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STANDPUNKT/071: Franziskus wollte vieles verändern, hat aber bisher wenig erreicht (Gerhard Feldbauer)


Franziskus wollte vieles verändern, hat aber bisher wenig erreicht

Ein Streifzug durch die ersten drei Jahre seines Pontifikats

Reformen durchzusetzen und sich gleichzeitig mit seinen Erzfeinden zu versöhnen, dürfte ein hoffnungsloses Unterfangen sein

Von Gerhard Feldbauer, 13. April 2016


Foto: Casa Rosada (Argentina Presidency of the Nation) [CC BY-SA 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons

Papst Franziskus, 2013
Foto: Casa Rosada (Argentina Presidency of the Nation) [CC BY-SA 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons

Am 13. April 2013, einen Monat nachdem der Erzbischof von Buenos Aires, Kardinal Jorge Maria Bergoglio, zum Papst gewählt worden war und den Namen Franziskus angenommen hatte, gab er in einer Presseerklärung die Bildung einer Arbeitsgruppe aus acht Kardinälen der fünf Kontinente bekannt, die das "Projekt einer Kurienreform" studieren und ihm "bei der Regierung der Weltkirche behilflich" sein sollte. Zu ihr gehört der Erzbischof von München-Freising, Max Reinhard, seit März 2014 Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz. Später kam noch der neue Kardinalstaatssekretär, Pietro Paolin hinzu. In einem Chirograph (Päpstliche Mitteilung) vom 28. September 2013 präzisierte Franziskus die Arbeitsgruppe offiziell als "Kardinalsrat", und "ständiges Beratungsorgan", mit dem er, wie Marco Politi schreibt, Voraussetzungen schaffen wolle, "das Modell einer absoluten Monarchie zu überwinden und der Kirche eine gemeinschaftliche Struktur zu geben, in der die Episkopate mitentscheiden können, welche Strategien die Kirche in der gegenwärtigen Epoche verfolgen soll und wie der Glaube in der heutigen Gesellschaft gelebt werden kann." Auf drei Tagungen habe sich der Kardinalsrat zwischen Oktober und Dezember 2013 mit der "Reform der Kurienverfassung" und damit befasst, dass eine Bischofssynode sich "mit der Gesamtheit der Familie, der Empfängnisverhütung, der Sexualität und der gleichgeschlechtlichen Beziehungen" beschäftigen solle.(1) Vatikansprecher Federico Lombardi stellte am 30. September 2013 klar, die Gruppe ist "ein reines Beratergremium für den Papst und hat keine Entscheidungsbefugnis."

Die Verkündung einer Reform, in der die zwei Jahrtausende alten absolutistischen Herrschaftsstrukturen der Papstmonarchie und die Dogmen der katholischen Kirche in Frage gestellt werden sollten, gab der geradezu euphorischen Welle der Begeisterung für Franziskus weiteren Auftrieb. In der gut etwa 1,2 Milliarden Mitglieder zählenden Weltkirche sehen viele ihn als Reformer oder gar sozialen Revolutionär, der zu der tiefgehenden Wende zurückkehrt, die von Johannes XXIII. mit dem II. Vatikanischem Konzil (1962/63) eingeleitet, aber von Franziskus' Vorgängern, dem polnischen Papst Johannes Paul II. alias Karol Wojtyla (1978-2005) und dem deutschen Ratzingerpapst Benedikt XVI. (2005-2013) rückgängig gemacht wurde.


Progressive Zeichen

Betrachten wir an Hand der Fakten, welche Korrekturen Franziskus in den vergangenen drei Jahren vorgenommen und ob er damit bereits Reformen eingeleitet hat. In den Blickpunkt geraten dabei seine Haltung gegenüber Befreiungstheologen Lateinamerikas, seine Kritik an sozialen Auswüchsen des Kapitalismus, die Aufmerksamkeit, die er den Ärmsten und von diesem System ausgegrenzten und unterdrückten Menschen widmet. Er setzte progressive Zeichen in der großen Politik, so wenn er vor den Gefahren eines Dritten Weltkrieges warnte, den Staat Palästina offiziell anerkannte oder den verfemten russischen Präsidenten Putin empfing, ohne den Anschluss der Krim zu verurteilen. Von kirchlichen Würdenträgern forderte er Bescheidenheit, legte sich mit der Mafia an und brach gegenüber Homosexualität oder Frauenpriestertum mit der vor ihm üblichen Verdammung und mahnte stattdessen Barmherzigkeit und Mitleid an. Das und die ungezwungene Art, mit der er den Gläubigen gegenübertritt, hebt ihn in sympathischer Weise von seinen engstirnigen, offen reaktionären Vorgängern hervor.


Romero selig gesprochen

Am 23. Mai 2015 sprach er einen der führenden Befreiungstheologen Lateinamerikas, den 1980 von der faschistischen "Excuadron de la Muerte" ermordeten Erzbischof von San Salvador, Óscar Arnulfo Romero y Galdámez, selig. Die 1990 von der Diözese von San Salvador eingeleitete Beatifikation war von Johannes Paul II. und seinem Chef der Glaubenskongregation, Kardinal Johannes Ratzinger ignoriert worden. Die Seligsprechung bedeutete keine Anerkennung der Befreiungstheologie als einer von den Dogmen der katholischen Kirche abweichenden Sicht, sondern wurde damit begründet, dass Romero von den Todesschwadronen "aus Hass auf den Glauben" getötet wurde. Bei den kritischen Katholiken des Kontinents, die etwa die Hälfte der Gläubigen Roms bilden, zählte aber vor allem, dass der Papst einen Kirchenführer ehrte, der die Befreiungsfront "Farabundo Martí" (FMNL) unterstützt und offen verkündet hatte, dass es nicht gegen Gottes Gebot verstoße, sich "auch mit den Mitteln der Gewalt gegen Repression zur Wehr zu setzen".

Als nächstes will Franziskus den 1999 verstorbenen Befreiungstheologen und früheren Erzbischof von Olinda und Recife, später von Rio de Janeiro, Dom Hélder Pessoa Câmara, selig sprechen. Câmara sah in Johannes XXIII. sein großes Vorbild und übernahm dessen Leitmotiv, eine "Kirche der Armen" zu gestalten, was auch Franziskus als sein Ziel verkündete. Câmara verbreitete die Reformbeschlüsse des II. Vatikanum über das von ihm gegründete Theologische Institut von Recife, das Wojtyla 1989 schließen ließ. Als Gegner der faschistoiden Militärdiktatur in Brasilien (1964 bis 1985) war Câmara schweren Repressalien ausgesetzt, sein Sekretär, Pater Antonio Henrique Pereira Neto, wurde ermordet.

Während eines Besuches bei dem ersten indigenen und dazu noch sozialistischen Präsidenten Lateinamerikas, Evo Morales, in Bolivien im Juli 2015 forderte Franziskus "ein Ende von Ausbeutung und Unterdrückung" und erklärte: Das kapitalistische System sei "weder für landlose Bauern noch für Arbeiter, weder für indigene Gemeinschaften noch für die Mehrheitsbevölkerungen in den Staaten Lateinamerikas noch für die Erde selbst länger zu ertragen".(2) Die New York Times fragte, ob Franziskus etwa eine "soziale Revolution" unterstütze. Dann entschuldigte sich das Oberhaupt der katholischen Kirche auch noch für "die Straftaten, die während der sogenannten Eroberung von Amerika verübt wurden" und bat "demütig um Vergebung". Damit komme er in "starken Kontrast" zu seinem Vorgänger Benedikt XVI., meinte die Neue Zürcher Zeitung. Dieser hatte 2007 in Brasilien die barbarischen Verbrechen der Kolonisatoren geleugnet und behauptet, die Völker Südamerikas hätten ihre Missionierung "still herbeigesehnt" und ihre Bekehrung sei "ganz friedlich" verlaufen. Auch nach Massenprotesten hatte er sich nicht entschuldigt, sondern nur bedauert, dass es dabei zu Gewalttaten gekommen sei.


Synode reformfeindlich

Zwei Synoden, die nach der Verkündung von Franziskus vorgeblich die katholische Kirche moderner und offener machen sollten, beschäftigten sich im Oktober 2014 und nochmals im selben Monat ein Jahr später mit der vom Kardinalsrat vorgeschlagenen Thematik "Die Berufung und Sendung der Familie in Kirche und Welt von heute". Im Mittelpunkt der Debatten stand die künftige Haltung gegenüber Geschiedenen und Homosexuellen. Die Verhütung, deren Verbot Hunderttausende mit Siechtum und Tod infolge von HIV-Infektionen bezahlen oder ungewollt Geborene zu den Kindern gehören, von denen in der sogenannten Dritten Welt jeden Tag rund 40.000 sterben, wurde nicht erörtert. Franziskus beschränkte sich darauf, Barmherzigkeit und Mitleid anzumahnen und davor zu warnen, "unnötig streng" zu sein. Die Synodalen rief er zum Dialog auf und zur Fähigkeit, "zuzuhören und sich miteinander auszutauschen".

Nicht wenige der versammelten Würdenträger hielten sich nicht daran. Der afrikanische Kardinal Robert Sarah geißelte gleichgeschlechtliche Paare als Verstoß "gegen den Plan Gottes". Wiederverheiratete Geschiedene dürfe die Kirche nicht akzeptieren. Kardinal Camillo Ruini, der "eine Schwulenlobby im Vatikan" witterte, verlangte, damit "aufzuräumen". Der 84jährige Ruini gehörte zu den engsten Mitarbeitern Johannes Paul II. und Benedikt XVI. und wird zu den Frontmännern der reaktionären Fraktion im Vatikan gezählt, die allen progressiven Gesten von Franziskus entgegentritt. Zu ihr gehört auch der Präfekt der Glaubenskongregation, der deutsche Kardinal Gerhard Müller.

Die Beschlüsse der Synode sind nur Vorschläge, an die der Papst nicht gebunden ist. Er kann selbst entscheiden. In einem "nachsynodalen Schreiben" vom 8. April 2016 unter dem trügerischen Motto "Amoris Laetitia" (Freude der Liebe) hat Franziskus jedoch keinen Gebrauch davon gemacht, sondern die Ergebnisse akzeptiert. Darüber konnte auch sein mitfühlender Ton, der statt von Sünde von Barmherzigkeit sprach, nicht hinwegtäuschen. Die Neue Zürcher Zeitung vom 9. April sprach von einem "schwammigen Text", der "für jene Gläubigen, die auf Reformen gehofft hatten", enttäuschend sei.


Im Hintergrund Opus Dei

Am meisten belasten die katholische Kirche und damit Franziskus die seit Jahrzehnten andauernden Skandale der Vatikanbank Istituto per le Opere religiose (IOR). In diese Verbrechen ist sein Vorgänger Josef Ratzinger persönlich tief verwickelt.(3) Am 24. Juni 2013 ernannte Franziskus eine "Kommission zur Neuordnung der wirtschaftlichen und administrativen Angelegenheiten des Vatikans" (COSEA), die hier Ordnung schaffen sollte. Sich diesem Sumpf zuzuwenden stellte tatsächlich einen Stich ins Wespennest dar. Denn hier entstand in den 60er Jahren auf der Grundlage des fortgesetzten Bündnisses der Kurie mit den Faschisten ein Geflecht von CIA, der Putschloge "Propaganda Due" (P2), der Mafia sowie in- und ausländischem Kapital, in dem der Vatikan zum Dorado von größten Kapitalverbrechen wurde. Mafiagrößen wie die Bankiers Michele Sindona und Roberto Calvi, Präsident der italienischen Ambrosiano-Bank, fädelten als Finanzberater des IOR betrügerische Milliardengeschäfte ein, an denen der Vatikan sich bereicherte. Ein Papst, der diesen Sumpf aufdecken wollte, Johannes Paul I., starb nach 33 Tagen bei bester Gesundheit angeblich an einem Herzinfarkt. Bis heute sind die Gerüchte nicht verstummt, dass er umgebracht wurde.(4)

Ratzinger verhinderte als Kardinal in den 70er Jahren die Auslieferung von 33 Finanziers, Unternehmern und hochrangigen Würdenträgern der Kurie, darunter der damalige IOR-Chef, Erzbischof Marcinkus, an die italienische Justiz. Roberto Calvi wurde, als er auspacken wollte, von der Mafia umgebracht. Dasselbe Schicksal erfuhr Sindona. 1996 vertuschte Ratzinger die gemeinsame Beteiligung des IOR und des klerikalfaschistischen Opus Dei (Werk Gottes) an einem internationalen Ring zur Geldwäsche sowie zum Schmuggel von Waffen, Nuklearmaterialien und Diamanten, obwohl die Staatsanwaltschaft, wie der Spiegel damals berichtete, mit einer "ganzen Serie von sich ergänzenden Zeugenaussagen" aufwartete.

