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SCHACH-SPHINX/04423: Gefangener des Kummers (SB)


Sein Kummer war, daß ihn keiner verstand, und in seiner Unverstandenheit glaubte er, das Recht zu haben, sich an seiner Umwelt streitsüchtig rächen zu dürfen. Wilhelm Steinitz hatte mit zwölf Jahren die Regeln des Schachspiels gelernt und dank seines mathematischen Verstandes schnell begriffen, worauf es im einzelnen ankam. An Ehrgeiz fehlte es ihm nicht. Als Kind armer Eltern am 14. Mai 1836 in Prag geboren, eignete er sich früh Fleiß und Ausdauer an. Seine Begabung trieb ihn nach Wien, wo er zunächst Mathematik studierte, dann jedoch zum Berufsschachspieler umsattelte. Seine leere Börse hatte dieses Opfer nötig gemacht. Vor dem Hintergrund seiner lebenslangen Armut verwundert es nicht, daß er sich in seinem Denken, nachdem er das Handwerkszeug des opferreichen Angriffsspielers hinter sich gelassen hatte, mehr und mehr in die Gefilde positioneller Garantien vortastete. Vorteile anhäufen und sichern, das war in späteren Jahren die Maxime seines Spiels. Von Geburt an mit einem verkrüppelten Fuß gezeichnet, von der Natur mit Kleinwuchs beschenkt und vom Leben in die Armut gedrängt, schwoll von Jahr zu Jahr seine jähzornige Ader an. So schlimm und ungebärdig benahm er sich, daß ihn sein Schachclub Hausverbot erteilte. Bei einem Turnier in London vergaß sich Steinitz gar so sehr in einem Streitgespräch, daß er seinem Kontrahenten ins Gesicht spuckte. Fortan trug er den Schimpfnamen "Stachelschwein". Genugtuung verschaffte er sich 1886, als er in Amerika seinen Gegenpart, den gebürtigen Polen Johannes Hermann Zuckertort, im ersten offiziellen Weltmeisterschaftskampf der Schachgeschichte schlug und die Krone bis 1894 nicht mehr aus seinen Händen gab. Im heutigen Rätsel der Sphinx, der neunten Partie aus dem WM-Kampf gegen Zukertort, unterlief dem Polen mit 1.c4-c5? ein bedauernswerter Fehler, der jäh zum Verlust der Partie führte. Also, Wanderer, wie gewann der streitbare Steinitz im rauschenden Blute seiner Rache für lebenslange Entbehrungen die Partie?



SCHACH-SPHINX/04423: Gefangener des Kummers (SB)

Zukertort - Steinitz
WM 1886

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Was so eine Bauernseele alles zu schwatzen hat! Indes, 1.Db4xd6! verdient in der Tat höchstes Lob. Die kleinmütige Furcht 1...Tc4-c1+ 2.Td1xc1 Tc8xc1+ 3.Te1xc1 De7xd6 verächtlich beiseite schiebend, siegte nämlich 4.Tc1-c8+ Ka8-a7 5.Lg3-f2+ b7-b6 6.Tc8-a8+! Ka7xa8 7.e4- e5+ Dd6-d5 8.e5xf6! Schwarz gab sich geschlagen. Mit einer Figur weniger ließ sich keine Remis-Sinfonie erschwindeln.


Erstveröffentlichung am 18. November 2000

26. Juni 2012