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AFRIKA/001: Von der Alltäglichkeit der Religion in Ghana (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion 12/2006

Gott, die Nation und die Bildung
Von der Alltäglichkeit der Religion in Ghana

Von Andreas Heuser


Religion ist fest eingewoben in die Gesellschaft Ghanas, das im kommenden Jahr den 50. Jahrestag seiner Staatsgründung begeht. Christentum und Bildung sind geradezu klassisch miteinander verbunden. Auch die sozialen Dienste der katholischen Kirche erfreuen sich hoher Wertschätzung.


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Im März 2007 wird Ghana den 50. Jahrestag seiner Staatsgründung begehen. Die Verfassung des Landes ist säkular. Doch ist vorhersehbar, dass die Choreographie dieses Festereignisses maßgeblich zurückgreifen wird auf das Repertoire religiöser Inszenierung. Denn in Ghana ist Religion nicht nur eine öffentliche Angelegenheit, religiöse Sprache ist gleichsam die 'lingua franca' im Alltag der Menschen. Diskurse über Gott und Religion lassen sich kaum vermeiden. Auf Schulheften jeglicher Variation, die an ghanaischen Grundschulen gebräuchlich sind, findet sich auf dem rückwärtigen Heftdeckel eine politische Karte Ghanas. Darauf sind die Provinzen und die jeweiligen Hauptorte des Landes verzeichnet. Auf der Vorderseite findet sich das Konterfei eines Schülers, dessen Schuluniform britischen Vorbilds ihn als erfolgreichen Schulabgänger ausweist. Um die Grundschüler, die einem solchen gloriosen Ende ihrer schulischen Lernphase erst in Jahren entgegensehen, in den schulischen Alltag zurückzuholen, sind darunter einige Zeilen eingetragen, wo Schüler ihre Namen, ihre Schule und Schulklasse einschreiben können. Überragt wird die Vorderseite durch den im Schriftbild kursiv abgehobenen Aufdruck: In God We Trust - Ghana Schools.

In diesem beliebigen Beispiel für die Alltagspräsenz des Religiösen in Ghana findet sich also ein dreifacher Identifikationscode: Ein junger Mensch im Schüleralter identifiziert sich zunächst mit dem Bildungsangebot einer bestimmten Dorf- oder auch städtischen Schule; diese lokal begrenzte Bezugsgröße wird zugleich auf die größere politische Ebene, die Nation, ausgeweitet. Und schließlich besagt der alles überragende Gottesbezug, dass schulische Bildung (die ihren westlichen Ursprung nicht verheimlicht) und religiöse Erziehung Hand in Hand gehen.

Doch es gibt noch eine weitere Aussage, die gleichsam als Subtext das gesamte Arrangement von Zeichen und Verweisen durchzieht: Obwohl das Schulwesen in Ghana heutzutage zum überwiegenden Teil in staatlicher Verantwortung liegt, scheint die politische Entwicklung des Landes nicht denkbar in rein säkularen, gar laizistischen Bahnen. Zusammengefasst besagt das angesprochene Design gängiger Schulhefte, dass Gegenwart und Zukunft gewissermaßen dem Vorbehalt göttlichen Waltens unterliegen - oder auch göttlichen Einspruchs in den Lebensalltag, und zwar eines Individuums wie eines Staates.


Doktrinäre Unterscheidungen sind zweitrangig

Gott die höchste Ehre zu erweisen, erscheint mit Bezug auf Afrika als keine allzu beachtenswerte Besonderheit. Immer wieder wird behauptet, afrikanische Menschen (oder gar Afrika) seien unheilbar religiös, der Gottesbezug mithin die Normalität afrikanischer Daseinsbewältigung. Diese These, die durchaus mit Widerspruch zu rechnen hat, argumentiert anthropologisch und wurde auch deshalb aufgestellt, um der zunehmenden Säkularität westlicher Gesellschaften ein Spiegelbild vorzuhalten. Mit Blick auf unser Beispiel bestätigt sich in der Tat diese Alltäglichkeit von Religion in Ghana.

