Schattenblick →INFOPOOL →RELIGION → FAKTEN

BERICHT/084: Sommerakademie für junge Muslime, Juden und Christen (ÖRK)


Ökumenischer Rat der Kirchen - Feature vom 2. August 2007

Junge Muslime, Juden und Christen auf "spirituellem Tiefsee-Tauchgang"

Von Annegret Kapp*


Die Kappelle im Ökumenischen Institut Bossey bei Genf, in der junge Erwachsene aus fünf Kontinenten an diesem Sommermorgen eine gemeinsame Andacht halten, ist ein ungewöhnlicher Gebetsraum. Durch Kirchenfenster, gestaltet von der ökumenischen Gemeinschaft Taizé in Frankreich, fallen bunte Lichtstrahlen auf ein Spektrum religiöser Symbole, das von orthodoxen Ikonen über ein lutherisches Kreuz bis zur Trommel aus einer afrikanischen Kirche reicht.

Selbst die Lieder, die Bibellesung durch eine US-amerikanische Teilnehmerin oder die Auslegung durch ihre Mitchristin aus Ungarn, ermöglichen dem Beobachter nicht, den Gottesdienst einer konfessionellen Tradition zuzuordnen. Aber die ökumenische Art zu feiern ist noch nicht das ungewöhnlichste an dieser Andacht.

Denn die Teilnehmenden sind sogar noch vielfältiger als die weltweite Christenheit, die normalerweise in Bossey vertreten ist. Die Kopftücher in bunten Blumenmustern und die Kippot auf einigen Köpfen im Kreis weisen darauf hin. Die diesjährige Sommerakademie des Instituts brachte im Juli 21 jüdische, muslimische und christliche junge Erwachsene aus der ganzen Welt zusammen und gab ihnen Gelegenheit einander kennen zu lernen - einschließlich ihrer jeweiligen Religiosität.

Nicht alle Morgenandachten der letzten Wochen fanden in der Kapelle statt. Zwei Tagungsräume des Institut verwandelten sich in eine improvisierte "Moschee" beziehungsweise "Synagoge": im einen sind Decken und ein Gebetsteppich Richtung Mekka am Boden ausgebreitet; im anderen stehen Stühle - für Frauen links, für Männer rechts. Eine Tafel trägt noch ein Zitat aus der Thora und Spuren der Erklärungen, die die jüdischen Teilnehmer den anderen Studierenden gaben.

Eine Religionsgemeinschaft bereitete jeweils die Andacht des Tages vor und hielt sie ab. Doch die anderen waren eingeladen, dabeizusein und so aktiv mitzufeiern, wie sie es für sich selbst richtig fanden.

"Unser Ziel ist nicht, unsere Religionen zu vermischen und eine neue, globale aufzubauen, sondern einander und unsere verschiedenen Identitäten besser zu verstehen," sagt der russisch-orthodoxe Christ Morris Gagloev.

Für Steven Bell, der im nächsten Sommer seine Priesterweihe in der nordamerikanischen Ordensgemeinschaft der Paulisten vor sich hat, stärkt das Erleben der Spiritualität der Anderen auch das eigene Gebetsleben. Beeindruckend fand er den gesanglichen Reichtum des Judaismus und die Disziplin des muslimischen Gebets. Valeria Gatti, eine römisch-katholische Peruanerin, formuliert es so: "Wenn du siehst wie dein Freund oder deine Freundin sich auf seine oder ihre Weise Gott nähert - das ist wunderschön!"

Die in Bossey geknüpften Freundschaften spielen eine wichtige Rolle im Lernprozess der Teilnehmenden. Sie ermöglichten ihnen freimütige Diskussionen während der täglichen Vorlesungen und Workshops, selbst wenn sie so schwierige Themen wie Politik oder Geschlechterrollen berührten. Deshalb ist die Tatsache, dass die jungen Erwachsenen einen Monat lang unter demselben Dach lebten, Momente am Strand und in der Küche genauso teilten wie die Stunden im Tagungsraum, wesentlich für das was die, die es erlebt haben, eine "einzigartige Erfahrung" nennen.

