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STANDPUNKT/281: Kritik der "Bibel in gerechter Sprache" (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion 1/2007

Auslegung statt Übersetzung?
Eine Kritik der "Bibel in gerechter Sprache"

Von Ludger Schwienhorst-Schönberger


Nach fünf Jahren Arbeit ist im Oktober 2006 die "Bibel in gerechter Sprache" vorgestellt worden. Seitdem wird das Projekt äußerst kontrovers diskutiert. Geht es noch um Übersetzung oder schon um Auslegung, gar Fortschreibung des biblischen Textes?


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Die "Bibel in gerechter Sprache" erregt die Gemüter. Die einen sprechen von einem "ungeheuer spannenden Projekt", bei dem sich "der Horizont unserer Vorstellungen" ebenso erweitert wie das Gottesbild. Andere sehen in ihr ein "Dokument des sich selbst aushöhlenden Protestantismus".

"'Die Ewige' ist mein Licht und meine Befreiung - vor wem sollte ich mich fürchten?" (Ps 27,1). Das klingt ungewohnt. "Damals, als 'ER' in Ägypten mit Mose redete, hatte 'SIE' zu ihm gesagt: 'Ich heiße ICH-BIN-DA'" (Ex 6,28). "Gott ist jetzt auch weiblich" titelte eine Zeitung. Was ist passiert?

Zweiundvierzig Frauen und zehn Männer haben in fünf Jahren die Bibel neu übersetzt. Ein Beirat unter Vorsitz des Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Peter Steinacker, hat die Übersetzungsarbeiten begleitet. Finanziert wurde das Projekt durch Spenden. Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau hat eine Pfarrstelle für fünf Jahre zur Organisation des Vorhabens bereitgestellt. Die Mehrzahl der Übersetzerinnen und Übersetzer hat einen protestantischen Hintergrund. Es haben aber auch einige Katholikinnen mitgearbeitet. Die Übersetzung, so die Herausgeber, "hat ihre Wurzeln in der Befreiungstheologie, der feministischen Theologie und dem christlich-jüdischen Dialog" (9). Entsprechend geht es ihr um eine dreifache Gerechtigkeit: um eine geschlechtergerechte Sprache, um Gerechtigkeit im Hinblick auf den christlich-jüdischen Dialog und um soziale Gerechtigkeit.

Die Übersetzungen der einzelnen Schriften sind namentlich gekennzeichnet. Sie sind von unterschiedlicher Qualität. Vielfach wurden neue und gesicherte Erkenntnisse der Bibelwissenschaft eingearbeitet. Am deutlichsten tritt das Bemühen um eine geschlechtergerechte Sprache hervor. Darauf soll sich im Folgenden unsere kritische Würdigung beschränken.

Unbestritten dürfte sein, dass vorhandene Bibelübersetzungen unter dem Gesichtspunkt einer geschlechtergerechten Sprache Fehler aufweisen. Ein Beispiel aus der Einheitsübersetzung: "Wohl dem Mann, der Weisheit gefunden, dem Mann, der Einsicht gewonnen hat" (Spr 3,13). Richtig müsste es heißen: "Wohl dem Menschen (adam; Vulgata: beatus homo)". Überraschend ist allerdings, dass "Bibel in gerechter Sprache" an dieser Stelle auch das Wort "Mensch" meidet. Sie übersetzt: "Glücklich können sich alle schätzen, die Weisheit finden...".


"Bibel in gerechter Sprache" ist stark geprägt von der feministischen Linguistik

Irritierend wirkt die Übersetzung von Ps 1,1: "Glücklich sind die Frau, der Mann, die...". Aus hebräisch ha-isch "der Mann" wird "die Frau, der Mann". Das Bild verschiebt sich vom Singular in den Plural: "Wie Bäume werden sie sein". Ein möglicher Bezug zwischen "Mann" und David beziehungsweise Christus (vgl. Augustinus) geht verloren, ebenso der Bezug zwischen "Baum", "Baum des Lebens" (Gen 2,9), "Weisheit als Baum des Lebens" (Spr 3,18) und "Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit" (1 Kor 1,24; vgl. Hieronymus). In Hos 11,9 wird allerdings hebräisch isch mit "Mann", nicht mit "Frau, Mann" übersetzt: "Denn Gott bin ich, und nicht ein Mann". Das ist möglich (so übersetzt auch Martin Buber), aber nicht unumstritten. Wäre eine geschlechtergerechte Übersetzung nicht "Denn Gott bin ich, nicht ein Mann, nicht eine Frau"?

In der Einleitung heißt es, "dass dieser Gott nicht männlich, diese Gottheit nicht weiblich war" (10). Es gibt in der Forschung die durchaus ernst zu nehmende These, dass sich Gott in Hos 11 von einem spezifisch männlichen Verhalten distanziere. Die These ist allerdings nicht unwidersprochen geblieben (vgl. Num 23,19; 1 Sam 15,29). Revidierte Luther- und Einheitsübersetzung schreiben: "Denn ich bin Gott, (und) nicht ein Mensch."

Hebräisch beni "mein Sohn" wird häufig zu "meine Tochter, mein Sohn" beziehungsweise in "geschlechtergerechtem" Wechsel der ersten Position in der Aufzählung zu "mein Sohn, meine Tochter" (Spr 1,8; 2,1; 3,1 u.ö.). Dies kann aber nicht konsequent durchgehalten werden. In Spr 7,1 wird nur mit "mein Sohn" übersetzt, wohl deshalb, weil dieser anschließend vor dem Umgang mit der fremden Frau gewarnt wird. Sollte nicht auch die Tochter vor dem Umgang mit der fremden Frau gewarnt werden?

Um die Übersetzungstechnik von "Bibel in gerechter Sprache" zu verstehen, muss man sich mit der im Hintergrund stehenden Theorie vertraut machen. "Bibel in gerechter Sprache" ist stark geprägt von Positionen der so genannten feministischen Linguistik. Diese werden bereits in der Einleitung als nicht mehr hinterfragbar angesehen. Das ist aber keineswegs der Fall. Die Diskussion ist noch offen.

Die feministische Linguistik untersucht den Zusammenhang von Sprache und Geschlecht. Sie kritisiert die deutsche Sprache als sexistisch, weil in ihr maskuline Formen von Substantiven und Pronomina generisch verwendet werden können. Der Satz "Alle Bewohner der Stadt sind umgekommen" kann sich entweder nur auf die männlichen Bewohner der Stadt oder auf die männlichen und weiblichen Bewohner der Stadt beziehen. Solche Formulierungen, so sagt man, verleiten dazu, nur an Männer zu denken, auch wenn Frauen mitgemeint sind. Die Frauen bleiben "unsichtbar". Um dem entgegenzusteuern, werden folgende Strategien verfolgt: Neutralisierung ("Alle Personen der Stadt"), Feminisierung, das heißt: konsequente Benennung von Frauen bei gemischten Gruppen (Splitting: "Alle Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt"), Einsatz des Binnen-I ("Alle BewohnerInnen der Stadt") und schließlich in radikaler Umkehr des generischen Maskulinismus der Einsatz des generischen Feminismus ("Alle Bewohnerinnen der Stadt").

Die "Bibel in gerechter Sprache" praktiziert die ersten beiden Strategien: Neutralisierung und Feminisierung. Ein Beispiel für Neutralisierung: "Richte Israel aus, es soll umkehren" (Ex 14,2; Einheitsübersetzung [EÜ]: "Sag den Israeliten, sie sollen umkehren"). Ein Beispiel für Feminisierung: "Die Israeliten und Israelitinnen waren fruchtbar und breiteten sich aus" (Ex 1,7; EÜ: "Aber die Söhne Israels waren fruchtbar..."). Diese beiden Strategien, Neutralisierung und Feminisierung, durchziehen die gesamte Übersetzung. Beispiele für Feminisierung: "Jüngerinnen und Jünger Jesu", "toragelehrte Frauen und Männer" (EÜ: "die Schriftgelehrten"), "Pharisäerinnen und Pharisäer"; Beispiele für Neutralisierung: "eine schwer hautkranke Person" (Mk 1,40; EÜ: "ein Aussätziger"), "Bauersleute gingen hinaus, um zu säen" (Mk 4,3; EÜ: "ein Sämann ging aufs Feld"), Jesus saß als zwölfjähriger "mitten unter den Lehrenden" (Lk 2,46; EID: "mitten unter den Lehrern").