Angesichts vieler kontroversen Ereignisse erscheint die Verflechtung von politischen und religiösen Ansprüchen zunächst wie ein kritischer Kommentar der jüngeren Politikgeschichte des Landes. Als die damalige Goldküste 1957 nach innenpolitischen Wirren, die sich über ein Jahrzehnt hingezogen hatten, schließlich die staatliche Unabhängigkeit von der britischen Kolonialmacht erlangte, katapultierte dies geradezu viele Regionen des subsaharischen Afrika in eine neue Ära. Die Unabhängigkeitserklärung Ghanas avancierte zum Modellfall der jüngeren Politikgeschichte Afrikas und es setzte kontinentweit eine Welle der Entkolonialisierung ein.

Die Euphorie der Anfangsjahre jedoch verflüchtigte sich in Ghana bald in gesellschaftspolitischen Experimenten eines Afrikanischen Sozialismus, gefolgt von autoritären Regimen, abgelöst durch verschiedene Militärputsche, die nicht nur eine große Zahl an politischen Opfern forderten, sondern auch die Auswanderung tausender Flüchtlinge unter anderem ins politische Asyl nach Europa nach sich zogen. Vor all diesen Turbulenzen, die sich über die ersten vier Dekaden der Unabhängigkeit Ghanas hinzogen, erscheint der Gottesbezug als die einzige verlässliche Größe im Machtspiel des unabhängig gewordenen Staates.

Welcher Gottesbezug aber ist konkret gemeint? Ein ghanaisches Sprichwort besagt: "Zu viel Fleisch verdirbt keine Suppe." Will sagen, dass doktrinäre Unterscheidungen zweitrangig sind. Blicken wir auf unser Fallbeispiel, das Schulheft. Es suggeriert eine Trias von Gott, Nation und Bildung. Daraus aber ließe sich eine erste Vermutung ableiten, dass es nämlich darum geht, das Geschick der Nation dem christlichen Gott anzuvertrauen.

Die Kombination von Schulwesen und Christentum waren die eineiigen Zwillinge der Missionsgeschichte seit dem frühen 19. Jahrhundert. Das Christentum erreichte die Küste des heutigen Ghana zwar bereits Ende des 15. Jahrhunderts, im Gefolge der Ausdehnung des portugiesischen Handelsimperiums nach Westafrika. Doch erst jetzt gingen die Errichtung von Kirchen und der Bau von selbst einfachsten Schulen Hand in Hand. Wo immer der christliche Glauben verbreitet wurde, wurden gleichzeitig Maßnahmen zur Alphabetisierung ergriffen. Das eine war nicht denkbar ohne das andere. Mehr und mehr Absolventen dieser Missionsschulen ließen sich taufen, einige davon wurden später zu den ersten einheimischen Katechisten ausgebildet.

Dies führte dazu, dass bis zur Unabhängigkeit das Bildungswesen in kirchlicher Obhut stand. Erst mit der Entkolonialisierung erfolgte die Unterstellung aller Schulen unter staatliche Hoheit. Denn die Veteranen der Unabhängigkeit hatten eine ambivalente Beziehung zum Missionschristentum. Die Visionäre der antikolonialen Bewegung in Ghana (wie auch anderswo in Afrika) waren beseelt von einem afrikanischen Nationalismus und zielten ideologisch auf die Gründung eines panafrikanischen Staatenbundes.

Einerseits hatte nahezu die gesamte neue politische Elite einstmals das missionskirchliche Schulsystem durchlaufen, andererseits hatten sie den Befreiungskampf auch gegen die Missionskirchen geführt, die sie als Fremdkörper im neuen Staat empfanden. Sie stellten deren Existenzberechtigung in Frage, indem sie biblische Sprache auf den eigenen politischen Kontext übertrugen. Dieses Verfahren der symbolischen Aneignung entfaltete seine größte Wirkung, indem einige politische Führer mit messianischen Qualitäten ausgestattet wurden.

Dies traf insbesondere auf Präsident Kwame Nkrumah zu, der Ghana dem "Tag der Erlösung", so umschrieb er in seinen eigenen Worten die staatliche Selbständigkeit, entgegen führen wollte. Nkrumah, der, katholisch aufgewachsen, evangelische Theologie in den USA studiert hatte, jonglierte geradezu mit biblischen Anspielungen, was seine Beliebtheit in Ghana nur steigerte. Die Popularität des charismatischen Führers gerann gleichsam zu einem religiösen Manifest, Nkrumah wurde verehrt in Form von Glaubensbekenntnissen, die sich in Stil und Aufbau an das Apostolische Glaubensbekenntnis anlehnten. In einem heißt es: "Ich glaube an Kwame Nkrumah, den mannhaften Führer unseres Heimatlandes, den Gründer unserer Schulen", so legitimierte die Öffentlichkeit die neue Politikära.

Das Bekenntnis zu Nkrumah und seinem "heiligen Kreuzzug der Freiheit", wie es weiter heißt, verrät zweierlei: es stellt fest, dass formale Bildung ein vorrangiges Politikziel bei der "Wiederherstellung unserer Rechte" darstellt, und es postuliert mit der "Vernichtung der Fremdherrschaft" zugleich die endgültige Abdankung des spezifisch missionskirchlich verantworteten Bildungserbes.

Doch entgegen der mit großer rhetorischer Verve vorgetragenen Emanzipationsformeln konnte der junge Staat die flächendeckende schulische Versorgung kaum gewährleisten und behielt notgedrungen eine Arbeitsteilung bei. Schulen unterstanden zwar den offiziellen staatlichen Richtlinien, aber viele Schulen verblieben in der Trägerschaft von so genannten "historischen" oder mainline-Kirchen, von Kirchen also, die - allen voran die Methodistische, die Presbyterianische und die Römisch-Katholische Kirche - aus ehemaligen Missionskirchen hervorgegangen sind. Bis zum heutigen Tag konnten sich solche Schulen in kirchlicher Trägerschaft den Status vorbildlicher Bildungsstätten bewahren, und noch immer weist der Großteil der gesellschaftlichen Elite des Landes eine Bildungsbiographie in von historischen Kirchen verwalteten Einrichtungen auf.


Eine Rückkehrbewegung in die historischen Kirchen

Der vergleichsweise hohe Stellenwert, den Bildung in Ghana erfährt, hat seit wenigen Jahren zur Öffnung des staatlichen Bildungsmonopols geführt. Seit ungefähr zehn Jahren ist die Gründung von Privatschulen und Privatuniversitäten vermehrt zu beobachten. Viele dieser Neugründungen gehen wiederum auf kirchliche Initiativen zurück. Allerdings verschiebt sich die hergebrachte Bildungslandschaft allmählich. Innerhalb der letzten fünf Jahre gründeten einige der so genannten charismatischen Kirchen und Pfingstkirchen Institutionen tertiärer Bildung.

Diese Kirchen zeichnen sich durch eine lebhafte Betonung der neutestamentlichen Gnadengaben (Charismen) aus, das heißt sie rechnen mit dem konkreten Eingreifen Gottes gegen die Unsicherheiten und Gefahren des täglichen Daseins. Daher sind Heilung und Prophetie, Exorzismen und Schutzrituale markante Eigenheiten dieser Kirchen. Ihre Theologie betont die "Neue Geburt" durch das alleinige Wirken des Heiligen Geistes, die sich durch das aktive Glaubensleben der Einzelnen - weniger einer Gemeinde als sozialer Größe - bestätigen soll, im Gebet und in einer "geheiligten" Lebensweise. Mit diesem theologischen Inventar sprengten charismatisch-pentekostale Kirchen die herkömmliche Kirchenlandschaft in Ghana.


Pfingstkirchen gründen Ausbildungsstätten

Diese Kirchen setzten sich erstmals gegen Ende der siebziger Jahre in Szene und gewannen in mehreren Schüben, in denen sich jeweils leichte Verlagerungen des theologischen Schwerpunktes feststellen lassen, immer mehr an Boden. Insbesondere in den neunziger Jahren erfassten sie vor allem auch Mitglieder in den historischen Kirchen. Aufgrund des wachsenden kirchlichen Konkurrenzdrucks öffneten diese sich für theologische Anliegen der charismatisch-pentekostalen Bewegung. Dies führt, wie gegenwärtig zu beobachten ist, zu einer Rückkehr vieler "Ehemaliger" zurück in die historischen Kirchen.

Eine gewisse Ausnahme in diesem Bild von Wanderungs- und Rückkehrbewegung bildet die katholische Kirche in Ghana. Sie ist recht stark vertreten im Norden des Landes, einer vor allem ländlichen und unterprivilegierten Region. Dort finden insbesondere die sozialen Dienste der Kirche Anklang. Nach dem klassischen Muster von Missionskirchen widmet sie sich dem Ausbau ihres Schulwesens, häufig verbunden mit Anreizen zur verbesserten Gesundheitsversorgung. Dieses Engagement führte dazu, dass die Kirche kontinuierlich gewachsen ist. Aber auch im Süden wächst sie.

