet, als Tag, an dem Jesus Christus zum himmlischen Herren wurde. Je mehr dieses Verständnis verschwand, übernahmen andere Herren und Väter die Festregie, und es lässt sich beobachten, dass besonders für die angehenden Herren die Vatertagstour unter dem Geist des Alkohols nicht selten zu einem Himmelfahrtskommando wird.


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Quelle:
uni intern 2 / Mai 2007, S. 6
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Die uni intern erscheint vier Mal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Mai 2007