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FORSCHUNG/041: Vom "Gesetz" zur "Religion" - Der Koran und der Religionsbegriff der Neuzeit (idw)


Ruhr-Universität Bochum - 04.07.2012

Vom "Gesetz" zur "Religion": Der Koran und der Religionsbegriff der Neuzeit



In der renommierten internationalen Zeitschrift "Religion" haben der Islamwissenschaftler Stefan Reichmuth und der Latinist Reinhold Glei eine Gemeinschaftsarbeit zum Religionsbegriff im Koran veröffentlicht. Die RUB-Forscher zeigen, wie sich in lateinischen Übersetzungen des Korans die Religionsvorstellung wandelt - vom "Gesetz" zur "Religion". Der überraschende Befund: Schon seit dem Mittelalter hat die Auseinandersetzung mit der islamischen Religionsvorstellung diesen Wandel in Europa beständig begleitet und womöglich sogar vorangetrieben.


Doppelte Bedeutung

In ihrer detaillierten philologischen Studie untersuchen die beiden Wissenschaftler zunächst den Ursprung des koranischen Begriffs "d'n", der in diesem heiligen Buch in einer älteren Bedeutung als "Gesetz, Gericht" (in der Formulierung "yaum ad-d'n" - "Tag des Gerichts") und einer jüngeren Bedeutung als "Religion" gebraucht wird. Erstere geht offenbar auf christlich-jüdische, letztere wohl auf iranische Vorbilder zurück. Die doppelte Bedeutung spiegelt sich in den lateinischen Koranübersetzungen vom 12. bis zum 17. Jahrhundert wider, die "d'n" zunächst mit "lex" (Gesetz) oder "iudicium" (Gericht), später mit "religio" übersetzen.


Religiöses "Urgefühl"

Im Koran wird an vielen Stellen "d'n" im Sinne einer natürlichen religiösen Neigung verstanden, die Gott dem Menschen eingegeben hat. Dieses religiöse "Urgefühl" aller Menschen wird von Gott dann gleichsam auf den richtigen Weg geleitet, indem er den Menschen bestimmte Offenbarungen zukommen lässt: Tora, Evangelium und schließlich den Koran. Die letzte dieser Offenbarungen, die dem Propheten Muhammad zuteil wurde, ist die "Religion der Wahrheit" ("d'n al-haqq"). Der allgemeine Begriff bleibt dabei aber durchaus erhalten.


Auf einer Stufe mit Judentum und Christentum

Auch im Lateinischen gibt es schon im ersten vorchristlichen Jahrhundert einen allgemeinen philosophischen Religionsbegriff (Lukrez, Cicero), der aber von christlichen Autoren später ebenfalls ganz auf die "wahre Religion" des Christentums konzentriert wurde. In der christlichen (lateinischen) Tradition löst man sich demgegenüber nur allmählich vom Verständnis des Islams als einer bloßen Sammlung von Gesetzesvorschriften. Als erster bezeichnet der deutsche Kardinal Nikolaus von Kues (1401-1464) den Islam als - wenn auch falsche - "Religion" und stellt ihn damit prinzipiell auf eine Stufe mit Judentum und Christentum. In seinem Gefolge gehen die späteren Koranübersetzungen dazu über, den Begriff "d'n" jetzt häufiger mit "religio" zu übersetzen und so dem Sinn des Korans eher gerecht zu werden. Dies wird im 17. Jahrhundert von dem italienischen Gelehrten Marracci konsequent weitergeführt, dessen Übersetzung sich in Europa allgemein durchsetzte.


Frühes Beispiel der Begriffsentwicklung

In der Philosophie der Aufklärung schließlich kommt man zu der Auffassung, die verschiedenen Religionen (insbesondere die drei Religionen, die sich auf Abraham berufen) seinen nur verschiedene Ausgestaltungen derselben Urreligion bzw. desselben religiösen Urgefühls, der "Religiosität" des Menschen. "Die Rezeption des koranischen Religionsbegriffs durch die lateinischen Übersetzungen und das einflussreiche Islambild des Nikolaus von Kues bietet ein frühes Beispiel für diese Begriffsentwicklung, die an lateinische und orientalische Vorbilder der Spätantike anknüpfte und das neuzeitliche Religionsverständnis in starkem Maße bestimmte", so Prof. Glei und Prof. Reichmuth.


Titelaufnahme

R. Glei, S. Reichmuth: Religion between Last Judgement, law and faith: Koranic d'n and its rendering in Latin translations of the Koran, in: Religion 42, No. 2, 2012, 247-271.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Ruhr-Universität Bochum, Dr. Josef König, 04.07.2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juli 2012