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BILDUNG/002: Taizé als Lernort für Jugendliche und ihre Lehrer (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion - 12/2013

Einfachheit und Offenheit
Taizé als Lernort für Jugendliche und ihre Lehrer

Von Edeltraud Gaus und Claudia Guggemos



Taizé ist ein bedeutsamer Lernort für Jugendliche wie auch für zukünftige Lehrerinnen und Lehrer. Denn Jugendliche können in Taizé Erfahrungen machen, die zu einem wichtigen Baustein ihrer Glaubensbiographie werden. Es liegt an der spirituellen Kompetenz der Lehrenden, ob innerhalb des Religionsunterrichts eine Annäherung an diese Erfahrungen gelingen kann.


Seit drei Jahren führt der Lehrstuhl für Religionspädagogik an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen im Rahmen der Ausbildung von zukünftigen Religionslehrerinnen und -lehrern fachdidaktische Seminare zu "Taizé" durch. Studierende beschäftigen sich dabei an der Universität mit dem "Geheimnis von Taizé" aus historischer, liturgischer, soziologischer und vor allem religionspädagogischer Perspektive und verbringen zusätzlich eine Woche bei einem der Jugendtreffen.

Ziel dieser Seminare ist zum einen, den wichtigsten europäischen jugend-spirituellen Ort der Gegenwart kennenzulernen, ihn sowohl wissenschaftlich als auch in Bezug auf zukünftiges (schul-)pastorales Handeln hin in den Blick zu nehmen, zum anderen ist die persönliche spirituelle Bildung der jungen Leute Ziel des Seminars.

Das wirft zwei Fragen auf: Zum einen stellt sich die Frage nach dem Sinn eines solchen Seminars im Kontext der universitären Lehrerbildung und zum anderen stellt sich die Frage, was so viele Jugendliche in Taizé suchen und ob angesichts der vielen forschenden Studierenden das Geheimnis von Taizé nun als "entschlüsselt" beschrieben werden kann (vgl. HK, April 2007, 179 ff.)


Warum Taizé funktioniert

Die Tatsache, dass die wissenschaftlich fundierte Literaturlage zu Taizé bislang sehr überschaubar ist, stellt eine Besonderheit für ein Thema eines theologischen Seminars dar. So sind Lehrende wie Studierende gemeinsam jedes Semester neu auf der Suche nach der Antwort zu der Frage, warum Taizé "funktioniert". Jedes Mal fragen die Studierenden, warum seit den siebziger Jahren jährlich Tausende von Jugendlichen das Camp dieser Gemeinschaft besuchen. Vor Ort treffen sie auch viele Erwachsene und Familien mit Kindern. Was fasziniert all diese Menschen an diesem Ort und dieser Gemeinschaft?

Die Referatsthemen, die Studierende sich aussuchen und die Hausarbeiten, die sie schreiben, werfen ein Licht auf die Zugänge, die sie sich zum Geheimnis von Taizé erarbeiten: Häufig gewählt wird der historische Zugang. Dahinter verbirgt sich die These, dass die Figur und die besondere Situation des Gründers Frère Roger Schutz (1915-2005) das Besondere von Taizé ausmachen, eine charismatische Figur im Zentrum dieser Bewegung. Die These, dass die Person Frère Rogers unersetzbar ist, kann, wenn sie aus dem historischen Kontext herausgelöst wird, zu der Frage führen, ob Taizé ohne seinen Gründer mittelfristig seinem Ende zugehen muss.


Ein anderer Zugang, den Studierende häufig wählen, ist die Liturgie von Taizé: Sie beschreiben die Gebetszeiten, die dreimal am Tag stattfinden, als Tagzeitenliturgie oder vergleichen die sonntägliche Feier mit der Feier der Eucharistie, wie sie sie in Deutschland erleben. Ästhetische Aspekte in Bezug auf Raumgestaltung und musikalische Schwerpunkte spielen hier eine große Rolle. Drei Aspekte sind auffällig: Die Besonderheit der repetitiven Gesänge, welche sowohl Medium meditativer Erfahrung als auch starker Gemeinschaftserlebnisse sein können; die ungefähr zehnminütige Stille, die im Zentrum jeder Liturgie steht und die für viele Jugendliche eine enorme Herausforderung darstellt sowie die Tatsache, dass alle Gebetszeiten und Feiern zwar genau geplant sind, aber die Leitung "unsichtbar" bleibt. Alle drei Aspekte generieren eine ästhetische Qualität der "Einfachheit und Offenheit", die nicht zufällig ist, sondern Programm.


Auch die Raumgestaltung folgt in Taizé den ästhetischen und theologischen Prinzipien von Einfachheit und Offenheit: Wenig asphaltierte Wege, einfache Holzbänke und Holzkonstruktionen, sowie Zeltdächer, unter denen man sich vor Regen und Sonne schützen kann, stehen den Besucherinnen und Besuchern zur Verfügung. Die Gruppenräume sowie die Baracken sind schlichte Gebäude und auch der Bereich der Stille und die Kirche ordnen sich diesen Prinzipien unter.

Am eindrücklichsten beim Besuch der Kirche ist für den Besucher wohl die Tatsache, dass es keine Kirchenbänke gibt, sich jede und jeder einen Platz auf dem Teppich sucht und dort die für ihn angemessene Gebetshaltung einnehmen kann. Als nächstes sticht die einfache Gestaltung mit Ziegelsteinen, Kerzen und orangefarbenen Tüchern ins Auge, dann erst bemerkt man die aufgestellten Ikonen und die kleine Buchshecke, die einen Bereich in der Mitte des Kirchenschiffes in einfachster Weise vom Raum abtrennt. In diesem Raum - inmitten der betenden Gemeinde - nehmen alle Brüder mit dem Prior Platz. Sie füllen nicht den Altarraum.

In dieser Raumaufteilung unterstreicht die Gemeinschaft die Einfachheit ihrer Berufung, die sie mit allen Gottesdienstbesucherinnen und -besuchern gemeinsam in eine Richtung blicken lässt. Die Gemeinschaft zeigt auch hiermit die sie prägenden Prinzipien der Unfertigkeit und der Offenheit, die mit einem großen Vertrauen in die Menschen einhergeht. Auch nach dem gewaltsamen Tod von Frère Roger an eben jenem Ort in der Liturgie gibt es keine neu angebrachten physischen Hindernisse oder gar Leibwächter. Wie zuvor auch darf eine festgelegte Zahl an Kindern aus dem Familiencamp durch die kleine Hecke gehen und direkt mit den Brüdern beten.


Auch Taizé spricht nicht alle Jugendlichen an

Ein weiterer Zugang, den Studierende wählen, wenn sie das "Geheimnis von Taizé" entschlüsseln wollen, ist die Frage, welche Jugendlichen denn überhaupt nach Taizé fahren. Mithilfe von soziologischen Modellen wie der Jugendstudie des Sinus-Instituts (Marc Calmbach, Peter Martin Thomas und andere, Wie ticken Jugendliche? 2012: Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland, Altenberg 2012) lässt sich die These aufstellen, dass Taizé zwar viele Jugendliche, aber eben nicht alle jungen Menschen anspricht.

Es gibt jugendliche Lebenswelten, die ein Massenevent, eine breite Internationalität, Ruhe und Kontemplation, Sinnsuche oder Glaube und neue unkonventionelle Formen ansprechen. Dazu gehören sicher Jugendliche aus den sozialökologischen oder den so genannten "expeditiven", eingeschränkt auch aus konservativ-bürgerlichen und adaptiv-pragmatischen Lebenswelten. Selten zu finden sind Jugendliche aus experimentalistisch- oder materialistisch-hedonistischen und aus prekären Lebenswelten.

Diese These war im Seminar heftig umstritten, widerspricht sie doch scheinbar dem christlichen Anspruch "für alle" da zu sein. Dass nicht jeder Ort für Menschen aus allen Lebenswelten gleichermaßen attraktiv ist und sein kann ist allerdings eine Grundlage der Milieu- und Lebensweltforschung, die sich in Bezug auf Taizé als jugendspirituellem Ort beobachten und beschreiben ließ.


Ein Aspekt, der einen Schritt in das Geheimnis von Taizé hineinführt, ist der Topos der Gemeinschaft. Sie prägt den Alltag in Taizé. Zum einen wird der Alltag in Gemeinschaft gelebt: Sowohl bei den Jugendtreffen als auch bei den Treffen für Erwachsene und Familien werden die Mahlzeiten an zentralen Orten ausgegeben und eingenommen, Gemeinschaft wird erlebt in den Bibel- und Gesprächskreisen und beim gemeinsamen Mithelfen, Arbeiten und Beten. Besonders beim Gebet kann ein eigentümliches starkes Gemeinschaftsgefühl entstehen, wenn gemeinsam gebetet und gesungen wird und gleichzeitig jede und jeder Einzelne die Möglichkeit zur intimen Begegnung mit Gott und mit sich selbst hat. Menschen aus allen Ländern sind da und Menschen erleben die weltweite Vernetzung.


Zum anderen laden die Brüder ihre Gäste ein, für einige Zeit Teil ihrer Gemeinschaft zu werden. Dabei ist vielen Jugendlichen nicht bewusst, dass sie, wenn sie sich nach Taizé aufmachen, in ein Kloster fahren. Das Geheimnis von Taizé liegt nicht allein in der Attraktivität für viele Menschen. Auch die Tatsache, dass die Gemeinschaft sich selbst in diesem Trubel nicht verliert, ist frappierend.

Sicherlich spielt der klösterliche Rhythmus, den die Besucher in den Gebeten erleben, eine große Rolle bei der Konsolidierung der Gemeinschaft. Dreimal täglich richten sich die Brüder an Gott aus, geben ihrer Gottesbeziehung gemeinschaftlich Raum. Unsichtbar bleibt die Arbeit als Pendant zum Gebet: Alle Brüder - auch der gefragteste "Gästebruder" sowie der Prior - gehen täglich eine Stunde einer handwerklichen Arbeit nach; jeder Bruder arbeitet täglich in einer der Werkstätten, zum Beispiel der Töpferei, und trägt so zum Erwerb der Gemeinschaft bei.


Gastfreundschaft in einer extremen Weise

Das ökumenische Kloster in Taizé lebt - wie viele monastische Gemeinschaften - nach einer Regel, die Frère Roger als "Quellen von Taizé" niedergeschrieben hat. Sie lassen sich als eine Ausdeutung und Fortschreibung der Benediktsregel verstehen. Eine der wichtigsten Regeln der benediktinischen Gemeinschaften ist die gelebte Gastfreundschaft. Benedikt nahm die Gastfreundschaft als spirituell selbstverständliche Haltung, die bereits die Wüstenväter kannten, in seine Regel auf: "Alle Fremden, die kommen, sollen aufgenommen werden wie Christus; denn er wird sagen: 'Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen'. Allen erweise man die angemessene Ehre..." (Abschnitt 53).

Die ökumenische Gemeinschaft von Taizé lebt diese Gastfreundschaft in einer extremen Weise, die manche der oben beschriebenen Besonderheiten erklärt. Sie bietet nicht nur über viele Wochen Raum für eine Menge Menschen, die die eigene Größe der Gemeinschaft um ein Vielfaches übersteigt. Diese Gastfreundschaft, die Kennzeichen vieler klösterlicher Gemeinschaften ist, findet an vielen Stellen ihren Ausdruck: Die Kirche wurde - kaum war sie fertiggestellt - in radikaler Weise erweitert, indem die Fassade abgerissen und der Eingang provisorisch durch ein Zelt ersetzt wurde.

Auch das Essen für die vielen Besucher ist sehr einfach gehalten. Die Brüder vertrauen jugendlichen Freiwilligen, die über eine längere Zeit in Taizé sind, das Kochen mit den Wochenbesuchern an; so versorgen sich die Gäste selbst in einfachster Weise. Einfachheit, Offenheit und Unfertigkeit sind also keine zufällige ästhetische Entscheidung, sondern notwendiger Ausdruck der Gastfreundschaft.


Auch in der Liturgie zeugt die Einfachheit von der großen Gastfreundschaft der Gemeinschaft. Die schönen komplexen französischsprachigen liturgischen Gesänge, die das Stundengebet der Anfangszeit prägten, wurden abgeschafft, als klar wurde, dass die internationalen jungen Gäste sie kaum mitsingen und -beten konnten. Einfache Melodien mit wenig Text, anfangs in Latein gehalten, wurden geschaffen, um ein gemeinsames Gebet zu ermöglichen. Hier veränderte eine klösterliche Gemeinschaft ihre gewachsene Form der innigen Kommunikation mit Gott, um das Ideal der Gastfreundschaft zu leben.

Ein erster Schritt zur Veränderung der Liturgie war die Akzeptanz des ersten katholischen Bruders in der zunächst als protestantische Kommunität gegründeten Gemeinschaft. Bald wurde klar, dass dies auch bedeutete, weitere Traditionen zu integrieren. So gibt es in Taizé nun neben der protestantischen Betonung der Bibel in den täglichen Bibelarbeiten auch orthodoxe Ikonen und katholische Eucharistiefeiern.


