SCHACH-SPHINX/05811: Schweizer Geschwätzigkeit (SB)

Um den peruanischen Meister Esteban Canal rankt sich eine hübsche Anekdote, die nun erzählt werden soll wegen ihrer charmanten Pointe. Meister Canal besuchte einst in einem kleinen Schweizer Örtchen ein Schachcafé, und wie Schweizer so sind, man irrt sich da nicht, sie wissen über alles Bescheid, ganz gleich wie abgeschieden sie in ihren hohen Bergen auch leben. Jedenfalls wurde Meister Canal nach einer kleinen Weile zu einer Partie eingeladen von einem älteren Herrn mit weißem Bart, der die Gelegenheit wahrnehmen wollte, sein Können mit einem Meister des Fachs zu messen. Canal spielte mit Weiß und nach den Eröffnungszügen 1.e2-e4 e7-e5 2.Sg1-f3 Sb8-c6 griff er nach seinem Königsläufer und zog ihn bis zum Feld c4, setzte ihn allerdings nicht ab. "Ah", rief da der ältere Herr aus, "italienisch!" Von der Aufdringlichkeit seines Gegners irritiert, zog Canal nun auf das Feld b5, setzte aber wieder nicht ab, woraufhin der Schweizer im Tonfall weltmännischer Diplomatie meinte: "Soso, spanisch!" Nun platzte Canal der Kragen. Als wüßte er selbst nicht, welche Eröffnung er wählte! Prompt zog er also mit dem Läufer auf das Feld a6, worauf sein Gegenüber verstummte. Irgendwie mußte der peruanische Meister ja den vorlauten Laien belehren. Der Schweizer Herr nahm nach einigem Stirnrunzeln den Läufer, verlor später jedoch die Partie. Nun begab es sich, daß Canal im selben Ort ein Simultanmatch gab. Natürlich saß der Weißbärtige unter Canals Gegnern. Wieder wurden die beiden ersten Züge in derselben Weise gemacht, aber als Canals bei seinem dritten Zug wieder zum Läufer griff, sprang sein Gegner auf und rief erbost: "Wenn Sie den Läufer nach a6 ziehen, werfe ich Ihnen Brett und Figuren an den Kopf!" Nun ja, was wäre das Schach ohne seinen Anekdotenschaum. Jahre später in Budapest, wieder bei einer Simultanvorstellung, diesmal jedoch ohne den Schweizer Schreihals, siegte Canal mit den weißen Steinen dank einer anderen Findigkeit. Also, Wanderer, was sah der Meister im heutigen Rätsel der Sphinx und was blieb dem Laien, der zuletzt die lange Rochade 1...0-0-0 gezogen hatte, verborgen?

Canal - N.N.
Budapest 1934

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Der Wolf im Schafspelz zog 1.Dh5-h6!, worauf er zwar ein Lämmchen verlor nach 1...Te5xd5, doch nach 2.Lg5xf6 Dd8-f8 3.Te1-e8! die ganze schwarze Herde fraß.

Erstveröffentlichung am 04. Mai 2003

19. April 2016

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