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KIRCHE/1309: Koptische Christen in Ägypten (Agora - Uni Eichstätt-Ingolstadt)


Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Ausgabe 1 - 2012

Koptische Christen in Ägypten

Von Teresa Braun und Kristin Langos



Wie lebt die größte christliche Minderheit im Nahen Osten in der Spannung zwischen Diskriminierungen und der Hoffnung auf ein gelingendes Zusammenleben? Die historische und aktuelle gesellschaftspolitische Situation der koptischen Kirche in Ägypten war Thema einer Tagung in Kloster Banz.


Die Lage ist brisant: Während vom 25. Januar bis zum 11. Februar 2011‍ ‍über eine Million muslimische und christliche Ägypter gemeinsam auf dem Tahrir-Platz in Kairo den Rücktritt ihres Präsidenten Husni Mubarak forderten, hat die durch die Revolution entzündete Hoffnung der Christen auf ein zukünftiges, gemeinsames Engagement zusammen mit den Muslimen mittlerweile herbe Dämpfer erfahren. "Die politische Situation im Land ist unklar, es wird nicht über die Probleme geredet, sondern nur über Bärte, Gewänder und Schleier.", so Prof. Michael Ghattas. Der koptisch-orthodoxe Lehrer an der Deutschen Evangelischen Oberschule in Kairo und Professor am Institut für Koptische Studien sieht die aktuelle Situation für die Kopten in Ägypten kritisch, ist aber hoffnungsvoll: "Wir wollen alle gut leben: Christen und Muslime in Ägypten." Mit ihren theologischen Besonderheiten und ihren gegenwärtigen Problemen stand die Koptische Kirche in Ägypten als größte Gruppe christlicher Minoritäten im Nahen Osten im Zentrum der gemeinsamen Seminartagung des Lehrstuhls für Mittlere und Neue Kirchengeschichte und der Forschungsstelle Christlicher Orient. Unter dem Titel "Christen in Minderheitssituationen - am Beispiel der Kopten in Ägypten" wurde vom 11. bis 13. März im Bildungszentrum der Hanns-Seidel-Stiftung Kloster Banz von Theologiestudierenden, Postgraduierten und Gasthörern die historische und gesellschaftspolitische Situation der Kopten beleuchtet.

Die Bezeichnung Kopten für ägyptische Christen leitet sich von dem arabischen Wort qibt ab und bedeutet nichts anderes als "Ägypter". Es gibt heute mindestens 15 verschiedene christliche Kirchen in Ägypten, wobei die koptisch-orthodoxe Kirche mit rund 90% die größte Anzahl Christen auf sich vereinigt und mit ungefähr 10% der Gesamtbevölkerung ca. 8 Millionen Mitglieder hat. Prof. Ghattas betonte die große Bedeutung ihrer eigenen, koptischen Sprache, die allerdings nur in der ritenreichen Liturgie überlebt hat. Das Koptische wird mit griechischen Buchstaben geschrieben, zu denen einige aus den alten pharaonischen Schriftzeichen entwickelten Zusatzbuchstaben hinzukommen. Die koptische liturgische Musik hat sich eigenständig aus altägyptischem Erbe heraus entwickelt und ist der ganze Stolz der Kopten. Wie leider hierzulande fast gänzlich in Vergessenheit geraten ist, können Christen im Orient auf eine lange Tradition ihres Glaubens zurückblicken, wird die Entstehung der orientalischen Kirchen doch auf die Mission der Apostel Petrus, Markus, Jakobus und Thomas zurückgeführt. Die Evangelisation in Ägypten begann demnach schon im 1. Jahrhundert nach Christus, also weit vor der Invasion durch die von Kalif Umar gesendeten Araber im Jahr 639. Die arabische Sprache haben die Kopten danach schnell übernommen und in dieser ein bemerkenswertes Corpus christlich-arabischer Literatur zwischen dem zehnten und 14. Jahrhundert geschaffen, wie Andreas Ellwardt von der Forschungsstelle Christlicher Orient deutlich machte.

Die Wurzeln von Diskriminierungen allerdings reichen ebenfalls bis in arabische Zeit zurück. Mit der Eroberung durch muslimische Araber etablierte sich der Dhimmi-Status (dimmi, arabisch für "Schutzbefohlener"), der die Christen einerseits vom Militärdienst befreite und ihnen freie Religionsausübung zusprach, ihnen gleichzeitig eine Kopfsteuer auferlegte und sie zu Ausländern im eigenen Land machte. Die Kopfsteuer, die erst im 19. Jahrhundert abgeschafft wurde, kommt ganz aktuell durch die neue Regierung wieder ins Gespräch. So forderte unlängst der frühere Führer der Muslimbruderschaft in Ägypten, Mustafa Maschhur, die Kopfsteuer landesweit wieder einzuführen.

Wie eng Vergangenheit und Gegenwart verknüpft sind, wurde ebenso bei den Berichten über das koptische Leben im modernen Ägypten deutlich. Ägypten befindet sich in einer Übergangsphase zwischen den Parlamentswahlen vom 23. Januar 2012, die dazu führten, dass das Parlament von den Parteien der Muslimbrüder und der Salafisten dominiert wird, und den für Mai 2012 angesetzten Präsidentschaftswahlen. Heute befürworten 80% der Muslime die Scharia als Grundlage der Gesetzgebung, die sowohl Frauen als auch Christen massiv benachteiligen würde. "Besonders die vielen arbeitslosen Jugendlichen brauchen eine Perspektive ohne religiös aufgeladene Tendenzen." stellte Prof. Ghattas fest. Er bedauerte, dass vor allem die durch die Revolution verstärkten Forderungen nach Frauenrechten kein Gehör finden, man im Gegensatz dazu selbst an den Universitäten immer mehr verschleierte Studentinnen findet und Zwangsislamisierungen vor allem junger Koptinnen häufiger werden. Trotz eines in der Verfassung verankerten Rechts auf freie Religionsausübung ist die Gefahr, dass Kopten im Alltag diskriminiert werden, gegeben, sei es bei der Vergabe von Studienplätzen, bei der Besetzung von Führungspositionen oder bei der Erbauung oder Renovierung von Kirchen. Es gibt im Alltag auch ermutigende Beispiele des Zusammenlebens zwischen Christen und Muslimen. Außerdem fördern Projekte wie beispielsweise das "Haus der Familie" an der Al-Azhar-Universität in Kairo gegenseitiges Kennenlernen und gemeinsames Tun.

