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FRAGEN/026: Brasilien - "Nur der Name wird sich ändern", Befreiungstheologe Betto zum Papstrücktritt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. Februar 2013

Brasilien: "Nur der Name wird sich ändern" - Befreiungstheologe Betto zum Papstrücktritt

von Fabiana Frayssinet



Rio de Janeiro, 15. Februar (IPS) - Der brasilianische Befreiungstheologe Frei Betto rechnet nicht damit, dass der künftige Papst von der bisherigen konservativen Linie des Vatikans abweichen wird. "Nur der Name wird sich ändern", erklärte Betto, der eigentlich Carlos Alberto Libânio Christo heißt, im Exklusivinterview mit IPS. Der Nachfolger von Benedikt XVI., der am 28. Februar zurücktritt, wird im Juli zum Weltjugendtag in Rio de Janeiro erwartet.

Betto geht davon aus, dass Joseph Ratzinger, der acht Jahre lang an der Spitze der katholischen Kirche gestanden hat, Einfluss auf die Wahl des künftigen Kirchenoberhaupts nehmen wird. Gemeinsam mit anderen bekannten Intellektuellen, Bischöfen und Priestern gehört Betto innerhalb der Kirche der progressiven Strömung der Befreiungstheologie an, die in den sechziger Jahren in Lateinamerika entstanden war.


Ratzinger Gegner kritischer Theologen wie Küng und Boff

Benedikt XVI. gilt als überzeugter Gegner der Befreiungstheologie, die für die Belange der Armen und sozial Entrechteten Partei ergreift. Bereits in seiner Zeit als Präfekt der Glaubenskongregation, die die Glaubens- und Sittenlehre der Kirche schützt, nahm er Einfluss darauf, dass prominenten Theologen wie dem Schweizer Hans Küng und dem Brasilianer Leonardo Boff die kirchliche Lehrbefugnis entzogen wurde.

Er sei "sehr pessimistisch" hinsichtlich einer Modernisierung der katholischen Kirche, erklärte Betto, der unter anderem das Buch 'Nachtgespräche mit Fidel' geschrieben hat. Wegen seiner kritischen Haltung wurde er während der Militärdiktatur in Brasilien von 1964 bis 1985 zwei Mal inhaftiert. Als Freund des ehemaligen brasilianischen Staatspräsidenten Luiz Inácio Lula da Silva (2003-2011) beriet er dessen linke Regierung in der Anfangszeit bei Sozialprogrammen wie 'Null Hunger'.

IPS: Welche Folgen wird der Rücktritt von Papst Benedikt XVI. für die katholische Kirche, vor allem in Brasilien und anderen Ländern Lateinamerikas, haben?

Frei Betto: Ich glaube, dass in Brasilien die einzige Konsequenz darin bestehen wird, die Werbeplakate für den Weltjugendtag neu zu gestalten, der vom 23. bis 28. Juli in Rio de Janeiro stattfinden wird. Das Bild von Benedikt XVI. wird einfach gegen das seines im März gewählten Nachfolgers ausgetauscht. Der Rücktritt an sich wird keine größeren Folgen haben.

IPS: Können wir nicht eine Modernisierung der Kirche erwarten?

Betto: Aus folgenden Gründen bin ich nicht optimistisch. Zum einen wird Benedikt XVI. eine wesentliche Rolle bei der Wahl des neuen Papstes spielen. Außerdem hat er entschieden, weiterhin im Vatikan zu wohnen. Die Kirche läuft damit Gefahr, für lange Zeit eine Doppelspitze zu haben.

Der neue Papst wird niemals etwas tun, das seinem Vorgänger missfällt. Deshalb wird er weiterhin verbieten, dass in der Kirche über Themen wie Abtreibung, die Abschaffung des Zölibats, die Wahl von Frauen ins Priesteramt, den Gebrauch von Kondomen, die Forschung mit embryonalen Stammzellen, die Homo-Ehe und so weiter diskutiert wird. Erst nach dem Tod von Benedikt XVI. werden wir wissen, was sein Nachfolger denkt und will.

IPS: Inwiefern hat die konservative Haltung von Joseph Ratzinger Lateinamerika und Brasilien geprägt?

Betto: Ich sage nicht, dass Benedikt XVI. die Linie von Johannes Paul II. (1978-2005) fortgesetzt hat. Vielmehr war er der Ideengeber und Theoretiker, der Karol Wojtyla zu seinen konservativen Maßnahmen inspiriert hat. Beide wollten nicht die Beschlüsse des Vatikanischen Konzils von 1962 bis 1965 umsetzen. Dabei hatte dieses Treffen vor fast 50 Jahren stattgefunden! Beide entfernten progressive Bischöfe und ernannten Konservative. Außerdem verhalfen sie Bewegungen wie dem ultrakonservativen 'Opus Dei' zu größerer Bedeutung als der Volkspastorale und den christlich-sozialen Basisgemeinden. Und die beiden waren auf Europa konzentriert.

Der Unterschied zwischen ihnen besteht darin, dass Johannes Paul II. den Verstand der Rechten und das Herz der Linken hatte. Er war konservativ in der Auslegung der Doktrin und fortschrittlich in sozialen Belangen. So kritisierte er den Neoliberalismus und lobte die kubanische Revolution. Benedikt XVI. dagegen hat sich nie sensibel für soziale Fragen gezeigt.

IPS: In welche Richtung könnten sich nach dem Rücktritt des Papstes die progressiven Strömungen innerhalb der Kirche bewegen? Wie etwa die Befreiungstheologie, die in Lateinamerika großen Einfluss hat?

Betto: Die fortschrittliche Linie bleibt durch die kirchlichen Basisgemeinden und die Volkspastoralen für Arbeiter, Ureinwohner und Ältere sowie durch die Arbeit der Befreiungstheologen erhalten. Dennoch hat diese Struktur in den vergangenen Jahrzehnten bei Bischöfen und Kardinälen an Rückhalt verloren.

IPS: Aus dem jüngsten Zensus in Brasilien geht hervor, dass die katholische Kirche zwischen 2000 und 2010 1,7 Millionen Gläubige verloren hat. Somit bekennen sich 64,6 Prozent der 192 Millionen Einwohner des Landes zum katholischen Glauben, während es 1970 noch 90 Prozent waren. Wie erklären Sie sich diese offensichtliche Schwächung der Kirche, die auch in den übrigen Teilen Lateinamerikas zu spüren ist?

Betto: Wir befinden uns in einem Epochenwandel, im Übergang von der Modernität zur Post-Modernität. Die katholische Kirche steckt aber teils noch im Mittelalter und zeigt sich der modernen Zeit gegenüber unaufgeschlossen. Deswegen ist es für sie schwierig, zu verstehen und sich in diese Modernität einzufinden. Die Kirche kann nicht einmal mit den neuen elektronischen Technologien umgehen, die für die Arbeit der Evangelisierung wesentlich sind. In diesem Punkt sind die neupfingstlerischen Kirchen Vorbilder, auch wenn ihre Inhalte befremden.

IPS: Wie wahrscheinlich ist es, dass ein neuer Papst die Abwanderung der Gläubigen in Brasilien aufhalten kann?

Betto: Die katholische Kirche Brasiliens ist immer näher an den Vatikan herangerückt. Die Nationale Bischofskonferenz, die während der Militärdiktatur von 1964 bis 1985 und noch bis zu den neunziger Jahren die Rolle eines Propheten spielte, hat sich jetzt in die Sakristei zurückgezogen und ist nicht länger Stimme derjenigen, die keine Stimme haben. (Ende/IPS/ck/2013)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Februar 2013