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SCHACH-SPHINX/06409: Verbitterter Blick auf die Welt (SB)


Sein Kummer war, daß ihn keiner verstand, und so glaubte er in seiner Unverstandenheit, das Recht zu haben, sich an seiner Umwelt rächen zu dürfen. Das Mittel dazu war seine Streitsucht. Wilhelm Steinitz hatte mit zwölf Jahren die Regeln des Schachspiels gelernt und dank seines mathematischen Verstandes schnell begriffen, worauf es im einzelnen ankam. An Ehrgeiz fehlte es ihm nicht. Als Kind armer Eltern am 14. Mai 1836 in Prag geboren, eignete er sich früh Fleiß und Ausdauer an. Seine Begabung trieb ihn nach Wien, wo er Mathematik studierte, dann jedoch zum Berufsschachspieler umsattelte. Seine leere Börse hatte dieses Opfer nötig gemacht. Vor dem Hintergrund seiner lebenslangen Armut verwundert es nicht, daß sein Denken, nachdem es die Hürde des opferreichen Angriffsspiels genommen hatte, mehr und mehr in positionelle Gefilde vordrang. Vorteile anhäufen und sichern, das war in späteren Jahren die Maxime seines Spiels. Von Geburt an mit einem verkrüppelten Fuß gezeichnet, von der Natur mit Kleinwuchs betrogen und vom Leben in die Armut gedrängt, schwoll von Jahr zu Jahr seine jähzornige Ader an. So schlimm und ungebärdig benahm er sich zuweilen, daß ihn sein Schachclub Hausverbot auferlegte. Bei einem Turnier in London vergaß sich Steinitz gar so weit in einem Streitgespräch, daß er seinem Kontrahenten ins Gesicht spuckte. Fortan trug er den Schimpfnamen "Stachelschwein". Genugtuung verschaffte er sich 1886, als er in Amerika seinen Kontrahenten, den gebürtigen Polen Johannes Hermann Zuckertort, im ersten offiziellen Weltmeisterschaftskampf der Schachgeschichte schlug und die Krone bis 1894 nicht mehr aus seinen Händen gab. Im heutigen Rätsel der Sphinx, der neunten Partie aus dem WM-Kampf gegen Zukertort, war dem Polen zuletzt mit 1.c4-c5? ein bedauernswerter Fehler unterlaufen, der jäh zum Verlust der Partie führte. Also, Wanderer, wie gewann der streitbare Steinitz im rauschenden Blute seiner Rache für lebenslange Erduldungen die Partie?



SCHACH-SPHINX/06409: Verbitterter Blick auf die Welt (SB)

Zukertort - Steinitz
WM 1886

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Was eine Bauernseele so alles zu schwatzen hat! Indes, 1.Db4xd6! verdient in der Tat höchstes Lob. Die kleinmütige Furcht 1...Tc4-c1+ 2.Td1xc1 Tc8xc1+ 3.Te1xc1 De7xd6 verächtlich beseite schiebend, siegt nämlich 4.Tc1-c8+ Ka8-a7 5.Lg3-f2+ b7-b6 6.Tc8-a8+! Ka7xa8 7.e4-e5+ Dd6-d5 8.e5xf6! Schwarz gab sich geschlagen. Mit einer Figur weniger läßt sich kein Remis erschwindeln.


Erstveröffentlichung am 14. Dezember 2004

9. Dezember 2017


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