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STANDPUNKT/333: Die Welt als Haushalt sehen (welt der frau)


welt der frau 10/2009 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Die Welt als Haushalt sehen

Von Eleonore Bayer


Die Erfahrungen des Zusammenlebens in einem Haushalt weisen den Weg zu einem guten Leben für alle. Die Theologin Dr.in Michaela Moser möchte deshalb Frauen Mut zur erfolgreichen Zukunftsgestaltung machen.


Der Weg aus der Krise zu einem guten Leben für alle beginnt mit einem Umdenkprozess. Zukunftsgestaltung darf nach Ansicht von Dr.in Michaela Moser nicht länger als Domäne von Fachleuten angesehen werden. Die Expertin für Armutsbekämpfung möchte vor allem auch Frauen zur Mitgestaltung der Welt, zum Entwickeln von Visionen vom guten Leben motivieren. Ausgangspunkt dafür ist eine Reflexion des persönlichen Umfelds. »Von unseren unmittelbaren - guten wie schlechten - Erfahrungen vom Zusammenleben in einem Haushalt, die alle Menschen von früh an machen, lässt sich nämlich gut ableiten, was es zum guten Leben braucht«, erklärt die in Wien lebende Theologin.


Es muss allen gut gehen

Die herrschende Krise zeigt ihr, dass freie Marktwirtschaft mit Wettbewerb und Konkurrenz keineswegs allen Menschen auf der Welt ein gutes Leben ermöglichen kann. Sie fordert deshalb einen Paradigmenwechsel. »Der Haushalt eignet sich besser als der Markt als Vorbild für die Organisation des Zusammenlebens. Er unterscheidet sich vom Paradigma des Marktes vor allem dadurch, dass es allen nur gut gehen kann, wenn es jedem/r Einzelnen gut geht. Der funktionierende Markt scheint hingegen zu brauchen, dass es einigen schlechter geht, oder nimmt dies zumindest bewusst in Kauf.« Dr.in Moser greift damit ein Prinzip der in der Schweiz lebenden Theologin Ina Praetorius auf, die in ihren Überlegungen die Welt als Haushalt in den Blick nimmt, als ein Bezugsgewebe, das von der Verantwortung und Sorge füreinander geprägt ist. Denn aus Haushaltserfahrungen lerne man beispielsweise auch, dass materielle Ressourcen unentbehrlich sind, aber fürs gute Leben alleine nicht ausreichen.


Kultur des Füreinandersorgens entwickeln

»Die Welt als Haushalt in den Blick zu nehmen, heißt auch, dem Alltäglichen seine Bedeutung zurückzugeben und es nicht zuzulassen, dass gerade jene Tätigkeiten des Sorgens, die für das Überleben und gute Leben von Menschen und von unserem Planeten essenziell sind, trivialisiert und als unbedeutend abgewertet werden.« Dr.in Michaela Moser plädiert dafür, sich darüber klar zu werden, »wie sehr wir als Menschen voneinander abhängig sind«. Am Anfang müsse die Einsicht stehen, dass wir ohne die Unterstützung anderer nicht leben können. »Wir brauchen die Zuwendung und Fürsorge anderer, am Lebensende oft genauso intensiv und dringend wie zum Lebensbeginn und in Krankheitszeiten, aber auch Tag für Tag im normalen Alltag.« Mit dieser Einsicht könnte die Basis für eine andere Politik gelegt werden. Alle BürgerInnen wären als EmpfängerInnen und fürsorgend Tätige zugleich zu sehen, Rahmenbedingungen für das Nehmen und Geben von Fürsorge wären neu zu verhandeln, eine Kultur des Füreinandersorgens zu entwickeln. Zukunftsgestaltung könne deshalb nur auf »Freiheit in Bezogenheit« basieren. Dies bedeute, in einem ständigen Prozess Autonomie und Abhängigkeit miteinander zu versöhnen.

Wichtig sei es auch, von sich selbst, den persönlichen Erfahrungen auszugehen und darauf zu achten, was eine/n wirklich bewegt. Dabei dürfe man gerade nicht in der Selbstbetrachtung verharren, sondern müsse auf andere und auf die Welt zugehen.


In Pfarren Kontrastgesellschaft schaffen

Wesentlich erscheint ihr auch der »Anspruch, in Wahrheit zu leben«, sich nicht mit den Gegebenheiten zufriedenzugeben. »ChristInnen sind aufgerufen, eine Kontrastgesellschaft zu entwickeln und nicht dem Status quo zu dienen.« Dabei sei die Arbeit an strukturellen Veränderungen genauso wichtig wie direkte Hilfsprojekte und eigene Verhaltensänderungen. In Pfarrgemeinden könne dies gut eingeübt und vorgelebt werden. »Sich nicht weniger als die Gestaltung der Welt vorzunehmen, verlangt Mut, mag manchen zunächst ein wenig größenwahnsinnig erscheinen, entspricht aber dem christlichen Auftrag, wie er zuletzt in der Sozialenzyklika 'Caritas in veritate' betont wurde.« Es sei eine »gute prophetische Tradition«, Vorstellungen zu entwickeln, wie wir auf dieser Welt miteinander leben wollen. Wichtig seien dabei der Glaube daran, dass eine andere Welt möglich ist, und die Entwicklung einer Vorstellung davon, woran das zu gestaltende gute Leben erkennbar sei. Dabei komme es nicht darauf an, was Menschen haben, sondern was sie tun und sein können.

»Vertrauen wir auf die Kraft unserer eigenen Wünsche und lassen wir uns nicht beirren, denn was uns heute unrealistisch scheint, muss keineswegs für immer unrealisierbar sein.«


Auf der Suche nach gutem Leben für alle

Dr.in Michaela Moser stammt aus Tirol, studierte in Österreich, den Niederlanden sowie England Theologie. Sie promovierte mit einer feministisch-sozialethischen Arbeit zum Thema »Ein gutes Leben für alle«. Schon als Studentin engagierte sie sich im Österreichischen Frauenforum für feministische Theologie und in der Ökumenischen Frauenbewegung, war Mitinitiatorin von zwei Frauensynoden in Österreich, auf denen umfangreiche Forderungskataloge zur Verbesserung der Situation von Frauen in Kirche und Gesellschaft verabschiedet wurden. Die Auseinandersetzung mit den Ursachen von Frauenarmut führte zu ihrem seit Jahren bestehenden Engagement in der Österreichischen Armutskonferenz.

Seit 2003 ist die studierte Public-Relations-Fachfrau Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit der Dachorganisation der staatlich anerkannten Schuldenberatungen. 2006 wurde sie Vizepräsidentin des Europäischen Antiarmutsnetzwerks EAPN. Sie sieht ihre Arbeit heute an den Schnittpunkten von Lobbying, Forschung, Öffentlichkeits- und Empowermentarbeit. Ihre Vorstellungen über die Welt als Haushalt präsentierte sie bei einer Tagung der Katholischen Frauenbewegung Österreichs zu deren Jahresthema »Verantwortlich leben - Heute gestalten wir das Morgen«.


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Ausgabe 10/2009, Seite 30-31
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2009