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SCHACH-SPHINX/05981: Blinden Augen des Publikums (SB)


Lobesworte über Tigran Petrosjans Schachstil sind schlicht gehalten, was wohl überwiegend daran liegt, daß seine Partien das spektakuläre Element vermissen lassen, das beispielsweise bei Tal, Fischer oder auch Kasparow in Überfülle in Erscheinung tritt. Petrosjan zu besiegen, dazu gehörte Glück, denn ihm unterliefen kaum Fehler, selten verrechnete er sich oder beging auf dem Brett schachlichen Selbstmord. Wenn er gewann, so nahm man es gelassen hin, wartete jedoch inständig darauf, daß endlich einer käme, um dem armenischen Schachkönig mit einer kombinatorischen Rute das Fell zu versohlen. Die Augen des Publikums lieben bunte Farben, den Überschwang ekstatischer Bewegungen, das Ruhige, Besinnliche ist ihnen kaum einer Betrachtung wert. Nur wo Kanonendonner und Rauch über das Schlachtfeld ziehen, Säbelrasseln die Luft durchschwirrt und Figuren den Heldenmut sterben für den Sieg der eigenen Partei, scheint auch Ehre zu sein. Der Handwerker, der gelernt hat, die Unauffälligkeit den großen Taten vorzuwiesen, weil große Taten allzu launische Gebilde sind, wird von der Öffentlichkeit seiner Werke willen respektiert, aber nicht gefeiert. Der schrille Effekt dominiert den Kunstsinn, und doch waren es seit altersher die Handwerker, die die fähigsten Künstler hervorbrachten. Also, Wanderer, im heutigen Rätsel der Sphinx geht es zwar nicht rasant zu, hohes Können spiegelt sich darin dennoch wider. Typisch für Petrosjan, daß ihm subtile Übergewichte wie zwei Läufer lieber waren als eine haarsträubend unübersichtliche Stellung.



SCHACH-SPHINX/05981: Blinden Augen des Publikums (SB)

Petrosjan - Euwe
Zürich 1953

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Capablancas Siegeskombination war amüsant und bediente sich zuletzt der Unterverwandlung und Springergabel, um die materielle Überlegenheit klarzustellen: 1...Tf8-f1+ 2.Td1xf1 Dg3-h2+! 3.Kg1xh2 g2xf1S+! und Weiß gab auf.


Erstveröffentlichung am 17. Oktober 2003

07. Oktober 2016


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