Die Arbeit der COSEA wurde massiv behindert. Es wurde in ihre Archive eingebrochen, der Computer des Generalrevisors des Vatikans gehackt, die Telefone ihrer Mitglieder abgehört, sie erhielten Drohbriefe. Dennoch deckte die Kommission neue Skandale auf: Undurchsichtige Finanzgeschäfte, Vetternwirtschaft, Bereicherungen großen Stils. Das "Aufspüren" von "heroischen Taten" oder "vollbrachten Wundern" für Selig- und Heiligsprechungen koste etwa 500.000, im Einzelfall auch 750.000 Euro. Der Peterspfennig lande mit Milliarden anderer Spenden der Gläubigen, mit Erbschaften und Kirchensteuern auf schwarzen Konten undurchsichtiger Bankengeflechte. 27.000 Personen aus dem Vatikan tankten steuerfrei Benzin, obwohl nur 800 dazu berechtigt seien. Tausende Mitarbeiter prellten den Vatikan durch Nicht- oder minimale Zahlung von Mieten für meist luxuriöse Wohnungen um 60 Millionen Euro jährlich. Das Mailänder Magazin Espresso vom 1. April 2016 veröffentlichte Beweise, die Tarcisio Bertone, den früheren Kardinalstaatssekretär unter Benedikt XVI., beschuldigen, die Kosten von 400.000 Euro für den Umbau seines 700 Quadratmeter großen Penthouse im Apostolischen Palast zur Hälfte mit Spendengeldern der Stiftung des Kinderkrankenhauses "Bambino Gesu" finanziert zu haben.


Foto: By Dnalor 01 (Own work) [CC BY-SA 3.0 at (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/at/deed.en)], via Wikimedia Commons

Rom, Vatikan, Petersplatz (von der Kuppel des Petersdomes aus gesehen); Panorama, zusammengesetzt aus 8 Einzelbildern
Foto: By Dnalor 01 (Own work) [CC BY-SA 3.0 at (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/at/deed.en)], via Wikimedia Commons

Nun startete ein Manöver, mit dem "die Reform des Papstes", wie die römische Repubblica schrieb, überrollt wurde. Die Fäden zog ganz offensichtlich das Opus Dei, von dem in der COSEA der spanische Priester Lucio Ángel Vallejo Balda und dessen Sekretär, Nicola Maio saßen. Zusammen mit der PR-Managerin des Vatikans Francesca Chaouqui gaben sie Ermittlungsergebnisse an die Journalisten Gianluigi Nuzzi und Emiliano Fittipaldi weiter, die die Frage aufwarfen, ob die bekannten mafiosen Praktiken auch unter Franziskus fortgeführt werden. Nuzzi und Fittibaldi die dazu die Enthüllungsbücher "Alles muss ans Licht. Das geheime Dossier über den Kreuzweg des Papstes" bzw. "Avarizia" (Geiz) veröffentlichten, wurden im November 2015 zusammen mit ihren drei Informanten vom Gericht des Vatikans in einem sogenannten "Vatileaks II"-Prozess(5) wegen Veröffentlichung geheimer Dokumente, die "die Kerninteressen des Heiligen Stuhls und des Staates" beträfen, angeklagt. Die Arbeit der COSEA ist damit erst einmal unterbrochen worden.

Aufsehen erregte, dass 13 Tage vor dem dritten Jahrestag des Amtsantritts von Franziskus der von ihm 2014 parallel zur Einrichtung der COSEA zum Präfekten des Vatikanischen Wirtschaftsrats ernannte und mit der Leitung der Finanzen des Vatikans beauftragte frühere Erzbischof von Sydney, George Pell, Mitglied des Kardinalsrates, beschuldigt wurde, jahrelang schwere Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche Australiens vertuscht zu haben. Ohne die schweren Vorwürfe zu verharmlosen, waren diese, wie Pell bereits früher zugegeben hatte, seit Jahren bekannt. So dass Beobachter auch hier fragten, warum sie erst jetzt zur Sprache gebracht wurden.


Versöhnung mit den Erzfeinden

Vallejo Balda ist einer der Gotteswerker im Vatikan, von denen Benedikt XVI. nach seinem Amtsantritt viele in den Machtzentren untergebracht hat. Politi verweist auf den Kurienerzbischof Georg Gänsewein, der persönlicher Sekretär Benedikts war und in der Wahl von Franziskus einen "Affront" sah. Obwohl Gänsewein als Sprachrohr der Franziskus-Gegner und des zurückgetretenen Benedikt XVI., der "grauen Eminenz" des Vatikans, gilt, behielt ihn Franziskus dennoch als Präfekt des päpstlichen Hauses in seinem Stab. Im Festhalten an zwielichtigen Personen wie Gänsewein zeigt sich sein Lavieren. Er versucht, zu beschwichtigen und Gefolgsleute seiner Vorgänger für seinen Kurs zu gewinnen, die Krise der katholischen Kirche aufzuhalten und einen möglichst geräuschlosen Schlussstrich unter die kriminelle Vergangenheit zu ziehen.