Fragliche Feminisierungen und Neutralisierungen

Da wo Frauen mit gemeint sein könnten, vom Wortlaut des Textes aber nicht ausdrücklich genannt sind, arbeitet "Bibel in gerechter Sprache" gern mit der Strategie der Feminisierung, aber dort, wo eindeutig eine männliche Person oder männliche Personen genannt und gemeint sind, mit der Strategie der Neutralisierung. Ein Beispiel für "verschleiernde Neutralisierung": "Du bist mein geliebtes Kind, über dich freue ich mich" statt: "Du bist mein geliebter Sohn" (yios, Mk 1,11).

"Bibel in gerechter Sprache" praktiziert Neutralisierung und Feminisierung allerdings auch dort, wo sie von der Sache, also vom Signifikat (in der Terminologie Ferdinand de Saussures) her, unangemessen oder sogar falsch sind. Johannes der Täufer verkündet nach Mk 1,7: "Nach mir kommt einer, der stärker (ischyroteros) ist als ich." "Bibel in gerechter Sprache" schreibt: "Nach mir kommt jemand machtvoller, als ich es bin. Verglichen mit dieser Person bin ich nicht gut genug, dass ich mich bücke und ihren Schuhriemen löse. Ich habe euch im Wasser getauft, sie aber wird euch in heiliger Geistkraft taufen." Der Bezug auf Jesus wird durch Neutralisierung verschleiert.

Ein Beispiel für falsche Feminisierung: "Die Apostelinnen und Apostel versammelten sich um Jesus und berichteten ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten" (Mk 6,30). Hoi apostoloi bezieht sich in Mk 6,30 allerdings auf die Zwölf, die Jesus in 6,7-12 ausgesandt und die er in 3,13-19 eingesetzt hatte. Diese waren aber - zumindest dem Namen nach - Männer. Eine angemessene Würdigung der "Bibel in gerechter Sprache" kommt so an einer kritischen Auseinandersetzung mit Positionen feministischer Linguistik nicht vorbei. Die Kritik am generischen Maskulinismus vermischt Genus (grammatikalisches Geschlecht) und Sexus (natürliches Geschlecht), verkennt die Beliebigkeit des sprachlichen Zeichens (in dem Sinne, dass es - von lautmalerischen Wörtern einmal abgesehen - keinen naturgegebenen Zusammenhang zwischen dem Lautkörper des Zeichens und dessen Inhalt gibt) und lässt die historische Entwicklung der Sprache unberücksichtigt. Das Projekt kann schon aus rein sprachökonomischen Gründen selbst in "Bibel in gerechter Sprache" nicht konsequent durchgeführt werden. Die Frau, die seit zwölf Jahren an Blutungen litt, hatte von "vielen Ärzten vieles erlitten" (Mk 5,26) - nicht von vielen Ärztinnen und Ärzten. Ijobs Freund Elifas hat gesehen, "wie ein Dummer Wurzeln schlug" (5,3) - nicht wie ein Dummer und eine Dumme Wurzeln schlugen.


Eine Form innerbiblischer Bildvermehrung?

Problematischer aber scheint, dass selbst das Modell der feministischen Linguistik durchbrochen wird, und zwar bei der Wiedergabe des Gottesnamens und der Gottesbezeichnungen. Hier stoßen wir auf das theologische Epizentrum der neuen Übersetzung, die - wie es im Werbeprospekt heißt - "anders ist". Beginnen wir mit dem wirkungsgeschichtlich bedeutsamen Text Gen 1,27: "Da schuf Gott Adam, die Menschen, als göttliches Bild, als Bild Gottes wurden sie geschaffen, männlich und weiblich hat er, hat sie, hat Gott sie geschaffen." Offensichtlich soll vermieden werden, dass das Wort "Gott" durch das Personalpronomen "er" substituiert und dass auf das Wort "Gott" durch das Possessivpronomen "sein" verwiesen wird. Deshalb wird, obwohl es im hebräischen Text anders steht, in die Passivkonstruktion ausgewichen: "als göttliches Bild, als Bild Gottes wurden sie geschaffen" statt "als sein Bild, als Bild Gottes schuf er ihn (adam den Menschen)".

Diese Form der Übersetzung verstößt nicht nur gegen die Regeln der deutschen Grammatik, sondern ist, wie der weitere Textverlauf zeigt, auch in sich selbst nicht konsistent. Dies sei an der Übersetzung von Gen 2,2-3 gezeigt: "Gott aber brachte das eigene Werk am siebten Tag zum Abschluss, indem sie am siebten Tag von all ihrem Werk ruhte, das sie getan hatte. Und Gott segnete den siebten Tag und machte ihn heilig. Denn an ihm ruht sie von all ihrem Werk, das Gott geschaffen hat, um zu wirken." In Vers 2a wird hebräisches melakto mit "das eigene Werk" übersetzt - wohl um die übersetzung "sein Werk" zu vermeiden. In Vers 2b und Vers 3 aber wird dasselbe Wort, nachdem man unter Missachtung der Regeln der deutschen Grammatik in die feminine pronominale Substitution gewechselt ist ("... an ihm ruht sie mit "ihrem Werk" übersetzt. Das ist nicht konsequent. Ist "ihr Werk" politisch korrekter als "sein Werk"?


Vielzahl göttlicher Namen

Die Herausgeber meinen, Gott" einseitig mit grammatikalisch männlichen Bezeichnungen zu benennen", rufe eine männliche Vorstellung von Gott hervor. So werde "das Bilderverbot umgangen" (10). Um dem entgegenzusteuern, setzen sie mit grammatikalisch falscher Pronominalisierung ("sie") ein weibliches Gottesbild daneben. Hier liegt ein dreifaches Missverständnis vor: Zum einen die bereits genannte Verwechslung von Genus und Sexus.

Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass sich das Bilderverbot des Dekalogs nicht gegen Sprach-, sondern gegen Kultbilder richtet. Nimmt man aber einmal das vorausgesetzte Textverständnis als gültig an, dann verstößt die praktizierte Übersetzungsmethode in gewisser Weise sogar gegen das Bilderverbot: Das angeblich in der Bibel vermittelte männliche Gottesbild wird als eine in sich geschlossene Größe verstanden und durch ein weibliches Gottesbild ergänzt. Diese Form innerbiblischer Bildvermehrung bleibt auf der Ebene der Bilder stehen und folglich auf der Ebene eines oberflächlichen Verstehens. So kann kaum eine tiefergehende religiöse Identität entstehen. Es erscheint unwahrscheinlich, dass mit dieser Methode die Ebene der Bilder und Worte auf die zugrunde liegende Wirklichkeit hin durchbrochen wird.

In Theorie und Praxis hat die christliche Tradition einen anderen Weg eingeschlagen, um das hier angesprochene und von den Herausgebern von "Bibel in gerechter Sprache" erkannte Problem zu lösen: den Weg der Reflexion, der Interpretation und der Meditation der vorgegebenen, begrenzten biblischen Sprachgestalt. Das Wort "Gott" wird nicht durch ein regelwidriges "sie" substituiert, sondern es wird - wie es Karl Rahner im "Grundkurs des Glaubens" tut - gefragt, was denn das Wort "Gott" bedeute. Thomas von Aquin reflektiert in der "Summa contra gentiles" ausführlich die Vielzahl der göttlichen Namen, die seiner Einfachheit und Einheit nicht widersprechen (I, 30-36). Und da kennt die Tradition viele "Namen", die über die biblische Tradition hinausgehen: das höchste Gut (summum bonum), das Gutsein selbst (ipsa bonitas), das Sein (esse), die Gottheit (deitas), das Göttliche (to theion).

Diese und viele weitere "Namen" wollen nicht - und schon gar nicht regelwidrig - den Gottesnamen und die biblischen Gottesbezeichnungen ersetzen. Sie verstehen sich als Interpretationen der vorgegebenen, begrenzten und immer auch missverständlichen biblischen Sprachgestalt. "Nun aber werde ich (...) nach bestem Können zur Erklärung der Namen Gottes schreiten. Es sei uns jedoch auch hier von allem Anfang an die Weisung der Heiligen Schrift eine Richtschnur, dass wir die Wahrheit der Aussagen über Gott "nicht in überredenden Worten menschlicher Weisheit" ehren, "sondern im Erweis der Macht" [1 Kor 2,4], die die biblischen Schriftsteller inspirierte" - so beginnt Pseudo-Dionysius Areopagita sein für die christliche Tradition grundlegendes Werk "Über die göttlichen Namen" (De divinis nominibus, 585, 10B - Übersetzung Beate Regina Suchla, BGL 26, Stuttgart 1988).


