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STANDPUNKT/367: Widerständig und visionär - feministische Theologien (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion - 11/2013

Widerständig und visionär
Aktuelle Entwicklungen feministischer und geschlechtersensibler Theologien

Von Miriam Leidinger und Aurica Nutt



Die feministische Theologie hat nach mehr als vier Jahrzehnten nichts an Aktualität und Innovationskraft eingebüßt; allerdings firmiert sie inzwischen aus guten Gründen auch unter anderem Namen: als geschlechterbewusste Theologie oder auch als theologische Geschlechterforschung. In Deutschland, Österreich, der Schweiz, den Niederlanden und in Großbritannien haben vergleichsweise viele geschlechtersensibel vorgehende Theologinnen Arbeitsmöglichkeiten im wissenschaftlichen Kontext gefunden.


"Widerstand und Visionen" - unter diesem Titel versammelten sich im August dieses Jahres über 170 Theologinnen und Religionswissenschaftlerinnen in der Dresdner Neustadt. Die Konferenz widmete sich aktuellen Themen und Perspektiven feministischer, geschlechtersensibler und so genannter "queerer" Theologien. Die Überschrift "Widerstand und Visionen" kann hier sowohl für die aktuellen Entwicklungen als auch die doppelte Ausrichtung stehen, welche feministischen und geschlechtersensiblen Theologien seit jeher zu eigen ist: Sie sind widerständig, weil sie kritische geschlechtsspezifische Analysen von Theologie und Religion(en) vorantreiben und damit Machtkritik üben; und sie sind visionär, weil sie eine Gesellschaft und eine Theologie jenseits essentialistischer Zuschreibungen und Vereinnahmungen imaginieren und konstruktiv begleiten wollen.

Vernetzt sind viele feministisch-theologisch interessierte oder aktive Forscherinnen in der ESWTR (European Society of Women in Theological Research/Europäische Gesellschaft für Theologische Forschung von Frauen), dem größten europäischen Verband von Wissenschaftlerinnen, die inter- und transdisziplinär in der theologischen und religionswissenschaftlichen Forschung unterschiedlicher Religionen tätig sind. Alle zwei Jahre veranstaltet die ESWTR eine internationale Konferenz in einem europäischen Land; 2013 war die deutsche Sektion Gastgeberin und hatte sich mit Dresden bewusst für einen Ort des erfolgreichen Widerstands gegen das DDR-Regime entschieden.

Wie aber steht es aktuell um "die" feministische Theologie, die sich mittlerweile aus guten Gründen viele Namen gibt und etwa auch als "geschlechterbewusste" oder "geschlechtersensible" Theologie oder auch als theologische Geschlechterforschung bezeichnet wird - und aufgrund der mittlerweile entstandenen Vielfalt ohnehin zutreffender mit dem Plural "Theologien" bezeichnet werden muss (vgl. auch HK, August 2006, 404 ff.; Oktober 2004, 517 ff.). "Die" feministische Theologie ist heute deutlich von den Ausdifferenzierungen des eigenen Ansatzes geprägt.


In der aktuellen geschlechterbewussten theologischen Forschung ist im Zuge der Rezeption eines Geschlechterdekonstruktivismus vor allem die Vielfalt der Geschlechterverhältnisse in den Blick gerückt. Das Bewusstsein ist verstärkt worden, dass eine geschlechterkritische Perspektive, auch in Theologie und Kirche, längst nicht mehr ausschließlich eine Perspektive "der Frauen" ist, sondern sich vielmehr aufgrund ihres identitäts- und machtkritischen Anliegens als relevant für alle erweist.

Eine theologische Männerforschung hat sich etabliert, das heißt zunehmend mehr Männer reflektieren die Bedeutung von Geschlecht für "Mannsein", "Jungesein" beziehungsweise von "Männlichkeiten" kritisch (vgl. HK, Juli 2013, 362 ff.). Eine Tagung der evangelischen und katholischen Männerarbeit mit dem Titel "Jesus und die Männer", die im Januar 2013 in Frankfurt stattfand, verdeutlicht dies. Ihr Ziel war es, die Jesusfigur aus spezifisch männlichen Perspektiven in den Blick zu nehmen und nach der Repräsentation seiner Männlichkeit sowie deren Bedeutung zu fragen (der Konferenzband, herausgegeben von Martin Fischer, ist im Erscheinen).