Zieht man unter diesem Gesichtspunkt ein Fazit der Ergebnisse des dreijährigen Wirkens von Franziskus, dann tauchen, wie der frühere Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, Professor Hubertus Mynarek, in seiner Biografie "Papst Franziskus" resümiert, Widersprüche über Widersprüche "zwischen Worten und Taten" auf. Sie verdeutlichen letzten Endes, dass er sich zutiefst im Gegensatz zu seinem Anspruch befindet, an den Reformen Johannes XXIII. anzuknüpfen und sie fortzusetzen. Dieser Papst bezog antifaschistische Positionen und enthüllte Pius XII. die Verbrechen des Holocaust. Diesen Pontifex, der diese Informationen ignorierte und dem Millionenfachen Mord an den Juden tatenlos zuschaute, will Franziskus demnächst Heiligsprechen. Vorher hat er schon Johannes Paul II. Heiliggesprochen und zwar im Doppelpack mit Johannes XXIII. Eine kaum zu überbietende Heuchelei, wenn man bedenkt, dass unter dem Wojtylapapst und seinem damaligen Glaubenspräfekten Ratzinger jenes Geflecht der Vatikanbank mit der faschistischen Putschloge P2 und Mafia verfestigt wurde, das Franziskus jetzt aufdecken und überwinden will. Auch Opus Dei saß da mit im Boot und so müsste Franziskus eigentlich klar sein, dass das Gotteswerk alles tun wird, eine Aufdeckung dieses Sumpfes zu verhindern.

Bisher letzter Akt des Versöhnungskurses, mit dem Franziskus sich mit den reaktionärsten Kreisen des Klerus arrangieren will, war sein Treffen am 1. April 2016 mit dem Oberen der erzreaktionären Priesterbruderschaft St. Pius X., Bernard Fellay, das, wie der Vizepressechef des Vatikans Greg Burke mitteilte, "herzlich und konstruktiv" verlaufen sei. Der Gründer der Pius-Bruderschaft, Marcel Lefebre, widersetzte sich auf dem II. Vatikanischem Konzil der Reformierung der katholischen Kirche. Das Dekret "Über die Religionsfreiheit", eine Absage an den Antijudaisms und Antisemitismus, lehnte er ab. Die Menschenrechte und die Verkündung der Gleichheit nannte er "satanischen Ursprungs". Der Pius-Bischof Richard Williams leugnete den Holocaust. Während eines Besuchs in Deutschland erklärte er, wie Der Spiegel (6/2009) ihn zitierte: "Kein einziger Jude ist in einer Gaskammer umgekommen." Der Sekretär der Kommission "Ecclesia Dei", Erzbischof Guido Pozzo, sagte nach dem Treffen von Franziskus mit Fellay laut Radio Vatikan, das sei "ein Zeichen, dass der Heilige Stuhl die Bruderschaft ernst nimmt und ihr Apostolat und ihren sakramentalen Weg als positiv und katholisch einstuft".

Franziskus übt scharfe Kritik am Kapitalismus, konkreter ausgedrückt an seinen sozialen und umweltschädigenden Auswüchsen. Das System selbst hat er nie verurteilt und er hat bisher auch keine Position zu seinem Gegenpol, der Arbeiterbewegung bezogen. Hier erwartet ihn am 15. Mai dieses Jahres ein Jubiläum seiner Kirche, das zu einem weiteren Kriterium seiner vorgeblichen Reformbemühungen werden dürfte. An diesem Tag hat vor 125 Jahren Leo XIII. seine Enzyklika "Rerum Novarum" veröffentlicht, mit der sich die katholische Kirche ohne wenn und aber hinter das kapitalistische Ausbeutersystem stellte und forderte, "der Staat muss sich zum unerbittlichen Hüter des Privateigentums machen" und ihm durch die öffentlichen Gesetze "Schirm und Schutz bieten". Es bleibt abzuwarten, wie der als Hoffnungsträger von Reformen oder gar einer "sozialen Revolution" gefeierte Franziskus sich hier aus der Affäre winden wird.


Anmerkungen:

(1) Politi: Franziskus unter Wölfen. Der Papst und seine Feinde: Freiburg 2015.

(2) Die Themen gingen in seine Enzyklika "Laudatio si - Über die Sorge um das gemeinsame Haus" vom 17. Juni 2015 ein.

(3) Gerhard Feldbauer verfasste über ihn die Biografie "Der Heilige Vater. Benedikt XVI. und seine Tradition", Papyrossa, Köln 2010.

(4) Der britische Autor David Yallop hat sie in seinem Buch "Im Namen Gottes" (München 1984) mit handfesten politischen Fakten belegt.

(5) Nuzzi hatte bereits 2012 in seinem Buch "Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Benedikt XVI" Interna veröffentlicht und damit "Vatileaks I" ausgelöst. Damals wurde sein Informant, ein Kammerdiener von Ratzinger, zu 15 Monaten Gefängnis verurteilt und wenig später begnadigt.

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. April 2016

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