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AKUT/001: Dorfbesetzung - Willkür und Gefangenschaft ... (Civaka Azad)


Civaka Azad - Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit - 20.02.2017

Türkei: Hinweise auf staatliche Kriegsverbrechen im kurdischen Dorf Xirabê Bava


Seit mittlerweile 10 Tagen ist das Dorf Xirabê Bava im Südosten der Türkei von der Außenwelt abgeschnitten. Die wenigen Informationen, die aus dem Dorf heraus gelangen, lassen hingegen ein Kriegsverbrechen des türkischen Staates gegen die kurdische Lokalbevölkerung befürchten. Sowohl von Hinrichtungen als auch von kollektiver Folter gegen die Dorfbewohner ist die Rede. Das Dorf gehört zur Kreisstadt Nusaybin (Provinz Mardin), das bereits im vergangenen Jahr der massiven Zerstörung durch türkische Sicherheitskräfte ausgesetzt war.

Die HDP-Abgeorndete Feleknas Uca hat gestern vergeblich mit einer Gruppe von Abgeordneten versucht, in das Dorf zu gelangen, um weitere Informationen über den Zustand der Menschen vor Ort zu erhalten. Frau Uca befindet sich weiter in der Region, ihre Bemühungen, Zutritt in das Dorf zu erhalten, halten weiter an.

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Hinrichtung, Folter und Zerstörung im Dorf Xerabê Bava: AKP führt in Kurdistan ein neues Massaker durch

Kurdistan Nationalkongress (KNK), 19.02.2017


Am 1. Februar verhängte die türkische Regierung eine Ausgangssperre für neun Dörfer, die an die Kreisstadt Nisebîn (Nusaybin, Provinz Mêrdîn/Mardin) angebunden sind. Am nächsten Tag wurden die Ausgangssperren für acht Dörfer aufgehoben, in dem Dorf Xerabê Bava hielt sie jedoch an. Während der anhaltenden Ausgangssperre wurden drei Personen hingerichtet, Häuser in Brand gesteckt und zerstört, viele Dorfbewohner wurden festgenommen. Die Streitkräfte haben die Telefon- und Internetleitungen gekappt, das Dorf wurde mit Tränengas angegriffen und der Transport von Verwundeten ins Krankenhaus nicht erlaubt. Das Embargo gegen Xerabê Bava hält weiterhin an. Neben den hingerichteten drei Personen wurde nach Zeugenaussagen 39 Personen gefoltert. Von zwei Personen fehlt jede Spur. Das Dorf ist abgeriegelt und von der Außenwelt isoliert.

Folter und Festnahmen

Örtlichen Berichten zufolge wurden zahlreiche Bewohner des Dorfes von den "Anti-Terroreinheiten" festgenommen. Weiter wird berichtet, dass die Festgenommen zunächst öffentlich auf einem zentralen Platz des Dorfes gefoltert wurden, bevor man sie abführte. Über den Verbleib von zwei Dorfbewohnern herrscht völlige Unklarheit.

Die HDP Abgeordnete Feleknas Uca zeigte sich besorgt über den anhaltenden Staatsterror im Dorf Xerabê Bava und erklärte, dass aufgrund der Ausgangssperre und des Embargos keine klaren Nachrichten aus dem Dorf zu erhalten seien. "Die Dorfbewohner sind in ihren Häusern quasi eingesperrt. Die Menschen können das Dorf nicht verlassen. Wir wissen nicht, was in diesem Dorf passiert", so Uca.

Uca erklärte weiter, dass die Ausgangssperre weiterhin aufrecht erhalten wird, obwohl die militärische Operation im Dorf für beendet erklärt wurden. Womöglich versucht der Staat nun die Spuren nun zu verwischen. "Zur Stunde können wir keine klare Aussage über die Ereignisse machen, außer dass drei Personen hingerichtet wurden. Uns, einer Delegation von Abgeordneten der HDP, wird der Zutritt ins Dorf verweigert."

Dringender Appell

Seit letztem Jahr wurden zahlreiche kurdische Dörfer und Bezirke wie Gimgim (Varto), Cizîr (Cizre), Sur, Silopî, Hezex (Idil), Nisebîn, Gever (Yüksekova), Dêrik, Kerboran (Dargeçit), Sirnex (Sirnak), Farqin (Silva), Baglar, Bismil und Qoser (Kiziltepe) durch den türkischen Staat zerstört und hunderte von Zivilisten ermordet. Jetzt ist das Dorf Xerabê Bava im Bezirk Nisebîn von der Zerstörung betroffen.