Feministische und geschlechtersensible Theologien führen Debatten auf der Höhe der Zeit; gleichzeitig haben sie die politische feministische Option, also eine dezidierte Parteilichkeit, welche der Begriff "feministisch" einbringt, nicht aus dem Blick verloren. So bevorzugen viele Frauen nicht umsonst die Selbstbezeichnung "feministische Theologin". Dabei ist ihnen sehr bewusst, dass es sich nicht um eine undifferenzierte Parteilichkeit für "Frauen" und gegen "Männer" geht, sondern vielmehr um das Festhalten an einer allgemeinen politischen Option für Benachteiligte - die auch heute oft genug noch "weiblich" sind (vgl. auch die Dokumentation einer Tagung der deutschen Sektion der ESWTR: Elisabeth Hartlieb und Stefanie Schäfer-Bossert [Hg.], Feministische Theologie - Politische Theologie. Entwicklungen und Perspektiven, Sulzbach 2012).


Die Vielfalt der Inhalte und Fragen geschlechtersensibler Theologien zeigt, dass feministisch-theologische Erkenntnisse und Analysen längst in allen theologischen Fächern in den "allgemeinen" theologischen Wissensbestand übergegangen sind. Feministisch-theologische Fragestellungen haben sich in allen theologischen Fächern ausdifferenziert und spezialisiert. "Die" interdisziplinär arbeitende Frauenforschung, welche alle Fächer unter einem Dach vereint, ist deshalb zunehmend in den Hintergrund getreten. Dennoch besteht noch ausreichend Luft nach oben, wenn es darum geht, das Potenzial von Frauen in der Theologie zu nutzen und geschlechtersensible Fragen in der wissenschaftlich-theologischen Forschung zu integrieren und zu etablieren.


"Den" Anfang feministischer Theologie genau zu datieren, ist nicht möglich, da sie aus vielfältigen Quellen entstand. Einen wichtigen Impuls stellt das Buch "Beyond God the Father" der US-Amerikanerin Mary Daly dar, das 1973, genau vor 40 Jahren, erschienen ist, aber erst sieben Jahre später ins Deutsche übersetzt wurde. Die von Daly formulierte Kritik an einseitig männlichen Gottesbildern ist heute keineswegs überholt. Zugleich haben seitdem viele Forscher_innen in der jüdisch-christlichen Tradition eine erstaunliche Vielfalt an Gottesbildern entdeckt. Dies dokumentierte zuletzt der Band "'Gott bin ich und nicht Mann'. Perspektiven weiblicher Gottesbilder" (Alexandra Bauer und Angelika Ernst-Zwosta [Hg.], Ostfildern 2012).

Feministische Theologien haben nach über vier Jahrzehnten nichts an Aktualität und Innovationskraft eingebüßt, im Gegenteil. Insgesamt zeichnen sich zwei Blickrichtungen mit ähnlicher Fragestellung in der aktuellen theologischen Geschlechterforschung ab: Einerseits wird im Zuge postkolonialer Theorien und Debatten sowie im Zusammenhang mit der Rezeption ökologischer Fragestellungen die globalisierte Welt aus der Makroperspektive in den Blick genommen; andererseits richtet sich das Interesse bildlich gesprochen in "Richtung Bauchnabel".

Das derzeitige Interesse an der Körperthematik, am Körper als Ort der Materialisierung von Ungleichheiten und Macht stellt seit Anbeginn ein Forschungsthema feministischer und geschlechtersensibler Theolog_innen dar und ist es bis heute geblieben. So stellte die Theologin Mayra Rivera Rivera (Harvard Divinity School, USA) in ihrem Dresdner Vortrag die Entwicklungen feministischer Körpertheologien bis heute dar und plädierte dezidiert für eine Rückkehr zum "Fleisch" (flesh) in der Theologie. Eine derartige Rückbesinnung wird unter anderem auch an der Tatsache deutlich, dass theologische Geschlechterforscher_innen verstärkt die Inhalte und Fragestellungen der so genannten "Disability Studies" - Studien zu so genannten "Behinderungen" - aufgreifen, so etwa die Theologin Eske Wollrad in dem Band "So ist mein Leib: Alter, Krankheit und Behinderung - feministisch-theologische Anstöße" (Gütersloh 2012).


Queer, postsäkular, postkolonial

Diese zwei Blickrichtungen kennzeichnen auch die Anliegen der Dresdner ESWTR-Konferenz, die sich mittels dreier Schlagworte beschreiben lassen, die programmatisch für Themen und Inhalte stehen: queer, postsäkular und postkolonial.

Queere Theorien und Theologien stellen neben Postsäkularismus und -kolonialismus eine große Bereicherung feministisch-theologischer Forschungen dar. Im Anschluss an die US-amerikanische Philosophin Judith Butler wird "Geschlecht" als ein Phänomen rezipiert, bei welchem zwischen "biologischem Geschlecht" ("sex"), "kulturellem Geschlecht" ("gender") oder "Begehren" ("desire") zu unterscheiden ist. Hinsichtlich "sex" und "gender" bezweifelt Butler eine eindeutige Zweigeschlechtlichkeit und in Bezug auf das Begehren dessen ausschließlich heterosexuelle Ausrichtung. Die damit einhergehende Heteronormativitätskritik hat zur Formulierung "queerer Theologien" geführt, die als eine Gruppe der heute zu beobachtenden geschlechtersensiblen Theologien betrachtet werden können.

Jedoch ist der Begriff "queer" im deutschen Sprachraum nicht selbsterklärend: Das englische Wort "queer", welches etymologisch in Verbindung mit dem deutschen "quer" oder dem altenglischen Wort "cwer" (krumm, ungerade) steht, ist das, was vom "Normalen" oder Gewohnten abweicht, also eigenartig, verschroben, komisch, verrückt, absurd, suspekt oder ähnliches mehr ist. Als englisches Schimpfwort für Homosexuelle beiderlei Geschlechts wurde der Ausdruck im Zuge der Schwulen- und Lesbenbewegungen in den USA der sechziger und siebziger Jahre aufgegriffen und gilt seitdem als stolze Selbstbezeichnung.

Queere Theologien bringen sowohl die Erfahrungen der so genannten LSBTTI-Menschen (LSBTTI: lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, transsexuell und intersexuell) in die Theologie ein, als auch poststrukturalistische Theorien und einen Geschlechterdekonstruktivismus. Die kritischen Anfragen an scheinbar selbstverständliche Vorstellungen von "gender", "sex" und "desire" öffnen den Blick für Realitäten jenseits der Klischees - zu deren Entwicklung das Christentum reichlich beigetragen hat - und können somit eine befreiende Wirkung entfalten. Insofern sind queere Theologien sowohl aus befreiungstheologischer als auch aus "postmoderner" identitätskritischer Sicht interessant und werden in beide Richtungen wissenschaftlich vorangetrieben.


Aktuelle geschlechterbewusste Theologien befassen sich zudem zunehmend mit postkolonialen Theorien. Diese stellen eine wichtige Relativierung eurozentrisch begrenzter Sichtweisen dar und ergänzen die Analyse der Ungerechtigkeiten aufgrund von Geschlecht um ethnische, kulturelle und ökonomische Aspekte. Die Kategorie "Geschlecht" ist längst nicht mehr die ausschließliche Analysekategorie, sondern in Verbindung mit dem so genannten Intersektionalitätsansatz müssen die Fragen nach "Rasse", Klasse, Sexualität, Alter, Behinderung und so weiter gleichwertig hinzugenommen werden.

In Dresden berichtete die renommierte Exegetin Musa Dube (Botswana) nicht nur von ihrer Erfahrung, als Promotionsstudentin in den USA innerhalb akademischer Kreise mit ihrer afrikanischen und vom Kolonialismus geprägten Perspektive ausgeschlossen zu sein, sondern sie erläuterte auch den Zusammenhang von der Entstehung historisch-kritischer Methoden im Kontext des Imperialismus und machte auf ihre Wahrnehmung der Bibel sowie ihre Auslegung derselben als "Texts of terror" aufmerksam (ein Begriff, den die Exegetin Phyllis Trible 1984 prägte). Als Beispiel nannte sie die Übersetzung der Setswana Bibel, in der "Dämonen" mit "Ahnen" übersetzt und so imperialistische Tendenzen bis hinein in die Bibelübersetzung getragen wurden (vgl. "To push the boundaries": Die Grenzen des Wissens weiten. Ein Interview mit Musa W. Dube, in: Bibel und Kirche 67 [2012] 160-163).


In einem öffentlichen Doppelvortrag in Dresden sprachen auch die Theologin und bekannte Mitbegründerin postkolonialer Theologie Kwok Pui Lan und der Theologe Jörg Rieger. Sie präsentierten zentrale Thesen ihres gerade veröffentlichten Buchs "Occupy Heaven. Theology of the Multitude", in dem sie religiöse Dimensionen der Occupy-Bewegung und deren theologische Relevanz beschreiben und - trotz aller hermeneutischen Schwierigkeiten - Parallelen zwischen der Occupy-Bewegung und der Jesusbewegung herstellen.

Die Arbeit Pui Lans und Riegers zeigt auch, dass sich feministische Theologien dem Phänomen so genannter "postsäkularer" Gesellschaften annähern. Es ist nämlich zu beobachten, dass bei der "Rückkehr" der Religion in den öffentlichen Raum die Geschlechterperspektive eine zentrale Rolle spielt. Die Niederländerin Anne-Marie Korte analysierte in ihrem Vortrag das umstrittene und theologisch höchst interessante "Punkgebet" der russischen feministischen Gruppe "Pussy Riot" in der Christ-Erlöser-Kathedrale am 21. Februar 2012 in Moskau. Die Frauen von Pussy Riot protestierten mit ihrem Auftritt nach eigenen Angaben dagegen, dass der Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche, Kyrill I., Wladimir Putin vor den Präsidentschaftswahlen unterstützt habe, sowie gegen das von der russisch-orthodoxen Kirche geforderte Abtreibungsverbot.

In ihrer Verteidigung vor Gericht begründete die Pussy-Riot-Aktivistin Nadeschda Tolokonnikowa die Wahl einer Kirche als Auftrittsort damit, dass das Christentum "die Suche nach Wahrheit, nach konstanter Selbstüberwindung" unterstütze und dass es kein Zufall sei, dass "Christus sich mit Prostituierten umgegeben habe" (vgl. Mariam Lau: Moderne Heldinnen erheben sich gegen russischen Zynismus, in: Zeit online, 17. August 2012). Korte fragte auf der Grundlage dieser Äußerungen nach einer angemessenen Verbindung von politischem Protest und religiöser Kultur und forderte, insbesondere aus geschlechterbewusster Perspektive, zur Auseinandersetzung und Entwicklung einer feministischen öffentlichen Theologie auf.


Eine differenzierte Auseinandersetzung mit klassischen theologischen Inhalten

Ein weiteres Merkmal geschlechtersensibler Theologien in der postsäkularen Gesellschaft ist die differenzierte Auseinandersetzung mit "klassischen" theologischen Inhalten, unter anderem mit der angelsächsischen "Radical Orthodoxy"-Bewegung, welche durch das Hinzuziehen postmoderner Theorien den modernen Säkularismus herausfordern möchte und sich dabei auf eine prämoderne theologische Tradition rückbezieht (vgl. HK, August 2002, 407 ff.). Anhänger_innen der "Radical Orthodoxy"-Bewegung kritisieren unter anderem befreiungstheologische und darunter auch feministische Theologien und werfen ihnen vor, sich bei der säkularen Gesellschaft und ihren Theorien anzubiedern, anstatt die christliche Tradition zum Ausgangspunkt zu nehmen.

