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DILJA/008: "Mails checken?" - Für Geheimdienste sind Internetkommunikation und E-Mails wie geschaffen (SB)


Mitteilung parlamentarischer Geheimdienstkontrolleure sorgt für Irritationen


Die Zeitung mit dem wohl schlechtesten journalistischen Ruf der Republik brachte es als erste: Im Jahr 2010 beschnüffelten deutsche Geheimdienste rund 37 Millionen E-Mails und Datenverbindungen. Unter Berufung auf zwei aktuelle Berichte des Parlamentarischen Kontrollgremiums des deutschen Bundestages (PKG) wußte Bild am 25. Februar 2012 zu berichten, daß die geheimdienstliche Überwachungstätigkeit via dieser neuen Medien und Kommunikationsmittel gegenüber dem vorangegangenen Jahr (2009), in dem "nur" rund 6,8 Millionen Internet- und sonstige Kommunikationsvorgänge überwacht worden waren, auf das Fünffache angestiegen war. Dies sorgte für Irritationen und eine gewisse Aufregung in Politik und Medien, wobei die von Fachleuten des Bundeskriminalamtes noch am Samstag bestätigten Zahlen überhaupt nicht in Frage gestellt wurden.

Die BKA-Experten fügten erläuternd hinzu, daß es sich bei diesen Maßnahmen um eine "strategische Fernmeldeaufklärung" gehandelt habe, wobei mit automatisierten technischen Filtern nach bestimmten Begriffen innerhalb des Kommunikationsverkehrs gesucht und "keine konkrete inhaltliche Überwachung" vorgenommen werde [1]. Die Suchbegriffe wiederum seien durch die G-10-Kommission geprüft und genehmigt worden. Dem kolportierten Bericht sei desweiteren zu entnehmen gewesen, daß sich nur in 213 Fällen verwertbare Hinweise ergeben hätten, so daß etliche Kritiker ein Mißverhältnis feststellen zu können glaubten zwischen rund 200 "echten" Hinweisen bei 37 Millionen Überprüfungen. Da eine inhaltliche Überprüfung laut BKA nicht stattgefunden hat, ist eigentlich nur ein Datenabgleich mit Listen der von den Geheimdiensten ohnehin - aus welchen Gründen und aufgrund welcher Anhaltspunkte, Mutmaßungen und Schlußfolgerungen auch immer - als verdächtig geführten Personen vorstellbar.

Da die Liste der Worte, die einen Verdacht nach Ansicht der drei beteiligten deutschen Geheimdienste - Bundesnachrichtendienst (BND), Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und Militärischer Abschirmdienst (MAD) - zu begründen in der Lage sein sollen, extrem lang ist, kann nicht ausgeschlossen werden, daß jeder Mensch früher oder später eines der verfänglichen und einen Terrorverdacht oder die Absicht zu einer sonstigen schweren Straftat angeblich offenbarenden Wörter benutzen würde. Dem Bildbericht zufolge sollen über 15.000 (!) Schlagworte verwendet worden sein, die nach drei Bereichen aufgeschlüsselt wurden, wobei 2000 Begriffe dem Bereich Terrorismus, 13.000 Suchworte dem Rüstungsbereich und weitere 300 der illegalen Schleusung zugeordnet worden sein sollen [1]. Das fünfbuchstabige B-Wort zu vermeiden, wie in manchen Kommentaren bereits mehr oder minder scherzhaft angemerkt wurde, wird angesichts dieser Fülle sprachlicher Fallstricke wenig helfen, um der geheimdienstlichen Kontroll- und Überwachungswut zu entgehen.

Im parlamentarischen Rahmen wurde unterdessen Kritik laut. So kritisierten die FDP wie auch das FDP-geführte Bundesjustizministerium diese Form der Datenerfassung und forderten, die Tätigkeit der beteiligten Geheimdienste zu überprüfen. Gisela Piltz, innenpolitische Sprecherin und stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, monierte das Mißverhältnis zwischen dem Umfang der Überwachung und den (angeblich dabei zu Tage geförderten) tatsächlichen Anhaltspunkten und erklärte, das sei nicht nur rechtsstaatlich fragwürdig, sondern stelle die Effektivität der Arbeit der Nachrichtendienste in Frage. "Ein derart grobes Raster wie die Verwendung von Wörtern wie 'Bombe' ist ersichtlich ineffektiv und kann wirklich jedermann einer Überwachung aussetzen", so Piltz. Diesen Einwand brachte auch Renate Künast, Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion vor und forderte, die Suchbegriffe deutlich zu präzisieren, "damit Aufwand und Ertrag wieder in ein besseres Verhältnis kommen". Die neue Bürgerrechtspartei im Bundestag, die Piratenpartei, ging in ihrer Kritik kaum über diesen Level hinaus. Ihr Bundesvorsitzender Sebastian Nerz erklärte [2]:

Der Vorfall zeigt, dass deutsche Geheimdienste tun und lassen können, was sie wollen. Obwohl das Parlamentarische Kontrollgremium über diese Grundrechtsberaubung informiert war, hat es nichts dagegen getan. (...) Die Geheimdienste fahren hier derzeit eine verfassungswidrige elektronische Rasterfahndung, von der jeder einzelne Bürger betroffen ist. Eine solche ist aber nur bei konkreten Gefahren zulässig und nicht etwa, weil 'Lieschen Müller' an ihre Freundin schreibt, dass der nette Junge aus der Parallelklasse so klasse und bombig aussieht.

Nicht die geheimdienstliche Überwachung der gesamten Bevölkerung, so sie sich der neuen Medien bedient, ist Gegenstand der Kritik, sondern die vermeintliche Ineffizienz dessen. Ein solch flächendeckend angelegter Angriff auf angeblich verfassungsrechtlich verankerte Freiheiten könnte tatsächlich darauf abzielen, das Potential oppositioneller Kräfte, die als "Gefahr" und "Sicherheitsrisiko" interpretiert werden, so sie beispielsweise mit Kriegskurs, Sozial- und Demokratieabbau erkennbar nicht einverstanden sind, zu identifizieren, was selbstverständlich eine großanlegte Überwachungsaktion erfordert. Mit der bislang laut gewordenen Kritik oder vielmehr Pseudo-Kritik ist die tatsächliche Brisanz des ruchbar gewordenen oder vielleicht sogar gezielt lancierten "Skandals" noch nicht einmal berührt und schon gar nicht in die öffentliche Diskussion und Kontroverse gestellt, in die sie in einer Demokratie bzw. aufgrund der in ihr erhobenen Ansprüche geführt werden müßte.

Anmerkungen:

[1] Geheimdienste überwachten E-Mailverkehr. Schlagwort "Bombe". Im Jahr 2010 überprüften deutsche Geheimdienste mehr als 37 Millionen E-Mails. Verwertbare Hinweise gab es jedoch nur in 213 Fällen. taz, 26.02.2012
http://taz.de/Geheimdienste-ueberwachten-E-Mailverkehr/!88454/

[2] Piratenpartei verurteilt scharf überbordende Überwachung durch Geheimdienste
http://www.piratenpartei.de/node/1574/62709


27. Februar 2012