Wir rufen die internationalen Institutionen und Öffentlichkeit dazu auf, die nötigen Maßnahmen gegen die Staatsverbrechen der Türkei zu unternehmen und diesem Verbrechen endlich ein Ende zu machen.

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Hinrichtungs- und Folterbilder aus Nusaybin in Sozialen Medien: Was passiert im Dorf Xerabê Bava?

Demokratische Partei der Völker (HDP), 19.02.2017


"Wir erhalten aus dem Dorf Xerabê Bava (Kuruköy), das an die Stadt Nisebîn (Nusaybin) angebunden ist, seit neun Tagen keine Meldung. Seit der Ausrufung einer Ausgangssperre in dem Dorf wurden die Strom- und Telefonleitungen gekappt. Es besteht deshalb keine Möglichkeit, Kontakt zu den Dorfbewohnern aufzunehmen.

Was die Situation noch brenzliger macht, sind die Bilder und Videos, die als "Aufnahmen von Soldaten" in den Sozialen Medien gestreut werden und wohl aus dem Dorf stammen. Es wird behauptet, dass den Dorfbewohnern die Mobiltelefone abgenommen wurden, sie alle in einem Haus festgehalten werden und dort Erniedrigungen und Folter ausgesetzt sind. Aus den Bildern, die im Internet auftauchten, geht auch hervor, dass Einzelne wohl durch Folter hingerichtet wurden.

Gestern hat eine Delegation unserer Abgeordneten versucht, nach Xerabê Bava zu gelangen. Sie wurden allerdings durch die Sicherheitskräfte daran gehindert. Die Delegation wollte die Vorwürfe über die Geschehnisse im Dorf vor Ort überprüfen. Dass sie nicht in das Dorf gelassen werden, verstärkt nun unsere Befürchtungen. Auch die Versuche der Delegation mit dem Innenministerium und dem Gouverneur der Provinz über die Situation im Dorf zu sprechen, blieben erfolglos. Alle Bemühungen der Abgeordneten in das Dorf zu gelangen, haben bis dato zu keinem Ergebnis geführt.

Wenn die Behauptungen, über die Hergänge im Dorf wahr sein sollten, so sind wir mit einer menschenverachtenden Situation konfrontiert. Das, was wir aus den 90er Jahren kennen und was wir in den vergangenen zwei Jahren nun sehen und erfahren, gibt uns zusätzlichen Anlass zur Beunruhigung.

Wir rufen alle Demokratie- und Friedenskräfte, sowie alle internationalen Einrichtungen dazu auf, sich der Situation im Dorf Xerabê Bava anzunehmen und die Lage vor Ort zu überprüfen. Es darf zu diesem Versuch eines Massakers nicht geschwiegen werden!"

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Eine Nachricht aus dem Dorf Xerabê Bava, Feleknas Uca

Civaka Azad, 19.02.2017


Die HDP-Abgeordnete Feleknas Uca hat telefonisch Kontakt zu einem Bewohner des Xerabê Bava aufgenommen - Der Dorfbewohner, welcher aus Sicherheitsgründen nicht namentlich genannt werden will, bestätigt die Foltervorwürfe und ruft zur Hilfe auf:

"Wir sind derzeit zehn Personen in einem Haus. Seit neun Tagen können wir hier nicht raus. Wir haben derzeit weder genug Wasser, noch genug zu essen da. In diesen neun Tagen hat das Militär mehrfach unser Haus gestürmt. Sie durchsuchen immer wieder jede Ecke des Hauses. Bei jeder Hausdurchsuchung verfluchen und beleidigen sie uns. Zuletzt haben sie einen 16jährigen Jugendlichen, der bei uns ist, gefoltert. Sie haben den Jugendlichen aus dem Haus rausgebracht und dann gefoltert. Später haben sie den Jungen wieder vor dem Haus abgesetzt. Jetzt stöhnt der Junge vor sich hin. Aufgrund der Folter spricht er kein Wort mehr. Weil wir nicht aus dem Haus können, wissen wir auch nicht, wie die Situation im gesamten Dorf aussieht. Allerdings ist das Dorf voller Soldaten. Alle Seiten sind durch das Militär umzingelt. Bitte kommt schnell zu uns!"

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Quelle:
Civaka Azad - Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V.
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Tel.: 030/91446137
E-Mail: info@civaka-azad.org
Internet: www.civaka-azad.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Februar 2017

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