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INTERNATIONAL/011: Palästinensischen Beduinen droht der Untergang (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. August 2011

Nahost: Palästinensischen Beduinen droht Untergang

Von Elizabeth Whitman


New York, 4. August (IPS) - Palästinensische Beduinen im Westjordanland und in der Wüste Negev im Süden Israels sind in ihrer Existenz bedroht. Doch auch den israelischen Beduinen in der Wüste Negev im Süden Israels geht es nicht besser. Sie leiden ebenfalls unter den Folgen einer israelischen Politik, die ihnen keine Chance lässt, sich aus Armut und Marginalisierung zu befreien.

Ein neuer Bericht des UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) warnt, dass sich der Niedergang der palästinensischen Beduinen nur durch "substanzielle" Änderungen im Umgang Israels mit der Minderheit aufhalten lasse. So müssten die Bestrebungen, diese Menschen sesshaft zu machen und sie ihrer traditionellen Lebensweise zu entfremden, unterlassen werden.

Wie palästinensische Beduinen im Gespräch mit IPS erklärten, wissen die Vereinten Nationen um ihre Nöte, unternehmen aber viel zu wenig, um den Menschen zu helfen. Ein weiteres Problem sei, dass sich der Einfluss der Palästinenserbehörde in 'Area C' auf den Gesundheits- und Bildungssektor beschränke.

Nach dem Osloer Abkommen von 1993 wurde das Westjordanland zwei Jahre später in drei Areale unterteilt: in A, B und C. In Gebiet C, das 60 Prozent des besetzten Jordanlandes ausmacht, dominieren israelische Siedlungen und Infrastrukturen. Die 150.000 Palästinenser einschließlich 27.000 Beduinen und Hirten, die hier leben, unterstehen israelischen Sicherheits-, Planungs- und Baubestimmungen.

Der OCHA-Bericht, dem ein Besuch von 13 Beduinendörfern in Area C zugrunde liegt, erkennt klare Verhaltensmuster von israelischer Seite, die die Beduinen zwingen, das Gebiet zu verlassen. Er kommt ferner zu dem Schluss, dass restriktive Bauauflagen Israels der Hauptgrund für die Umsiedlungen sind.


Menschen im rechtlosen Raum

Israels Landverwaltungsbehörde ILA erteilt palästinensischen Beduinen in der Regel keine Genehmigungen für den Bau von Wohnhäusern und Schulen. Auch hat die Minderheit größte Schwierigkeiten, sich den Zugang zu Finanzierungsquellen, Wasser, Weideland, Schulbildung und Gesundheitsdienst zu verschaffen. Maxwell Gaylard, der UN-Hilfskoordinator für die Palästinensergebiete mit Sitz in Jerusalem, berichtet von einem Schulgebäude in der Region, das insgesamt vier Mal aufgebaut wurde, nachdem es von israelischen Bulldozern drei Mal niedergerissen worden war.

Angesichts der kompromisslosen israelischen Haltung lebten die Menschen vor Ort in einem Zustand permanenter Unsicherheit, heißt es in dem OCHA-Report. Diese Situation könne dazu führen, dass Beduinengemeinschaften binnen einer Generation auseinander brechen und untergehen.

Die ohnehin unerträgliche Lebenssituation der Beduinen wird durch die Präsenz von 300.000 israelischen Siedlern verschärft. Nach Vorstellungen Israels soll der Ausbau der Siedlungen in Gebiet C weiter vorangetrieben werden - ein klarer Verstoß gegen das internationale Völkerrecht.

Mohammad Al Korshan, ein Beduinenvertreter aus Area C, erklärte gegenüber IPS, dass Israel vorhabe, die Menschen von C nach A und B umzusiedeln. Bleibe die Hilfe von Nichtregierungsorganisationen oder den Vereinten Nationen aus, werde man künftig keine Beduinen mehr in der Wüste vorfinden, ist er überzeugt. Viele hätten in Ermangelung von Weideland ihre Tiere verkaufen müssen. Die Viehzucht ist für die Beduinen eine wichtige Lebensgrundlage.


Auch Israels Beduinen nicht besser dran

In der Wüste Negev im Süden Israels leben Zehntausende israelische Beduinen, die nicht die gleichen Rechte wie Israelis besitzen. Ein Bericht von 'Human Rights Watch' von 2008 kommt zu dem Schluss, dass diese Menschen überproportional von Vertreibung, der Zerstörung ihrer Häuser und anderen Strafmaßnahmen bedroht seien.

"Wir alle leben unter dem Damoklesschwert der Zerstörung", sagte Khalil Alamour, Beduinen-Aktivist aus der von Israel nicht anerkannten Ortschaft As-Sira in der Wüste Negev. Wie er beklagte, gibt es nicht eine einzige Institution, die die Interessen der Beduinen vertritt. So sei die einzigartige Kultur und Lebensweise der Beduinen vom Untergang bedroht.

Für Jihad el-Sana, der sich in der von Israel anerkannten Siedlung Laqia ebenfalls für die Rechte der Beduinen einsetzt, ist es eine Ironie, dass in einem hoch entwickelten Land wie Israel eine Mehrheit von Beduinen unterhalb der Armutsgrenze lebt. Er bedauerte, dass es den Beduinen aus nachvollziehbaren Gründen nicht gelungen ist, ihre Kräfte zu bündeln. Den Vereinten Nationen warf er vor, "nichts zu tun".

Wie aus einem BBC-Bericht Ende Juli hervorgeht, hat Israel Beduinen auf eine Übernahme der Kosten in Höhe von mehr als einer halben Million US-Dollar für die Zerstörung einer Ortschaft verklagt. Jedes Mal, wenn Israel das Dorf niederreißt, wird es von den Beduinen wieder aufgebaut. (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.ochaopt.org/documents/ochaopt_press_release_01_08_2011_english.pdf
http://www.hrw.org/en/reports/2008/03/30/map-0
http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-14314883
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=56722

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 4. August 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. August 2011