Gastfreundschaft zeigt sich in Taizé also konkret in einer Ästhetik der Einfachheit, Offenheit und Unfertigkeit und im Vertrauen: geht es beispielsweise um das Delegieren von Aufgaben oder die Beteiligung der Gäste an Gestaltungsspielräumen.

Taizé kann so Lernort für die aktuelle Pastoraltheologie sein. Geht es dieser doch aktuell darum, wichtige Überzeugungsarbeit in dem Sinne zu leisten, dass kirchliche Strukturen nicht sakrosankt sein dürfen, sondern vielmehr stets den Aufgaben von Kirche zu folgen haben. Dieses Prinzip ist in der radikal gelebten Gastfreundschaft von Taizé verwirklicht. Frère Roger fragt so in den "Quellen von Taizé": "Finden die Gäste, die wir Tag für Tag empfangen, in uns Menschen, die Christus ausstrahlen, der unser Friede ist?"


In demselben Abschnitt seiner Regel beschreibt er einen weiteren Aspekt der Gastfreundschaft, der am Ende des Abendgebets, also ebenfalls in der Liturgie besonders gelebt wird: "Bestimmte, mit Unterscheidungsvermögen begabte Brüder sind beauftragt, allen zuzuhören, die sich anvertrauen möchten."

Konkret bedeutet das, dass ein Teil der Brüder nach dem Abendgebet nicht aus der Kirche auszieht, sondern sich an verschiedenen Punkten in der Kirche verteilt. Ohne Worte laden sie zu Gespräch oder auch - in einem Teil der Kirche - zur Beichte ein. Frère Roger nennt als Wesenselement dieser Gespräche: "Ihnen zuhören - nicht so sehr um Ratschläge zu erteilen, sondern um in ihnen die Wege des Herrn Jesus Christus zu bereiten - und sich der Frage stellen: Kennen sie zur Genüge ihre inneren Energien und Fähigkeiten, alle Gaben, die in sie gelegt worden sind?"


Die Beschäftigung mit dem Phänomen "Taizé" führt deutlich vor Augen, dass eine Analyse einzelner Aspekte der Gemeinschaft nicht weiterführt, genauso wie die Übernahme einzelner Aspekte aus Taizé in den deutschen Gemeindealltag meist nicht besonders gut funktioniert. Das wird besonders deutlich, wenn man regelmäßige Taizé-Gebete in Deutschland besucht: Sie werden oft von Erwachsenen organisiert und besucht und ziehen bei aller liebevollen Vorbereitung wenig Gebetsteilnehmerinnen und -teilnehmer an.

Einige theologische Schlüsselkategorien ließen sich in den Seminaren aber finden: die Einfachheit, die eine Offenheit und Unfertigkeit mit sich bringt und die Gastfreundschaft, die mit dem Vertrauen einhergeht, dass sich diese Gemeinschaft in ihr nicht verliert. Diese Kategorien helfen, Taizé als Lernort zu erschließen.


Taizé als Lernort für zukünftige Lehrerinnen und Lehrer

Viele Jugendliche finden in Taizé einen Ort des Austauschs und der Stille und damit die Bedingung, vielleicht zum ersten Mal nach dem "Mehr" in ihrem Leben zu fragen. Durch das Gebet und die Gespräche stellen Jugendliche fest, dass auch andere die gleichen Fragen teilen und die gleichen Sehnsüchte haben. Sie ahnen, dass diese Fragen religiöse Fragen sein und die Sehnsüchte eine religiöse Dimension haben können.


Diese Erkenntnis, im Suchen und Fragen nicht allein zu sein, kann für Jugendliche entlastend und beruhigend sein und stellt einen wichtigen religiösen Lernprozess dar. Und auch im Gebet erfahren Jugendliche, dass nicht nur sie sich davon anrühren lassen, sondern auch viele andere, die während des Gebetes mit in der Kirche sitzen. Das heißt jedoch nicht, dass alle die gleichen Erfahrungen machen. Einige würden sie als spirituell, andere als religiös bezeichnen, weil sie in eine persönliche Beziehung zu Gott treten konnten, also eine Art Gotteserfahrung gemacht haben.

Für andere war es ein schönes Gebet in Gemeinschaft, das sie auf eine bestimmte Weise angerührt hat, und wieder andere hat vor allem die Stille beeindruckt. Jeder nimmt die ihm eigene Erfahrung mit. Aber das Erleben von spiritueller Besinnung in der Gemeinschaft hat eine für sich sprechende Überzeugungskraft. Und in der Einfachheit von Taizé erschließt sich dann auch, dass in Beziehung zu Gott treten ein erster wichtiger Schritt ist.


Taizé als Lernort bietet jedem Besucher den Rahmen, das Hören zu üben. Im Gebet die Worte und Texte auf sich wirken zu lassen, aber auch in der Stille auf sich selbst zu hören, den eigenen Fragen und Sehnsüchten nachzuspüren. Zum anderen gibt es viele Menschen, die zuhören. Freunde, die in der Gruppe mitgekommen sind, in den Gesprächskreisen sowie die Brüder nach den Gottesdiensten. Dadurch wird ermöglicht, dass sich jeder selbst besser kennenlernt, aber auch, andere und ihre Fragen, Fähigkeiten und Lebensbedingungen kennenzulernen und so ein besseres Verstehen über sprachliche und kulturelle Verschiedenheit hinweg möglich ist. Dies fördert die Haltung der Jugendlichen, in Gesellschaft und Kirche Verantwortung zu übernehmen und auf diese Weise einen Beitrag zu leisten, für die Versöhnung unter den Menschen und am Frieden in der Welt. In Taizé wird dies bereits vorweggenommen, denn es wird dort gelebt und von allen eingefordert.


Nimmt die theologische Ausbildung von zukünftigen Religionslehrerinnen und -lehrern die in mehreren Fassungen überlieferte und längst zum geflügelten Wort gewordene Diagnose Karl Rahners ernst, dass der Christ von morgen ein Mystiker sein müsse? Dann muss das Ziel dieser theologischen Ausbildung auch als die Bildung von Mystikern und Mystikerinnnen beschreibbar sein. Beziehungsweise muss sie noch einen Schritt weiter gehen: Ihr Ziel ist es demnach Mystagogen und Mystagoginnen auszubilden, welche fähig sind, Jugendliche spirituell zu begleiten, um ihnen dabei zu helfen, selbst Mystiker zu werden und zu sein.

Dieser Anspruch an Religionslehrerinnen und -lehrer wird auch von der Deutschen Bischofskonferenz aufgestellt: In den 2011 promulgierten "kirchlichen Anforderungen an die Religionslehrerbildung" fordern die Bischöfe neben fachspezifischen und didaktischen Kompetenzen die grundlegende Ausbildung und Vertiefung der persönlichen Gottesbeziehung, wenn sie feststellen: "Die berufliche Identität und Spiritualität der Religionslehrerinnen und Religionslehrer wird im Studium grundgelegt" (46).

Zukünftige Lehrende sollen eine eigene Gottesbeziehung ausbilden. Diese Gottesbeziehung ist der Grund, aus dem und auf dem sie die spirituelle und mystagogische Qualität ihrer zukünftigen Lehrtätigkeit aufbauen werden. Dabei ist Mystagogie als kommunikatives Beziehungsgeschehen zu verstehen: Ein Mensch entdeckt sich selbst im Horizont der Gottesbeziehung und wird dabei von einem anderen Menschen begleitet. Diese Begleitung kann bedeuten, einen Beziehungs- und Erfahrungsraum für einen anderen Menschen zu öffnen, damit dieser gleichfalls in eine eigene Gottes-Beziehung eintreten kann. Diese Begleitung kann aber auch bedeuten, Zeugnis zu geben, Deutung anzubieten oder mit jemandem im Horizont der Geheimnishaftigkeit Gottes ein Stück Weg zu gehen.


Die eigene Rolle als Religionslehrerin oder Religionslehrer klären

Wird der Sinn des Theologiestudiums in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung als Bildungsprozess von Personen mit eigener Glaubensposition und -praxis gefasst, stellt sich die Frage, wie Lernprozesse gestaltet werden müssen, damit sie spirituelle Qualität zeitigen können. Dies kann nur geschehen, wenn ein theologischer Diskurs mit der eigenen Biographie und Spiritualität verknüpft wird. Es gehört zur Professionalisierung einer Religionslehrerin oder eines Religionslehrers, um beweglich und unvoreingenommen den Fragen und Ansichten von Kindern und Jugendlichen begegnen zu können.

Ein Aufenthalt in Taizé bietet die Möglichkeit dazu. Auf diese Weise kann die "Rolle" als Religionslehrerin oder Religionslehrer neue Impulse erhalten und neu überdacht werden (Wissensvermittlerin, Gesprächspartner in Glaubensfragen, Vorbild als engagierter Christ, ...) und die ursprüngliche Motivation, die vielleicht zur Berufswahl Religionslehrer führt, nämlich spirituell Kindern und Jugendlichen etwas vermitteln zu wollen und auf diese Weise an deren Persönlichkeitsbildung und Glaubensentwicklung teilzuhaben, neue Motivation bekommen.