Unvergesslich bleibt ihnen bestimmt das Sabbatmahl, das sie unter der Anleitung des jüdischen Chefkochs in ihrer Mitte zubereitet haben. Dabei waren Moslime genauso fleißig am Kartoffeln schälen wie Christen am Gemüse schneiden.

In Anbetracht des Stundenplans mit Gruppendiskussionen bis neun Uhr abends muss man sich fast wundern, wie aktiv die Studierenden sich an den Lehrveranstaltungen beteiligten. Diese stützten sich auf die in der Umgebung geballte Fachkompetenz aus allen drei abrahamitischen Weltreligionen, einschließlich Dozenten der Universitäten Genf und Lausanne. Weitere Vorlesungen hielten internationale Experten. Die Vielfalt der Lehrenden warf ein Licht auf die Gegensätze innerhalb der einzelnen Religionsgruppen und machte die Studierenden sowohl mit dem sunnitischen als auch mit dem schiitischen Islam bekannt, ebenso wie mit orthodoxem und reformiertem Judentum sowie der großen Vielfalt christlicher Konfessionen.

Da die Teilnehmenden selbst einen großen Erfahrungsschatz mitbrachten, musste sich das Lehrpersonal auf viele Fragen und Kommentare gefasst machen. Nach einer Präsentation zum Thema "Religiöse Identität in einer pluralistischen Welt behaupten und leben aus christlicher Perspektive" von Rima Barsoum, die beim Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) die Arbeit zu christlich-muslimischen Beziehungen koordiniert, berichtete zum Beispiel Said Abdalla den anderen Teilnehmenden von der Situation in seiner kenianischen Heimat und den Ängsten der muslimischen Minderheit "missioniert" zu werden. Saba Wallace, eine Teilnehmerin, die zu den christlichen zwei Prozent der pakistanischen Bevölkerung gehört, fragte: "Wie kann Dialog überhaupt stattfinden, wenn Partner in keiner Weise auf Augenhöhe sind?"

Die junge Frau, die für Nichtregierungsorganisationen im Bereich Menschenrechte und interreligiöser Dialog arbeitet, sagt, sie sei mit vielen solchen Fragen nach Bossey gekommen, die sie in ihrer alltäglichen Umgebung nicht stellen kann. Mit ihrer vielschichtigen Identität als Pakistani, Frau und Christin fühlt sie sich sowohl in ihrer Heimat als auch im Westen frustriert und missachtet. Ihre Erzählung macht klar, weshalb Institutsleiter Pfr. Dr. Ioan Sauca die Notwendigkeit betont, einen "sicheren Ort" bereitzustellen, an dem junge Menschen aus Ländern, in denen interreligiöse Beziehungen nicht immer harmonisch sind, ihre Anliegen diskutieren können. Die Natur unterstrich sein Versprechen mit einem Symbol für Gottes Friedensverheißung aus der biblischen Geschichte von Noah: An ihrem ersten Tag in der Schweiz sahen die Teilnehmenden der interreligiösen Sommeruni einen Regenbogen am Himmel über Bossey.

Ist es ihnen also gelungen, eine religionsübergreifende Gemeinschaft aufzubauen? Eine Gruppenarbeit zu einem ÖRK-Text über die Herausforderung des Pluralismus führte die Teilnehmenden zurück zu dieser Frage.

Eden Curtasan, ein Informatikstudent und Mitarbeiter des rumänischen Mufti der traditionellen türkisch-tatarischen muslimischen Minderheit, möchte nicht vorschnell von Gemeinschaft sprechen, wie das seiner Meinung nach Politiker oft tun. Dennoch war er positiv überrascht von der Sommerakademie: "Als ich kam, habe ich langweiliges Friedens-Blabla erwartet, aber das Programm war so interessant, dass ich die mitgebrachten Bücher nicht einmal angerührt habe."

Das intensive akademische Programm ist auch der Forderung der Studierenden geschuldet, ihre Zeit in Bossey optimal auszunutzen. Für Jihàd Omar, einen Moslem aus Südafrika, war der Einsatz der Teilnehmenden für einen volleren Stundenplan zwar mit Frustrationen verbunden, aber auch ein gutes Gemeinschaftserlebnis der Arbeit für ein gemeinsames Ziel.

