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STANDPUNKT/280: Wolfgang Huber - Mut zum Singen fassen (EKD)


Evangelische Kirche in Deutschland - Pressemitteilung vom 09.03.2007

Fernsehgottesdienst zu Paul Gerhardt

Wolfgang Huber: Mut zum Singen fassen


Es gilt das gesprochene Wort!

"Heute feiern wir einen Menschen, der unseren Liedern Worte gegeben hat", so der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, in seiner Predigt im Festgottesdienst zum 400. Geburtstag von Paul Gerhardt. Mit einem umfangreichen Festprogramm erinnert die evangelische Kirche das ganze Jahr über an den prominenten Protestanten und Liederdichter, der weit über den kirchlichen Bereich hinaus wirkt. In Berlin wurde das Jubiläum am Sonntag, dem 11. März, mit einem ZDF-Fernsehgottesdienst in der St. Marienkirche am Alexanderplatz gefeiert.

Es sei an der Zeit, wieder Mut zum Singen zu fassen, so der Berliner Bischof. "Paul Gerhardt kann diesen Mut in uns wecken." Der Ratsvorsitzende bedauerte, dass sich im Zeitalter von Radio und Lautsprechern viele Menschen das Singen abgewöhnt hätten. Dem "wollen wir wehren. Deshalb feiern wir heute und in diesem ganzen Gedenkjahr einen großen Liederdichter." Für Paul Gerhardt sei Gott keine abstrakte Größe gewesen: "Erfahrungsgesättigt, schön und volkstümlich weiß er von ihm zu sprechen." Seine Zuversicht habe in der Gewissheit gegründet, "dass Gott sich in unsere Hände legt und unser Leben in seinen Händen birgt."

Die Lieder Paul Gerhardts könnten dabei helfen, alle Stationen des eigenen Lebens im Licht der Güte Gottes zu sehen - auch Leid und Schuld blieben "bei aller Überschwänglichkeit des Gotteslobes" nicht ungesagt. "Dem Unglück, das uns widerfährt, hält nur stand, wer weiß, bei wem er dieses Unglück abladen kann", sagte Wolfgang Huber und zitierte "'Nimm deine Sorg und wirf sie hin / auf den, der dich gemacht': Trotziger hat noch keiner das Gottvertrauen ausgesprochen als in diesem drastischen Bild: Nimm deine Sorgen und wirf sie auf deinen Schöpfer! Er allein verwandelt unser Leben in Segen."

Im Buch der Offenbarung werde geschildert, wie die treuen Gefährten Jesu Christi am Ende aller Tage zum Lob Gottes singen. Diese Zukunftsvision bestimme jeden christlichen Gottesdienst. "Deshalb singt die versammelte Gemeinde Gott zu Dienst und Ehren. Es gehört zu seiner Ehre, dass er sich mit Bitten und Klagen bedrängen lässt. In Gottes Gegenwart ist unser Lied Anrufung und Anbetung." Und deshalb gebe es keinen Grund zur Scham "selbst wenn die Stimme brüchig wird oder wir die Melodie nur unvollkommen beherrschen." Viele Menschen sehnten sich nach einer tiefen Form der Hingabe. "Wir sehnen uns nach der Begegnung mit Gott. Das Singen macht uns von innen her weit. Wer mit Herz und Mund singt, lernt, neu ins Leben zu gehen."

Raute

Bischof Dr. Wolfgang Huber

Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland Predigt im ZDF- Fernsehgottesdienst

am Sonntag Oculi in St. Marien zu Berlin

Es gilt das gesprochene Wort!

11. März 2007


Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

Wer mit Herz und Mund singt, liebe Gemeinde, bewegt nicht nur die Lippen. Dass dabei die Stimmbänder in Schwingung geraten, versteht sich von selbst. Unser Atem strömt mit dem Lied. Wir spüren das Kraftfeld der Melodie bis in die Haarwurzeln hinein. Das Lied erreicht unser Herz und erhebt unsere Seele; es verbindet uns mit denen, die mit uns singen. Und schließlich der Gedankenblitz: In diesem Lied liegt dein ganzes Leben, ja, du lebst für dieses Lied. Für diesen Augenblick, in dem du deine Stimme erhebst und singst. Jetzt und hier.

Heute feiern wir einen Menschen, der unseren Liedern Worte gegeben hat. Gewiss brauchen Lieder mehr. Sie sind auf Melodien angewiesen; sie entfalten sich im mehrstimmigen Gesang. Aber sie brauchen auch Worte, sie brauchen einen Text. Paul Gerhardt, der vor vierhundert Jahren zur Welt kam, gab den Liedern Worte wie kein anderer. Es wird berichtet, dass dieser geachtete Pfarrer seine dichterischen Fähigkeiten zunächst vor allem an Gelegenheitsreime verschwendete. Es war damals wie heute: Wenn ein Fest zu feiern war, dann war es gut, wenn einer den Anlass des Festes in Reime fassen konnte.

Bei Paul Gerhardt wäre es ein Jammer gewesen, wenn sein Dichten nur dem Augenblick verhaftet geblieben wäre. Deshalb war und bleibt es unser großes Glück, dass er weiter ging und dem Glauben zum Lied verhalf. Denn damit verhalf er dem Leben zum Lied.

Wenn wir uns von Paul Gerhardts Liedern mitnehmen lassen, dann werfen wir unsere Seele über die Mauer der Gleichgültigkeit. Wir öffnen all unsere Sinne für das, was uns trägt. Wir lassen uns von diesen Liedern zu etwas überreden, was wir allein nie könnten. Gott so aus der Mitte unseres Lebens heraus zu loben, brächten wir alleine nicht zu Stande. So viele Stationen unseres Lebens im Licht der Güte Gottes zu sehen, gelänge uns niemals von selbst.

Doch damit es gelingt, müssen wir singen. Zu Unrecht halten manche das Singen für unmodern. Nur weil man das Trällern so leicht im Radio hören und durch Lautsprecher verbreiten kann, gewöhnen sich viele Menschen das Singen ab. Das ist ein großes Unglück für sie. Diesem Unglück wollen wir wehren. Deshalb feiern wir heute und in diesem ganzen Gedenkjahr einen großen Liederdichter. Es soll wieder wahr werden, was er zur Sprache bringt: Ich singe dir mit Herz und Mund. Es ist an der Zeit, dass wir wieder den Mut zum Singen fassen. Paul Gerhardt kann diesen Mut in uns wecken.

Seine Lieder fangen oft mit etwas an, was wie eine Selbstüberredung klingt. Sie nehmen uns an der Hand und führen uns dorthin, wohin wir allein nie kämen. Du, meine Seele, singe! Geh aus, mein Herz, und suche Freud! Auf, auf, mein Herz, mit Freuden! Fröhlich soll mein Herze springen! Aber nicht nur in der Aufforderung kann diese Selbstüberredung laut werden, sondern auch im selbstgewissen Ich. Es ist, als träte der Dichter selbst in einen Dialog: Du, meine Seele, singe! So beginnt das eine Lied. Und im anderen findet es seine Antwort: Ich singe dir mit Herz und Mund! Man spürt es: Die Gewissheit des Glaubens, die aus solchen Liedstrophen spricht, ist nicht selbst gemacht, sie ist ein großes Geschenk.

Wer solche Lieder singt, legt sein Geschick in Gottes rettende Hand. Diese Gewissheit verbindet uns mit denen, die vor uns geglaubt und ihren Glauben besungen haben. Gemeinsam mit Moses und den Seinen stehen wir singend am rettenden Ufer. Über die gelungene Flucht durch das Schilfmeer hindurch können wir mit den Israeliten jubeln. Aus vollem Hals und mit hüpfenden Herzen preisen wir mit ihnen das Ende der Knechtschaft.

Wenn wir Gott mit unseren Liedern loben, dann treten wir neben diejenigen, die vor uns ihren Lebensweg gegangen sind. Nicht alle konnten in Freiheit leben. An den Dichter Jochen Klepper denken wir hier in Berlin, der die Bedrückung durch das nationalsozialistische Regime nicht überstand. Am 22. März 1939 beging er seinen 36. Geburtstag. Dazu notierte er in seinem Tagebuch: Jeden Tag 'studiere' ich ein Kirchenlied. Heute war, welch ein Geburtstagslied!, an der Reihe: 'Ich singe dir mit Herz und Mund, Herr meines Herzens Lust' von Paul Gerhardt. Ja, welch ein Geburtstagslied! Heute singen wir es für ein anderes Geburtstagskind, für den Dichter dieses Liedes und vieler anderer Lieder selbst.