Die englische Theologin Jenny Daggers plädiert in der aktuellen Ausgabe des Jahrbuches der ESWTR für eine Verknüpfung der horizontalen feministisch-theologischen und der vertikalen Sichtweise der "Radical Orthodoxy-Bewegung", denn nicht das gegenseitige Ausspielen, sondern ein Verbinden beider Sichtweisen sei sinnvoll (On Playing with the Boys. An Argument for Feminist Theological Engagement with 'Radical Orthodoxy' Presentation of Christian Doctrine, in: Uta Blohm u. a. [Hg.], Feministische Theologie. Zuhören, verstehen und antworten in einer säkularen und vielfältigen Welt", Leuven 2012). Bücher wie das in diesem Jahr veröffentlichte "Endlich lebendig. Die Kraft der Auferstehung erfahren" von Claudia Janssen (Freiburg 2013) zeigen deutlich, dass die wiederholt geäußerte Kritik an feministischen Theologien, sie würden sich zu wenig mit der christlichen Tradition befassen, ohnehin ins Leere geht.


Institutionell verankert und vielfach vernetzt

Dass eine feministisch-theologische Perspektive bei einer Analyse der Kirchenväter bereichernd sein kann, beweist unter anderem auch die katalanische Benediktinerin Teresa Forcades i Vila in ihrer Dissertation zum Personkonzept in klassischen trinitätstheologischen Texten. In ihrem Vortrag in Dresden konkretisierte Forcades diese Erkenntnisse anhand des Beispiels der von ihr so betitelten "Scheindemokratien". Sie benannte solche Regierungssysteme als "Scheindemokratien", die trotz Wahlrecht in einer Weise funktionieren, dass sie sich gegen die Interessen und sogar den ausdrücklichen Willen der Mehrheit richten. Als Antwort auf dieses komplexe Phänomen in den heutigen westlichen Gesellschaften nannte Forcades aus feministisch-theologischer Sicht Aspekte des christlichen Begriffs der "Person" (fortwährende Schöpfung, Einheit in Vielfalt, Untrennbarkeit von Freiheit und Liebe, Umkehr).

Ein revolutionäres Subjekt sei vonnöten, das diese Scheindemokratien entlarven und sie durch fairere und effizientere Regierungssysteme ersetzen könne. Teresa Forcades i Vila stellte in ihrem Vortrag immer wieder Verbindungen zur Situation ihrer Heimatregion Katalonien her, in der sie sich für eine antikapitalistische Bürgerrechtsbewegung einsetzt (vgl. Matt Wells, Sister Teresa Forcades. Europe's most radical nun, in: BBC News, 14. September 2013).


Die Hoffnungen früherer Jahre auf eine Institutionalisierung feministischer und geschlechtersensibler Theologien haben sich für den Kontext katholischer Theologie in Deutschland nicht bewahrheitet. Eine der wenigen Ausnahmen stellen die "Arbeitsstelle Theologische Genderforschung" in Bonn und die "Arbeitsstelle Feministische Theologie und Genderforschung" in Münster dar, die dort jeweils von der Katholisch-Theologischen Fakultät eingerichtet wurden.

Für die evangelische Theologie sprechen die Herausgeberinnen des Handbuchs "Feministische Theologie. Initiativen, Kirchen, Universitäten" von einer "Erfolgsgeschichte" der Institutionalisierung im deutschen Protestantismus, aber sehen auch die "bleibende Herausforderung" eines stetigen kirchlichen und universitären Einsatzes für Geschlechtergerechtigkeit (Gisela Matthiae u. a. [Hg.], Gütersloh 2008).

Konfessionsübergreifend gilt jedoch für Deutschland, Österreich, die Schweiz, die Niederlande und Großbritannien, dass in diesen Ländern im europäischen Vergleich relativ viele geschlechtersensibel arbeitende Theolog_innen Arbeitsmöglichkeiten im wissenschaftlichen Kontext gefunden haben. Es ist bemerkenswert, dass die Theologie hier an staatlichen Universitäten verankert ist. Zeitlich befristete Forschungsstellen im Rahmen von Drittmittelprojekten, die etwa in Deutschland von der Deutschen Forschungsgemeinschaft vergeben werden, bieten Möglichkeiten für innovative Forschung.