Die bereits zehnte Veranstaltung des Lehrstuhls für Mittlere und Neue Kirchengeschichte zu historischen und aktuellen Problemen an der Schnittstelle zwischen Kirche, Politik und Gesellschaft wollte gerade eine christliche Minderheit und ihre Spezifika kennenlernen, um die religiöse Situation und die daraus resultierenden Konflikte im Nahen Osten besser zu verstehen. Die Kopten leben weitgehend mit der muslimischen Bevölkerung vermischt, dennoch sei der offizielle Dialog mit den Muslimen schwierig und häufig nur im Ausland möglich, erläuterte der Referent in seinem authentischen Bericht. "Wir hoffen, dass wir als Kopten Geduld haben und nicht unsere Heimat verlassen." sagt Professor Ghattas. Er will als selbstbewusster Kopte aber nicht an einen Exodus wie den der irakischen Christen glauben: "Solange Pyramiden in Ägypten stehen, solange werden die Kopten, die Nachfahren der alten Ägypter, weiter dort leben."


Teresa Braun studiert an der KU Lehramt
Gymnasium (Katholische Religionslehre/Englisch).

Kristin Langos ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Mittlere und Neue Kirchengeschichte, der die hier beschriebene Tagung gemeinsam mit der Forschungsstelle Christlicher Orient veranstaltete.


Kasten

INTERVIEW MIT PROF. MICHAEL GHATTAS
(INSTITUT FÜR KOPTSCHE STUDIEN, KAIRO)

Agora: In der ägyptischen Revolution setzten sich Kopten zusammen mit Muslimen für einen gerechten Staat Ägypten ein, warum gibt es danach aber immer wieder Gewalt gegen die koptischen Christen?

Michael Ghattas: "Auf dem Tahrirplatz hatten alle ein Ziel: Leben, Freiheit, Arbeit. Die meisten Jugendlichen sind ja arbeitslos, Kopten wie Muslime. Damals gab es keine Störungen gegen die Koptische Kirche, nun nutzen aber die Islamisten, die nicht mitgekämpft haben, die Situation und spalten das gemeinsame Ziel, indem sie wieder die Religion betonen."

Agora: Wie schätzen Sie heute die Stimmung unter den Kopten ein?

Michael Ghattas: "Wir sind nicht zufrieden, was nach der Revolution geschah. Wir hatten die Hoffnung auf ein gutes Zusammenleben mit den Muslimen, einige waren und sind auf unserer Seite und verstehen die Probleme der Kopten."

Agora: Sehen Sie sich als Kopten als Bürger zweiter Klasse?

Michael Ghattas: "Kopten wollen auch arbeiten, viele bekommen aber nicht die Chance dazu. Nur 2% der Akademiker an der Universität sind Christen. Viele Hochqualifizierte gehen nach Europa oder in die USA, wo sie bessere Möglichkeiten haben. Wir wünschen uns, dass die Regierung und die Islamisten uns nicht als Fremde in unserer Heimat behandeln."

Agora: Wie gestaltet sich der innerchristliche Zusammenhalt angesichts der derzeitigen Lage?

Michael Ghattas: "Wir stoppen gerade alle dogmatischen Diskussionen. Auch wenn es noch Differenzen im Glauben gibt, erörtern wir sie derzeit nicht, um gemeinsam die derzeitige Situation für alle Kopten zu besprechen. Wir müssen aber alle als Ägypter tief über die Zukunft der Generationen nachdenken."

Agora: Der koptisch-orthodoxe Patriarch, Papst Schenuda III. ist Mitte März gestorben. Was bedeutet das für die größte christliche Minderheit in Ägypten?

Michael Ghattas: "Das ganze Land trauert. Wir haben keinen Präsidenten und wir haben keinen Papst. Für die Präsidentenwahlen am 24.‍ ‍Mai hoffen wir, einen Präsidenten zu bekommen, der unser Land für alle Ägypter ohne Diskriminierung beherrscht."


Zur Person Prof. Dr. Michael Ghattas
geb. in Alexandria, Studium der Theologie in Thessaloniki, Erlangen, Heidelberg, wiss. Mitarbeiter für Ökumenische Theologie in Marburg, Promotion in Kirchengeschichte, derzeit Religionslehrer an der Deutschen Evangelischen Oberschule in Kairo, Leiter der Abteilung für Koptische Musik am Institut für Koptische Studien in Kairo, Mitarbeiter am Zentrum für patristische Studien, Dozent an theologischen Seminaren in Ägypten und Deutschland und Mitglied des Ökumenischen Rats der Kirchen in Genf

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Quelle:
Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Ausgabe 1/2012, Seite
Herausgeber: Der Präsident der Katholischen Universität, Prof. Dr.
Richard Schenk
Redaktion: Presse- und Öffentlichkeitsreferat der KU, 85071 Eichstätt
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Mai 2012