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SCHACH-SPHINX/05548: Liebling der Götter (SB)


Nicht wenigen unter seinen Großmeisterkollegen war er unheimlich, insbesondere wenn er stechenden Blickes über dem Schachbrett brütete. Die ganze Welt schien er in solchen Augenblicken verschlingen zu wollen. So gestrafft war jeder Nerv, daß man es fast knistern hörte. Aber mit derselben Verachtung, mit der er alles Schwache strafte, verachtete er auch alles, was in den Augen seiner bürgerlichen Umwelt als gesund, anständig, mit einem Wort: maßvoll galt. Also trank und rauchte er, als wollte er seine Gesundheit vorzeiten ruinieren. Sie galt ihm nichts. Zu sehr sah er sich als Künstler, als daß er auf Kleinliches Rücksicht nehmen würde. Als ihm ein Arzt erzählte, daß er an Leberzirrhose litt und bei weiterem Alhoholgenuß allenfalls noch fünf Jahre zu leben habe, entgegnete er seelenruhig: "Dann lohnt sich für mich nicht mehr die Mühe, mit dem Trinken aufzuhören." Alexander Aljechin, Liebling der Götter, war von unverbesserlichem Gleichmut in solchen Dingen. Herrschsüchtig war er, unnahbar, streng, egozentrisch. Im umgekehrten Maße leistete er schier Unmenschliches für die Weiterentwicklung des Schachspiels. Sein Ideenreichtum kannte keine Grenzen. Aus unerschöpflichen Quellen nahm er seine Einfälle her. Trotzdem besiegte ihn die Zeit. Aus Rußland wegen des Zarenumsturzes flüchtend, suchte er in Frankreich seine Zuflucht, später in Portugal, wo er in völliger Vereinsamung 1946 starb. Die Welt, die für ihn keinen Wert hatte, ächtete ihn zuletzt wegen seiner opportunistischen Haltung zu den Nationalsozialisten. Einer seiner Schachkollegen sagte einst über ihn: "Unter Mohammedanern hätte Aljechin Sandalen getragen und eine braune Hautfarbe gekriegt." Das heutige Rätsel der Sphinx erhielt auf der Hamburger Schacholympiade von 1930 den ersten Schönheitspreis. Mit Schwarz am Zuge schmetterte Aljechin die Stellung seines Kontrahenten Stahlberg nieder. Aus welcher Richtung kam der kunstvolle Hieb, Wanderer?



SCHACH-SPHINX/05548: Liebling der Götter (SB)

Stahlberg - Aljechin
Hamburg 1930

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Mit listiger Genugtuung fand Michail Botwinnik den einzig möglichen Zug mit Gewinnaussichten: 1...Sg4-e5! Der Springer war indirekt gedeckt wegen 2.Lf4xe5 Dg6-h5+, weswegen Makagonow 2.Tc7-e7 wählte. Nun ging der Springer zwar verloren, wofür sich Botwinnik allerdings den weißen a-Bauern schnappte und mit seinen Damenflügelbauern den Sieg sicherstellte: 2...Dg6-c2+ 3.Ke2-e1 Kb8-c8 4.Lf4xe5 Dc2xa2 5.Te7- c7+ Kc8-d8 6.Tc7-c1 a6-a5 und Weiß gab nach weiteren belanglosen 11 Zügen auf.


Erstveröffentlichung am 16. August 2002

27. Juli 2015


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