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REFLEXION/002: Nutznießer der Repression II (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 01.02.2011
(german-foreign-policy.com)

Nutznießer der Repression (II)


ALGIER/BERLIN/TEL AVIV/KAIRO - Die im Mittelmeer perierende US-Flotte steht vor der nordafrikanischen Küste zum Eingreifen gegen weitere Erhebungen bereit. Wie das Pentagon am Montag Abend bestätigte, wurden US-Marines nach Kairo verlegt, um "in und am (US-) Botschaftsgebäude Sicherheitsmaßnahmen" zu ergreifen. Auch für die israelische Luftwaffe gelten Alarmstufen, heißt es im Umkreis der deutschen Regierungsdelegation, die sich in Jerusalem aufhält. Als "rote Linien", deren Bruch einen westlichen Überfall rechtfertigen würden, werden die Sicherung des Suez-Kanals sowie der Bestand des jordanischen Feudalregimes und seines algerischen Pendants genannt. Algerien ist für die westlichen Staaten als Energieproduzent und Zielgebiet für Kriegsgerät wichtig. Für Algerien bereiten die Firmen EADS, Carl Zeiss und Rohde + Schwarz ein Joint Venture vor, das dem Einsatz neuer Erkennungs- und Repressionstechniken gilt. Das Gerät soll den Grenzübertritt afrikanischer Armutsflüchtlinge in Richtung Europa noch schwerer machen. Politische Absprachen über das Waffenprojekt haben die deutsche Kanzlerin und der algerische Staatspräsident im Dezember 2010 getroffen. Die Kooperation ergänzt zahlreiche deutsche Wirtschaftsvereinbarungen, deren willkommene Partner die Diktaturen Nordafrikas sind. Auch milliardenschwere zivile Projekte, so die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien ("Desertec"), gehören zum deutsch-algerischen Wirtschaftsprogramm. Die Gewinne fliessen in die westlichen Industriestaaten; Restbeträge kommen den korrupten Eliten zugute.


Machtzentrum Militär

Unmittelbarer Auslöser der algerischen Proteste, die den tunesischen folgten, war der dramatische Anstieg der Lebenshaltungskosten. Sie stiegen in den vergangenen Monaten um nahezu 100 Prozent. Dies treibt die soziale Verelendung, die von einer strikten Austeritätspolitik genährt wird, auf neue Höhen. Laut inoffiziellen Schätzungen herrscht in Algerien eine Arbeitslosenquote von 25 Prozent. Bei den Protesten wurden Polizeistationen, Regierungsgebäude und Banken angegriffen und verwüstet. Mindestens fünf Menschen kamen ums Leben, über 1.000 wurden verhaftet. Um weiteren Armutsrevolten zu entgehen, orderte die algerische Regierung in der vergangenen Woche die Einfuhr von 800 Tausend Tonnen Weizen an. Für die flächendeckende Unterdrückung sorgt ein Netz aus Geheimdienst- und Militärstrukturen. Der seit 1999 regierende Staatspräsident Abd al-Aziz Bouteflika gilt als Günstling des Militärs, das de facto nach wie vor das eigentliche Machtzentrum im algerischen Staat bildet.


Privatisierung

Gänzlich ungeachtet der desolaten gesellschaftlichen Situation haben westliche Unternehmen ihre wirtschaftlichen Aktivitäten in den vergangenen Jahren verstärkt. Das Investitionsinteresse folgt der algerischen Regierungspolitik: Kürzungen im sozialen Bereich und Privatisierung von Staatsfirmen. Ein aktuelles Konjunkturprogramm ist mit 286 Milliarden US-Dollar dotiert, von denen 156 Milliarden US-Dollar in neue Infrastrukturprojekte fließen sollen. Die Investitionen sind möglich, weil Algerien erhebliche Einnahmen aus dem Export von Erdöl und Erdgas realisieren konnte. Das Land verfügt über die viertgrößten Erdgasreserven der Welt. Seine gehorteten Währungsüberschüsse beliefen sich Ende 2009 auf 150 Milliarden US-Dollar.


Deutsche Exporte

Als Teilhaber an den Großinvestitionen treten die BASF-Tochter Wintershall (Bau einer Gaspipeline von Algerien nach Italien), Siemens (Leistungen in dreistelliger Milliardenhöhe u.a. für den U-Bahn-Bau in Algier) und der deutsche Anlagenbauer Linde auf. Linde kaufte den staatlichen Industriegashersteller "Entreprise Nationale Algérienne des Gaz Industriels".[1] Das Risiko ist abgesichert: 2009 schloss Berlin ein Investitionsschutzabkommen. Auch der Handel boomt. Deutschland liegt in der algerischen Importstatistik an vierter Stelle und führte in den ersten neun Monaten bereits mehr Waren nach Algerien aus als im gesamten Jahr zuvor.


Öko-Kolonialismus

Für die zivilen deutschen Wirtschaftsinteresses zentral ist der Wettlauf um erneuerbare Energien. Im vergangenen Jahr einigte sich die EU mit den Energieministern der Maghrebstaaten Marokko, Tunesien und Algerien über den zukünftigen Import von Solarstrom aus Nordafrika. In Pilotprojekten sollen Energieträger montiert und deren Stromüberschüsse nach Europa exportiert werden. Nächste Etappe des Großprojekts Desertec - einer eutschen Initiative, an der die Deutsche Bank, die Münchner Rück, E.ON, RWE und Siemens beteiligt sind - ist die Nutzbarmachung der Solar- und Windkraftpotenziale für den Energiebedarf der europäischen Metropolen.


Pervers

Bis 2050 will Desertec fünfzehn Prozent des europäischen Strombedarfs decken. Der notwendige Flächenumfang für die Solar- und Windkraftwerke wird auf 2.500 km² geschätzt. Algerien, dem territorial größten Staat Nordafrikas, kommt dabei eine hervorgehobene Rolle zu. Am 25. Januar organisierte die deutsch-algerische Handelskammer im Verbund mit der Exportinitiative "Erneuerbare Energien" des Bundeswirtschaftsministeriums in Algier eine Kooperationsveranstaltung. In Algerien besteht die begründete Befürchtung, es könne sich bei der angepeilten Erschließung alternativer Energiequellen um eine weitere Ressourcenausbeutung im neokolonialen Stil handeln. "Ein perverser Mechanismus", klagte kürzlich ein algerischer Experte.[2]


Flüchtlingsströme unterbinden

Die Berliner Regierung flankiert die Wirtschaftsexpansion. Beim offiziellen Besuch des algerischen Staatspräsidenten Anfang Dezember 2010 kündigten Kanzlerin Merkel und Bouteflika in der deutschen Hauptstadt an, "sofort" einen deutsch-algerischen Wirtschaftsausschuss ins Leben zu rufen.[3] Sie vereinbarten mit Vertretern der maßgeblich an Desertec beteiligten Unternehmen eine engere Solar-Kooperation. Darüber hinaus teilte Merkel mit, man wolle "mit deutschen Firmen, die die dafür entsprechende Technologie haben", an einem Projekt zur Abschottung der algerischen Grenzen teilhaben; Ziel sei es, "Flüchtlingsströme zu unterbinden". Wie jetzt aus Branchenkreisen verlautet, sind EADS, Carl Zeiss sowie Rohde + Schwarz im Begriff, ein Joint Venture für exakt diese Aufgabe abzuschliessen. EADS hat bereits Erfahrung mit der Abschottung von Wüstengrenzen gesammelt - in einem Projekt in Saudi-Arabien. Aufgrund der Berliner Unterstützung können sich die Unternehmen gute Chancen ausrechnen.


Repressionskapazitäten

Um eine Kooperation mit den algerischen Repressionsapparaten bemüht sich Berlin seit geraumer Zeit. Bereits 2007 wurden entsprechende Vereinbarungen geschlossen. Die deutsche Marine bildete algerische Offiziere aus; zwischen den Polizeibehörden und Geheimdiensten wurden die Kontaktwege verbessert.[4] Anfang Januar 2010 hat die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) eine Analyse publiziert, die nachdrücklich eine Kooperation mit Algerien "im Sicherheitsbereich" empfiehlt.[5] Der Autor hält die bisherigen westlichen Interventionen in den Wüsten Westafrikas für unzulänglich - eine Kritik vor allem an der Trans Sahara Counterterrorism Initiative, mit der die USA in Kooperation mit den Sahara- und Sahel-Staaten soziale Widerstände und organisierte Kriminalität in der Region zu bekämpfen suchen. Wie es bei der SWP heißt, sei es anzustreben, diese Bemühung durch eine Initiative Deutschlands und der EU in enger Kooperation mit Algerien zu ersetzen. "Algerien hat die bei weitem größten Kapazitäten im Sicherheitsbereich und ist in der Sahel-Problematik unumgänglich", urteilt die SWP; "die EU-Staaten sollten das Land daher stärker einbinden und dessen regionale Führungsrolle anerkennen." Die Repressionsapparate, mit denen Berlin und Brüssel dabei zusammenarbeiten, sind dieselben, die bei der Niederschlagung des algerischen Aufruhrs aktiv sind.


Anmerkungen:

[1] s. dazu Verstoß gegen das Völkerrecht; http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56759

[2] "La position algérienne est constante"; El Watan 13.12.2010.
S. auch Solarkolonien; http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57839

[3] Pressestatements von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem Staatspräsidenten der Demokratischen Volksrepublik Algerien, Abdelaziz Bouteflika, am 8. Dezember 2010 in Berlin

[4] s. dazu
Folterpartner; http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56873
Jederzeit aktivierbar; http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56995
Afrikanische Positionen (I); http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57069 und
Kriegsgerät für Öl; http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57295

[5] Wolfram Lacher: Organisierte Kriminalität und Terrorismus im Sahel; SWP-Aktuell 2011/A01, Januar 2011


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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2011