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BERICHT/087: Gottheiten des Lichts - Mächte der Finsternis (forsch - Uni Bonn)


forsch 1/2008 - Februar 2008
Bonner Universitäts-Nachrichten

Gottheiten des Lichts - Mächte der Finsternis
Fast alle Hochkulturen verehrten die Sonne

Von Sandra Becker


Die größte Sorge der alten Ägypter war, dass die Sonne bei ihrem nächtlichen Gang durch die Unterwelt aufgehalten und nicht mehr zurückkehren würde. Denn schon den frühen Kulturen war die Bedeutung der Sonne und des Lichts für ihr Leben sehr bewusst.


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"Natürliche Lichtquellen - Sonne, Sterne, Blitz, Feuer - haben Mythos und Religion verschiedener Kulturen rund um den Globus beeinflusst", sagt der Religionswissenschaftler Professor Dr. Manfred Hutter. Besonders die Sonne stand schon in der Frühzeit für Glück, Recht und Leben - die Dunkelheit dagegen für Verborgenheit, aber auch Gefahr.

Lichtgottheiten standen im Zentrum der Religion früher Hochkulturen. "In der indischen Glaubenswelt war das der Sonnengott Surya", sagt Hutter. "Er zieht wie der griechische Gott Helios mit seinem Sonnenwagen über das Firmament." Auf seinem Weg sieht der Sonnengott alles und wird daher als Richter mit Recht und Gerechtigkeit verbunden. Auch in der babylonischen Religion war der Sonnengott Schamasch zugleich oberste ethische Instanz. In seinem Namen verkündete König Hammurapi um 1700 v. Chr. eine der ältesten Gesetzessammlungen. "In der altägyptischen Religion war der Sonnengott Re die zentrale Götterfigur", erzählt Dr. Gabriele Pieke. "Er zieht täglich mit seiner Sonnenbarke über den Himmel und sichert so den Fortbestand der Welt. Er wurde entweder als Sonnenscheibe, als Mensch mit Falkenkopf oder als Falke dargestellt."

Auch die zentralen Gottheiten der Inka, Maya und Azteken symbolisierten die Kraft der Sonne. Sie zogen am Tag über das Firmament und durchquerten nachts die Unterwelt. Die Kulthandlungen unterschieden sich jedoch. "Der aztekische Sonnengott Tonatiuh musste ständig genährt werden. Aber Menschenopfer waren nur in extremen Situationen wie Hungerperioden und Naturkatastrophen üblich", betont der Altamerikanist Professor Dr. Nikolai Grube. Die immer wieder kolportierten Berichte über die grausamen Opferungen der Azteken seien falsch. "Die Inkaherrscher dagegen leiteten ihre Abstammung vom Sonnengott Inti her. Die Sonne war das himmlische Gegenstück zum weltlichen Herrscher", erklärt Grube. Wie die Ägypter fürchteten auch die vorkolumbischen Kulturen Amerikas, die Sonne werde eines Morgens nicht mehr wiederkehren. Dabei konnten sie durch genaue Beobachtungen und Berechnungen sogar Sonnenfinsternisse vorher sagen. Dazu verfügten sie über eigene astronomische Observatorien, die Grube nun zusammen mit einem slowenischen Kollegen genauer erforschen möchte. "Der Gedanke eines leblosen Himmelskörpers war den vorspanischen Völkern fremd - die Sonne war für sie ein sakrales Wesen", betont der Wissenschaftler. Wenn sie verschwand, war Gefahr im Verzug: So durften während einer Sonnenfinsternis schwangere Frauen das Haus nicht verlassen.


In China waren Licht und Dunkelheit gleichwertig

Anders in China. Dort sah man Licht und Dunkelheit, Ying und Yang, nicht als Gegenspieler an, sondern als komplementäre Dinge: Keines galt als wichtiger oder moralischer als das andere. "Erst im Kontakt mit dem christlichen Abendland entwickelte sich eine moralisch gefärbte Lichtsymbolik", betont der Bonner Sinologe Professor Dr. Wolfgang Kubin.

Im Schöpfungsbericht des Alten Testaments steht am Anfang von Allem das Licht. "Gott wird jedoch nicht mit der Sonne gleichgesetzt", erklärt Professor Hutter. "Vielmehr ist die Sonne ein Geschöpf Gottes". Im Neuen Testament symbolisiert Jesus das Licht der Welt; die Finsternis gilt dagegen als Symbol für Verlassenheit und Gottesferne. Auch der Koran nennt Allah das Licht des Himmels und der Erde. "Allah ist die Quelle, und die Propheten verteilen das ausgesandte Licht in der Welt", erklärt die Kunsthistorikerin mit Schwerpunkt Islam Dr. Martina Müller-Wiener.


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Quelle:
forsch - Bonner Universitäts-Nachrichten Nr. 1, Februar 2008, Seite 21
Herausgeber:
Rektorat und Senat der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
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forsch erscheint viermal pro Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. März 2008