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FRAGEN/018: Diskussion über Reformen in der katholischen Kirche (uni'leben - Uni Freiburg)


uni'leben - 04/2011
Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

"Angst ist ein schlechter Ratgeber"

Freiburger Theologen diskutieren über Reformen in der katholischen Kirche


Mehr Mitsprache für Gläubige, kulturelle Vielfalt im Gottesdienst, verheiratete Priester und Frauen in kirchlichen Ämtern: Das Memorandum "Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch" soll einen Diskussionsbeitrag zur Reformdebatte in der katholischen Kirche leisten. Magnus Striet von der Albert-Ludwigs-Universität zählt zu den 144 Professorinnen und Professoren der Theologie, die den Text unterzeichnet haben - sein Freiburger Kollege Klaus Baumann dagegen nicht. Nicolas Scherger hat die beiden nach ihren Positionen gefragt.


uni'leben: Herr Striet, Herr Baumann, wie kommt es, dass Sie das Memorandum unterschiedlich beurteilt haben?

Magnus Striet: Es ging darum, daran zu erinnern, dass Themen offen diskutiert werden müssen. Der eigentliche Konflikt, den der Katholizismus durchlebt, lässt sich freilich an den im Memorandum angesprochenen Einzelthemen nur studieren; er sitzt tiefer. Moderne Gesellschaften realisieren ein grundlegendes Prinzip: möglichst große Freiheit für alle. Zudem gilt in ihnen nichts mehr nur deshalb, weil es Tradition ist. Vielmehr ist, was aus der Tradition in die Gegenwart überliefert wird, zu begründen, wenn es normative Bedeutung entwickeln soll. Teile des Katholizismus haben zu dieser Moderne noch kein reflektiertes Verhältnis gewonnen.

Klaus Baumann: Ich teile viele Anliegen des Memorandums - in dem Sinne, dass offen diskutiert werden muss. Aber der Text suggeriert zum Großteil schon die Antworten. Ich fand es nicht angemessen, mich so zu positionieren.

uni'leben: Was sollte sich in der Kirche aus Ihrer Sicht vor allem ändern?

Magnus Striet: Es gibt eine klare theologische Grundannahme: Dieser Glaube ist ein Glaube der Freiheit. Daher müsste die äußere Gestalt der Kirche viel deutlichere Zeichen von Freiheit tragen - zum Beispiel, indem die Gläubigen an Entscheidungen stärker beteiligt werden.

Klaus Baumann: Die theologische Grundlage dafür haben wir mit dem gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen aus der Taufe und im Verständnis der Kirche als Gemeinschaft des Glaubens. Die Frage ist aber, wie die Strukturen gestaltet werden sollen.

uni'leben: In der Debatte darüber versuchen beide Seiten, ihre Positionen aus der Bibel zu begründen, und werfen der Gegenseite jeweils vor, untheologisch zu argumentieren. Hat der Katholizismus keine gemeinsame Wahrheit mehr?

Klaus Baumann: Das sind stilisierte Extreme. Dazwischen gibt es eine Vielfalt von differenzierten Positionen. Dafür stehe auch ich mit meinem Nichtunterschreiben.

Magnus Striet: Das Christentum war immer eine Streitgeschichte. Wir haben nicht ein Evangelium, wir haben vier Evangelien. Ein gut ausgetragener Streit kann nur produktiv sein. Zeiten ändern sich und stellen neue Fragen. Man kann sich nie sicher sein, ob man sich nicht in den bisher eingenommenen Positionen getäuscht hat.

uni'leben: Sollte sich eine Institution, die eine letzte Wahrheit verkündet, tatsächlich dem Zeitgeist anpassen?

Magnus Striet: Das Christentum hat drei Grenzen, die es nicht überschreiten kann: Es bekennt sich zu Jesus als dem Christus, sein Gott ist ein barmherziger Gott und er will Gerechtigkeit in den irdischen Verhältnissen. Für diese Grundüberzeugungen tritt die Kirche ein.

uni'leben: Solche Kernbotschaften gehen in der medialen Debatte unter. Sie konzentriert sich stattdessen auf die Forderung, den Zölibat abzuschaffen. Wie gehen Sie damit um?

Klaus Baumann: Wir wollen natürlich mehr diskutieren als Tagesthemen - aber die sind auch zu Recht Tagesthemen. Verbrechen an Kindern darf man nicht schönreden. Dass damit die Lebensform des Zölibats problematisiert wird, ist verständlich. Dem muss sich die Kirche offen stellen.

