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STANDPUNKT/350: Kein Atomwaffen-Verbot in Sicht, aber neuer Druck auf Nuklearstaaten (ÖRK)


Ökumenischer Rat der Kirchen - Feature vom 10. Juni 2010

Kein Atomwaffen-Verbot in Sicht, aber neuer Druck auf Nuklearstaaten

Von Jonathan Frerichs


Ist es an der Zeit, Atomwaffen zu verbieten? "Ja!" sagt eine wachsende Mehrheit von Regierungen und zivilgesellschaftlichen Gruppierungen. "Nein!" beharrt eine kleine Minderheit, die Atomwaffen besitzt. "Verfrüht", sagen einige ihrer engsten Verbündeten.

Dies ist eine knappe Zusammenfassung der unlängst bei den Vereinten Nationen abgehaltenen Konferenz, auf der 189 Länder über die Zukunft von Atomwaffen diskutierten. Die Kirchen, die konkrete Schritte zur atomaren Abrüstung befürworten, teilten ihre seit langem bestehende Enttäuschung - und ein wenig neue Hoffnung - mit vielen Regierungen und den meisten der 120 zivilgesellschaftlichen Organisationen in New York während der Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag im Mai.

Eine Delegation des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) traf am Rande der Konferenz mit verschiedenen Regierungsvertretern zusammen, um für erste Schritte auf dem Weg zu einem Verbot, für die Anwendung von seit zehn Jahren bestehenden Maßnahmen zur Waffenkontrolle, einen atomwaffenfreien Nahen Osten und andere Themen aus sechs Jahrzehnten ökumenischen Widerstands gegen Atomwaffen zu werben.

Die winzige Minderheit der Vertragsstaaten, die Atomwaffen besitzen - USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich - zeigten wenig guten Willen. Dieser wäre allerdings nötig, um ihre Bestände abzubauen und sie zu atomwaffenfreien Staaten zu machen. Immerhin gaben die USA und Großbritannien neue Informationen über die Größe ihrer Bestände heraus, und alle fünf Nuklearmächte unterlagen in mehreren Fragen der Mehrheitsmeinung.

Dies betraf die Forderung einer wachsenden Zahl von Staaten nach einem Verbot von Atomwaffen, das nicht eingehaltene Versprechen, den Nahen Osten frei von Atomwaffen zu halten, eine stärkere Verurteilung der Anwendung von Atomwaffen und die wachsende internationale Ungeduld mit den Atommächten im Blick auf deren Vertragspflichten. Nach langer Diskussion wurde jedem dieser Punkte durch den Aktionsplan der Konferenz neues Leben eingehaucht.

Verglichen mit der Überprüfungskonferenz vor fünf Jahren sind solche Schritte schon ein Erfolg. Verglichen mit der vor kurzem wiederbelebten Vision einer Welt ohne Atomwaffen sind die Beschlüsse ein bescheidener Schritt in die richtige Richtung.

Die ÖRK-Delegierten überreichten der britischen Delegation eine gemeinsame Petition, die von acht großen britischen Kirchen unterstützt wird [1] und die Anliegen und Sorge der weltweiten Basis widerspiegelt. Der ÖRK-Delegierte Pastor Dr. Michael Kinnamon, Generalsekretär des Nationalen Kirchenrates in den USA, zitierte den Appell der Schwesterkirchen in Großbritannien an ihre Regierung und rief dazu auf, die Verhandlungen über "eine Atomwaffenkonvention, die den Besitz von Atomwaffen für rechtswidrig erklärt", zu unterstützen. Er merkte an, dass der ÖRK ähnliche Anliegen von Kirchen aus Europa, Asien, Australien sowie Nord- und Lateinamerika an die jeweiligen Regierungen auf der Konferenz vorbringe.

In zwölf Treffen mit Regierungsvertretern sprachen die ÖRK-Delegierten auch eine Anzahl von praktischen Schritten an, die von der Überprüfungskonferenz im Jahr 2000 beschlossen worden waren. "Die Schritte müssen aktualisiert und den heutigen Herausforderungen der Abrüstung angepasst werden. Aber dieses Mal muss es einen Zeitrahmen zur Umsetzung der Schritt geben", sagte der ÖRK-Delegierte Dr. Ninan Koshy. Koshy stammt aus Indien und ist Analyst, Kommentator und ehemaliger Direktor der ÖRK-Kommission der Kirchen für internationale Angelegenheiten. Nach vier Wochen Debatten zwischen Regierungsvertretern und zivilgesellschaftlichen Gruppen wurden konkrete Schritte mit einem bestimmten Zeitrahmen in den Aktionsplan der Konferenz aufgenommen.

