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KIRCHE/1864: Friedensprojekt am Scheideweg - Rat der EKD verabschiedet Europa-Erklärung in Brüssel (EKD)


Evangelische Kirche in Deutschland - Pressemitteilung vom 23.04.2016

Friedensprojekt am Scheideweg

Rat der EKD verabschiedet Europa-Erklärung in Brüssel


Vor einer existentiellen Gefährdung des Friedensprojekts Europas hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) heute in Brüssel gewarnt. Die Europäische Union stehe "am Scheideweg", heißt es in einer einstimmig verabschiedeten Erklärung des Rates der EKD, der derzeit in der belgischen Hauptstadt tagt. Die Errungenschaften Europas würden durch Populisten, Extremisten und den schwindenden Rückhalt in den Mitgliedsstaaten grundlegend bedroht. "Auch das Wachsen sozialer Ungleichheiten und Spannungen und die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich schaffen Enttäuschungen und gefährden den Zusammenhalt in Europa", heißt es in dem Papier.

Zuvor hatte sich der Rat der EKD in Gesprächen mit EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, dem Ersten Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, sowie EU-Kommissar Günther Oettinger ausführlich über die aktuellen Herausforderungen in der Europa-Politik informiert. "Europa muss als Wertegemeinschaft deutlich erkennbar bleiben, seine sozialen Konturen schärfen und der Jugend eine Perspektive geben", bekräftigt der Vorsitzende des Rates, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm nach dem Austausch.

In der Erklärung spricht sich der Rat der EKD neuerlich für sichere und legale Wege für Schutzsuchende und Migranten in die Europäische Union aus. "Opfer von Gewalt und Terror an Grenzzäunen mit Waffengewalt abzuwehren oder im Mittelmeer ertrinken zu lassen, beschädigt die Seele Europas." Notwendig sei die Einrichtung eines gemeinsamen europäischen Asylsystems mit einheitlich hohen Schutzstandards.

Die Kirchen in Europa und "alle Menschen, denen die europäischen Errungenschaften am Herzen liegen", ruft die EKD dazu auf, für gemeinsame Lösungen zu streiten: "Europa braucht überzeugte Europäerinnen und Europäer", appelliert die Erklärung.

In einer Andacht erinnerte der Rat der EKD am heutigen Sonnabend auch an die Opfer der Terroranschläge von 22. März in Brüssel. Tagungsort des Rates war seit Donnerstag das Brüsseler Büro der EKD, das nur wenige hundert Meter vom Ort des Terroranschlags an der U-Bahn-Station Maelbeek entfernt liegt.

Der Rat ist neben Synode und Kirchenkonferenz eines der drei Leitungsorgane der EKD. Er wird gemeinsam von Synode und Kirchenkonferenz für sechs Jahre gewählt und besteht aus 15 Mitgliedern. Vorsitzender des im November 2015 gewählten Rates mit Sitz in Hannover ist der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, stellvertretende Vorsitzende ist westfälische Präses Annette Kurschus. Die Präses der Synode der EKD, Irmgard Schwaetzer, ist kraft Amtes Mitglied des Rates. Weitere Ratsmitglieder sind Bischöfin Kirsten Fehrs, Kirchenpräsident Volker Jung, Bischof Markus Dröge sowie Kerstin Griese, Thomas Rachel, Jacob Joussen, Elisabeth Gräb-Schmidt, Andreas Barner, Stephanie Springer, Michael Diener, Marlehn Thieme und Dieter Kaufmann.

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Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zur Lage Europas, Brüssel, 23. April 2016

Die Erde ist des Herrn (Psalm 24)


Die Einigung Europas mit der Überwindung historischer Feindschaften nach 1945 hat den beteiligten Staaten eine nie dagewesene Phase des Friedens und der Freundschaft, der wirtschaftlichen Stärke und Stabilität sowie des Aufbaus demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen gebracht.

Fünfundzwanzig Jahre nach der Überwindung von Diktatur und Spaltung in Europa steht die Europäische Union am Scheideweg. Die freiheitlichen, sozialen, ökonomischen und moralischen Errungenschaften des Friedensprojektes Europa werden von Populisten und Extremisten und dem schwindenden Rückhalt in den Mitgliedsstaaten existenziell bedroht. Auch das Wachsen sozialer Ungleichheiten, die Jugendarbeitslosigkeit und die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich schaffen Enttäuschungen und gefährden den Zusammenhalt in Europa.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) spricht sich in dieser Situation für ein gestärktes, solidarisches und weltoffenes Europa aus. Europa muss als Wertegemeinschaft deutlich erkennbar bleiben, seine sozialen Konturen schärfen und der Jugend eine Perspektive geben.

In der Präambel des Vertrags über die Europäische Union verpflichten sich die Staaten ausdrücklich auf die "Grundsätze der Freiheit, der Demokratie und der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Rechtsstaatlichkeit", die sich "aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas" entwickelt haben. Sie drücken ihren Wunsch aus, "die Solidarität zwischen ihren Völkern unter Achtung ihrer Geschichte, ihrer Kultur und ihrer Traditionen zu stärken".

Diese Werte haben ihre Wurzel auch in der Tradition des christlichen Glaubens. Nur gemeinsam haben die Mitgliedsstaaten der EU in einer international vernetzten Welt eine Zukunft, in der diese Errungenschaften erhalten werden können. Europa ist unsere gemeinsame Zukunft.

Die EKD setzt auf die kulturellen, ethischen und sozialen Ressourcen Europas und seine ökonomische Kraft. Dem europäischen und dem christlichen Geist entspricht es, sich über Grenzen hinaus selbstbewusst zu öffnen. Als EKD engagieren wir uns deshalb für ein Europa der versöhnten Verschiedenheit, das sich seiner weltweiten Verantwortung stellt.

Die Solidarität mit Geflüchteten ist eine Konsequenz aus dem christlichen Glauben, der sich dem Auftrag verpflichtet weiß, für eine gerechte und barmherzige Gesellschaft einzutreten. Die EKD fordert die Mitgliedstaaten der EU auf, sich für die Einrichtung eines gemeinsamen europäischen Asylsystems mit einheitlich hohen Schutzstandards einzusetzen. Dazu gehört ein Verteilsystem für Flüchtlinge, das auch die Interessen der Asylsuchenden berücksichtigt. Die europäische Antwort auf die Flüchtlingsfrage darf sich nicht darin erschöpfen, auf Abschreckung und möglichst niedrige Standards zu setzen.

Die getroffene Vereinbarung der EU mit der Türkei darf nicht zu einer Verlagerung ihrer eigenen Verantwortung führen. Schutzsuchenden muss es weiterhin möglich sein, ihre Asylgründe in einem EU-Staat überprüfen zu lassen. Sie an Drittstaaten zu verweisen, wenn menschenrechtliche Standards dort nicht garantiert werden können, lehnt die EKD ab. Das anhaltende Leid und tausendfache Sterben Schutzsuchender auf dem Weg nach Europa machen zudem deutlich: Wir brauchen sichere und legale Wege für Schutzsuchende und Migranten in die Europäische Union. Opfer von Gewalt und Terror an Grenzzäunen mit Waffengewalt abzuwehren oder im Mittelmeer ertrinken zu lassen, beschädigt die Seele Europas. Die Kirchen haben in den letzten Jahrzehnten einen wichtigen Beitrag zu Frieden und Gerechtigkeit geleistet. Der Rat ist der Überzeugung, dass es die Aufgabe und Verpflichtung aller Religionen ist, sich für ein friedliches und gerechtes Zusammenleben der Menschen einzusetzen. Die Evangelische Kirche in Deutschland ruft ihre Schwesterkirchen in Europa und alle Menschen, denen die europäischen Errungenschaften am Herzen liegen, dazu auf, gegen die Erosion des Vertrauens in die europäische Idee aufzustehen und um gemeinsame Lösungen für die aktuellen Herausforderungen zu streiten. Um das Vertrauen in die europäische Idee wiederzugewinnen, tritt die EKD für eine mutige Debatte um die Zukunft Europas ein. Europa braucht überzeugte Europäerinnen und Europäer!

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland
Brüssel am 23. April 2016

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Quelle:
Pressemitteilung 45/2016 vom 23.04.2016
Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), Pressestelle
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Internet: www.ekd.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. April 2016

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