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SCHACH-SPHINX/05806: Gratwanderer zwischen Opfermut und Kalkül (SB)


Von Efim Bogoljubow sind viele kleine nette Anekdoten bekannt. Sie aufzuzählen, reichen 365 Abende nicht. Eine jedoch glänzte durch ihre Pointenschärfe und soll nun erzählt werden. 1932 war es zu einem Zweikampf zwischen Bogoljubow und dem Wiener Meister Rudolf Spielmann gekommen. Spielmann, auch der letzte Ritter des Königsgambits genannt, pflegte seine Partien oft mit scharfen Opferkombinationen zu würzen. Er war dennoch kein blinder Hasardeur, sondern eher ein Gratwanderer zwischen unsinnigen Opfern und vielversprechenden Gambits. Auf dem Semmering fand also dieses Kräfteringen statt. Bogoljubow galt seinerzeit als einer der stärksten Spieler der Welt, während Spielmann seinen Zenit wohl schon überschritten hatte. So verwunderte es nicht, daß der Wahldeutsche, ehemalige Russe nach drei Partien mit 2,5:0,5 führte. Ein wenig übermütig mag Bogoljubow wohl zumute gewesen sein, denn zur vierten Partien erschien er erst arg verspätet, und auch dann stürzte er sich nicht ans Brett, sondern setzte sich an einem Nebentisch und ließ sich ein üppiges Frühstück bringen. Während der gewaltige Esser mit der einen Hand die Figuren führte, langte er mit der anderen ordentlich zu. Doch nach dem 16. Zug schien ihm das Brötchen im Halse steckengeblieben zu sein. Sein horrender Appetit hatte ihm doch tatsächlich den Verstand vernebelt. Ein Blick auf die Stellung überzeugte ihn davon, daß er die Partie verloren hatte. Bis zum Ende des Wettkampfes saß Bogoljubow artig am Brett, hatte auch keine derartigen Flausen mehr im Kopf. Allein, für Reue war es längst zu spät. Spielmann, einmal in Wut gebracht, gewann den Zweikampf schließlich mit 5:4. Das heutige Rätsel der Sphinx ist aus der fünften Wettkampfpartie entlehnt, in der Spielmann mit den weißen Steinen auf unverwechselbare Weise gewann. Bist auch du, Wanderer, von solch opferfreudigem Sinn erfüllt?



SCHACH-SPHINX/05806: Gratwanderer zwischen Opfermut und Kalkül (SB)

Spielmann - Bogoljubow
Semmering 1932

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Ob sich Meister Schwarz im Grabe umgedreht hatte, als nach 50 Jahren herauskam, daß die von ihm aufgegebene Stellung über eine zum Sieg führende Pointe verfügte? Jedenfalls hätte Meister Schwarz auf 1.Sc6- e7+ mit 1...Kd5-e4 2.Se7xc8 f4-f3+ 3.Ke2-f2 Lg5-h4+ 4.Kf2-g1 f3-f2+ 5.Kg1-h2 f2-f1D bequem gewinnen können.


Erstveröffentlichung am 29. April 2003

14. April 2016


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