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FORSCHUNG/031: Trotz Säkularisierung bleibt Religion bestimmender Faktor (idw)


Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt (Main) - 02.05.2008

"Totgesagte leben länger" - Trotz Säkularisierung bleibt Religion bestimmender Faktor


FRANKFURT. "Die Religion zu verabschieden, war sicher voreilig, aber ich halte es auch für übereilt, die Säkularisierung nur als eine bloße Episode zu betrachten", konstatiert der Religionsphilosoph Prof. Dr. Thomas M. Schmidt, der sich seit Jahren intensiv mit dem Wechselverhältnis von Religion und Gesellschaft beschäftigt, in einem Interview in der soeben erschienenen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "Forschung Frankfurt" (Heft 1/2008) mit dem Themenschwerpunkt "Religion in der Gesellschaft". Religiöse Gemeinschaften werden in einer sich weiter säkularisierenden Umgebung bestehen bleiben, neben den etablierten Kirchen werden sich zudem neue Formen von Religiosität behaupten.

Die Säkularisierung, verstanden als Ablösung zentraler gesellschaftlicher Bereiche wie Recht, Politik, Kunst, Wirtschaft von religiösen Vorstellungen und Begründungen, wird zwar die Kultur, auch die Wissenschaftskultur, bestimmen; gleichzeitig bedeutet Säkularisierung aber nicht das Ende von Religion. "Diese Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen beschreibt eine veränderte Wahrnehmung des Verhältnisses von Religion und säkularer Moderne, aber keine veränderte Tatsache", so Schmidt.

"Was wir erleben ist die Phase der Postsäkularisierung." Was verbirgt sich hinter diesem Begriff, der im intellektuellen Diskurs der Theologen, Philosophen und Gesellschaftswissenschaftler eine zentrale Rolle spielt. Dazu der Frankfurter Religionsphilosoph: "Man kann es wortspielerisch so ausdrücken: Postsäkularisierung bedeutet, dass wir in einem zweifachen Sinn in einer Phase nach der Säkularisierung leben. Die Erwartung, dass es eine lineare, unumkehrbare Entwicklung namens Säkularisierung gibt, an deren Ende das automatische Verschwinden und Verdampfen der Religion steht, wird zunehmend in Frage gestellt. Wir leben aber auch nach der Säkularisierung im Sinne von ?gemäß der Säkularisierung?: Säkulare Begriffe und säkulare Normen setzen sowohl im Recht, in der Moral, in der Politik, aber auch in der Wissenschaft die Standards, an denen sich die theologische Reflexion von Religiosität orientieren muss, an der sich aber auch die Kirche orientieren muss, wenn sie sich in einer pluralistischen und demokratischen Gesellschaft positionieren will." Religiöse Gemeinschaften und Institutionen müssen die Prinzipien des demokratischen Rechtstaats, insbesondere die Idee der Menschenrechte, aus ihrer eigenen Perspektive akzeptieren und rechtfertigen.

Religion wird in der Moderne vielfältiger, ist nicht mehr beschränkt auf große Glaubensgemeinschaft und institutionalisierte Kirchen. Aber es sei auch nicht damit zu rechnen, dass die institutionelle Religiosität aussterbe und sich alles nur noch in freien Zirkel bewege. "Diese neuen religiösen Bewegungen werden oft überprägnant wahrgenommen, was nicht zuletzt daran liegt, dass auch die Wissenschaftler diese neuen Phänomene spannender finden als die alt hergebrachten Formen", kommentiert Schmidt. Auch für Religionsphilosophen und -soziologen wird es aber weiter wichtig sein, sich auch auf traditionelle und damit kirchliche theologische Merkmale zu beziehen, um überhaupt bestimmen zu können, was Religion ist. Dazu Schmidt: "Was Religion ist, kann nämlich nicht bloß formal, durch den Hinweis auf bestimmte Typen von Erlebnissen oder Wirkungen definiert werden. Denn dann würde Religion auf Dauer ununterscheidbar von anderen außeralltäglichen Erfahrungen, wie sie Kunst, Musik oder auch der Sport vermitteln können. Religion muss auch inhaltlich definiert werden, durch den Bezug auf Überzeugungen und Gewohnheiten, die eindeutig und allgemein als ?religiös? gelten. Dazu gehören eben auch ganz wesentlich die dogmatischen Überlieferungen und tradierten Rituale der bekannten und traditionellen Religionen."

Forschung Frankfurt 1/2008 können Sie kostenlos anfordern:
steier@pvw.uni-frankfurt.de

Weitere Informationen unter:
http://www.forschung-frankfurt.uni-frankfurt.de/dok/2008/ 2008-01/Warum_die_Religion.pdf

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution131


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt (Main), Ulrike Jaspers,
02.05.2008
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2008