Es ist erstaunlich, daß Wladimir Kramnik, einer der stärksten Spieler der neunziger Jahre, noch niemals im Finale um die Krone der Schachkunst stand. Gerade er, dessen ungemein feingliedriges Positionsverständnis in Verbindung mit einem Adlerblick für taktische Möglichkeiten selbst Garry Kasparow ein Kopfnicken abzwingt, wäre ein würdiger Nachfolger von Anatoli Karpow auf dem FIDE-Thron. Liegt es an seinem mangelnden Enthusiasmus, an seiner etwas gemächlichen Art? Wie Viswanathan Anand entstammt Kramnik der Turnschuhgeneration, die es immer etwas nachlässig gehalten hatte mit Konkurrenz und den Stößen der Ellenbogen. Anand schaffte den Sprung, während Kramnik seiner Gewohnheit treu blieb. Er läßt sich wohl nicht gern drängen und ist nicht bereit, um des Erfolges willen die Kunst zu opfern. Das wiederum macht ihn sympathisch, daß er nicht um des schnöden Lohnes wegen seine Überzeugungen verrät. Im heutigen Rätsel der Sphinx, er spielte mit den weißen Steinen, legte er Zeugnis davon ab, warum er nicht zu Unrecht zu den Großen des Schachspiels gehört, Wanderer.
Kramnik - Short
Dortmund 1995
Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Für Kotow und nicht nur für ihn war es seine "unsterbliche Partie": 1...Dd7xh3+!! 2.Kh2xh3 Tf6-h6+ 3.Kh3-g4 Sg8-f6+ 4.Kg4-f5 Sf6-d7 5.Tg2- g5 Tb8-f8+ 6.Kf5-g4 Sd7-f6+ 7.Kg4-f5 Sf6-g8+ 8.Kf5-g4 Sg8-f6+ 9.Kg4-f5 Sf6xd5+ 10.Kf5-g4 Sd5-f6+ 11.Kg4-f5 Sf6-g8+ 12.Kf5-g4 Sg8-f6+ 13.Kg4- f5 Sf6-g8+ - die Zugwiederholungen halfen Bedenkzeit einsparen - 14.Kf5-g4 Le7xg5 15.Kg4xg5 Tf8-f7 16.Lh2-g4 Th6-g6+ 17.Kg5-h5 Tf7-g7 18.Lh4-g5 Tg6xg5+ 19.Kh5-h4 Sg8-f6 20.Se2-g3 Tg5xg3 21.Dd2xd6 Tg3-g6 22.Dd6-b8+ Tg7-g8 und Weiß gab auf, da er die Dame hergeben müßte und schließlich mit einer Figur weniger auf dem Brett verbliebe.
Erstveröffentlichung am 24. November 1999
21. September 2010