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STANDPUNKT/014: Erneut Festnahmen von Urlauber*innen in der Türkei (Rote Hilfe)


Bundesvorstand Rote Hilfe e.V. - Pressemitteilung vom 07.10.2019

Erneut Festnahmen von Urlauber*innen in der Türkei


In den vergangenen Tagen wurden erneut sechs linke Aktivist*innen mit deutscher Staatsangehörigkeit in der Türkei aus politischen Gründen festgenommen. Wie bei Tausenden anderen Oppositionellen werden auch gegen sie die Standardvorwürfe "Verdacht der Verbreitung von Propaganda" und "Zugehörigkeit zu einer illegalen Organisation" - gemeint ist wie so oft die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) - in Anschlag gebracht. Vermutlich dienen wieder einmal AKP-kritische Kommentare in sozialen Netzwerken als Anlass für die Kriminalisierung. Während vier der Betroffenen am heutigen Tag aus dem Gefängnis entlassen wurden, aber die Türkei nicht verlassen dürfen, bleiben zwei weiterhin in Haft, darunter die Hamburgerin Nebahat Yildirim, deren Ehemann Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde ist.

Die Verhaftungen ereigneten sich just zu der Zeit, als Innenminister Horst Seehofer mit dem türkischen AKP-Regime neue Finanzzuschüsse aushandelte, um die "Festung Europa" gegen Geflüchtete abzusichern. Das zeigt erneut, dass die bundesdeutsche Regierung jede Menschen- und Grundrechtsverletzung seitens der Erdo?an-Regierung billigend in Kauf nimmt oder zumindest stillschweigend ignoriert, um den Despoten milde zu stimmen: weder protestierte die deutsche Delegation gegen die Tausenden von politischen Gefangenen noch gegen die vergangenen und die aktuellen Verhaftungen von deutschen Staatsangehörigen. Stattdessen sondern beschränkte sie sich auf die Bemerkung, dass einige ohne ausreichende Begründung verfolgt würden.

Tatsächlich ist es durchaus wahrscheinlich, dass die Festnahmen auf die Zuarbeit deutscher Repressionsorgane zurückzuführen sind: Das Innenministerium konnte auf Nachfragen der Presse nicht dementieren, dass die Informationen zu den Betroffenen aus dem regelmäßigen Austausch der Sicherheitsbehörden der beiden Staaten stammten.

Die in der vergangenen Woche Festgenommenen sind keineswegs Einzelfälle, und ihnen drohen durchaus Gerichtsprozesse und lange Haftstrafen: Gegen mehrere politische Aktivist*innen aus der BRD stehen in den kommenden Wochen Gerichtstermine an. So beginnt am Dienstag der Prozess gegen Aret Demirci, der aufgrund eines Erdo?an-kritischen Twitter-Kommentars der "Präsidentenbeleidigung" beschuldigt wird, und am Mittwoch wird gegen den Menschenrechtsaktivisten Peter Steudtner verhandelt, der mit der türkischen Allzweckwaffe des "Terrorismusverdachts" dreieinhalb Monate in Untersuchungshaft festgehalten wurde. Auch der "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel soll sich ab 17. Oktober vor Gericht verantworten, das Verfahren gegen die Ulmer Journalistin Mesale Tolu dauert weiter an, und gegen weitere weniger prominente Oppositionelle sind ebenfalls Prozesse in Vorbereitung. Sie alle sind jedoch eher als Gerichtspossen der Gesinnungsjustiz denn als juristische Verfahren im rechtsstaatlichen Sinn zu betrachten.

"Dass die Bundesregierung die brutale Unterdrückung aller linken Kräfte und die gnadenlose Verfolgung selbst minimaler AKP-kritischer Kommentare stillschweigend ignoriert, ist ein Skandal. Dass sie die Umtriebe des menschenverachtenden Erdo?an-Regimes noch durch üppige Geldzahlungen im Rahmen des "Flüchtlingsdeals" fördert, ist ein noch größerer Skandal. Für die unsägliche Tatsache, dass sie durch die intensive Zusammenarbeit mit den türkischen Repressionsorganen bewusst die Verhaftungen von in der Bundesrepublik lebenden Aktivist*innen ermöglicht, wurde bisher noch kein Wort erfunden", erklärte Anja Sommerfeld vom Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V. "Doch letzten Endes ist diese Unterstützung durch die Bundesregierung nur konsequent: Schließlich dient sie sich der faschistischen Regierung in Ankara schon seit Jahrzehnten als verlängerter Arm an, indem sie die Verfolgung der kurdischen und türkischen Linken in der BRD mithilfe des so genannten Antiterrorparagrafen 129b fortsetzt und Dutzende von fortschrittlichen Menschen in deutschen Gefängnissen inhaftiert. Wir protestieren erneut gegen die massiven Rechtsverletzungen und die Kriminalisierung der türkischen und kurdischen Linken durch das AKP-Regime, die unter Duldung und aktiver Mitarbeit der Bundesregierung stattfinden. Wir fordern die sofortige Freilassung der politischen Gefangenen und die Einstellung aller Prozesse."

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Quelle:
Pressemitteilung vom 07.10.2019
Bundesvorstand Rote Hilfe e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Oktober 2019

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