Zwei Drittel der Regierungen und die Mehrheit der 120 anwesenden Nichtregierungsorganisationen forderten einen Prozess zur Verhandlung einer Konvention, die Atomwaffen verbieten soll. Die Atommächte beharrten auf einer Abschwächung der Formulierung dahingehend, dass diese Idee lediglich "Beachtung findet" und der vorgeschlagene Zeitrahmen wegfällt, aber selbst das wurde als Erfolg verbucht.

"Die hohen Erwartungen, die Kirchen an wichtige langfristige Ziele wie die atomare Abrüstung stellen, haben sich in verschiedenen Bereichen bewährt", erklärte der Vorsitzende des Rates europäischer Religionsverantwortlicher, der ehemalige Bischof von Oslo und Mitglied der ÖRK-Delegation, Pastor Dr. Gunnar Stalsett, gegenüber einer Regierung. "Solche Hoffnungen können eine wichtige Rolle bei der Unterstützung einzelner Schritte auf dem Weg zum Ziel spielen."

Die ÖRK-Delegation unterstützte ein Abkommen, Gespräche über den Nahen Osten als atom- und massenvernichtungswaffenfreie Zone zu eröffnen, das eines der wichtigsten Erfolge der Konferenz darstellt. "Die arabische und israelische Position schließen sich nicht gegenseitig aus - es kann keinen Frieden ohne Sicherheit geben und keine Sicherheit ohne Frieden. Deshalb rufen wir die offiziellen Delegationen aus der Region auf, sich klar für parallele Maßnahmen für den Frieden und zur Waffenkontrolle auszusprechen", heißt es in einem Dokument verschiedener zivilgesellschaftlicher Vertreter und Vertreterinnen, an dem der ÖRK mitgearbeitet hat.

In ihrem Abschlussdokument begrüßt die Konferenz die Schaffung neuer atomwaffenfreier Zonen in Zentralasien und in Afrika, wo die Kirchen Geburtshilfe geleistet haben. Vor der Konferenz hatte der ÖRK bei einer Versammlung von zivilgesellschaftlichen Gruppen und Regierungsvertretern aus fünf atomwaffenfreien Zonen der südlichen Hemisphäre und angrenzenden Ländern nördlich des Äquators kirchliche Aktivitäten vorgestellt.


Jonathan Frerichs ist ÖRK-Programmreferent für Friedensstiftung und Abrüstung. Er ist Mitglied der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika.

ÖRK-Projekt: Kirchen engagieren sich für Atomwaffenkontrolle
Link: http://www.oikoumene.org/index.php?RDCT=27c17e0a430dd8bffe31

ÖRK-Zentralausschuss, September 2009: Erklärung der Hoffnung in einem Jahr der Chancen: Plädoyer für eine atomwaffenfreie Welt
Link: http://www.oikoumene.org/index.php?RDCT=9dae395c5c89ff6dd9ba

Weitere Informationen zur ökumenischen Präsenz auf der Überprüfungskonferenz
Link: http://www.oikoumene.org/index.php?RDCT=4d3da27acaed0d58d642 (auf Englisch)


Der Ökumenische Rat der Kirchen fördert die Einheit der Christen im Glauben, Zeugnis und Dienst für eine gerechte und friedliche Welt. 1948 als ökumenische Gemeinschaft von Kirchen gegründet, gehören dem ÖRK heute mehr als 349 protestantische, orthodoxe, anglikanische und andere Kirchen an, die zusammen über 560 Millionen Christen in mehr als 110 Ländern repräsentieren. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit der römisch-katholischen Kirche. Der Generalsekretär des ÖRK ist Pfarrer Dr. Olav Fykse Tveit, von der (lutherischen) Kirche von Norwegen. Hauptsitz: Genf, Schweiz.

[1] http://www.oikoumene.org/index.php?RDCT=80ae57e345ba938f6db4


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Quelle:
Feature vom 10. Juni 2010
Herausgeber: Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK)
150 rte de Ferney, Postfach 2100, 1211 Genf 2, Schweiz
E-Mail: ka@wcc-coe.org
Internet: www.wcc-coe.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juni 2010