Die vorgeschlagene Therapie führt nicht zum Ziel

In der Einleitung zu "Bibel in gerechter Sprache" wird beklagt, dass sich "die meisten Leserinnen und Leser der Bibel ... daran gewöhnt" haben", sich Gott (...) in inneren und äußeren Bildern männlich vorzustellen" (10). Das mag durchaus sein. Das Problem ist nicht neu. Bereits Origenes (185-251 n. Chr.) klagt, dass sich "die Einfältigeren unter denen, die sich der Zugehörigkeit zur Kirche rühmen" von Gott "schlimmere Vorstellungen" machen "als von dem rohesten und ungerechtesten Menschen" (De principiis IV, 2, 1). Deshalb ist die Bibel nicht ohne Interpretation, und das heißt: nicht ohne Tradition zu haben. Auch Augustinus hatte viele Jahre große Probleme mit dem Alten Testament. Die Probleme begannen sich aufzulösen, als ihm ein "unvergleichliches Licht" (lux incommutabilis) aufging: Nicht der biblische Text ist grob, sondern das Verständnis, das ich ihm entgegenbringe.

"Bibel in gerechter Sprache" bietet eine weibliche Seite im Gottesbild an. Mit einem so erweiterten Gottesbild lässt sich wieder leben. "Bibel in gerechter Sprache" sieht das Problem eines androzentrischen Anthropomorphismus zu Recht. Und sie leidet auch darunter. Aber die vorgeschlagene Therapie führt nicht zum Ziel. Sie vermag vorübergehend Erleichterung zu verschaffen. Doch der Irrtum bleibt. Er nimmt nur eine andere, zeitgemäßere Gestalt an.

Offensichtlich aus Angst vor einem abendländischen Logozentrismus wird aus dem Logos des Johannesprologs die Sophia: "Im Anfang war die Weisheit / und die Weisheit war bei Gott" (Joh 1,1). Soll das eine "wissenschaftlich verantwortete Übersetzung" sein, wie der Werbeprospekt ankündigt? Die Tendenz in den neueren Bibelübersetzungen geht zu Recht dahin, in maßvollem Rahmen konkordant zu übersetzen, um den hohen Grad an Intertextualität in biblischen Schriften sichtbar zu machen. Die Bezüge zur Wort-Schöpfung in Genesis 1 und zur Logos-Christologie gehen bei dieser Übersetzung verloren. Aus "Und das Wort ist Fleisch geworden" wird "Und die Weisheit wurde Materie" (Joh 1,14). Weiter heißt es: "Und wir sahen ihren Glanz, einen Glanz wie den eines einziggeborenen Kindes von Mutter und Vater" (Einheitsübersetzung: "Und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater").


Die Bibel ist nicht nur Bibliothek

Das Wort doxa wird wohl deshalb nicht mit "Herrlichkeit", sondern mit "Glanz" wiedergegeben, weil in "Herrlichkeit" die Silbe "Herr" steckt - wobei nach Auskunft des Dudens das Wort herrlich nicht von Herr, sondern von hehr "erhaben, vornehm, heilig" abzuleiten ist. Wenn der Islam dem Christentum Beigesellung vorwirft (vgl. Sure 5,116: "O Jesus, Sohn Marias, warst du es, der zu den Menschen sagte: Nehmt euch neben Gott mich und meine Mutter zu Göttern?"') - in dieser Übersetzung fände er alle Anhaltspunkte dafür. "Gott, Vater und Mutter im Himmel" heißt es in der Übersetzung von Mt 6,14. Nach Joh 1,18 ist der Einziggeborene im "Mutterschoß des Vaters". Ps 2,7 lautet: "Berichten will ich, was 'die Heilige' festgesetzt hat. Sie sprach zu mir: Mein bist du. Ich habe dich heute geboren." In Apg 13,33, wo Ps 2,7 zitiert wird, heißt es dann allerdings: "Du bist mein Sohn; heute habe ich dich hervorgebracht."

Es ist nicht einfach, letztlich wohl gar nicht möglich, die Bibel durchgehend konkordant zu übersetzen. In "Bibel in gerechter Sprache" wird dies in vielen Fällen, wo es möglich wäre und geschehen müsste, nicht getan. Nicht einmal die beiden Dekalogfassungen (Ex 20; Dtn 5) werden konkordant übersetzt. Das ist, wie in der Einleitung gesagt wird (24-26), Absicht. Dort wird gleich im ersten Satz von der "faszinierenden Bibliothek Bibel" gesprochen (9). Damit ist aber nur die halbe Wahrheit gesagt. Die Tradition wusste immer darum, dass die Bibel auch ein Buch ist. Die Schriften werden "ein Buch genannt (unus liber appellantur)" schreibt Hieronymus in seinem Jesaja-Kommentar (IX, 29, 9/12). Gerade die neuere Bibelwissenschaft arbeitet im Rahmen der so genannten "kanonischen Exegese" die Einheit der Schrift wieder eindrucksvoll heraus (vgl. HK August 2003, 412 ff.). Das bedeutet aber, dass die Text-Text-Bezüge, wo sie vorliegen, durch möglichst konkordante Übersetzungen sichtbar zu machen sind und nicht durch frei variierende Wiedergaben verschleiert werden dürfen.


