Schattenblick → INFOPOOL → SCHACH UND SPIELE → SCHACH


SCHACH-SPHINX/06654: Über den Schatten der Gewohnheit springen (SB)


Die schwerste Hürde, die der Schachspieler bei der Analyse einer Stellung zu nehmen hat, ist er selbst, und zwar in dem Sinne, daß er alle während seiner Laufbahn verinnerlichten Werte und Gesetzmäßigkeiten in Frage stellen muß. Andernfalls wird er kaum mehr als simple Widerholungen und Gedankenkreuzungen zustande bringen, aber keine wirklich neue Idee produzieren. Der sowjetische Großmeister Lew Polugajewsky beispielsweise benötigte den Mut eines Grenzgängers, um in der nach ihm benannten Variante der Sizilianischen Verteidigung mit der stärksten Figur gleich mehrere Züge hintereinander auszuführen, etwas, das wider alle Schachregeln ging. In seinen Erinnerungen schrieb er dazu: "Ist es im Schachspiel überhaupt möglich, dachte ich mir, in der Eröffnung, bei absolut unentwickelten Figuren, den vierten Zug hintereinander mit der Dame auszuführen und dabei unbestraft zu bleiben? Alle klassischen Beispiele, die mir eingeimpft worden waren, sagten mir vor, daß dies absolut unmöglich sei, daß das eine Utopie ist. Im Schach gibt es so etwas nicht und kann es auch nicht geben, so wie in der Natur das Gesetz der Erhaltung der Energie nicht durchbrochen werden kann." Aus diesen Worten läßt sich leicht ersehen, mit welchen inneren Widerständen und Schwierigkeiten ein Schachspieler ständig kämpfen muß, der hinter die Geheimnisse einer Stellung kommen will. Jahrelang angeeignetes Denken, Gewohnheit und die Unvorstellbarkeit, andere Wege zu gehen, müssen erst beseitigt werden, damit echte Forschung möglich ist. Lew Polugajewsky hatte diesen Mut und er wählte, wie im heutigen Rätsel der Sphinx, oftmals "bizarre" Züge. Mit den weißen Steinen kam er so gegen seinen ehemaligen Landsmann Boris Gulko zu folgender Stellung, der er mit seinem nächsten Zug den Stempel des Sieges aufdrücken konnte, Wanderer.



SCHACH-SPHINX/06654: Über den Schatten der Gewohnheit springen (SB)

Polugajewsky - Gulko
Moskau 1975

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Das Endspiel stand für Schwarz verloren, aber Jeroen Piket behandelte es dennoch mit besonderer Sorgfalt: 1.b5-b6 h5-h4 2.b6-b7 h4-h3 3.Th1xh3! und Jan Timman gab sofort auf. Nach 3...g4xh3 4.f2-f4+ verschwand der wichtige Läufer vom Brett, der das Umwandlungsfeld b8 überwachte.


Erstveröffentlichung am 15. August 2005

14. August 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang