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BUCHTIP/079: Ein kritischer Blick auf die Kirchenreform (RUB)


RUB - Ruhr-Universität Bochum - 1. Oktober 2009

Ein kritischer Blick auf die Kirchenreform
Fachübergreifende Beiträge zu einem Impulspapier

RUB-Publikation: Die Evangelische Kirche und die Reformdiskussion


Mit dem Reformpapier "Kirche der Freiheit" hat die Evangelische Kirche eine breite innerkirchliche wie wissenschaftliche Diskussion in Gang gesetzt. Um Sinn und Unsinn von Reformanstößen und -vorhaben geht es im Sammelband "Kirchenreform", der soeben erschienen ist. Herausgegeben von der Bochumer Theologin Prof. Dr. Isolde Karle fasst der Band die Beiträge eines fachübergreifenden Symposiums der Ruhr-Universität zusammen. Kritisch setzen sich die Autorinnen und Autoren mit dem Reformpapier, mit dem Selbstverständnis der Kirche und ihren Zukunftsperspektiven auseinander.

Kirche im Sog der Ökonomisierung

Die evangelische Kirche in Deutschland steht vor immensen Herausforderungen durch sinkende Mitgliederzahlen, zurückgehende Kirchensteuereinnahmen und die zunehmende Individualisierung und Säkularisierung der Gesellschaft. Sie reagiert darauf mit Bestrebungen, die Effizienz der Organisation zu steigern und kirchliche Arbeit grundlegend umzustrukturieren. Dabei orientiert sie sich zunehmend an ökonomischen Paradigmen und Strategien. Das von der EKD im Jahr 2006 publizierte Reformpapier "Kirche der Freiheit" steht exemplarisch für diesen Prozess.

Keine weitere Zentralisierung

Insbesondere die Grenzen des kirchlich Organisierbaren geraten in den Beiträgen des Bandes in den Blick. Auch wird die angestrebte weitere Zentralisierung und Ausdifferenzierung kirchlicher Arbeit kritisiert. Die Autoren zeigen, dass auch unter heutigen Bedingungen die Bedeutung der kleinen Einheiten im lokalen Nahbereich nicht zu unterschätzen ist. Denn religiöse Kommunikation gewinnt gerade durch das Zusammenspiel mit anderen Interessen wie Geselligkeit, Erziehung oder Kunstgenuss an Attraktivität und Stabilität.

Zum Selbstverständnis einer Reformkirche

Das EKD-Reformpapier wird in manchen Beiträgen intensiv analysiert und kritisiert, in anderen Beiträgen dient es eher als inspirierender Ausgangspunkt oder als Hintergrundfolie für grundsätzliche Erwägungen, etwa zum Selbstverständnis der Kirche, zu parallelen Umstrukturierungsprozessen in der katholischen Kirche, zur Funktion von Kirchengebäuden in der Moderne oder zum komplexen Zusammenspiel von Organisation und Gemeinde. Spannend ist die aktuelle Diskussion allemal in Anbetracht der Entstehungsgeschichte der Kirche: "Das 'ecclesia semper reformanda' gehört zum Selbstverständnis der evangelischen Kirche, die ihren eigenen Ursprung in einer breitenwirksamen Reform hat und sich daher prinzipiell zu Reformen ermutigt sieht", so Herausgeberin Prof. Karle, die im einleitenden Beitrag des Bandes die "Kirchenreformen und ihre Paradoxien" auf den Punkt bringt.

Zeitgeist, Publikum und Glauben-Lernen

Die Autorinnen und Autoren beurteilen die Reformbestrebungen theologisch und soziologisch und analysieren die Bedingungen des Kircheseins in der Moderne - nicht nur der evangelischen. Historisch, dogmatisch, konfessionsvergleichend und systemtheoretisch geht es unter anderem um das lutherische Verständnis von Kirche und Gemeinde, Gemeindemodelle und -strukturen im Neuen Testament, die Rolle der Pfarrerinnen und Pfarrer und die "Zeitgeist-Anfälligkeit des deutschen Protestantismus". Thematisiert werden aber auch die An- und insbesondere Abwesenheit des "Publikums" der Kirche, Modelle der Begegnung von Theologie und Ökonomie ("Management als Mittel der Kirchenreform") sowie die Rolle der direkten Kommunikation als Voraussetzung für das "Glauben-Lernen".

Gefördert von der Thyssen Stiftung

Der Sammelband "Kirchenreform" geht auf ein interdisziplinäres Forschungssymposion zurück, an dem renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der evangelischen und katholischen Theologie, aus der Religionssoziologie, der Religionswissenschaft und der Ökonomie im Oktober 2008 teilnahmen. Das Symposion und die Publikation wurden von der Fritz Thyssen Stiftung großzügig gefördert.

Titelaufnahme
Isolde Karle (Hrsg.): Kirchenreform. Interdisziplinäre Perspektiven,
Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2009, 312 Seiten, 20 Euro, ISBN: 978-3-374-02736-1

Redaktion: Jens Wylkop


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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 315 vom 1. Oktober 2009
RUB - Ruhr-Universität Bochum
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Oktober 2009