Schattenblick → INFOPOOL → SCHACH UND SPIELE → SCHACH


SCHACH-SPHINX/05490: Eitel Durchschnitt (SB)


Von Marie von Ebner-Eschenbach stammt das Wort: "Steril ist der, dem nichts einfällt, langweilig ist, wer ein paar alte Gedanken hat, die ihm alle Tage neu einfallen." In der Verdichtung des Lebens zu einer einzigen Gewohnheit haben es einige Zeitgenossen weit gebracht. Selbst einem Barden würde es Kopfzerbrechen bereiten, aus eitel Durchschnitt ein fröhliches Liedchen zu komponieren, und nicht anders stehen Schachjournalisten teilweise vor der Verlegenheit, aus dem farblosen Bestand im biographischen und karrieremäßigen Erscheinungsbild eines Schachmeisters Stoff für packende Darstellungen herauszupressen. So manchem unter den Schachköpfen von heute fehlt es einfach an Meinung. Generalisierend werfen sie das aktuelle Tagesgeschehen in ein und denselben Topf, unabhängig davon, ob im Nahen Osten politischer Terror ausbricht, oder in Afrika Millionen an Hungertod sterben. Zurückgezogen auf 64 Felder wissen sie mit sich und der Welt nichts anderes anzufangen, als trübe der nächsten Partie entgegenzuharren. Politisches Rückgrat, wetterfeste Ansichten, ein Mund, der nicht nach der Mode redet - wie gut, daß es zum selten gewordenen Ruhme der Schachwelt noch Charakterköpfe wie den russischen Weltmeister Garry Kasparow gibt: "Ich glaubte und ich glaube immer noch, daß die Menschen meines Kalibers, Leute, die meinen Einfluß haben, vielleicht auch die Fähigkeit, zu einer großen Zuhörerschaft zu sprechen, einfach nicht schweigen, sich nicht aus dem öffentlichen Leben heraushalten sollten, gerade in Zeiten so weitgehender Veränderungen." Daß eine einzelne Niederlage für Kasparow immer nur Ansporn, selten aber echtes Ärgernis bedeutet, ist bekannt, wie sonst hätte er es bewerkstelligen können, nie zwei Partien hintereinander zu verlieren. Im heutigen Rätsel der Sphinx mußte er mit den schwarzen Steinen eine Niederlage gegen den Exilrussen mit amerikanischem Paß Boris Gulko einstecken. Obwohl Kasparow eine gefährliche Angriffsstellung aufgebaut hatte, fand Gulko das richtige Mittel, um die Gefahr abzuwenden und seinen materiellen Vorteil zu sichern. Nun bist du an der Reihe, Wanderer?



SCHACH-SPHINX/05490: Eitel Durchschnitt (SB)

Gulko - Kasparow
Frunse 1981

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Als das Vorgehen mit dem Damenflügelbauern zu scheitern drohte, schwenkte Meister Reshevsky einfach um und inszenierte mit 1.b4-b5! Ta4xa5 2.Db8-c7! einen Mattangriff, der volle Früchte trug. Nach 2...Ta5xb5 3.Dc7xf7+ Kh7-h8 4.Tf1-e1 Tb5-b8 5.Te1-e7 gab sein Kontrahent Najdorf die Partie auf.


Erstveröffentlichung am 20. Juni 2002

30. Mai 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang