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FORSCHUNG/037: Qumran-Forschung - Neue Runde eingeläutet (forsch - Uni Bonn)


forsch 1/2009 - Februar 2009
Bonner Universitäts-Nachrichten

Qumran-Forschung: Neue Runde eingeläutet
Bonner Theologen erschließen Quellenschatz

Von Frank Luerweg


Die 1947 gefundenen Qumran-Texte geben bis heute Rätsel auf. Professor Fabry leitet mit seinem Siegener Kollegen Dr. Ulrich Dahmen ein Projekt, das Forschern helfen soll, die Jahrtausende alten Dokumente zu erschließen und zu interpretieren.


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Vor mehr als 60 Jahren stieß ein Hirte in der Wüste des Westjordanlands auf uralte Dokumente aus Ziegenhaut und Papyrus. Seit dieser Zeit beschäftigen die "Schriftrollen von Qumran" die Wissenschaft. Ein Projekt am alttestamentlichen Seminar der Uni Bonn läutet nun eine weitere Runde in der Qumran-Forschung ein.

Schenkt man der Legende Glauben, begann alles mit einer verschwundenen Ziege: Der Besitzer, ein Beduinenhirte, vermutete, sie habe sich in einer Höhle versteckt. Als er versuchte, sie mit Steinen aufzuscheuchen, hörte er es scheppern. Er spürte dem Geräusch nach und stieß in der Höhle auf eine Reihe von Tonkrügen. Darin fand er uralte Aufzeichnungen, die später - nach dem Ort des Fundes benannt - als "Schriftrollen von Qumran" weltberühmt werden sollten.

Das war im Frühsommer 1947. Insgesamt wurden in den Jahren danach in Qumran 900 Rollen aus Papyrus und Ziegenhaut gefunden. Darunter sind spektakuläre Stücke wie eine elf Meter lange, fast unbeschädigte Handschrift. Andere Rollen lagen teilweise in Fetzen. Sie wurden fotografiert, abgeschrieben, mit Anmerkungen versehen und veröffentlicht - eine Sisyphus-Arbeit, die bis heute nicht komplett abgeschlossen ist.

Die Qumran-Schriften enthalten Gesetzestexte, Anleitungen für eine ethisch einwandfreie Lebensweise, aber auch Gebete und rund 200 Bibeltexte. Darunter ist beispielsweise eine vollständige Abschrift des Buches Jesaja. "Für die theologische Forschung sind die Rollen von unschätzbarem Wert", erklärt Professor Dr. Heinz-Josef Fabry vom Alttestamentlichen Seminar. "Sie datieren zwischen 300 vor und 68 nach Christus und füllen damit die Lücke zwischen Altem und Neuem Testament."

Für Bibelforscher ist das extrem spannend. Denn zwischen Altem und Neuem Testament gibt es mitunter einen unerklärlichen Bruch - etwa in der Bedeutung des Begriffs "Tempel". "Ursprünglich war damit ganz konkret das Gebäude gemeint, in dem man Gott huldigte und Opfer darbrachte", erklärt Fabry. "Im Neuen Testament steht der Begriff dagegen oft als Symbol für die Gemeinde, oder Jesus bezeichnet sich sogar selbst als Tempel. Dieser Bedeutungswandel deutet sich bereits in den Qumran-Schriften an."


Qumran war eine Art Theologische Hochschule

Qumran war nach heutigem Forschungsstand eine Art Theologische Hochschule. In Jerusalem arbeiteten damals 26 Priesterfamilien. Als die Seleukiden im 2. Jahrhundert vor Christus den Jerusalemer Tempel zu einem griechischen Zeustempel umwidmeten, quittierten viele Priester aus Protest ihren Dienst. Unweit von Jericho gab es eine Siedlungsanlage aus der Eisenzeit namens Qumran. Einige der Priester (wohl die besonders konservativen und gesetzestreuen) schufen dort ein Studienzentrum, in dem sie - nun außer Dienst - ihre theologische Kompetenz vervollkommnen konnten. Dazu besorgten sie alle Literatur, derer sie habhaft werden konnten: Abschriften der Texte, die wir später in der Bibel wiederfinden, aber auch andere Schriftstücke.

"Ursprünglich hofften die Priester, später wieder in Jerusalem amtieren zu können", erklärt Fabry. "Im Laufe der Zeit zerschlug sich diese Hoffnung, und sie gingen dazu über, ihre eigene Gemeinde als 'Tempel' zu verstehen. Dazu verfassten sie selbst Regelwerke, liturgische Bücher und geistliche Literatur. Diese Aufzeichnungen können uns nun helfen, manche ähnliche Vorstellungen in der christlichen Urgemeinde und in den neutestamentlichen Schriften besser zu verstehen. Wenn wir heute 'Qumran' sagen, meinen wir in erster Linie die gewaltige Bibliothek, deren gut 900 Bücher einer systematischen Analyse harren."

Professor Fabry leitet zusammen mit dem Siegener Privatdozenten Dr. Ulrich Dahmen ein Mammutprojekt, das Forschern helfen soll, die Jahrtausende alten Dokumente zu erschließen und zu interpretieren: Rund 200 Wissenschaftler aus aller Welt wollen in den kommenden Jahren ein Wörterbuch verfassen, das alle wichtigen Begriffe aus den Rollen abdeckt. Zu jedem Begriff wird es einen ausführlichen Artikel geben, der ihn sprachhistorisch einordnet.

Wohl noch wichtiger ist die Frage, was dieser Begriff in einer spezifischen Textpassage genau bedeutet. "Nehmen Sie zum Beispiel das Wort 'Vater'", erläutert Fabry. "Je nach Kontext können damit beispielsweise ein Familienvater oder die Väter Israels gemeint sein. Im Alten Testament hatte man mit Blick auf die strenge Pädagogik der damaligen Zeit vermieden, Gott Vater zu nennen. In Qumran änderte sich das; damit wurde der Weg zum neutestamentlichen 'Vater unser' vorbereitet." Das Wörterbuch verzeichnet - abhängig vom Zusammenhang - alle möglichen Übersetzungen. Es wird auf diese Weise zu einem unentbehrlichen Werkzeug für die weitere Forschungsarbeit der nächsten Jahrzehnte.

Viele Texte sind leider nur in Fragmenten erhalten. Die Qumranologen betätigen sich in diesen Fällen als Puzzlespieler: Sie versuchen, anhand der Risskanten der Papyrus-Fetzen herauszufinden, wie die Einzelteile zusammengehören. Oft geben schon die Begriffe auf den Fragmenten wertvolle Hinweise auf ihre Zuordnung. "Die Schriftrollen widmen sich ja ganz unterschiedlichen Themen", erklärt Professor Fabry. "Wörter wie 'Erziehung' findet man beispielsweise nie in den Gesetzestexten, sondern eher in den allgemeinen Anleitungen zur Lebensführung. Unser Wörterbuch stellt diese Zusammenhänge heraus und erleichtert damit die Puzzlearbeit."

Vor zwei Jahren haben Fabry und seine Kollegen die Arbeit an dem DFGgeförderten Projekt begonnen. Allein in Bonn sind neun Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter damit beschäftigt, die Beiträge zu koordinieren und selbst welche zu verfassen. Anfang November traf sich das aus führenden Qumranologen bestehende Advisory Board in Bonn, um die Drucklegung des ersten Bandes vorzubreiten. Rund 700 Begriffe soll das Wörterbuch am Ende umfassen. Fabry veranschlagt dafür noch weitere acht Jahre. Für Qumranologen bedeutet das Mammutwerk eine enorme Arbeitserleichterung. Die Forschergemeinde wartet denn auch schon ungeduldig auf die ersten Bände. "Wir haben unser Projekt kürzlich auf einem internationalen Kongress in Ljubljana vorgestellt", erzählt Fabry nicht ohne Stolz. "Der Andrang war so groß, dass unser Hörsaal für die Zahl der Besucher nicht ausreichte. Die Leute mussten auf den Gängen sitzen."


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Quelle:
forsch - Bonner Universitäts-Nachrichten Nr. 1, Februar 2009,
Seite 14-15
Herausgeber:
Rektorat und Senat der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
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forsch erscheint viermal pro Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. März 2009