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SCHACH-SPHINX/05721: Stempel der Zeit (SB)


Weltmeister geben den Takt und Rhythmus ihrer schachspielenden Umwelt an. Spielt der Meister versonnen-positionell, kaum einen Tag später heißt es in großen Lettern: Verwinkelte Manöver seien das Herz einer Schachpartie. Tritt jedoch ein kühner Opferspieler aufs höchste Siegertreppchen, verkünden die Sprachrohre der Theorie: Immer frisch drauflos auf den gegnerischen König. In dieser Fluktuationswelle gibt es keinen anderen Fixstern als den Weltmeister selbst. Sein Können prägt eine ganze Ära. Man denke nur an die mild dahinplätschernde Zeit zurück, als José Capablanca die Schachwelt regierte: Trockene Positionspartien ohne Bausch und Bogen. Dann, als Alexander Aljechin die Regentschaft übernahm, pflegte man wieder den kombinatorischen Überfall- und Tatarenstil. Der Ex-Weltmeister Michail Tal erinnert sich, daß ihm bei Jugendturnieren in den 50er Jahren von seinem Trainer regelrecht eingebleut wurde, sein temperamentvolles Kombinationsspiel zu zügeln mit dem Hinweis darauf, daß der damals amtierende Weltmeister Michail Botwinnik seine Partien mit der kühlen Berechnung eines Ingenieurs zu gewinnen pflegte. "Als ich dann Weltmeister wurde", witzelte Tal, "ermutigte der gleiche Trainer den Nachwuchs, vor keinem Opfer zurückzuschrecken." Dochg nun zurück zur Ära Aljechins, wo, wie gesagt, die Partien kombinatorisch angespitzt waren. Auch der österreichische Meister Becker schrieb sich diese Losung auf seine Fahne. Bei der Mannschaftsmeisterschaft in Prag 1931 überrumpelte er damit seinen schwedischen Kontrahenten Berndtsson. Um den weißen Druck auf seinen Königsflügel zu vermindern, hatte der schwedische Meister zuletzt 1...Td8-d7 gezogen, in der Hoffnung, daß er nach 2.Lc3xf6 g7xf6 3.Tf5xf6 wenigstens den Druck gegen den wunden Punkt f7 überstehen könnte. Doch Becker war ein heller Kopf und ließ sich im heutigen Rätsel der Sphinx mit Almosen nicht abspeisen. Wie hättest du nun weitergespielt, Wanderer?



SCHACH-SPHINX/05721: Stempel der Zeit (SB)

Becker - Berndtsson
Prag 1931

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Wildes Stakkato und feine Opferzüge zwangen Paul Keres zur Aufgabe. Michail Botwinnik beendete die Partie nach 1...Sb6-d7 ideenreich mit 2.Tg5xg7+! Kg8xg7 3.Sg3-h5+ Kg7-g6 - 3...Kg7-f8 4.Sh5xf6 wäre ebenfalls hoffnungslos gewesen - 4.Dd4-e3! und gegen die beiden Mattdrohungen auf g5 und h6 gab es keine ausreichende Antwort mehr.


Erstveröffentlichung am 03. Februar 2003

20. Januar 2016


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