Magnus Striet: Mich ärgert, dass mit dem Zölibat ein katholischer Identitätsmarker auf einem Feld konstruiert wird, das marginal ist. Interessant ist auch, dass ausgerechnet Journalisten wie Matthias Matussek ihre Katholizität meinen damit beweisen zu müssen, dass sie sich zu heftigen Verteidigern des Pflichtzölibats aufschwingen, und gleichzeitig denen ihre Katholizität absprechen, die ein Nachdenken einfordern. Der evangelische Theologe Friedrich Wilhelm Graf hat in diesem Zusammenhang von "Ich schlag zurück"-Katholizismus gesprochen. Ohne Rücksicht auf den Verlust einer Restintellektualität wird das Loblied auf die Naivität des Glaubens gesungen und gleichzeitig die ganze Dramatik der Gottesfrage verschwiegen.

uni'leben: Sind die Probleme der katholischen Kirche wirklich damit gelöst, dass strukturelle Missstände beseitigt werden - oder hat sie nicht vielmehr eine Gotteskrise?

Magnus Striet: Man darf Kirchen- und Gotteskrise nicht gegeneinander ausspielen. Wir erleben eine massive Kirchenkrise, die auch strukturell bedingt ist. Noch gravierender wirkt sich die Schwierigkeit aus, den überlieferten Glauben angesichts veränderter Wissens- und Erfahrungshorizonte in die Gegenwart zu überliefern. Gerade deshalb brauchen wir Strukturen, die Kreativität freisetzen.

Klaus Baumann: Es gibt eine Sehnsucht nach Spiritualität, und ich empfinde es als große Not, dass die Kirche in ihrer aktuellen Gestalt meist kein Ansprechpartner ist. Die Kirche in Polen beispielsweise erlebt rasant, wie sie von den Errungenschaften einer freien Gesellschaft erschüttert wird. Im Grunde ist das auch ein Segen. Sind Glaubenspraxen in Überzeugungen begründet oder sozialpsychologische Anpassungen? Das ist die Nagelprobe der Freiheit. Ich weiß daher nicht, ob man von einer Gotteskrise sprechen sollte. Und es gehört zur Geschichte der Kirche, dass sie ihre Gestalt immer wieder neu finden muss.

uni'leben: Wenn Sie als Theologieprofessoren zu massive Kritik äußern, laufen Sie Gefahr, die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen zu bekommen.

Magnus Striet: Ich habe noch nie einen Konflikt erlebt, und ich pflege die freimütige Rede entschieden. Dass immer auch politische Abwägungen nötig sind, ist klar. Aber das gilt nicht nur für die katholische Theologie.

Klaus Baumann: Angst ist ein schlechter Ratgeber. Man kann in Konflikten schnell unfair werden. Die Tendenz zu polarisieren ist aber im Grunde unakademisch. Die Wissenschaft wagt das Argument, die Abwägung - und sie wagt zu sagen: Es gibt Vorläufigkeiten.

uni'leben: Aber viele Gläubige erwarten doch gerade von der Kirche klare Positionen.

Klaus Baumann: Wir haben das Leitbild der Theologischen Fakultät mit den gleichen Worten geschlossen wie das Zweite Vatikanische Konzil: "Es gelte im Notwendigen Einheit, im Zweifel Freiheit, in allem die Liebe." Selbst die so genannte Unfehlbarkeit ist derart eng definiert, dass sich jeder Chefarzt als unfehlbarer versteht als der Papst.

uni'leben: Apropos: Der Papst kommt im September nach Freiburg. Wie sollten die Menschen ihn empfangen?

Klaus Baumann: Herzlich, offen, gastfreundlich. Das ist ein historisches Ereignis, eine Ehre für Freiburg - und für die Kirche ist es natürlich besonders erfreulich.

Magnus Striet: Der Papst wird so empfangen, wie es sich für eine moderne Gesellschaft gehört: Man freut sich über seinen Besuch und diskutiert offen.

Klaus Baumann: Höchst reizvoll wäre es gewesen, wenn er gemeinsam mit der Theologischen Fakultät einen Abend lang unsere Herzensfragen hätte diskutieren können.

Magnus Striet: Und es wäre für die Wirklichkeitswahrnehmung eines Mannes in solch einem Amt hilfreich, konkrete Lebensräume aufzusuchen. Warum nicht einmal ein Studierendenwohnheim? Ich vermute, dass sich manches Bild von der Gegenwart dann von allein korrigieren würde.


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Quelle:
uni'leben - 04/2011, Seite 3
Herausgeber: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg,
der Rektor, Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer
Redaktion: Eva Opitz (Redaktionsleitung),
Rimma Gerenstein, Nicolas Scherger
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. September 2011