Zugleich arbeitet die überwiegende Mehrheit feministischer Theologinnen, vor allem in den ost- und südeuropäischen Ländern, unentgeltlich an ihren Themen; ihre Einkommensquellen liegen woanders. Feministisch-theologische Forschung findet also meistens unter prekären Arbeitsbedingungen und verbunden mit viel ehrenamtlichem Engagement statt.

Die US-amerikanische Theologin Kwok Pui Lan bringt es auf ihrer Homepage auf den Punkt: "Theologinnen in Europa sehen sich vor zahlreiche Schwierigkeiten und Herausforderungen gestellt. Arbeitsmöglichkeiten sind rar, und viele Doktorandinnen finden keine Anstellung als Hochschullehrerin. Es scheint tatsächlich einen 'Rückschritt' oder eine Re-traditionalisierung der religiösen Tradition zu geben. Der Druck auf feministische Theologinnen wächst. Während der Konferenz suchten die Teilnehmerinnen nach Strategien und Möglichkeiten, sich gegenseitig zu unterstützen" (vgl. http://kwokpuilan.blogspot.de).


Gestützt und im gegenseitigen Austausch weiter entwickelt werden feministische und geschlechtersensible Theologien etwa in der religionen- und konfessionenübergreifenden ESWTR, die nicht nur auf gesamteuropäischer Ebene, sondern in vielen Ländern - etwa in Portugal, Spanien und Italien - auch im Kontext der nationalen Sektionen wertvolle Vernetzungsmöglichkeiten bietet.

Im deutschsprachigen Kontext haben sich außerdem katholische Theologinnen im Verein "AGENDA" zusammengeschlossen, der alle zwei Jahre das "Hohenheimer Theologinnentreffen" veranstaltet. Aus der Konferenz im Jahr 2011, die sich anlässlich des Jubiläums der Rezeption des zweiten Vatikanischen Konzils widmete, entstand der Sammelband "Aggiornamento heute. Diversität als Horizont einer Theologie der Welt" (Margit Eckholt und Saskia Wendel [Hg.], Ostfildern 2012; vgl. HK, Februar 2011, 82 ff.). Das diesjährige Theologinnentreffen widmete sich dem prozesstheologischen Ansatz der US-Amerikanerin Catherine Keller.

Während ESWTR und AGENDA Räume bieten wollen, in denen Theologinnen sich untereinander austauschen und vernetzen können, setzt das ökumenische Netzwerk geschlechterbewusste Theologie (NGT) auf den Dialog zwischen Männern und Frauen, die gemeinsam an Perspektiven geschlechtergerechter Theologien arbeiten wollen. Auf der letzten Tagung im Oktober 2012 mit dem Titel "Flesh in flux" stand die "Thematisierung des Körpers in der Praktischen Theologie" im Mittelpunkt. Die Initiative zu der oben genannten Tagung "Jesus und die Männer" entstand ebenfalls im Rahmen des NGT.

Diese wissenschaftlichen Kontakte und transdisziplinären Vernetzungen theologischer Geschlechterforscher_innen existieren jedoch nicht anstelle von, sondern zugleich mit denjenigen innerhalb der jeweiligen theologischen Disziplin. Ähnlich sieht es mit Publikationsmöglichkeiten aus: Neben spezifischen Organen wie etwa "Feminist Theology" in Großbritannien und der Online-Zeitschrift "Religion and Gender" zeigen fachwissenschaftliche Zeitschriften zunehmend Interesse.

Vielleicht liegt hier einer der Gründe, warum die traditionsreiche "Schlangenbrut" - 1983 als Ort für die Veröffentlichung feministisch-theologischer Texte gegründet und seither die größte "Zeitschrift für feministisch und theologisch interessierte Frauen" im deutschsprachigen Raum - seit Jahren ums Überleben kämpfte und in diesem Jahr ihr Erscheinen einstellen musste. Ähnlich erging es vor einigen Jahren der niederländischen Zeitschrift "FIER", während der österreichische "Apfel" und die schweizerische "Fama" weiterhin bestehen.


Die aktuelle Situation feministischer Theologien ist ambivalent: Ihrem ersten Anliegen, erfahrungsgesättigte und politisch engagierte Theologie zu treiben, sind sie treu geblieben und damit quicklebendig und mit zahlreichen aktuellen Debatten befasst. Zu Recht stellen die Herausgeberinnen des Handbuchs "Feministische Theologie" ein "Potenzial Feministischer Theologie für nachhaltige Veränderungen in Kirche und Gesellschaft" (Matthiae u. a., 378) fest. Ein vitales Interesse vieler Christ_innen an den in geschlechterbewussten Theologien diskutierten Fragen ist - seitens der Frauenverbände, auf Katholiken- und Kirchentagen und in der Nachfrage nach Veranstaltungen im Rahmen der Erwachsenenbildung - eindeutig feststellbar.

Da die Geschlechterperspektive nicht immer bequem ist, besteht zugleich dennoch bei vielen Wissenschaftler_innen die Sorge, dass sich eine Positionierung als theologische_r Geschlechterforscher_in als karriereschädigend erweisen könnte. Zugleich war etwa auf der Konferenz in Dresden bei vielen Wissenschaftlerinnen aus ganz Europa deutlich, dass Theologie für sie ohne die Geschlechterperspektive im wahrsten Sinne des Wortes un-denk-bar ist. Die Botschaft geschlechtersensibler und feministischer Theologien ist und bleibt deshalb eindeutig widerständig und visionär.


Dr. Aurica Nutt (geb. 1972) arbeitet im Forschungsprojekt "Leib Christi - gendertheoretische Dekonstruktion eines zentralen theologischen Begriffs", Institut für Katholische Theologie, Universität zu Köln. Seit 2001 war sie im Ehrenamt Mitherausgeberin der "schlangenbrut. zeitschrift für feministisch und religiös interessierte frauen".

Miriam Leidinger (geb. 1985) ist Doktorandin im Fach Systematische Theologie an der Universität zu Köln und Promotionsstipendiatin der Bischöflichen Studienförderung Cusanuswerk. Von 2007-2010 war sie studentische sowie 2011 wissenschaftliche Hilfskraft an der Arbeitsstelle für Feministische Theologie und Genderforschung.


Literatur

- Ulrike Bail u. a.(Hg.): Bibel in gerechter Sprache, Taschenbuchausgabe der 4., erweiterten und verbesserten Auflage Gütersloh 2011

- Alexandra Bauer und Angelika Ernst-Zwosta (Hg.): "Gott bin ich und nicht Mann". Perspektiven weiblicher Gottesbilder, Ostfildern 2012

- Uta Blohm u. a. (Hg.): Feministische Theologie. Zuhören, verstehen und antworten in einer säkularen und vielfältigen Welt, Leuven 2012

- Margit Eckholt und Saskia Wendel (Hg.): Aggiornamento heute. Diversität als Horizont einer Theologie der Welt, Ostfildern 2012

- Ilse Falk u. a. (Hg.): So ist mein Leib: Alter, Krankheit und Behinderung - feministisch-theologische Anstöße, Gütersloh 2012

- Martin Fischer (Hg.): Jesus und die Männer. Impulse aus einer Fachtagung zur theologischen Männerforschung, Wien 2013 [im Erscheinen]

- Elisabeth Hartlieb und Stefanie Schäfer-Bossert (Hg.): Feministische Theologie - Politische Theologie. Entwicklungen und Perspektiven, Sulzbach 2012

- Claudia Janssen: Endlich lebendig. Die Kraft der Auferstehung erfahren, Freiburg 2013

- Catherine Keller, Über das Geheimnis. Gott erkennen im Werden der Welt, Freiburg 2013

- Reiner Knieling und Andreas Ruffing (Hg.): Männerspezifische Bibelauslegung. Impulse für Forschung und Praxis, Göttingen 2012

- Gisela Matthiae u. a. (Hg.): Feministische Theologie. Initiativen, Kirchen, Universitäten. Eine Erfolgsgeschichte, Gütersloh 2008


Links

- www.agenda-theologinnen-forum.de
- www.eswtr.org
- http://femtheol.ub.rub.de/
- http://netzwerk-ngt.org/
- www.religionandgender.org
- www.schlangenbrut.de
- www.uni-muenster.de/fb2/tff

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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
67. Jahrgang, Heft 11, November 2013, S. 552-556
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2014