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MELDUNG/011: Iran - Musik und Partys im Verborgenen, junge Leute trotzen islamischen Sittenwächtern (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. September 2011

Iran: Musik und Partys im Verborgenen - Junge Leute trotzen islamischen Sittenwächtern

von Leonidas Ntilsizian

Der Musiksaal im historischen Ali Qapu-Palast in Isfahan - Bild: © Leonidas Ntilsizian/IPS

Der Musiksaal im historischen Ali Qapu-Palast in Isfahan
Bild: © Leonidas Ntilsizian/IPS

Teheran, 31. August (IPS) - Der Kellner des Cafés in Teheran schaut schnell nach draußen, ob die Luft rein ist. Drinnen hat gerade ein junger Iraner angefangen, Saxophon zu spielen. Sein Auftritt darf nicht länger als fünf Minuten dauern. Denn die Gefahr einer Razzia der islamischen Sittenwächter ist groß.

In dem Lokal wird frischer Orangensaft in Bierflaschen serviert. Konsumiert wird auch Alkohol, der im Iran ebenso verboten ist wie Musik. "In der Islamischen Republik ist eigentlich alles möglich", meint Ali, der seinen richtigen Namen aus Sicherheitsgründen geheim halten will.

Anders als unter dem Regime der Mullahs war Musik in der Vergangenheit im Iran nicht tabu. Der Musiksaal im Ali-Qapu-Palast in Isfahan, rund 320 Kilometer südlich von Teheran, legt davon Zeugnis ab. In die Wände des Saals in dem Anfang des 17. Jahrhundert von Schah Abbas erbauten Palast wurden Öffnungen in Form von Musikinstrumenten eingelassen, die für ein exzellentes Hörerlebnis sorgten.

Die iranische Gesellschaft ist zwischen Extremen hin- und hergerissen. "Beobachter und Medien sprechen über unser Land, als wenn sie alles über uns wüssten. Oftmals dringen sie aber nicht zum Kern der Wahrheit durch", sagt ein alter Mann, der auf einem Basar an einer Tasse Tee nippt.


Musik nicht totzukriegen

Die radikalen Muslime im Iran wollen Musik zwar verbannen, können aber nicht verhindern, dass sie allgegenwärtig ist. Ahmad spielt in seinem Taxi traditionelle iranische Musik ab, als er mit Vollgas durch Berg- und Wüstenlandschaften jagt. Sein Auto ist rund 20 Jahre alt - die Musik stammt aus noch viel früheren Zeiten.

Die Hauptstadt Teheran zeigt vor allem nachts ihr verborgenes Gesicht. In Privathäusern finden Partys statt, bei denen reichlich Alkohol fließt und zu Musik wild getanzt wird. Den islamischen Ganzkörperschleier, ohne den sie nicht auf die Straße dürfen, haben die anwesenden Frauen bei diesen Gelegenheiten längst abgelegt.

Doch Gefahr lauert überall. "Letzte Nacht sind viele Partygäste in einem Haus ganz in der Nähe festgenommen worden", erzählt die 30-jährige Hannah. Trotzdem denkt niemand daran, mit dem Musikhören und Tanzen aufzuhören.

Amir, der DJ auf der Party, hat bereits im Gefängnis gesessen, weil er Platten aufgelegt hat. Der 25-Jährige will den Iran nun so schnell wie möglich verlassen. Das Regime habe ein besonderes Auge auf seine bekannten Gegner, sagt Hannah, als sie einen Drink anbietet. Auf der Pepsi-Flasche, die sie in der Hand hält, steht das Verfallsdatum '87/11/10' - das Jahr 1387 der persischen Zeitrechnung. Das Getränk stamme aus den USA und somit vom großen Feind der islamischen Regierung, meint Hannah. Andererseits werde Pepsi in der zweitheiligsten Stadt des Iran abgefüllt.

Widersprüchlich finden die Partygäste auch, dass die US-Botschaft in Teheran seit 1979 geschlossen ist, beide Staaten aber über die Schweizer Botschaft miteinander kommunizieren. "Die USA und der Iran treiben hinter den Kulissen ein verborgenes Spiel", sagt Hannah.


Homosexuelle in großer Gefahr

Farhad spielt Gitarre am Quran-Tor in Schiraz, etwa 80 Kilometer nördlich von Teheran. Der 24-Jährige bekennt sich zu seiner Homosexualität. Dabei hat Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad erst kürzlich wieder erklärt, dass es in seinem Land keine Schwulen gebe.

Seine sexuelle Orientierung ist für Farhad noch weitaus riskanter als das Musizieren. Auf Homosexualität, Mord und Unzucht stehen im Iran harte Strafen. Die Polizei gibt nach Razzien oft an, Drogen gefunden zu haben. Den Behörden dienen diese Unterstellungen als Vorwand, um unliebsame Gegner hinrichten lassen zu können. Die meisten Hinrichtungen gehen auf mutmaßliche Drogendelikte zurück. Allerdings kommt es aber auch zu politisch motivierten Exekutionen. Der Hochkommissar für Menschenrechte bei den Vereinten Nationen erklärte Anfang des Jahres, dass die Todesstrafe inzwischen häufiger als vorher vollstreckt werde. (Ende/IPS/ck/2011)


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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 31. August 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. September 2011