Eine zentrale Erkenntnis der Fachdidaktikseminare ist, dass Religionslehrer-Sein bedeutet, die ganze Person in den Unterrichtsprozess einzubringen. Die eigene Gottesbeziehung, die eigenen Zweifel, eine eigenständige Theologie und das Wissen um die Grenze theologischen Sprechens sind Grundlage jeglicher authentischer Kommunikation im Religionsunterricht. Diese Erkenntnis ermöglicht manchen Studierenden, ihren Berufswunsch weiter zu klären.


Taizé bietet desweiteren ein Übungsfeld für Kompetenzen im Bereich der Kommunikation und Empathie, die jede Religionslehrerin und jeder Religionslehrer haben sollte. Wer sich auf den Prozess bei den Jugendtreffen in Taizé einlässt, lernt, Erfahrungen in Worten auszudrücken, die im ersten Moment vielleicht als unaussprechlich erscheinen und persönlich gesehen emotional überwältigend sind. Offenheit und Empathie ist in der Begegnung mit anderen Menschen, anderen Alters, anderer Herkunft und Kultur gefordert.

In Gesprächsrunden, ausgehend von Bibelimpulsen, teilen Menschen einander ihre Glaubens- und Lebenssituationen mit. Dann geht es darum, mit dem anderen zu fühlen und sich einfühlen zu können, um ihn zu verstehen und hilfreich sein zu können. Das beinhaltet oft auch Konfrontation und Auseinandersetzung mit extremen Lebensthemen wie Krankheit, Gewalt und Tod. Angehende Religionspädagogen sind gefordert, mit solchen Themen einen eigenen Umgang zu finden und ihre Scheu diesen Themen gegenüber abzubauen. Im Berufsalltag werden sie immer wieder mit diesen Themen konfrontiert und als professionelle Kommunikatorinnen gefragt sein. Dann ermöglicht ein reflektiertes Handeln die Haltung einer Offenheit und eines angemessenen Einfühlungsvermögens.


Schließlich vermittelt ein Aufenthalt in Taizé den Religionspädagoginnen auch die Erfahrung, dass auch eine gewisse Unfertigkeit ihre Berechtigung hat. Da sich alle auf ihrem ganz persönlichen Glaubensweg befinden, hat zunächst jede Reflexion und jede Wahrnehmung bezüglich des Glaubens ihre Berechtigung und kann den Ausgangpunkt eines Lehr- und Lernprozesses darstellen. Aus unterschiedlichen Gründen wird kein noch so reflektierter und ausgereift vorbereiteter Religionsunterricht das erreichen, was durch die spirituelle Vermittlung in Taizé gelingt.

Deshalb müssen sich schulische und außerschulische Lernorte ergänzen. Das ist eine Sache, die angehende Lehrerinnen und Lehrer in Taizé lernen können. Schülerinnen und Schüler können dort Erfahrungen machen und Glauben in Gemeinschaft erleben; für ihre (Glaubens-)Biographie kann dies einen wichtigen Baustein darstellen, hilft es ihnen, sich damit ihre eigene Gottesbeziehung zu erschließen. Dennoch liegt es dann an der spirituellen Kompetenz der Lehrperson, ob innerhalb des Unterrichts eine Annäherung daran gelingen kann. Um dies zu erreichen, könnte nicht zuletzt ein wichtiges Prinzip von Taizé hilfreich sein: Gastfreundschaft kann auch bedeuten, Schülerinnen und Schüler noch mehr zu motivieren, ihre Fragen und Themen zu entdecken und dann in den Unterricht einfließen zu lassen, um auf diese Weise gemeinsam Religionsunterricht zu gestalten.


Studienrätin Edeltraud Gaus (geb. 1974) ist Lehrerin für Katholische Religion und Französisch und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Religionspädagogik an der Katholischen Fakultät Tübingen.

Dr. Claudia Guggemos M. A. (geb. 1970) ist Referentin für Diakonie und Ehrenamt am Institut für Fort- und Weiterbildung der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Die Pastoralreferentin war bis 2012 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Religionspädagogik an der Katholischen Fakultät Tübingen.

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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
67. Jahrgang, Heft 12, Dezember 2013, S. 626-631
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juni 2014