Der Blick in die Statistik eröffnet eine bemerkenswerte Verdopplung ihrer Mitgliederzahl zwischen 1980 und 1998 auf gegenwärtig geschätzte 2,3 Millionen Mitglieder. Die drei Erzdiözesen von Accra, Cape Coast und Tamale weisen für diesen Zeitraum Wachstumsquoten von bis zu 41 Prozent aus. Ein wesentlicher Grund für die Attraktivität der katholischen Kirche liegt im Catholic Renewal Movement, einer charismatisch inspirierten Erneuerungsbewegung, die viele Gläubige davon abgehalten hat, sich anderen Kirchen anzuschließen.

Umgekehrt lässt sich feststellen, dass charismatische und Pfingstkirchen das formale Bildungsethos der historischen Kirchen zu übernehmen trachten. Bislang spielte Bildung in ihrem ekklesiologischen Selbstverständnis allenfalls eine untergeordnete Rolle. Im Gegenteil: sie klagten historische Kirchen sogar an, mit ihren Aktivitäten im Bereich der Bildung vom Eigentlichen abzusehen, nämlich der Propagierung von Jesu Rettungs- und Erlösungshandeln.

Mittlerweile jedoch, auf dem Höhepunkt ihrer Ausstrahlung, erachten einige Kirchenführer aus dem charismatisch-pentekostalen Milieu die Bildungsfrage als kirchliche Überlebensfrage. Infolgedessen fließen erhebliche finanzielle Ressourcen in den Aufbau von Schulen und universitären Einrichtungen. Mit der Gründung von Bildungszentren versuchen sie, sich das bisherige Proprium der mainline-Kirchen anzueignen, deren öffentliches Image zu kopieren. Gerade jene Kirchen, denen in der Vergangenheit eine gewisse Bildungsferne bescheinigt wurde, setzen sich nunmehr das Ziel, formale Ausbildungsstätten zu gründen.

Damit bekräftigen auch sie folglich die bezogen auf Ghana klassisch zu nennende Verflechtung von Christentum und formaler Bildung. Interessant ist, dass die offizielle Alphabetisierungsrate in Ghana mit annähernd 65 Prozent in etwa dem christlichen Bevölkerungsanteil insgesamt entspricht. Vieles spricht somit dafür, in der Formel "In God We Trust" tatsächlich ein genuin christliches Gottesbekenntnis zu vermuten.


Ein äußerst pluraler Islam

Allerdings treten in Ghana in jüngster Zeit auch muslimische Bildungseinrichtungen ins öffentliche Blickfeld. Neuerdings gibt es neben einigen Schulen auch eine erste Hochschule in muslimischer Trägerschaft. Das bedeutet, dass Muslime in Ghana bewusst in Konkurrenz zu christlichen Kirchen jeglicher Couleur treten. Bisher war es durchaus üblich, dass muslimische Kinder beispielsweise an weiterführenden Schulen in kirchlicher Trägerschaft unterrichtet wurden. Dieses christliche Bildungsmonopol soll durchbrochen werden. Ganz offenbar prägen sich in Ghana am Vorhandensein von Bildungsinstitutionen religiöse Identitäten aus. Es hat den Anschein, dass die Hoheit über das Bildungsangebot die Hoheit der jeweiligen Gottesverehrung zum Ausdruck bringt.

Während sich das Christentum seit dem 19. Jahrhundert von der Küstenregion in den Norden ausbreitete, verliefen die Verbreitungswege des Islam in Ghana umgekehrt, von der Sahelzone im angrenzenden Norden in den Süden Ghanas. Historisch etablierte sich der Islam in Ghana seit dem 14. Jahrhundert und geht damit der Ankunft des Christentums voraus. Statistisch gesehen sind nach den Angaben des letzten Zensus aus dem Jahr 2000 etwa 16 Prozent der Gesamtbevölkerung muslimischen Glaubens. Sie bilden allerdings keinen einheitlichen Block, sondern verzweigen sich in die eine oder andere Richtung.

Konfliktlinien hat es in der jüngeren Vergangenheit zwischen muslimischen und christlichen Bevölkerungsgruppen gegeben, fast ausschließlich begrenzt auf den Norden. Jedoch spielen in diesen Auseinandersetzungen eher ungeklärte Landfragen als religiöse Abgrenzung eine Rolle. Religiöse Konflikte im eigentlichen Sinn werden insbesondere innerhalb der verschiedenen islamischen Traditionen ausgetragen, und zwar primär, weil äußere Einflüsse auf den religiösen Frieden in Ghana einwirken.

Der sunnitische Islam (der malikitischen Rechtsschule) bildet die Mehrheit unter den Muslimen Ghanas. Populär sind zugleich Sufi- Bruderschaften (der Tijaniyya und Qadariyya), die starke volksreligiöse Züge tragen, also beispielsweise das Tragen von Amuletten zur Abwehr böser Mächte zulassen und prophetischer Weissagung große Bedeutung beimessen.

Zudem zeichnet sich die Pluralität des Islam in Ghana dadurch aus, dass das Land nach Pakistan weltweit die zweitgrößte Anhängerschaft der Ahmadiya-Bewegung zählt. Mit ihrem Aufkommen in Ghana (seit 1921) veränderte sich zugleich die Erscheinungsweise des Islam. Die Ahmadiya, die von anderen Muslimen als häretisch gemieden wird (da sie ihren Gründer, Ghulam Ahmad, als Messias verehrt), setzte verstärkt auf die Förderung des Bildungswesens und konnte dadurch neue Mitgliedsschichten gerade auch unter den südlichen Bevölkerungsgruppen, unter denen das Christentum in der einen oder anderen Form verankert war, erfassen.

Neuerdings machen islamische Reformgruppen unterschiedlicher Herkunft von sich reden, die eine rigidere Auffassung des muslimischen Glaubens vertreten. Entgegen der älteren Traditionen, die volksreligiöse Züge kennen, verlangt die Reformbewegung rituelle Reinheit. Es handelt sich um wahabitische und schiitische Einflüsse, und der Finanzfluss aus Saudi-Arabien, Libyen, aber auch aus dem Iran nimmt deutlich zu. Dies zeigt sich in der öffentlichen Präsenz des Islam durch den massiven Neubau von Moscheen; die neuen Moscheen haben ein vorwiegend klassisch arabisches Design und liegen bevorzugt an den nationalen Verbindungswegen.

Islamische Gemeinden treten somit in eine sichtbare Konkurrenz vor allem mit der jüngsten Vielfalt an charismatisch-pentekostalen Kirchen. Auch unter Pfingstkirchen sind Kirchenneubauten besonders ausgeprägt. Die Aussagekraft eines Kirchengebäudes gilt hier als Hinweis auf eine gut verwaltete und missionarisch aktive Kirchengemeinschaft und mehr noch auf die besondere Nähe dieser Kirche zu Gott. Analog dazu demonstrieren islamische Gruppen ein gestärktes Selbstbewusstsein in ihrer sakralen muslimischen Architektur. Die Reformbewegung unterstützt die üblichen Koranschulen, legt aber ebensolchen Wert auf autonome schulische wie universitäre Bildung unter stärker zu beachtenden islamischen Rahmenbedingungen.

Daher forciert sie - wie die Ahmadiya - seit Anfang der siebziger Jahre den Bau von entsprechenden Ausbildungsstätten. Traditionell aber wurden Studierende des Islam zur Weiterqualifizierung an arabische oder iranische Universitäten vermittelt. Vor kurzem erst wurde eine Islamische Universität in der Hauptstadt Accra eröffnet. Die neueren Trends innerhalb des Islam in Ghana zielen also darauf ab, die herkömmliche Liaison von christlichem Gottesbekenntnis und formaler Bildung aufzuweichen. Wenn ghanaische Schüler ihr Schulheft zur Hand nehmen, kann das Label "In God We Trust" mit zunehmendem Anspruch auch für den einen Gott des Islam stehen.


Das politisch stabilste Land der ganzen Region

Wer nach der Bedeutung "Gottes" fragt, wird zur Antwort bekommen, damit sei der Gott des Himmels gemeint, der Schöpfergott. Es ist diese Dimension der Anbetung Gottes, die sogar visualisiert wird in einem Symbol, dem so genannten "Gye Nyame". Gye Nyame hat etwa die Bedeutung: "Nichts außer Gott", oder in Paraphrase: niemand kann intervenieren denn "Gott allein". Es ist allgegenwärtig und findet sich als Symbol auf Kirchtüren, als Taxiaufkleber, kunsthandwerklich eingearbeitet in Möbeln und als Verzierung in Gartenzäunen und auf Schirmen. Die Herkunft dieser spezifischen symbolischen Präsenz Gottes des Schöpfers und Walters, dies ist allen bewusst, stammt aus vorchristlicher und vorislamischer afrikanischer Religion. Deren offizielle Anhängerschaft beträgt in manchen Gebieten Ghanas bis zu 47 Prozent, im Landesdurchschnitt - je nach statistischer Grundlage - zwischen 10 bis 25 Prozent der Bevölkerung. Deshalb taucht das Gottessymbol gehäuft, in Kombination mit mehreren anderen Symbolen, in afrikanischen "Schreinen" auf.

Von diesen Schreinen, die von traditional-religiösen Sehern und Heilerinnen und ihrer Entourage verwaltet werden, gibt es welche mit regionaler Ausstrahlung, aber auch solche mit einer nationalen Bedeutung. Es sind insbesondere diese nationalen Schreine, die inmitten von mehrheitlich islamischen Regionen Ghanas wirken. Von dort, meist also vom Norden des Landes, erweitern sie sich mit Ablegerschreinen bis in den mehrheitlich christlichen Süden. Es ist nicht ihr Anliegen, künftige Generationen durch ein Netz von Bildungseinrichtungen zu beeinflussen. Sie bieten alternative Lebensdeutung an, indem sie das rituelle Handeln als Wesensaspekt von Religion hervorheben. Afrikanische Schreine vollziehen Schutzrituale gegen all das, was Lebensglück, Wachstum, Heilung bedroht. Ihr religiöses Handeln bezieht sich also auf die gleichen Schlüsselbereiche von Existenzbewahrung und Abwehr des Bösen, die maßgeblich in den spirituellen Vollzügen sowohl der jungen charismatisch-pentekostalen Kirchen als auch der älteren islamischen Volksreligion auftauchen.

Insgesamt betrachtet, bleibt Religion in das soziale System in Ghana verwoben; Diskurse über Gott sind wahrnehmbar in gesellschaftlichen Institutionen und in der öffentlichen Symbolwelt. Das Gottesbild selbst wird religionspluralistisch verhandelt und "Gott" bleibt eine gängige Chiffre, die alltägliches Zusammenleben orientiert. Die Festivitäten zur Staatsgründung 2007 werden nicht ohne Gottesbezug auskommen werden. Die Bekenntnisformel "In God We Trust" lässt nicht den Schluss eines Herrschaftsmodells zu, das eine prinzipielle Trennung von Staat und Religion nicht kennt. Sie zeigt nur eine zivilreligiöse Selbstverständlichkeit auf, weshalb das Jubiläum auch unter Regie eines demokratisch wiedergewählten Präsidenten begangen werden wird.

Ghana gilt nach wechselvoller Geschichte derzeit als politisch stabilstes Land der gesamten Region und weist einen funktionierenden Parlamentarismus auf. Absehbar ist, dass das öffentliche Gebetsritual, das den staatlichen Festakt einläuten wird, abwechselnd von Vertretern der afrikanischen Religion, des Islam und der christlichen Kirchen gesprochen werden wird - in dieser Reihenfolge, die der älteren Religionstradition auf ghanaischem Boden ein gewisses Vorrecht der Repräsentation einräumt. Zumindest die historischen Kirchen nahmen mit der Erlangung der Unabhängigkeit eine gewichtige gesellschaftliche Rolle ein und taten sich als Hüterinnen von Menschenrechten hervor. Selbst diejenigen unter ihnen, die nicht zu denen zählten, die die Unabhängigkeitsbewegung aktiv unterstützten, bezogen gerade auch in den langen Zeiten der Militärregierungen (von 1972 bis 1979 und zwischen 1981 und 1992) oppositionelle Positionen. und forderten stärkere Demokratisierungsprozesse ein. Diese Tradition von good governance behalten sie bis heute bei.


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Der Pfarrer und Politologe Andreas Heuser (geb. 1961) ist promovierter Missions- und Religionswissenschaftler, mit einem Forschungsschwerpunkt in afrikanischer Religions- und Kirchengeschichte. Er ist theologischer Berater von Kirchen afrikanischer Herkunft in Europa. Derzeit bekleidet er eine Profilstelle für Ökumene und Bildung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
60. Jahrgang, Heft 12, Dezember 2006, S. 631-636
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. März 2007