Die Übersetzung wimmelt von Eintragungen und Ergänzungen

Ein dorniges Problem ist die Wiedergabe des Gottesnamens. Vielen Gläubigen ist nicht bewusst, dass die in den meisten deutschen christlichen Bibelübersetzungen (Luther, Zürcher Bibel, Einheitsübersetzung) gebräuchliche Gottesbezeichnung (nomen appellativum) "Herr" bzw. "HERR" die Wiedergabe des hebräischen Gottesnamens (nomen proprium) JHWH ist. "Bibel in gerechter Sprache" bricht mit dieser Tradition. Sie verwendet nicht mehr die Gottesbezeichnung "der Herr". Sie übersetzt das Tetragramm JHWH vielfältig, nicht einheitlich. Dabei greift sie auch auf die ältere und neuere jüdische Tradition zurück. Sie spricht in diesem Zusammenhang von Lesevorschlägen.

Wo das Tetragramm steht, finden sich, grau hinterlegt und mit einfachen Anführungszeichen, die an den hebräischen Buchstaben Jod erinnern sollen, in bunter Variation folgende "Lesevorschläge": Adonaj, ha-Schem (der Name), ha-Makom (vgl. Est 4,14), ICH, DU, ER, SIE, der Eine, die Eine, die Lebendige, der Lebendige, Schechina ("Einwohnung"), GOTT (in Kapitälchen! - nicht zu verwechseln mit "Gott" oder "Gottheit" als Übersetzung von elohim), der Heilige, die Heilige, der Ewige, die Ewige, Ich-bin-da. Selbst in einem Satz kann das Genus der Pronomina wechseln: "weil Israel dort Mit 'IHR' gestritten, 'IHN' herausgefordert hat. Sie hatten ultimativ gefordert: 'Entweder hält SIE zu uns oder nicht!'" (Ex 17,7). "'ER' ist ein Krieger; sein Name ist 'SIE'" (Ex 15,3).

Bei den "Gottesbezeichnungen" sind also zwei Problemfelder deutlich zu unterscheiden: die Übersetzung der hebräischen Gottesbezeichnung elohim mit "Gott" und die genannten vielfältigen Lesevorschläge für den Gottesnamen JHWH. In beiden Fällen liegen Brüche vor. Bei der Verwendung des Wortes "Gott" wird - aus genannten Gründen - mit einer Regel der deutschen Grammatik gebrochen, indem das Wort genusinkonsistent ("Gott - sie") gebraucht wird, bei den Lesevorschlägen zum Gottesnamen wird - wie es in der Einleitung ausdrücklich heißt - mit der Tradition gebrochen, insofern die Wiedergabe mit "der Herr / der HERR" aufgegeben wird.

Überzeugen können die angeführten Gründe nicht. Es wird unter anderem mit dem Verweis auf die jüdische Tradition argumentiert. Dabei fällt allerdings auf, dass ausgerechnet jene jüdische Tradition übergangen wird, die für die christliche Tradition bestimmend wurde: die Wiedergabe des Gottesnamens IHWH mit kyrios "Herr" in der Septuaginta. In dieser Tradition steht auch das Neue Testament. So dürfte der eigentliche Grund, das Wort "Herr" als Wiedergabe von JHWH zu meiden, darin liegen, Aspekte von "Autorität und Herrschaft" von Gott fernzuhalten. Das wird in der Einleitung (18) auch angedeutet, leider aber nicht begründet. Das ist problematisch.

Noch problematischer wird es, wenn das Wort kyrios im Neuen Testament umschreibend umgangen wird. Dadurch gerät das subtile biblische Sprachgefüge aus dem Lot. So darf Jesus offensichtlich nicht mehr "Herr" genannt werden, selbst wenn Maria von Magdala dies nach Joh 20,18 getan hat: "Ich habe den Herrn (ton kyrion) gesehen" wird zu "Ich habe Jesus den Lebendigen gesehen" (vgl. dagegen Phil 2,11). Hier kann nicht mehr von Übersetzung gesprochen werden. Der Text wird einfach umgeschrieben.

Die "Übersetzung" wimmelt von derartigen Eintragungen und Ergänzungen. "Er war ein Mensch wie du und ich" lautet die Übersetzung von Phil 2,7. "Wie du und ich" steht aber nicht im Text. Statt "das er unseren Vätern verheißen hat, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig" (EÜ) heißt es "wie sie es unseren Vorfahren zugesagt hatte, Sara und Abraham und ihren Nachkommen für alle Zeit" (Lk 1,55). Die Hinzufügung von "Sara" ist gut gemeint, steht aber nicht im Text. Aus Gründen der "Geschlechtergerechtigkeit" wird Sara hinzugefügt. Hätte man aus Gründen sozialer Gerechtigkeit nicht auch noch Hagar, Saras Magd (oder Sklavin), hinzufügen und mit Rücksicht auf den interreligiösen Dialog unter den Nachkommen (Abrahams und Hagars) auch noch Ismael sichtbar machen müssen? "Gerecht werden soll und will die 'Bibel in gerechter Sprache' schließlich und vor allem dem jeweiligen Ausgangstext" heißt es in der Einleitung (11). Davon kann hier und an vielen Stellen keine Rede sein.


Fortschreibung statt Übersetzung

Was hier praktiziert wird, ist keine Übersetzung, sondern eine Fortschreibung. Mit diesem Phänomen sind wir aus der Text- und Überlieferungsgeschichte der Bibel sehr wohl vertraut. Viele Texte - besonders die des Alten Testaments - sind über Jahrzehnte und Jahrhunderte hin angewachsen. Dieser Prozess kam - grob gesprochen - mit der Kanonisierung zum Abschluss. Danach beginnt die Phase der Kommentierung. Der Text gilt als unantastbar. Durch Kommentierung wird er lebendig gehalten.

"Bibel in gerechter Sprache" versucht, in die Phase der produktiven Textentstehung einzugreifen. Der vorgegebene Text wird in eine durch eine spezifische Diskussionslage ("Geschlechtergerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit, Gerechtigkeit gegenüber dem Judentum") geprägte Lebenswelt hinein fortgeschrieben. Das von "Bibel in gerechter Sprache" vertretene Anliegen gehört zu einem großen Teil in die Auslegung, nicht in die Übersetzung des Bibeltextes. Im Rahmen der Auslegung wäre über die Berechtigung des Anliegens zu diskutieren.

Hinsichtlich der angestrebten Geschlechtergerechtigkeit sind bei "Bibel in gerechter Sprache" zwei Problemfelder zu unterscheiden. Das eine betrifft die Geschlechtergerechtigkeit im Hinblick auf die Benennung von Menschen. Hier steht die Übersetzung in der noch relativ jungen, etwa dreißigjährigen Tradition feministischer Linguistik. Manches halte ich für akzeptabel und anregend, vieles für übertrieben und falsch. Das zweite Problemfeld betrifft die Geschlechtergerechtigkeit im Hinblick auf Gott. Dieses Problem ist alt. Im Grunde geht es um den biblischen Anthropomorphismus. Dieser wird unter gender-Aspekt kritisch betrachtet und zu heilen versucht. Das Anliegen ist berechtigt, gehört aber nicht in die Übersetzung, sondern in die Auslegung der Schrift. Die in der Übersetzung vorgeschlagenen Lösungen halte ich - trotz bedenkenswerter Ansätze im Einzelnen - alles in allem gesehen für nicht akzeptabel. Sie zerstören die subtile Sprachgestalt der Bibel. Zudem bleiben sie dem Anthropomorphismus verhaftet. Dieser nimmt lediglich eine zeitgemäßere Gestalt an.


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Ludger Schwienhorst-Schönberger (geb. 1957) ist seit 1993 Professor für Alttestamentliche Exegese und Hebräische Sprache an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Passau; Gastprofessuren in Jerusalem und Wien. Veröffentlichungen u. a.: Kohelet, Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament, Freiburg 2004; Studien zum Alten Testament und seiner Hermeneutik, Stuttgarter Biblische Aufsatzbände 40, Stuttgart 2005.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
61. Jahrgang, Heft 1, Januar 2007, S. 20-25
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. April 2007