Gatti sah es schließlich gar als Nachteil für ihre peruanischen Landsleute, dass das fast ausschließlich christliche Land kaum Gelegenheit für interreligiöse Begegnungen bietet: "Diese Erfahrung ist wie eine neue Brille."

Die größte Überraschung war laut Bell, dass junge Menschen aller drei Religionen vor demselben Dilemma stehen: "Sie entdecken ihre Spiritualität, die aber nicht im institutionellen Gebäude ihrer Religion - der Moschee, der Kirche, der Synagoge - ausgelebt wird, weil dieses vollgesogen ist mit Traditionen, die nicht mit ihrer persönlichen Erfahrungswelt zusammenpassen."

Die Bereitschaft der jungen Leute, die Wurzeln ihrer Religion aufzuspüren und in einem tieferen Sinn Christen, Muslime oder Juden zu werden, erntete bei der Abschlussveranstaltung den Applaus der drei Akademiker, die zusammen mit dem Institutsleiter die Sommerakademie vor drei Jahren erträumt hatten.

Rabbi Marc Raphaël Guedj, ehemaliger Oberrabbiner von Genf und Präsident der Stiftung Racines et Sources (Wurzeln und Quellen), Hafid Ouardiri, Präsident der Stiftung Ta'aruf (Verständnis) für die Förderung des Wissens über den Islam unter Nichtmuslimen, und Pfr. Dr. Hans Ucko, ÖRK-Programmleiter für interreligiöse Beziehungen und Dialog, nannten diese Premiere, die Ouardiri als "spirituelles Tiefseetauchen ohne Sauerstoffflasche" beschrieb, einen Erfolg, der in den kommenden Jahren wiederholt werden soll.

Für die Studierenden war die Zeremonie zum Abschluss der Sommerakademie auch der Zeitpunkt von den neuen Freunden Abschied zu nehmen, die in oft als Feinde betrachtete Länder zurückkehrten. Die Grußworte dreier Teilnehmender am Ende der Veranstaltung waren ein Sinnbild sowohl für die Schwierigkeiten, vor die diese Pioniere der interreligiösen Sommeruniversität Bossey gestellt waren, und der Flexibilität, mit der sie sie meisterten: Grigory Gendelman, ein jüdischer Teilnehmer aus Israel, verließ sich auf die Übersetzung der israelischen Palestinenserin Shireen Nadjjar um seinen Dank auszudrücken. Nicole Wood, eine Methodistin aus den USA, erinnerte sich an Lachen und Tränen, die sie mit ihrer "petit Bossey-Familie" teilte. Tränen flossen denn auch, als Faizeh Mazandarani aus Iran sagte: "Ich bin nicht sicher, ob wir uns auf dieser Erde noch einmal wiedersehen, aber sicher sehen wir uns wieder im Himmel."

(*) Annegret Kapp, Internet-Redakteurin beim ÖRK, ist ein Mitglied der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Deutschland.

Mehr Informationen über die interreligiöse Sommerakademie unter:
http://www.oikoumene.org/?id=2715&L=2

Mehr Informationen über die ÖRK-Arbeit zum interreligiösen Dialog unter:
http://www.oikoumene.org/?id=2940&L=2 [3]

Die Meinungen, die in ÖRK-Features zum Ausdruck kommen, spiegeln nicht notwendigerweise die Position des ÖRK wider.


*


Der Ökumenische Rat der Kirchen fördert die Einheit der Christen im Glauben, Zeugnis und Dienst für eine gerechte und friedliche Welt. 1948 als ökumenische Gemeinschaft von Kirchen gegründet, gehören dem ÖRK heute mehr als 347 protestantische, orthodoxe, anglikanische und andere Kirchen an, die zusammen über 560 Millionen Christen in mehr als 110 Ländern repräsentieren. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit der römisch-katholischen Kirche. Der Generalsekretär des ÖRK ist Pfr. Dr. Samuel Kobia, von der Methodistischen Kirche in Kenia. Hauptsitz: Genf, Schweiz.


*


Quelle:
Feature vom 2. August 2007
Herausgeber: Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK)
150 rte de Ferney, Postfach 2100, 1211 Genf 2, Schweiz
E-Mail: ka@wcc-coe.org
Internet: www.wcc-coe.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. August 2007