Schattenblick →INFOPOOL →SCHACH UND SPIELE → SCHACH

SCHACH-SPHINX/05339: Der Kritikus und sein Verdruß (SB)



Heutzutage bilden selbst die Herren Kritiker, im Bunde mit ihren angefeindeten Widersprüchen, eine Front gegen echte Fragen. Was denn im Schach nicht erfüllt werde, ein Versprechen bleibe, fragte neulich ein junger Schachtrieb, zur Sonne gewandt. Doch die lächelte nur geringschätzig und flüsterte in ihren Spiegel hinein: "Was für ein Dümmling, der solches fragt!" und wandte dem kleinen Skeptiker kokett die kalte Schulter zu. Wohin der schwache Trieb und Sinn sich auch beugte, überall traf er auf Ignoranz, Schulmeisterei und sturren Gesinnungsdienst. Ja, fragt denn niemand mehr, was von der goldenen Schachlehre unerfüllt bleibt, was nur Zierde ist, Zeilen füllt, nicht aber Köpfe, was bestenfalls schmeichelt, nie jedoch über Verstand und Verstehen hinaus greift und reift, was also noch Frage ist, noch weich und wund und nicht verknöcherter Gefolgsmann irgendeiner Räson? Ist das die sengende Kraft der Kritik, daß sie erhält, was ihr zuwider ist, den Irrtum pflegt, statt ihn zerbricht und Neues schafft? Wieviel Kritik kann ein Mensch sich selbst gegenüber versagen? Friedrich Nietzsche war zwar kein ausgesprochener Schachförderer, teilte also nicht die Meinung seines Mentors Arthur Schophenhauer, der da gesagt haben soll: "Das Schachspiel überragt alle anderen Spiele so sehr wie der Chimborasso einen Misthaufen." Aber mit der Kritikfähigkeit hatte sich Nietzsche notgedrungen auseinandersetzen und auch erkennen müssen, aus welcher Richtung sie im Lande angeweht kam. Hören wir ihn selbst mit seinem 'Narr in Verzweiflung':

"Ach! Was ich schrieb auf Tisch und Wand
mit Narrenherz und Narrenhand,
das sollte Tisch und Wand mir zieren? ...

Doch ihr sagt: "Narrenhände schmieren. -
und Tisch und Wand soll man purgieren,
bis auch die letzte Spur verschwand!"

Erlaubt! Ich lege Hand mit an -,
ich lernte Schwamm und Besen führen,
als Kritiker, als Wassermann.

Doch, wenn die Arbeit abgetan,
säh gern ich euch, ihr Überweisen,
mit Weisheit Tisch und Wand besch...."

Hoppla, war das ein Wort zuviel? Zuviel Wert auf seine Stellung gelegt hatte jedenfalls auch unser Schachfreund Martens. Um seinen weißen König stand es nicht gut, doch die Kritik erreichte ihn nicht, zu sehr war er mit seinem eigenen Spiel beschäftigt. Erst, als Meister Jürgen Dueball seinen nächsten Zug mit den schwarzen Steinen tat, erkannte der Weise in ihm, aber zu spät, den Schmierfleck aller Weisheit. Also, Wanderer, wo steckt im heutigen Rätsel der Sphinx der Kritikus und wo sein Verdruß?


SCHACH-SPHINX/05339: Der Kritikus und sein Verdruß (SB)

Martens - Dueball
München 1993

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Der Clou bestand nun darin, daß 1.Dc2xa4 nicht zufällig richtig war, sondern von langer Hand geplant zur Schönheit reifte, denn auf 1...Sa5xc4 folgte nun - in der Tat überraschend für Meister Kuro - 2.Da4xc4! So kann es kommen!


Erstveröffentlichung am 26. Januar 2002

30. Dezember 2014





Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang