Schattenblick → INFOPOOL → SCHACH UND SPIELE → SCHACH


SCHACH-SPHINX/06166: Leidenschaftlich gefühlt, kalt berechnet (SB)


Boris Spasski, der 1969 den Weltmeistertitel errang, diesen 1972 aber wieder an den Amerikaner Bobby Fischer verlor, wurde von zwei Trainern geformt, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Zuerst kam Spasski unter die Fittiche von Großmeister Alexander Tolusch, der für seinen wilden leidenschaftlichen Angriffsstil berüchtigt war. Während dieser Phase seiner Ausbildung lernte Spasski vor allem die taktische Seite des Schachspiels besser kennen. Sein Spiel wurde reichhaltiger an interessanten Wendungen. Die Kunst, den Sturm in eine Stellung zu tragen, verdankte er seinem ersten Lehrmeister. Ein Angriffsspieler neigt jedoch zuweilen zur Ungeduld. Allzu rasch will er zur Attacke ansetzen und alles, was sich ihm in den Weg stellt, niederreißen. Diese Schwäche wurde bei Spasski schließlich zu einem echten Handicap. Eine Reihe herber Niederlagen bekehrte ihn von der Annahme, mit Einfallsreichtum allein jede Partie meistern zu können. 1963 begann daher die Zusammenarbeit mit Großmeister Igor Bondarewski, der Ruhe und Standfestigkeit ins aufgerüttelte Leben Spasskis brachte. Leidenschaft auf der einen vereinigte sich so mit beherrschter Kaltblütigkeit auf der anderen Seite. Diese janusköpfige Gabe von seinen beiden Mentoren half Spasski schließlich im zweiten Anlauf, nachdem er 1966 gescheitert war, drei Jahre später den eisernen Willen von Tigran Petrosjan zu brechen. Das heutige Rätsel der Sphinx stammt aus der ungestümen Epoche Spasskis, wo er gerne zum Königsgambit griff. Das Reizvolle an dieser Partie war, daß er in David Bronstein einen ebenfalls emsigen Königsritter traf und besiegte. Eine kuriose Stellung war entstanden: die schwarzen Figuren zurückgedrängt auf die siebte und achte Reihe. Allein ein übermütiger schwarzer Bauer hatte sich in die weißen Gefilde verloren. 1...e3-e2 war auch der letzte Zug vor Spasskis Sturmangriff. Also, Wanderer, leidenschaftlich gefühlt und kalt berechnet!



SCHACH-SPHINX/06166: Leidenschaftlich gefühlt, kalt berechnet (SB)

Spasski - Bronstein
Leningrad 1960

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Die Gründlichkeit seines Studiums zahlte sich aus. Mit 1.Se5xf7! besiegelte Botwinnik das Schicksal der schwarzen Stellung. Da 1...Kg8xf7 2.Lb3xd5+ ganz und gar ungeraten war, entschloß sich Meister Vidmar zu 1...Tf8xf7. Viel gewann er dabei nicht, nur eben drei Züge länger bis zur Aufgabe: 2.Lg5xf6 Le7xf6 3.Tf5xd5 Dd6-c6 4.Td5-d6 Dc6-c8 5.Td6-d7 und Aus war die Partie.


Erstveröffentlichung am 18. April 2004

10. April 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang