Wilhelm Steinitz hatte den Geist der Schachromantik ernüchtert mit dem epochalen Aufstellen positioneller Gesetze für das Königlichen Spiel, Gesetze, die der Partie ein griffiges Format gaben. Ein Makel vieler historischer Partien war ja, daß die angreifende Seite oft einen Glückswurf wagte. Mit wilden Opferattacken - ein Kennzeichen beispielsweise der italienischen Renaissancespieler, auch die Franzosen eiferten im frühen 19. Jahrhundert diesem Beispiel nach -, wurde der gegnerische König zwar bedroht, aber nicht zwangsläufig mattgesetzt. Ein Sieg war dann die Folge einer schlechten Verteidigung, nicht eines genialen Angriffs. Steinitz sorgte dafür, daß das Schachspiel eine Zukunft erhielt, die auf der wachsenden Kenntnis der inneren Mechanik einer Schachpartie aufbaute. Auf diesem Boden konnte dann eine Theorie entstehen, die mit empirischer Schärfe und akribischem Forschergeist überhaupt erst den Schritt weg vom Zufälligen und Glückbeschiedenen ermöglichte. Man darf freilich keine allzu strenge Axt an sein Theoriegebäude legen. Auch wenn er, inspiriert vom Wunsch, Dauerhaftes zu ersinnen, in seinen Ausführungen und Kommentaren manches Mal zu dogmatisch und besserwisserisch war, so gebührt ihm doch Dank für den ersten Schritt zu einer Wissenschaftlichkeit, die im Werk des Franzosen Philidor noch zaghaft und zu unbestimmt in Erscheinung getreten war. Im heutigen Rätsel der Sphinx aus dem Match gegen den ungarisch gebürtigen, späteren englischen Meister Isidor Gunsberg, das Steinitz im reifen Alter von 54 Jahren mit 10,5:8,5 gewann, strahlte noch einmal die Kraft seiner Einfälle durch. Den letzten Zug Gunsbergs 1...Sd7-f6 widerlegte der erste offizielle Weltmeister der Schachgeschichte recht überzeugend, Wanderer.
Steinitz - Gunsberg
New York 1890
Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Altphilologisch genau, mit Blick fürs Wesentliche, spielte Hübner 1.d4-
d5! Zielpunkt war der wunde Punkt der schwarzen Rochadestellung auf
a7. Der Räumungszug machte es möglich, daß die weiße Dame nach
1...Tf8xf2 2.Tf1xf2 c6xd5 3.De3-a7 bereits mit Matt drohte, was sich
auch mit 3...Kc8-d8 nicht verhindern ließ: 4.Da7-b8+ Kd8-e7 5.Db8xc7+
Ke7-e8 6.Tf2-f7!! und Matt in zwei Zügen. Sein Kontrahent Hess
spekulierte daher auf 3...c7-c6. Das Schlupfloch auf c7 sollte den
schwarzen König retten, allein, Hübner hatte auch darauf eine
vortreffliche Antwort parat: 4.Se5-f7! und Schwarz gab auf, denn
4...Le6xf7 5.Tf2xf7 Dh6-d6 6.Da7xb7+ hätte unweigerlich zum Matt
geführt.
Erstveröffentlichung am 30. Dezember 2004
25. Dezember 2017
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