Warum ist das Singen so wichtig? Am Ende aller Tage, so schildert es uns die Offenbarung des Johannes, stehen die getreuen Gefährten Jesu Christi am Ufer eines gläsernen Meeres: und die den Sieg behalten hatten..., die standen an dem gläsernen Meer und hatten Gottes Harfen und sangen das Lied des Mose, des Knechtes Gottes, und das Lied des Lammes: Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott! Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker. Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen? Denn du allein bist heilig! Ja, alle Völker werden kommen und anbeten vor dir, denn deine gerechten Gerichte sind offenbar geworden (Offenbarung 15,1-4).

Die Vision einer Zukunft, in der alles klar vor Augen liegt wie ein gläsernes Meer, bestimmt jeden christlichen Gottesdienst. Deshalb singt die versammelte Gemeinde Gott zu Dienst und Ehren. Es gehört zu seiner Ehre, dass er sich mit Bitten und Klagen bedrängen lässt. In Gottes Gegenwart ist unser Lied Anrufung und Anbetung. So wichtig ist das Lied für den christlichen Glauben, dass wir uns auch die Engel singend und musizierend vorstellen. Sie fügen sich immer wieder zusammen zu einer "himmlischen Kantorei". Und wenn in unseren Gottesdiensten die Kantorei von der Höhe herab singt, nimmt sie jedes Mal etwas vorweg von dieser "himmlischen Kantorei". Darauf antworten wir gern und schämen uns unserer Lieder nicht, selbst wenn die Stimme brüchig wird oder wir die Melodie nur unvollkommen beherrschen. Denn das Lied bleibt nicht bei der Selbstüberredung; es erklingt zum Lob Gottes. Den ganzen Menschen nimmt es in dieses Lob hinein; sein ganzes Leben erstrahlt in einem neuen Licht.

Über vierzehn Strophen hin ist uns das in diesem Gottesdienst schon deutlich geworden. Ich singe dir mit Herz und Mund - so hebt das Lied an. Und nach dreizehn Strophen klingt es wie die Erfüllung dieser Ankündigung: Wohlauf, mein Herze, sing und spring / und habe guten Mut. Dieser Mut gründet in der Gewissheit, dass Gott sich in unsere Hände legt und unser Leben in seinen Händen birgt: Dein Gott, der Ursprung aller Ding, / ist selbst und bleibt dein Gut.

Für Paul Gerhardt ist Gott keine abstrakte Größe. Erfahrungsgesättigt, schön und volkstümlich weiß er von ihm zu sprechen: Er ist dein Schatz, dein Erb und Teil, / Dein Glanz und Freudenlicht, / Dein Schirm und Schild, dein Hülf und Heil, / Schafft Rat und lässt dich nicht.

Unergründlich groß ist Gottes Wirklichkeit für diesen Zeugen des Glaubens und dennoch erfahrbar in jedem Augenblick. Sein mit Herz und Mund gesungenes Loblied entdeckt die Spuren Gottes in der Welt. Seine schlichten Strophen bieten ein Mittel, dem Schöpfer fühlbar zu begegnen, ihm entgegen zu gehen. Durch alle Kreaturen hindurch redet Gott uns eindringlich und persönlich an - durch das Himmelszelt ebenso wie durch das fruchtbare Feld, durch Wind und Wetter, durch Leben und Frieden, durch Vergebung und Trost.

Bei aller Überschwänglichkeit des Gotteslobs bleiben Leid und Schuld nicht ungesagt. Der Überheblichkeit dessen, der meint, auf Gott nicht angewiesen zu sein, tritt die Einsicht entgegen, wie viel Grund wir haben, uns zu grämen. Dem Unglück, das uns widerfährt, hält nur stand, wer weiß, bei wem er dieses Unglück abladen kann. Nimm deine Sorg und wirf sie hin / auf den, der dich gemacht. Trotziger hat noch keiner das Gottvertrauen ausgesprochen als in diesem drastischen Bild: Nimm deine Sorgen und wirf sie auf deinen Schöpfer! Er allein verwandelt unser Leben in Segen.

Viele von uns sehnen sich nach einer tiefen Form der Hingabe. Wir sehnen uns nach der Begegnung mit Gott. Das Singen macht uns von innen her weit. Wer mit Herz und Mund singt, lernt, neu ins Leben zu gehen. Amen.


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Quelle:
Pressemitteilung 40/2007 vom 09.03.2007
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. März 2007